Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommens- oder Vermögensberücksichtigung - Vorhandensein einer Kapitallebensversicherung vor der ersten Antragstellung - Vermögen - Überschussbeteiligung - einheitlicher Anspruch - keine Vergleichbarkeit mit Zinsen auf Kapitalvermögen - Verkehrswert
Leitsatz
Die Überschussbeteiligung einer bei der ersten Alg II-Antragstellung vorhandenen Kapitallebensversicherung ist grundsicherungsrechtlich Vermögen, nicht Einkommen, auch wenn sie während des Leistungsbezugs ausgezahlt wird.
Gesetze: § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 12 Abs 1 SGB 2, § 12 Abs 4 S 1 SGB 2, § 12 Abs 4 S 2 SGB 2, § 12 Abs 4 S 3 SGB 2, § 153 VVG 2008, § 169 VVG 2008
Instanzenzug: SG Neubrandenburg Az: S 12 AS 1330/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: L 10 AS 165/14 Urteil
Tatbestand
1Im Streit sind die Aufhebung des den Klägern für April und Mai 2008 bewilligten Alg II und Erstattungsforderungen seitens des beklagten Jobcenters wegen der Berücksichtigung einer kapitalbildenden Lebensversicherung als Einkommen.
2Die 1958 geborene Klägerin und der 1948 geborene Kläger sind miteinander verheiratet und bezogen ab Oktober 2006 Alg II. Auf ihren Fortzahlungsantrag vom bewilligte ihnen der Beklagte für den Zeitraum vom 1.4. bis Alg II iHv insgesamt 449,40 Euro monatlich unter Berücksichtigung von Erwerbseinkommen der Klägerin (Klägerin: 216,65 Euro, Kläger: 232,75 Euro; Bescheid vom ). Ab Juni 2008 bezog der Kläger eine Altersrente, weshalb der Beklagte die Alg II-Bewilligung gegenüber der Klägerin ab Juni 2008 ganz aufhob (bestandskräftiger Bescheid vom ) und für den Kläger gegenüber dem Rentenversicherungsträger einen Erstattungsanspruch geltend machte.
3Nach einem Datenabgleich reichten die Kläger im Juni 2009 beim Beklagten Unterlagen zu einer Versicherung des Klägers ein. Danach hatte der Kläger über eine Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme iHv 3267 Euro bei der Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung AG (im Folgenden: Volksfürsorge) mit Versicherungsbeginn am und Ablauf zum verfügt, die seit beitragsfrei gestellt war. Die Versicherung war zum ausgezahlt und dem Konto der Kläger am gutgeschrieben worden. Der Auszahlungsbetrag iHv 4652,80 Euro hatte sich zusammengesetzt aus der Versicherungssumme (3267 Euro), einer Überschussbeteiligung (1341 Euro) und einem Anteil an den Bewertungsreserven (44,80 Euro). Am hatte der Rückkaufswert der Versicherung einschließlich Überschussbeteiligung 4332,30 Euro betragen: Rückkaufswert Versicherungssumme 3114,40 Euro, Überschussbeteiligung 1217,90 Euro.
4Der Beklagte hörte die Kläger zu einem unrechtmäßigen Leistungsbezug im April und Mai 2008 wegen der Auszahlung dieser Versicherung an, hob - gestützt auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X - gegenüber den Klägern die Alg II-Bewilligung für April und Mai 2008 auf und forderte von der Klägerin die Erstattung von 433,30 Euro und vom Kläger von 465,50 Euro (zwei gesonderte Bescheide vom und Widerspruchsbescheide vom ): Nach Antragstellung sei Einkommen aus der Lebensversicherung einschließlich Überschussbeteiligung und Anteils an den Bewertungsreserven erzielt worden, das zum Wegfall des Anspruchs führe. Das von den Klägern angerufene SG verpflichtete den Beklagten, seine beiden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide in Gestalt der beiden Widerspruchsbescheide zurückzunehmen (Urteil vom ). Die Berufung des Beklagten wies das LSG zurück (Urteil vom ): Die Lebensversicherung einschließlich der Überschussbeteiligung und des Anteils an den Bewertungsreserven sei vor ihrer Auszahlung Vermögen gewesen und werde nicht durch die Auszahlung zu Einkommen. Eine positive Entwicklung der Überschussbeteiligung und des Anteils an den Bewertungsreserven stelle lediglich eine Werterhöhung des bei Erstantragstellung bereits vorhandenen Vermögens dar. Das Vermögen der Kläger insgesamt habe unter deren Vermögensfreibetrag gelegen.
5Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, dass es sich bei während des Leistungsbezugs zugeflossenen Überschussanteilen und Bewertungsreserven um Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II, nicht um Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB II handele. Zwar stellten die eingezahlten Beiträge zu einer Kapitallebensversicherung Vermögen dar, entgegen der Auffassung des LSG handele es sich bei Erträgen hieraus in Form von Überschussanteilen und Bewertungsreserven aber - ebenso wie bei Zinsen auf Kapitalvermögen - um erzielte Einnahmen und deshalb um Einkommen.
6Der Beklagte beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
7Die Kläger beantragen,die Revision zurückzuweisen.
Gründe
8Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen rechtswidrig sind. Die Lebensversicherung des Klägers war auch nicht nur teilweise als Einkommen zu berücksichtigen; vielmehr handelte es sich bei ihr insgesamt um Vermögen, das die Vermögensfreibeträge unterschritt. Der Tenor des Urteils des SG, durch den der Beklagte "verpflichtet" worden ist, "seine beiden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom in Gestalt der beiden Widerspruchsbescheide vom zurückzunehmen", ist durch den Senat zur Klarstellung neu gefasst worden.
91. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind das die Berufung des Beklagten zurückweisende Urteil des LSG und das Urteil des SG, durch das der Beklagte verpflichtet worden ist, die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom zurückzunehmen, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen gegen diese Bescheide abzuweisen.
102. Die Revision ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil die Berufung unzulässig war. Zwar überstiegen die gesonderten Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen gegenüber den Klägern nicht jeweils den Wert von 750 Euro nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG. Doch hat der Beklagte Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt, das den im Wege subjektiver Klagehäufung erhobenen Klagen stattgegeben hatte; insgesamt betrugen die Erstattungsforderungen gegenüber den Klägern 898,80 Euro.
113. Statthafte Klageart ist vorliegend die von beiden Klägern gegen den sie betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids jeweils erhobene reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG).
124. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aufhebungen misst sich an § 40 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2954) iVm - anders, als vom Beklagten zugrunde gelegt - § 45 SGB X und § 330 Abs 2 SGB III. Diese Rechtsgrundlage ist einschlägig unabhängig von der Einordnung der am ausgezahlten Lebensversicherung als Einkommen oder Vermögen. Soweit es sich bei dieser um zu berücksichtigendes Einkommen handelt, war dieses vor Erlass des Alg II-Bewilligungsbescheids am zugeflossen und die Bewilligung insoweit von Anfang an rechtswidrig. Soweit es sich um zu berücksichtigendes Vermögen handelt, war dieses vor Erlass des Bewilligungsbescheids vorhanden, weshalb die Bewilligung insoweit von Anfang an rechtswidrig war. Anderes folgt bei einer Einordnung als Einkommen auch nicht daraus, dass der Auszahlungsbetrag dem Konto am und damit zwischen Antragstellung am und Erlass des Bewilligungsbescheids am gutgeschrieben wurde. Denn § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X ist nur auf nach Erlass des aufzuhebenden Bescheids erzieltes Einkommen anwendbar; ist es dagegen nach Antragstellung, aber vor Erlass des aufzuhebenden Bescheids zugeflossen, richtet sich die Aufhebung nach § 45 SGB X (vgl - SozR 4-4200 § 11 Nr 36 RdNr 15; - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 17; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 48 RdNr 24). Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Erstattungsforderungen misst sich an § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X.
