Betriebliche Altersversorgung - Ablösender Tarifvertrag - Verschlechterung einer Anpassungsregelung
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 2 BetrAVG, § 5 Abs 1 BetrAVG, § 17 BetrAVG, § 1 Abs 1 TVG, § 1 AGG, § 3 Abs 2 AGG, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 559 Abs 1 S 1 ZPO
Instanzenzug: ArbG Mainz Az: 3 Ca 1314/13 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 2 Sa 80/14 Urteilnachgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 2 Sa 488/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe des der Klägerin zu zahlenden Zuschusses zum Gesamtruhegeld.
2Die Klägerin war von Januar 1975 bis Juli 2005 bei der Beklagten - einer gesetzlichen Krankenkasse - beschäftigt. Im Anstellungsvertrag der Klägerin vom ist ua. Folgendes vereinbart:
3Nach § 37 Abs. 2 des Ersatzkassen-Tarifvertrags Manteltarifvertrag (im Folgenden EKT) richten sich die Ansprüche auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte, deren Beschäftigungsverhältnis bei der Kasse vor dem begann, nach der Anlage 7a zum EKT, soweit die Altersversorgung nicht nach der Anlage 7 zum EKT durchgeführt wird.
4Die Beklagte schloss im Jahr 2010 mit der Gewerkschaft ver.di eine „Vereinbarung zur Anwendung des Ersatzkassentarifvertrages-Mantel nebst Anlagen für die D ab (DAnwendungsvereinbarung)“. Danach wurde der EKT idF des 24. Ergänzungstarifvertrags ab dem für die Beschäftigten mit der Bezeichnung DTarifvertrag (im Folgenden DTV) übernommen.
5Seit dem bezieht die Klägerin eine gesetzliche Altersrente. Zudem gewährt die Beklagte ihr seitdem einen Zuschuss zum Gesamtruhegeld auf der Grundlage der Anlage 7a zum DTV. Die Anlage 7a zum DTV enthält ua. folgende Regelungen:
6Zum trat der von der Beklagten abgeschlossene „Gehalts- und Änderungstarifvertrag Nr. 1/2012 vom “ (im Folgenden Gehalts-TV) in Kraft. Dieser bestimmt ua.:
7Der Zuschuss zum Gesamtruhegeld der Klägerin belief sich zunächst auf 1.438,64 Euro. Nachdem zum und zum die gesetzliche Rente der Klägerin erhöht wurde, sank der von der Beklagten gezahlte Zuschuss zum auf 1.398,85 Euro und zum auf 1.395,65 Euro.
8Die Klägerin hat mit ihrer Klage - soweit für die Revision noch von Interesse - geltend gemacht, ihr ruhegeldfähiges Gehalt sei nach Nr. 14 Anlage 7a zum DTV zum um 1,6 vH und zum um 1,8 vH anzuheben. Die Beklagte habe ihr daher einen höheren Zuschuss zum Gesamtruhegeld zu zahlen. Die Regelungen in II § 9 und III § 9 Gehalts-TV seien unwirksam. Es liege eine unechte Rückwirkung vor. Die Normen führten zu einem nicht gerechtfertigten Eingriff in bereits erworbene Rechte der Versorgungsempfänger. Dies verstoße gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes.
9Die Klägerin hat beantragt,
10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Entscheidung der Tarifparteien, die Anpassung des ruhegeldfähigen Gehalts an die Erhöhung der Grundgehälter zum und zum auszusetzen, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Dies führe weder zu einer unechten Rückwirkung noch liege ein Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes vor. Die Tarifvertragsparteien seien berechtigt, bei der Erhöhung der Vergütung zwischen aktiven Arbeitnehmern und Betriebsrentnern zu differenzieren.
11Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
12Die Revision der Klägerin ist begründet. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen seine Entscheidung, die Klage abzuweisen, nicht. Ob und ggf. in welchem Umfang der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Nachzahlung rückständigen Zuschusses zum Gesamtruhegeld zusteht, kann der Senat mangels erforderlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
13I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie streitgegenständlich hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
141. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Dabei ist der Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Werden im Wege einer „Teil-Gesamt-Klage“ mehrere Ansprüche nicht in voller Höhe, sondern teilweise verfolgt, muss die Klagepartei genau angeben, in welcher Höhe sie aus den einzelnen Ansprüchen Teilbeträge einklagt. Dies bedeutet, dass sie vortragen muss, wie sie die geltend gemachte Gesamtsumme ziffernmäßig auf die verschiedenen Ansprüche verteilt wissen will. Andernfalls ist der Streitgegenstand nicht hinreichend bestimmt und die Klage unzulässig (vgl. - Rn. 18 mwN, BAGE 149, 169).
