Zulässigkeit einer durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde - vorherige Verwerfung einer wegen Missachtung des Vertretungszwanges unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerde - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - fehlendes Verschulden - Gehörsrüge - Verstoß gegen eine faire Verfahrensgestaltung
Gesetze: § 62 SGG, § 67 SGG, § 73 Abs 4 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 1 S 2 SGG, § 160a Abs 4 S 3 SGG, § 37b SGB 5, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: S 24 KN 1170/10 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 6 KN 187/12 Urteil
Gründe
1I. Das Sächsische die Rechtmäßigkeit von Bescheiden bestätigt, mit denen der beklagte Rentenversicherungsträger in Umsetzung eines am vor dem SG Leipzig geschlossenen gerichtlichen Vergleichs den Einbehalt von monatlich 300 Euro von der laufenden Witwenrente der Klägerin zur Erfüllung eines der Beklagten gegen die Klägerin zustehenden Rückzahlungsanspruchs aufgrund in der Vergangenheit - wegen unterlassener Angaben über den Bezug von Verletztenrente - überzahlter Witwenrente verfügte.
2Die Klägerin hat sich mit zwei von ihr persönlich unterzeichneten Schreiben an das LSG gewandt, welche nach Weiterleitung durch das Berufungsgericht am beim BSG eingegangen sind; darin hat sie "Einspruch" bzw "Berufung" gegen das ihr am zugestellte LSG-Urteil erhoben. Der Senat hat dies als Nichtzulassungsbeschwerde gedeutet und das Rechtsmittel mit Beschluss vom wegen Missachtung des Vertretungszwangs vor dem BSG (§ 73 Abs 4 SGG) als unzulässig verworfen. Dieser Beschluss wurde nach einem Aktenvermerk der Geschäftsstelle am abgesandt und der Klägerin am zugestellt.
3Mit Telefax vom hat die Klägerin durch einen Rechtsanwalt nochmals Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung der Beschwerde beantragt. Sie trägt vor, sie habe sich "in der 10. Kalenderwoche" beim Amtsgericht B einen Beratungshilfeschein besorgen wollen, wegen massiver Kreislaufbeschwerden die im 4. Stock des Gerichtsgebäudes angesiedelte Beratungshilfeabteilung jedoch nicht aufsuchen können. Aufgrund ihrer schweren Krebserkrankung nehme sie starke Morphiumpräparate ein und sei bereits in Palliativpflege. Die Klägerin rügt, das LSG habe ihr "trotz ihres Hinweises vom " keine Möglichkeit gegeben, in der Sache gehört zu werden; zur Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens sei die Verlegung des Verhandlungstermins zwingend erforderlich gewesen.
4II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und deshalb durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG).
51. Die Unzulässigkeit des Rechtsmittels ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass der Senat mit Beschluss vom die von der Klägerin selbst erhobene Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen hat und das LSG-Urteil somit rechtskräftig geworden ist (§ 160a Abs 4 S 3 SGG). Hierfür kommt es nicht darauf an, ob die Rechtskraft bereits im Zeitpunkt der Herausgabe des ablehnenden Beschlusses aus dem Gericht an die Post (vgl 6 C 2.92 - BVerwGE 95, 64, 67; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 23, und unter Bezugnahme auf diese Kommentierung auch BH - BeckRS 2012, 66189 RdNr 10) oder - wofür insbesondere der Aspekt der Rechtssicherheit spricht - erst mit Zustellung des Beschlusses eintritt (so - BGHZ 164, 347, 350 ff - unter Bezugnahme auf - BFH/NV 2003, 1063). Zwar ist nicht auszuschließen, dass der Beschluss vom möglicherweise bereits vor Eingang der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Telefax vom erhobenen Beschwerde beim BSG von der Poststelle des Gerichts zur Zustellung durch die Post aus dem Haus gegeben worden war. Allerdings ist die erforderliche Dokumentation dieses Zeitpunkts (vgl BVerwGE 95, 64, 69 f) in der Gerichtsakte nicht vorhanden; sie ist jedenfalls nicht mit dem Aktenvermerk der Geschäftsstelle gleichzusetzen, der Beschluss sei am aus ihrem Bereich abgesandt worden. Diesen tatsächlichen Umständen braucht hier jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn selbst wenn der Verwerfungsbeschluss vom bereits vor Eingang der weiteren Beschwerde am rechtskräftig geworden wäre, wäre hiervon nur der Formmangel einer fehlenden Postulationsfähigkeit der Klägerin erfasst (vgl B 5a R 340/07 B - SozR 4-1500 § 73a Nr 6 RdNr 4). Das hindert einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten nicht, später noch eine formgerechte Beschwerde einzulegen und hierfür Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (BSG aaO; s auch - SozR 1500 § 67 Nr 5 S 17).