135. In formeller Hinsicht sind die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide nicht zu beanstanden. Insbesondere sind die Kläger jeweils vor Erlass des sie betreffenden Bescheids vom angehört worden (§ 24 Abs 1 SGB X). Auch sind diese Bescheide in der Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheids vom inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X): Soweit nach dem Verfügungssatz der Ausgangsbescheide das Alg II für April und Mai 2008 jeweils "teilweise" aufgehoben wurde, ergibt sich aus der jeweils anschließenden Berechnung der Erstattungsforderung, dass die bewilligten Leistungen vollständig aufgehoben wurden. Diese Differenz stellen die Widerspruchsbescheide jeweils dahin klar, dass die Erzielung von Einkommen aus der Lebensversicherung zum "Wegfall des Anspruchs" führe.
146. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sind jedoch materiell rechtswidrig. Die Alg II-Bewilligung durch Bescheid vom begünstigte die Kläger im Aufhebungszeitraum nicht rechtswidrig und war deshalb nicht nach § 45 SGB X zurückzunehmen, weshalb die bereits erbrachten Leistungen nicht nach § 50 SGB X zu erstatten sind. Bei der am ausgezahlten Lebensversicherung des Klägers handelt es sich insgesamt um Vermögen, nicht um Einkommen.
15a) Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2954) ist nach der ständigen Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG grundsätzlich alles das, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2954) das, was jemand vor der Antragstellung bereits hatte, wobei auszugehen ist vom Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zeitpunkt als maßgeblich bestimmt (modifizierte Zuflusstheorie; vgl letztens etwa - vorgesehen für SozR 4-4200 § 11 Nr 74 RdNr 13 mwN), und abzustellen ist auf die erste Antragstellung des laufenden Leistungsfalls (vgl - juris RdNr 22; - vorgesehen für SozR 4-4200 § 11 Nr 70 RdNr 29; - vorgesehen für SozR 4-4200 § 11 Nr 74 RdNr 14; zum Leistungsfall als ununterbrochene Dauer eines Leistungsbezugs ab einer Leistungsbewilligung vgl - SozR 4-4200 § 22 Nr 75 RdNr 18 ff).
16Ausgehend hiervon handelt es sich bei der kapitalbildenden Lebensversicherung des Klägers insgesamt im Aufhebungszeitraum um Vermögen. Denn bereits vor der ersten Antragstellung für den Leistungsfall ab Oktober 2006 verfügte der Kläger über die am begonnene, seit beitragsfreie und zum ablaufende Lebensversicherung bei der Volksfürsorge mit einer Versicherungssumme von 3267 Euro im Ablaufzeitpunkt. Nichts anderes gilt für die Überschussbeteiligung und den Anteil an den Bewertungsreserven (im Folgenden: Überschussbeteiligung; § 153 Abs 1 Versicherungsvertragsgesetz <VVG> legaldefiniert "Beteiligung an dem Überschuss und an den Bewertungsreserven" als "Überschussbeteiligung"). Denn die Überschussbeteiligung ist Bestandteil des einheitlichen Kapitallebensversicherungsvertrags (zur gesetzlichen Konzeption des einheitlichen Lebensversicherungsvertrags vgl - BGHZ 164, 297 RdNr 22). Sie floss dem Kläger nicht gesondert als Einkommen zu, sondern stand ihm als Versicherungsnehmer vor der ersten Alg II-Antragstellung aufgrund seines Versicherungsverhältnisses mit der Volksfürsorge im Rahmen eines einheitlichen Anspruchs und nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben in § 153 VVG bereits dem Grunde nach zu, ohne ihrer Höhe nach für den Ablaufzeitpunkt der Lebensversicherung garantiert zu sein.