152. Daran gemessen ist die Klage hinreichend bestimmt.
16a) Die Klägerin macht für die Zeit vom bis zum Ansprüche gegen die Beklagte auf Zahlung rückständigen Zuschusses zum Gesamtruhegeld geltend. Aus ihrem Vortrag ergibt sich, wie sich der insgesamt eingeklagte Betrag iHv. 563,46 Euro brutto auf die einzelnen Monate verteilt. Demgemäß begehrt die Klägerin für die Monate Juli 2012 bis einschließlich Juni 2013 die Zahlung eines monatlich um 39,79 Euro brutto höheren Zuschusses zum Gesamtruhegeld sowie für die Monate Juli und August 2013 jeweils einen Zuschuss iHv. weiteren 42,99 Euro brutto.
17b) Der Bestimmtheit des Klageantrags steht nicht entgegen, dass die Revision erstmals geltend macht, der Klägerin stünden bei einer Anpassung ihres ruhegeldfähigen Gehalts zum um 1,6 vH und zum um 1,8 vH für die einzelnen Monate August 2012 bis Juni 2013 höhere Nachzahlungsbeträge und damit für den streitbefangenen Zeitraum insgesamt ein die Klageforderung übersteigender Betrag zu. Anhaltspunkte, dass die Klägerin die Verteilung des im Klageantrag genannten Gesamtbetrags auf die einzelnen Monate des Klagezeitraums nunmehr anders vornehmen will, lassen sich ihrem Vortrag nicht entnehmen. Der Umstand, dass die Klägerin ihren bisherigen Klageantrag einschließlich der begehrten Zinsläufe unverändert auch in der Revision weiterverfolgt, zeigt vielmehr, dass sie auch weiterhin an den bisher für die einzelnen Monate angegebenen Nachzahlungsbeträgen festhalten will. Bei der Klage handelt es sich insoweit um eine - zulässige - Teilklage.
18II. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang die Beklagte verpflichtet ist, das ruhegeldfähige Gehalt der Klägerin nach Nr. 14 Abs. 1 Anlage 7a zum DTV zum um 1,6 vH und zum um 1,8 vH anzupassen und der Klägerin daher für die Zeit vom bis zum einen höheren Zuschuss zu ihrem Gesamtruhegeld zu zahlen.
191. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Zuschusses zum Gesamtruhegeld richtet sich nach der jeweils geltenden Fassung der Anlage 7a zum DTV. Dies folgt aus der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Klägerin. Nach dieser Regelung gelten für das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht nur der EKT nebst Anlagen, sondern auch künftige Änderungen des EKT oder an seine Stelle tretende Tarifverträge. Die vertragliche Klausel enthält sowohl eine zeit- als auch eine inhaltsdynamische Verweisung auf die den EKT ersetzenden Tarifverträge und somit auch eine Inbezugnahme des DTV und der Anlage 7a zu diesem Tarifvertrag sowie solcher Tarifverträge, die diese Regelungen abändern. Unerheblich ist, dass sich die Verweisungsklausel nach ihrem Wortlaut lediglich auf das „Anstellungsverhältnis“ der Parteien bezieht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind arbeitsvertragliche Verweisungen auf die für die betriebliche Altersversorgung beim Arbeitgeber geltenden Bestimmungen im Regelfall dynamisch. Soweit - wie im Streitfall - keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen, verweisen sie daher auf die beim Arbeitgeber jeweils geltenden Versorgungsregelungen, die sich typischerweise auf die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beziehen (vgl. - Rn. 20 mwN).
