Uneinbringlichkeit des Entgelts für eine Leistung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verstößt weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen Art. 90 MwStSystRL
Leitsatz
1. Die Rechtsprechung, wonach das Entgelt für eine Leistung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers uneinbringlich wird, verstößt weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen Art. 90 MwStSystRL (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Ist eine gesetzlich gebundene Entscheidung über einen feststehenden Sachverhalt zu treffen, scheidet eine die Gerichte bindende Selbstbindung der Verwaltung grundsätzlich aus.
Gesetze: UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1, InsO § 38, InsO § 55, EGRL 112/2006 Art. 63, EGRL 112/2006 Art. 90, EGRL 112/2006 Art. 273 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug:
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Bauunternehmers. Das Insolvenzverfahren wurde 2005 eröffnet. Im Streitjahr (2007) buchte er Forderungen in Höhe von ... € aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens als uneinbringlich aus. Entsprechend setzte er in seiner Umsatzsteuer-Jahreserklärung ... € wegen Änderung der Bemessungsgrundlage ab. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) der Umsatzsteuererklärung zunächst zugestimmt hatte, erließ es später einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2007, in dem es eine Änderung der Bemessungsgrundlage ablehnte, da die Forderungen bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (im Jahr 2005) uneinbringlich geworden seien. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Die Klage wies das Finanzgericht (FG) unter Bezugnahme auf die (BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996), vom V R 48/13 (BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506) ab.
2 Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
Gründe
3 II. Die Beschwerde ist unbegründet.
4 1. Die Sache ist nicht grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Denn die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) i.S. des FG–Urteils geklärt (grundlegend Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996). Mit der dagegen geäußerten Kritik hat sich der BFH in mehreren Entscheidungen auseinandergesetzt und sie für nicht durchgreifend erachtet. Danach verstößt die durch das Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 begründete Rechtsprechung zur Uneinbringlichkeit weder gegen insolvenzrechtliche Vorgaben noch gegen den Grundsatz der Unternehmenseinheit oder gegen Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem —Mehrwertsteuersystemrichtlinie— (MwStSystRL) —zuletzt (BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756, Rz 28 ff.)—. Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) besteht insofern nicht (, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 54, und in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 37 f.; Senatsbeschluss vom V B 61/13, BFH/NV 2014, 920). Der Kläger trägt keine neuen Gesichtspunkte vor, die eine nochmalige Prüfung und Entscheidung gebieten.
5 Das Beschwerdevorbringen wiederholt großteils die Kritik von Roth (Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2014, 309 —311 f.—) an dem Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996. Diese Kritik hat der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 37 f. zurückgewiesen. Dem hat sich nunmehr auch der XI. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756 angeschlossen.
6 Soweit die Beschwerde weitergehende Erwägungen anstellt, ergibt sich daraus jedenfalls kein Klärungsbedarf.
7 a) Das Senatsurteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 und die Folgeentscheidungen überschreiten nicht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine solche Überschreitung angenommen, wenn richterrechtlich ein gesetzlich nicht vorgesehenes insolvenzrechtliches Rangvorrecht geschaffen wird (, 2 BvR 486/80, BVerfGE 65, 182). Die Grundsätze des Senatsurteils in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 beeinflussen auch die Verwirklichung von Umsatzsteueransprüchen in Insolvenzfällen. Der Senat hat aber kein neues Rangvorrecht eingeführt. Er hat vielmehr darüber entschieden, wann ein Umsatzsteueranspruch i.S. von §§ 38 und 55 der Insolvenzordnung (InsO) begründet ist, und damit über eine der insolvenzrechtlichen Forderungsrangfolge vorgreifliche steuerrechtliche Frage (Senatsurteil vom V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.1.).
8 b) Die Anwendung der Grundsätze dieses Senatsurteils im Streitfall ist auch nicht durch den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung ausgeschlossen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht lediglich ausnahmsweise in dem Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung (, BFHE 248, 99, BStBl II 2015, 519, Rz 42; s.a. Senatsurteil vom V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106, Rz 12, jeweils m.w.N.). Ist —wie im Streitfall— eine gesetzlich gebundene Entscheidung über einen feststehenden Sachverhalt zu treffen, scheidet daher eine die Gerichte bindende Selbstbindung grundsätzlich aus.
9 c) Die Rechtsprechung verstößt nicht gegen Unionsrecht. Die Beschwerde enthält keine durchgreifenden Einwendungen gegen die diesbezüglichen Erwägungen des Senatsurteils in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 37 f. Danach beruht auch die Ausnahme vom Grundsatz der Sollbesteuerung (Art. 63 MwStySystRL) auf der zutreffenden Anwendung von Unionsrecht (Art. 90 MwStSystRL).
10 Nach Art. 273 Abs. 1 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen. Der EuGH hat bereits entschieden, dass dies besondere Maßgaben für die Besteuerung in Insolvenzfällen einschließt und den Mitgliedstaaten dabei ein gewisser Spielraum zusteht (EuGH-Urteil Degano Trasporti vom C-546/14, EU:C:2016:206). Er hat damit die Rechtsprechung des Senats in dem Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 38 bestätigt.
11 2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen.
12 a) Das FG ist nicht von dem BFH-Urteil des VII. Senats vom VII R 29/11 (BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36) abgewichen. Dieses Urteil betraf einen Abrechnungsbescheid und damit schon einen andersartigen Sachverhalt als im Streitfall, in dem eine Steuerfestsetzung streitig ist (vgl. Senatsurteil vom V R 24/11, BFHE 236, 274, BStBl II 2012, 466, Rz 39 ff.). Zudem hat der BFH in diesem Urteil die hier strittige Frage, ob Forderungen des Insolvenzschuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich i.S. des § 17 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) werden, ausdrücklich offengelassen (BFH-Urteil in BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36, Rz 20 f.).
13 b) Es besteht auch keine Abweichung von dem (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2014, 1427). Ist ein vom Beschwerdeführer als Divergenzentscheidung bezeichnetes Urteil des FG im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision bereits durch den BFH aufgehoben worden, liegt keine Divergenz vor (, BFH/NV 2014, 1080). So verhält es sich im Streitfall. Das Urteil des FG Berlin-Brandenburg in EFG 2014, 1427 wurde durch das BFH-Urteil in BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756 aufgehoben.
14 3. Im Übrigen sieht der Senat von einer Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
15 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2016:B.060916.VB52.16.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2017 S. 67 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 1/2017 S. 40
QAAAF-86857