17§ 153 VVG iVm dem Lebensversicherungsvertrag und dessen Bedingungen beinhaltet weder einen individuellen und gesonderten Zahlungsanspruch auf einen Überschuss noch einen Anspruch auf eine individuell bestimmte Überschussbeteiligung, sondern grundsätzlich nur einen gesetzlichen Anspruch auf eine Überschussbeteiligung dem Grunde nach. Durch diese sollen die Versicherungsnehmer an den durch ihre Prämienzahlungen mit geschaffenen Vermögenswerten angemessen beteiligt werden. Grundlage für die Beteiligung ist der Überschuss, der sich aus der handelsrechtlichen Bilanzierung durch den Versicherer unter Beachtung der erforderlichen Eigenkapitalausstattung ergibt. Nur soweit auf dieser, einer aufsichtsrechtlichen Prüfung unterliegenden Grundlage verteilungsfähige Beträge verfügbar sind, findet eine Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer statt. Sie ist bezogen auf den Erfolg des Versicherers und damit variabel. Die Versicherungsnehmer werden durch die Überschussbeteiligung über die gesamte Vertragslaufzeit hinweg an einem unternehmerischen Erfolg des Versicherers insbesondere bei der Kapitalanlage in gesellschaftsähnlicher Weise beteiligt (zum Anspruch des Versicherungsnehmers einer Lebensversicherung auf Überschussbeteiligung im Rahmen eines partiarischen Rechtsverhältnisses vgl näher Brambach in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl 2015, § 153 RdNr 5, 18, 44; Heiss in MüKo-VVG, 2011, § 153 RdNr 1, 16 ff; Winter in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl 2013, § 153 RdNr 5 ff, 131 ff, 152 ff).
18Diese gesetzliche Konzeption der Überschussbeteiligung als Bestandteil des einheitlichen Lebensversicherungsvertrags fand ihre Ausprägung zuletzt durch die Reform des Versicherungsvertragsrechts (Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom , BGBl I 2631). Mit dieser hat sich der Gesetzgeber erneut gegen eine Trennung von Versicherungsschutz und Sparvorgang bei der kapitalbildenden Lebensversicherung entschieden (BT-Drucks 17/3945, S 51). Zudem hat er die Überschussbeteiligung eingehender geregelt. Danach gründet diese auf der Vorgabe des Versicherungsaufsichtsrechts, dass der Versicherer bei Lebensversicherungen wegen ihrer langen Vertragsdauer die versprochene Versicherungssumme und die vereinbarte Prämie vorsichtig zu kalkulieren hat; er verlangt eine deutlich höhere Prämie, als er bei einer Nachkalkulation am Ende der Vertragslaufzeit verlangen würde. Um verfassungsrechtlich unakzeptable Nachteile der Versicherungsnehmer hieraus zu vermeiden (zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Gesetzgeber vgl - BVerfGE 114, 73; - BVerfGK 7, 283), sind sie an den durch die vorsichtige Prämienkalkulation mit geschaffenen Vermögenswerten der Versicherer angemessen zu beteiligen. Dies erfolgt nicht individuell, sondern für die Gesamtheit der Versicherten unter Beachtung des für das Versicherungsrecht typischen Grundgedankens der Risikogemeinschaft. Der Gesamtbetrag der Überschussbeteiligung soll auf die einzelnen Versicherungsnehmer nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik in einem verursachungsorientierten Verfahren verteilt werden (BT-Drucks 16/3945, S 51 ff, 95 ff). Die Überschussbeteiligung wird nicht jährlich während der Vertragslaufzeit gesondert ausgezahlt. Sie wird während dieser Zeit den Versicherungsnehmern wiederkehrend zugeteilt, angesammelt und zusammen mit der Versicherungssumme ausgezahlt, entweder bei Vertragsablauf oder zusammen mit dem Rückkaufswert bei vorzeitiger Kündigung der Versicherung (BT-Drucks 16/3945, S 104 f).
19Nach diesen Vorgaben des Versicherungsvertragsrechts ist die Überschussbeteiligung zwar auch ein Ertragsprodukt, sie ist indes so ausgestaltet, dass sie weder individuell noch zeitabschnittweise dem Versicherungsnehmer zu leisten ist, sondern auf die Gesamtheit der Versicherungsnehmer und die Laufzeit der Versicherung bezogen ist. Diese Vorgaben schließen es aus, die Bestandteile des einheitlichen Lebensversicherungsvertrags voneinander zu lösen und einer gesonderten grundsicherungsrechtlichen Einordnung als Einkommen oder Vermögen zu unterziehen (ebenso - ausgezahlte Überschussbeteiligung einer vor Antragstellung vorhandenen Kapitallebensversicherung ist Vermögen, nicht Einkommen - neben dem angefochtenen Urteil auch: - juris; - juris).