202. Nr. 14 Abs. 1 Anlage 7a zum DTV sieht vor, dass bei einer Änderung der Grundvergütungen der Angestellten auch das ruhegeldfähige Gehalt entsprechend zu ändern ist. Diese Regelung haben die Tarifparteien des Gehalts-TV durch die Regelungen in II § 9 Satz 2 und III § 9 Satz 2 Gehalts-TV abgeändert. Zwar werden nach II § 1 und III § 1 Gehalts-TV die Grundgehälter aller Beschäftigten der Beklagten zum um 1,6 vH und zum um weitere 1,8 vH erhöht. Allerdings ist in II § 9 Satz 2 und III § 9 Satz 2 Gehalts-TV bestimmt, dass es sich bei diesen Erhöhungen nicht um „allgemeine tarifliche Änderungen der Grundvergütungen im Sinne der Anlage 7a zum DTV“ handelt. Damit soll das ruhegeldfähige Gehalt der Versorgungsempfänger - anders als in Nr. 14 Abs. 1 Anlage 7a zum DTV vorgesehen - zum und zum nicht entsprechend der Steigerung der tariflichen Grundvergütungen angepasst werden. Aufgrund der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag gilt diese Änderung der Anlage 7a zum DTV auch für das Ruhestandsverhältnis der Klägerin.
213. Ob die Regelungen in II § 9 und III § 9 Gehalts-TV wirksam sind, kann der Senat mangels erforderlicher Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht nicht abschließend prüfen.
22a) Die Wirksamkeit der genannten Tarifnormen scheitert nicht bereits daran, dass es den Parteien des Gehalts-TV an der Regelungsbefugnis für Betriebsrentner fehlte.
23Die Regelungsmacht der Tarifparteien erstreckt sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch auf das anschließende Ruhestandsverhältnis. Dies folgt aus Art. 9 Abs. 3 GG. Diese Verfassungsnorm gewährleistet als Teil der Koalitionsfreiheit auch die Tarifautonomie. Das Tarifvertragsgesetz füllt den von der Verfassung vorgegebenen Rahmen lediglich aus. Dessen durch die Verfassungsordnung vorgegebener Zweck ist es, die Tarifautonomie weitgehend zu aktualisieren. Wie sich aus der Formulierung „jedermann“ in Art. 9 Abs. 3 GG ergibt, ist die Tarifautonomie allerdings hinsichtlich ihres persönlichen Anwendungsbereiches nicht auf aktive Arbeitsverhältnisse beschränkt, sondern besteht auch darüber hinaus. Soweit § 1 Abs. 1 TVG Normen über den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ermöglicht, betrifft dies deshalb auch solche auf das Arbeitsverhältnis bezogene Rechtsnormen, die erst nach dessen Ende wirken oder wirksam werden. Dazu gehören auch Normen, die die betriebliche Altersversorgung regeln (vgl. - Rn. 29, BAGE 127, 62; - 3 AZR 734/05 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 121, 321).
24Auch § 17 BetrAVG spricht für dieses Ergebnis. Diese Vorschrift erlaubt den Tarifvertragsparteien, von betriebsrentenrechtlichen Regelungen abzuweichen. Für die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien behandelt der Gesetzgeber das betriebsrentenrechtliche Versorgungsverhältnis daher wie ein Arbeitsverhältnis ( - Rn. 30 mwN, BAGE 127, 62).
25b) Die Regelungen in II § 9 und III § 9 Gehalts-TV sind auch nicht deshalb unwirksam, weil sie nicht mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren sind.
26Der Gleichheitssatz gebietet es nicht, die Betriebsrentner durch eine entsprechende Anpassung ihres ruhegeldfähigen Gehalts an der Gehaltssteigerung der aktiven Mitarbeiter zum und teilhaben zu lassen. Der Eintritt des Versorgungsfalls stellt betriebsrentenrechtlich eine erhebliche Zäsur dar. Die hieraus folgende veränderte Rechtsstellung der Versorgungsempfänger rechtfertigt es, die Steigerungen der Gehälter der aktiven Mitarbeiter und die Anhebung der Betriebsrenten unterschiedlich zu regeln.
27c) Die Vorschriften in II § 9 und III § 9 Gehalts-TV bewirken auch keinen Verstoß gegen das Auszehrungsverbot nach § 5 Abs. 1 BetrAVG.
28Zwar führt die in der Anlage 7a zum DTV zugesagte Gesamtversorgung dazu, dass bei einer Erhöhung der gesetzlichen Rente der von der Beklagten zu zahlende Zuschuss nach Nr. 8 der Anlage 7a geringer wird, wenn nicht gleichzeitig nach Nr. 14 Abs. 1 Anlage 7a das ruhegeldfähige Gehalt angehoben wird. Dies kann - wie im Streitfall - auch zur Folge haben, dass der von der Beklagten gezahlte Zuschuss unter den bei Eintritt des Versorgungsfalls festgesetzten Betrag sinkt. Hieraus kann die Klägerin aber nichts zu ihren Gunsten ableiten. Das Auszehrungsverbot nach § 5 Abs. 1 BetrAVG bindet die Tarifvertragsparteien nicht. Sie können nach § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG abweichende Regelungen treffen. Eine derartige Abweichung muss nicht als solche gekennzeichnet werden. Ausreichend ist, dass sich diese - wie vorliegend - zweifelsfrei aus den Tarifnormen ergibt (vgl. - zu II 1 b der Gründe, BAGE 92, 310).