62. Offenbleiben kann vorliegend auch, ob die am erhobene und zugleich kurz begründete Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist, weil sie nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des LSG-Urteils an die Klägerin (am ) eingelegt wurde (§ 160a Abs 1 S 2 SGG). Ob der Klägerin insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) gewährt werden kann, erscheint zweifelhaft. Sie hat zwar als Grund für die Versäumung der Frist ihre Krebserkrankung angeführt. Hierzu hat sie auf anwaltlich versicherte Beobachtungen ihres Prozessbevollmächtigten an einem nicht näher bezeichneten Tag "in der 10. Kalenderwoche" - also im Zeitraum 7. bis - und anlässlich eines Besuchs im Altenpflegeheim am Bezug genommen. Daraus ergibt sich aber ebenso wenig wie aus dem nachfolgend vorgelegten Arztbericht über eine stationäre Behandlung im Zeitraum 25.4. bis , dass die Klägerin innerhalb der bereits am abgelaufenen Beschwerdefrist infolge ihres Gesundheitszustands weder in der Lage war, selbst die nötigen Schritte zu unternehmen, noch einen Dritten damit zu beauftragen (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 1164/07 - Juris RdNr 2; s auch 9a BVg 10/91 - Juris RdNr 2 mwN; - Juris RdNr 2). Dagegen, dass letzteres der Fall war, spricht insbesondere der Umstand, dass die Klägerin bereits am sämtliche Unterlagen ihrem Sohn, der laut dem genannten Arztbericht vom Vorsorgevollmacht hat, zur Klärung der Angelegenheit übergab. Sie selbst hat noch am zwei Schreiben in dieser Sache verfasst und auf den Weg gebracht; dass die Entschluss- und Handlungsfähigkeit der Klägerin wesentlich beeinträchtigt gewesen wäre, lässt dies nicht erkennen. Allein der Umstand, dass die Klägerin die Betreuung durch eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (§ 37b SGB V) in Anspruch nimmt, belegt für sich genommen noch kein fehlendes Verschulden hinsichtlich der Versäumung von Fristen.
7Weitere Ermittlungen zur Entschluss- und Handlungsfähigkeit der Klägerin in dem hier relevanten Zeitraum bis zum sind hier indes nicht erforderlich. Denn selbst wenn Wiedereinsetzung zu gewähren wäre, ist die von ihrem Prozessbevollmächtigten erhobene Beschwerde vom gleichwohl unzulässig.
83. Die Klägerin hat innerhalb der bis zum verlängerten Frist die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie sich ausschließlich auf einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG beruft, nicht formgerecht begründet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
9Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; Nr 21 RdNr 4; Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 202 ff).
10Diese Anforderungen erfüllt ihre Beschwerdebegründung nicht. Sie trägt lediglich vor, das LSG habe ihr "trotz ihres Hinweises vom keine Möglichkeit gegeben <wurde>, in der Sache gehört zu werden"; eine Verlegung des Verhandlungstermins vom sei zwingend erforderlich gewesen, um den Anforderungen an ein faires Verfahren und dem Grundsatz rechtlichen Gehörs zu entsprechen. Zudem habe es das LSG versäumt, sie darauf hinzuweisen, was Gegenstand der Verhandlung sein werde.
11Hieraus ergibt sich keine schlüssige Darlegung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Die Ausführungen lassen nicht erkennen, was Inhalt des "Hinweises vom " war. Somit bleibt offen, ob die Klägerin überhaupt - zumindest sinngemäß - eine Verlegung des Verhandlungstermins beantragt oder ob sie dem Berufungsgericht lediglich mitgeteilt hat, dass sie an der Verhandlung vom nicht teilnehmen werde. Unklar bleibt auch, ob die Klägerin gegenüber dem LSG zum Ausdruck gebracht hat, trotz ihres Gesundheitszustands voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt einen Verhandlungstermin wahrnehmen zu wollen. Nur dann hätte eine Vertagung zur Gewährung rechtlichen Gehörs beitragen können. Einen Verstoß gegen Art 103 Abs 1 GG kann aber nicht geltend machen, wer es selbst versäumt hat, sich durch die zumutbare Ausschöpfung der vom Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (stRspr - s BVerfG <Kammer> - BVerfGK 17, 479 - Juris RdNr 28).
12Nichts anderes gilt für die von der Klägerin aufgrund derselben Umstände zusätzlich gerügte Verletzung des Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren. An diesem "Auffanggrundrecht" sind alle Beschränkungen zu messen, die von den spezielleren grundrechtlichen Verfahrensgarantien nicht erfasst werden (BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 2449/14 - Juris RdNr 4). Da die Klägerin aber im Kern eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs geltend macht, kommt hier dem Aspekt des fairen Verfahrens keine eigenständige Bedeutung zu. Jedenfalls können die Anforderungen an eine schlüssige Darlegung der Gehörsrüge nicht dadurch umgangen werden, dass zusätzlich ein Verstoß gegen eine faire Verfahrensgestaltung beanstandet wird.
13Schließlich ist auch eine Verletzung der Hinweispflichten des Gerichts (§ 106 Abs 1 SGG) nicht ausreichend dargetan. Es fehlt an jeglicher Darstellung, inwiefern die Entscheidung des LSG darauf beruhen kann, dass es auf den - nicht näher bezeichneten - Hinweis vom der Klägerin nicht nochmals schriftlich erläutert hat, was genau Gegenstand der mündlichen Verhandlung am sein werde.
14Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
15Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
16Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:170516BB13R6716B0
Fundstelle(n):
NAAAF-86229