20b) Die qualitative Einordnung der im maßgeblichen Zeitpunkt vor seiner ersten Antragstellung vom Kläger bereits erworbenen Lebensversicherung insgesamt als Vermögen ist zu unterscheiden von der quantitativen Bewertung der Höhe dieses Vermögens. Nach § 12 Abs 4 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2954) ist das Vermögen mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen (Satz 1); für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung von SGB II-Leistungen gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs (Satz 2); wesentliche Änderungen des Verkehrswertes sind zu berücksichtigen (Satz 3). Diese Bestimmung des Verkehrswertes von zu berücksichtigendem Vermögen schließt an die zuvor getroffene Abgrenzung von Einkommen und Vermögen an, ohne diese zu ändern oder zu ersetzen.
21Bei Lebensversicherungen ist ihr jeweils gegenwärtiger Verkehrswert im Verlauf der Zeit nach der Antragstellung der jeweilige Rückkaufswert der Versicherung zuzüglich der Überschussbeteiligung und ggf abzüglich von Verwertungskosten (vgl - BSGE 115, 148 = SozR 4-4200 § 12 Nr 23, RdNr 36 ff, 49 mwN). Insoweit kann der Verkehrswert von Lebensversicherungen Veränderungen unterliegen und es unterlag auch der Verkehrswert der streitigen Lebensversicherung des Klägers Veränderungen. Dieser hing sowohl hinsichtlich der Versicherungssumme als auch der Überschussbeteiligung davon ab, ob und ggf wann die Versicherung bereits vor ihrem Ablaufzeitpunkt aufgrund einer möglichen vorzeitigen Kündigung nur mit ihrem aktuellen Rückkaufswert (§ 169 VVG) zuzüglich Überschussbeteiligung (§ 153 VVG) berücksichtigt wird oder ob es zur Auszahlung der Versicherung erst mit ihrem Ablauf kommt und der Auszahlungsbetrag den Verkehrswert bestimmt. In diesem grundsicherungsrechtlichen Zusammenhang fließt die Überschussbeteiligung in die Bestimmung ein, in welcher Höhe eine vor der Alg II-Antragstellung erworbene Lebensversicherung mit ihrem Verkehrswert als Vermögen zu berücksichtigen ist.
22Dass der Verkehrswert der seit beitragsfreien Lebensversicherung des Klägers insgesamt nach der hier maßgeblichen Alg II-Antragstellung Veränderungen im Verlauf der Zeit unterlag und im Auszahlungszeitpunkt am mangels vorzeitiger Kündigung sowohl hinsichtlich der Versicherungssumme als auch der Überschussbeteiligung höher war, als wenn bei Antragstellung oder zu einem anderen Zeitpunkt vor Vertragsablauf die Lebensversicherung gekündigt und ausgezahlt worden wäre, begründet indes kein wertmäßiges Dazuerhalten nach Antragstellung iS der obigen Definition der modifizierten Zuflusstheorie, sondern kennzeichnet die versicherungskalkulatorischen Wertveränderungen aller Bestandteile der einheitlichen Lebensversicherung im Verlauf der Zeit (zu den Grundlagen der Ermittlung des Rückkaufswertes vgl Winter in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl 2013, § 169 RdNr 5, 68 ff; zu den Grundlagen der Ermittlung der Überschussbeteiligung vgl Winter aaO, § 153 RdNr 8 f, 59 ff). Diese Wertveränderungen ändern nichts daran, dass bei der grundsicherungsrechtlichen Abgrenzung von Einkommen und Vermögen eine vor der Antragstellung bereits vorhandene Lebensversicherung mit ihrem jeweiligen Verkehrswert Vermögen ist.