29d) Die Revision kann eine etwaige Unwirksamkeit der Reglungen in II § 9 und III § 9 Gehalts-TV auch nicht auf einen Verstoß gegen §§ 1, 3 Abs. 2 AGG stützen.
30Die Klägerin macht erstmals in der Revision geltend, die genannten Tarifnormen führten zu einer mittelbaren Altersdiskriminierung älterer Versorgungsempfänger; Eingriffe in die Altersversorgung der Betriebsrentner, die nach dem eingestellt wurden und damit eine Versorgung nach der Anlage 7 zum DTV erhalten, seien nicht erfolgt.
31Mit diesem Vortrag hat die Klägerin einen neuen Streitgegenstand in den Rechtsstreit eingeführt. Sie stützt ihr Klagebegehren nunmehr auch auf einen anderen Lebenssachverhalt. Dies stellt eine in der Revision unzulässige Klageerweiterung dar. Die Einführung neuer prozessualer Ansprüche ist in der Revisionsinstanz grundsätzlich ausgeschlossen. Das Revisionsgericht prüft, ob die Vorinstanz über die Klage rechtsfehlerfrei entschieden hat. Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt dabei nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Mit dem Ende der Berufungsverhandlung wird die Urteilsgrundlage abgeschlossen ( - zu 7 a der Gründe, BGHZ 104, 215). Eine Klageerweiterung, mit der ein neuer Streitgegenstand eingeführt wird, ist deshalb in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht möglich (vgl. - Rn. 21).
32e) Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob die Tarifparteien mit den Regelungen in II § 9 und III § 9 Gehalts-TV die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit verletzt haben.
33aa) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass das vom Senat zur materiellen Überprüfung von Eingriffen in Versorgungsanwartschaften entwickelte dreistufige Prüfungsschema (vgl. dazu erstmals - BAGE 49, 57) auf tarifvertragliche Regelungen nicht übertragbar ist. Die eingeschränkte Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen rechtfertigt sich daraus, dass die Tarifautonomie - wie dargelegt - durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist. Den Tarifvertragsparteien steht bei der inhaltlichen Gestaltung dieser Regelungen ein Beurteilungs- und Ermessenspielraum zu. Tarifverträge unterliegen keiner Billigkeitskontrolle. Die Gerichte haben sie nur daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen das Grundgesetz oder anderes höherrangiges Recht verstoßen. Der Gesetzgeber des Betriebsrentengesetzes hat den Tarifvertragsparteien in § 17 Abs. 3 BetrAVG sogar die Möglichkeit eingeräumt, den Wert erdienter Anwartschaften abweichend von § 2 BetrAVG festzusetzen und abweichend von § 5 BetrAVG Regelungen über die Auszehrung laufender Betriebsrenten zu treffen (vgl. etwa - Rn. 39 mwN, BAGE 121, 321).
34bb) Allerdings sind die Tarifvertragsparteien bei ihrer Normsetzung - ebenso wie der Gesetzgeber - an die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gebunden (vgl. etwa - Rn. 39 mwN, BAGE 121, 321). Verschlechternde ablösende Tarifregelungen wirken typischerweise auf die noch nicht abgeschlossenen Rechtsbeziehungen der aktiven Arbeitnehmer oder - wie vorliegend - der Betriebsrentner ein. Damit entfalten sie regelmäßig unechte Rückwirkung (vgl. zum Begriff - Rn. 46, BAGE 147, 373). Führt die tarifliche Regelung zu einem Eingriff in Versorgungsrechte oder in laufende Betriebsrenten, bedürfen die Tarifvertragsparteien daher für die verschlechternde Ablösung besonderer, den Eingriff legitimierender Gründe. Wie gewichtig diese sein müssen, hängt von den Nachteilen ab, die den Versorgungsberechtigten durch die Änderung der Versorgungsregelungen entstehen (vgl. - zu 2 b aa der Gründe).