23c) Dem steht die Rechtsprechung des BSG zur Berücksichtigung von Zinsen auf Kapitalvermögen nach Antragstellung als wertmäßigen Zuwachs des Kapitals und deshalb als Einkommen nicht entgegen (grundlegend - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 17 ff; vgl auch - SozR 4-4200 § 11 Nr 56 RdNr 19 ff - Zinseinkünfte aus Schmerzensgeld; - vorgesehen für SozR 4-4200 § 11 Nr 74 RdNr 14 - Zinsgutschrift auf Bausparkonto). Denn die Kapitalverzinsung ist grundsicherungsrechtlich von der Überschussbeteiligung einer Kapitallebensversicherung zu unterscheiden. Während das Kapitalvermögen nur in seiner betragsmäßigen Höhe im Zeitpunkt der Antragstellung Vermögen ist und spätere Zinsen auf das Vermögen einen realen wertmäßigen Zuwachs in Geld nach Antragstellung bewirken, sind Kapitallebensversicherungen in Höhe ihres versicherungskalkulatorischen Rückkaufswerts (§ 169 VVG) zuzüglich Überschussbeteiligung (§ 153 VVG) im Antragszeitpunkt Vermögen und bewirken Steigerungen dieser Werte aufgrund versicherungs- und handelsrechtlicher Vorgaben keinen realen wertmäßigen Zuwachs in Geld nach Antragstellung, sondern drücken den variablen Wert der gesamten einheitlichen Lebensversicherung im Verlauf der Zeit aus.
24Auch außerhalb des Grundsicherungsrechts weisen die Überschussbeteiligung einer Lebensversicherung und die Zinsen auf Kapitalvermögen Unterschiede auf, an die das SGB II anknüpfen kann (zur Unterscheidung von Lebensversicherungsprodukten und Bankprodukten vgl Brambach in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl 2015, § 153 RdNr 6). Anders als typischerweise Zinsen, die als gewinn- und umsatzunabhängige, laufzeitabhängige Vergütung für die Einräumung der Möglichkeit einer Kapitalnutzung gesondert zu zahlen sind und sich entsprechend vom Kapitalvermögen gesondert auszahlen lassen (vgl § 246, § 367 Abs 1, § 396 Abs 2, § 488 Abs 1 Satz 2 und Abs 2, § 1194 BGB; zum gesetzlich nicht einheitlich definierten Zinsbegriff vgl Grundmann in MüKo-BGB, 7. Aufl 2016, § 246 RdNr 3 ff; S. Schaub in Erman, BGB, 14. Aufl 2014, § 246 RdNr 3; Toussaint in jurisPK-BGB, 7. Aufl 2014, § 246 RdNr 11), lässt sich die erfolgsabhängige Überschussbeteiligung einer rechtlich einheitlichen Kapitallebensversicherung typischerweise nicht gesondert zur Auszahlung bringen. Entsprechend kann der Zinsanspruch typischerweise trotz seiner materiellen Akzessorietät zur Hauptschuld formell selbständig abgetreten, gepfändet oder verpfändet sowie eingeklagt werden (Grothe in BeckOK-BGB, § 246 RdNr 5, Stand ; S. Schaub in Erman, BGB, 14. Aufl 2014, § 246 RdNr 9; Toussaint in jurisPK-BGB, 7. Aufl 2014, § 246 RdNr 26, 28), während eine Aufspaltung des kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrags in mehrere Verträge, etwa einen Lebensversicherungs- und einen Überschussbeteiligungsvertrag, grundsätzlich nicht möglich ist (Winter in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl 2013, § 153 RdNr 7, 158). Bei einem Darlehen bestehen dagegen zwei verschiedene Hauptpflichten des Darlehensnehmers, nämlich auf Rückzahlung des Darlehensbetrags und auf Zahlung der geschuldeten Zinsen (§ 488 Abs 1 Satz 2 BGB), denen auch verschiedene Gläubiger gegenüberstehen können. Einem solchen Regelungsmodell folgt der einheitliche Lebensversicherungsvertrag mit seinem einheitlichen Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer nicht.
25Eine andere, hier beachtliche Wertung lässt sich nicht dem Einkommensteuerrecht entnehmen. Nach § 20 Abs 1 Nr 6 EStG unterliegen seit aufgrund des Alterseinkünftegesetzes vom (BGBl I 1427) im Interesse der Steuergerechtigkeit und Vereinfachung grundsätzlich auch Einkünfte aus kapitalbildenden Lebensversicherungen der Steuerpflicht und zwar grundsätzlich mit dem Unterschiedsbetrag zwischen der Versicherungsleistung und der Summe der auf sie entrichteten Versicherungsbeiträge im Erlebensfall oder bei Rückkauf des Vertrags (vgl näher von Beckerath in Kirchhof, EStG, 15. Aufl 2016, § 20 RdNr 98, 100, 102). Dieser eine Vielzahl weiterer Differenzierungen aufweisende steuerliche Zugriff auf Erträge unterscheidet sich nach seiner Zweckrichtung und Ausgestaltung schon im Ansatz von der grundsicherungsrechtlichen Abgrenzung von zur Bedarfsdeckung zu berücksichtigendem Einkommen und Vermögen sowie der grundsicherungsrechtlichen Bewertung des Verkehrswertes von Vermögen. Er zeigt aber auch, dass es im Einkommensteuerrecht einer spezifischen und ausdifferenzierten gesetzlichen Regelung zur Bestimmung des Ertrags bedurfte, um Einkünfte aus Kapitallebensversicherungen besteuern zu können; was deren Ertrag ist, liegt bei der einheitlichen Lebensversicherung nicht auf der Hand. Eine vergleichbare Regelung kennt das SGB II nicht.
26d) Die insgesamt als Vermögen einzuordnende Lebensversicherung ist schließlich auch nicht durch ihre Auszahlung nach Vertragsablauf und Gutschrift auf dem Konto am zu Einkommen des Klägers geworden. Denn dieser tatsächliche Zufluss brachte mit der einheitlichen Lebensversicherung nur zur Auszahlung, was rechtlich einheitlich zum Vermögen des Klägers bereits vor Antragstellung gehört hatte und als Vermögen mit seinem jeweiligen Verkehrswert nach Antragstellung zu berücksichtigen war (vgl - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 17; - juris RdNr 23; Mecke in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 12 RdNr 22).
277. Die als verwertbares Vermögen iS des § 12 Abs 1 SGB II im Aufhebungszeitraum April und Mai 2008 in Höhe des Auszahlungsbetrags grundsätzlich zu berücksichtigende Lebensversicherung des Klägers ist vorliegend nicht als leistungsschädlich zu berücksichtigen, weil sie die Vermögensfreibetragsgrenze unterschritt.
28Nach § 12 Abs 2 SGB II (idF des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom , BGBl I 554) sind vom Vermögen Freibeträge abzusetzen. Der Grundfreibetrag nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Satz 2 Nr 1 SGB II betrug im April 2008 allein für den Kläger 8850 Euro (59 Jahre x 150 Euro) und zuzüglich seines Freibetrags für notwendige Anschaffungen iHv 750 Euro nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB II 9600 Euro und lag damit weit oberhalb der am iHv 4652,80 Euro ausgezahlten Lebensversicherung, die zu diesem Zeitpunkt ihren höchsten Wert hatte. Hinzu kamen, weil bei Partnern in der Bedarfsgemeinschaft diese Freibeträge addiert werden (vgl - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 22; Geiger in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 12 RdNr 20, 35; Mecke in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 12 RdNr 57, 74), der Grundfreibetrag für die Klägerin nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Satz 2 Nr 2 SGB II iHv 7500 Euro (50 x 150) und ihr Anschaffungsfreibetrag nach § 12 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB II iHv 750 Euro, insgesamt 8250 Euro; zusammen lag die Vermögensfreibetragsgrenze der Kläger im April 2008 bei 17 850 Euro.
29Tatsächliche Feststellungen zu anderem zu berücksichtigenden Vermögen der Kläger, das allein oder zusammen mit der streitigen Lebensversicherung die angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen tragen könnte, hat das LSG nicht getroffen. Im Übrigen ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen, dass die Alg II-Bewilligung durch Bescheid vom in den Monaten April und Mai 2008 aus anderen Gründen rechtswidrig gewesen sein könnte und deshalb nach § 45 SGB X zurückzunehmen war.
30Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:100816UB14AS5115R0
Fundstelle(n):
OAAAF-84678