35Anders als von der Klägerin angenommen, reichen bei tariflichen Regelungen, die für die betroffenen Arbeitnehmer oder Versorgungsempfänger nur zu geringfügigen Nachteilen führen, sachliche Gründe aus (vgl. - Rn. 39, BAGE 138, 197; - 3 AZR 14/05 - Rn. 37, BAGE 115, 304; - 3 AZR 515/99 - zu III 1 b der Gründe). Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtfertigung des Eingriffs das Vorliegen „gewichtiger und bedeutender Gründe“ verlangt, verkennt sie, dass das Bundesverfassungsgericht diese Anforderungen nur für wesentliche und grundlegende Änderungen von Alterssicherungssystemen aufgestellt hat, die eine erhebliche Verschlechterung für die Leistungsempfänger mit sich bringen (vgl. - zu IV 2 der Gründe, BVerfGE 76, 256).
36cc) Vorliegend liegt lediglich ein geringfügiger Eingriff in die Versorgungsrechte der Klägerin vor.
37(1) Die Änderung von Nr. 14 der Anlage 7a zum DTV durch II § 9 und III § 9 Gehalts-TV stellt einen Eingriff in die Versorgungsrechte der Klägerin dar. Denn die Regelung zur Anpassung des ruhegeldfähigen Gehalts in Nr. 14 der Anlage 7a zum DTV bestimmt die Höhe des laufenden Zuschusses zum Gesamtruhegeld (zur Verschlechterung einer Anpassungsregelung als Eingriff vgl. auch - Rn. 36 ff., BAGE 138, 197).
38(2) Dieser Eingriff ist jedoch nur geringfügig. Mehr als geringfügig sind lediglich solche Eingriffe die dem Versorgungsempfänger - hätte er mit ihnen gerechnet - während des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses vernünftigerweise hätten Anlass geben können, sie durch eine weiter gehende private Absicherung auszugleichen (vgl. - Rn. 39, BAGE 138, 197). Diese Anforderungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Tarifparteien haben die Anpassung des ruhegeldfähigen Gehalts lediglich für zwei einzelne, verhältnismäßig geringfügige Gehaltserhöhungen ausgesetzt. Zum wurde zudem eine garantierte Anpassung iHv. 1 vH vorgesehen. Die durch II § 9 und III § 9 Gehalts-TV verursachten Eingriffe hätten den Versorgungsberechtigten noch keinen ausreichenden Anlass geboten, die dadurch entstehenden Versorgungseinbußen anderweitig auszugleichen.
39dd) Ob sachliche Gründe für die tariflichen Verschlechterungen vorliegen, hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft nicht geprüft. Die dafür notwenigen Feststellungen wird das Landesarbeitsgericht als Tatsachengericht zu treffen haben. Die Beklagte hat hierzu erstmals in der Revision ausführlicher vorgetragen. Da es sich um neuen Sachvortrag handelt, kann dieser vom Senat nicht berücksichtigt werden.
40III. Das Landesarbeitsgericht wird im Rahmen seiner neuen Verhandlung und Entscheidung daher zu prüfen haben, ob die Parteien des Gehalts-TV sachliche Gründe hatten, die Anpassung der ruhegeldfähigen Gehälter der Versorgungsempfänger an die Vergütungssteigerung der aktiven Arbeitnehmer zum und auszusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür obliegt der Beklagten. Dieser ist Gelegenheit zu geben, ihren im Revisionsverfahren gehaltenen Sachvortrag in das Berufungsverfahren einzuführen und ggf. zu vertiefen.
41Für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, für den Eingriff seien - auch unter Berücksichtigung des zu erwartenden Vortrags der Beklagten - keine sachlichen Gründe gegeben, wird es zu beachten haben, dass bei der Berechnung der sich ergebenden Nachzahlungsbeträge Nr. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 Anlage 7a zum DTV zu berücksichtigen wäre. Zudem wäre in diesem Fall ein im ruhegeldfähigen Gehalt der Klägerin enthaltener Ortszuschlag nach Nr. 14 Abs. 2 der Anlage 7a zum DTV nur zu erhöhen, wenn auch die Ortsklassenzuschläge der Angestellten zum und erhöht wurden.
42IV. Das Landesarbeitsgericht wird schließlich auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:200916.U.3AZR273.15.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 2932 Nr. 48
DB 2017 S. 375 Nr. 7
XAAAF-86684