BVerwG Urteil v. - 2 WD 13/15

Unsachgemäße Lagerung von Munition; überlange Verfahrensdauer als Milderungsgrund

Leitsatz

Wird ein Schwarzbestand an Manöver- und pyrotechnischer Munition ohne die Absicht angelegt, diese dem Dienstherrn zu entziehen und diese vorsätzlich entgegen einem Befehl für ihre sichere Aufbewahrung gelagert, bildet die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

Gesetze: Art 6 MRK, Art 97 Abs 1 GG, § 7 SG, § 10 Abs 1 SG, § 11 Abs 1 SG, § 12 S 1 SG, § 17 Abs 2 S 1 SG, § 91 Abs 1 S 3 WDO, § 21 StGB

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 1 VL 17/10 Urteil

Tatbestand

...

101. Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist nach Anhörung des früheren Soldaten und Eröffnung der Stellungnahme der Vertrauensperson mit ihm am ausgehändigter Verfügung des Kommandeurs ... vom eingeleitet worden.

112. Nach Gewährung des Schlussgehörs und auf der Grundlage der dem früheren Soldaten am zugestellten Anschuldigungsschrift vom hat ihn die 1. Kammer des Truppendienstgerichts Süd durch Urteil vom in den Dienstgrad eines Stabsfeldwebels a.D. herabgesetzt. Zwar sei der frühere Soldat vom Anschuldigungspunkt 4 freizustellen; im Übrigen stehe jedoch fest:

"1. Zu den Anschuldigungspunkten 1, 2, 4 und 5:

Zum Zeitpunkte der angeschuldigten Vorfälle wurde der frühere Soldat im ... als Kasernenoffizier und S3-Feldwebel eingesetzt. Für die im Geschwader zentralisiert durchgeführte 'Einsatzausbildung ...' war er vom ... und von seinem früheren Fachvorgesetzten (...), Major A, mit Ausbildungsaufgaben betraut worden. In diesem Zusammenhange war er auch für die Beschaffung und Anforderung des erforderlichen Ausbildungsmaterials - einschließlich Manöver-, Signal- und Darstellungsmunition - mitverantwortlich. Das für die Durchführung der ...-Ausbildung notwendige Material wurde nicht immer vollständig verbraucht, vielmehr blieben Reste übrig. Anstatt die nicht verbrauchte Munition bei der dafür zuständigen Teileinheit 'Munition' abzugeben, wo alles im Einzelnen verbucht worden wäre, und sie damit in den Versorgungskreislauf zurückzuführen, nahm der frühere Soldat sie bewusst an sich und lagerte sie entweder - in geringen Mengen - in seinem Dienstzimmer (Raum ...) im Gebäude ... oder- mit Masse - im Raume ... im Dachgeschosse des Gebäudes ... ein. Beide Örtlichkeiten liegen innerhalb der Kaserne des .... Absicht des früheren Soldaten war es, die zurückgehaltene - nach seinen Worten 'nur zwischengelagerte' - Restmunition bei anderen Ausbildungsvorhaben zu dienstlichen Zwecken zu nutzen. Sie sollte nie in seinen Privatbesitz gelangen, sondern war ausschließlich für die verbandsinterne Ausbildung gedacht. Als Beispiel für eine Weiterverwendung zu Ausbildungszwecken hat der frühere Soldat angegeben, Teile der zurückgehaltenen Manövermunition im Rahmen der Übungen zum Erhalt der Schussfestigkeit (Knallimmunität) der Diensthunde der zivilen Wache eingesetzt zu haben. ... Nach seinen eigenen Angaben war dem früheren Soldaten bei Anlegen der Sonderbestände klar, dass er vorschriftswidrig handelte, weil die Einlagerung in seinem Dienstzimmer und in dem besagten Dachgeschossraume, zu dem nur er Zutritt hatte, gegen die einschlägigen Sicherheitsbestimmungen der Bundeswehr für die Lagerung von Munition verstieß. Diese Sicherheitsbestimmungen finden sich in der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 34/250 ('Schutz- und Sicherheitsbestimmungen für die oberirdische Lagerung von Munition'), Anlage 5 ('Aufbewahren von Munition in Kasernen'). Unter Abschnitt II ('Regelungen für das Aufbewahren von Munition in Kasernen') heißt es dort:

5. Munition darf nur an den zugewiesenen Orten aufbewahrt werden (Munitionsaufbewahrungsorte). Die Zuweisung erfolgt durch den Kasernenkommandanten oder in dessen Auftrag. Alle Munitionsaufbewahrungsorte sind in die Brandschutzordnung aufzunehmen. Brandschutzkräfte sind im Rahmen des vorbeugenden Brandschutzes einzuweisen.

6. Munitionsaufbewahrungsorte sind z.B.:

- Munitionsbehälter,

- Stahlbehälter in Wachgebäuden,

- Räume für das Aufbewahren von Munition in Dienst-/Unterkunftsgebäuden und

- Abstellplätze mit Gefechtsfahrzeugen mit Munition für Bereitschaftszwecke.

Diese Regelungen waren dem früheren Soldaten aus seiner dienstlichen Tätigkeit inhaltlich bekannt. Er wusste auch, dass es sich bei seinem Dienstzimmer und dem Dachgeschossraume ... nicht um Munitionsaufbewahrungsorte im Sinne der Dienstvorschrift handelte. Dennoch nahm er die Nichtbeachtung der ZDv 34/250 zumindest billigend in Kauf. Den Raum ... im Dachgeschosse des Gebäudes ... hatte der frühere Soldat von außen mit einem an der Türe angebrachten Schilde gekennzeichnet, auf dem geschrieben stand:

Bei Rückfragen: ...

Mit ... ist '...' gemeint. Während einer längerfristigen Abwesenheit des früheren Soldaten (angesparter Urlaub vom 13. Februar bis ) wurde der Raum, weil ein Ersatzschlüssel nicht aufgefunden werden konnte, auf Weisung des neuen S3-Offiziers, Hauptmann B, am aufgebrochen. Es wurden zwei unverschlossene und offenstehende Spinde, ein mit einem Vorhängeschloss abgesperrter weiterer Spind, ein Schreibtisch mit Unterschrank, ein Feldbett sowie diverse Flaschen (Leergut) und Lebensmittel vorgefunden. Der damalige Disziplinarvorgesetzte des früheren Soldaten, Oberleutnant C, erwirkte daraufhin einen Durchsuchungsbeschluss .... und ließ den verschlossenen Spind am öffnen. Bei anschließender genauer Durchsicht des Raumes und der Spinde wurden dann die in den Anschuldigungspunkten 2, 4 und 5 dargestellten Gegenstände aufgefunden und in dienstlichen Gewahrsam genommen.

Bei der im Dachgeschossraum ... aufgefundenen Munition (Anschuldigungspunkt 2) handelte es sich im Einzelnen um:

a) Pyrotechnische Munition:

• 4 Handgranaten DM 25, 800g, KM, Nebel, GS 14, ..., Gefahrklasse: 1.4G, Verfalldatum: Oktober 2011

• 5 Handgranaten DM 25, 800g, KM, Nebel, GS 14, ..., Gefahrklasse: 1.4G, Verfalldatum: Sept. 2008

• 1 Signal Rauch DM 32, PT, orange, LR 35, ..., Gefahrklasse: 1.4G, Verfalldatum: Dezember 2008

• 1 Signal Rauch DM 23 A1B1, PT, rot, LR 36, ..., Gefahrklasse: 1.4G, Verfalldatum: Mai 2010

• 6 Simulatoren Bodensprengpunkt DM 22 PT, LV 21, ..., Gefahrklasse: 1.3G, Verfalldatum: Dezember 2010

• 10 Signal Rauch DM 42, PT, orange Seenot, LR 37, ..., Gefahrklasse: 1.3G, Verfalldatum: Dezember 2009

• 3 Signalfackeln DM 39, PT, rot, LR 42, ..., Gefahrklasse: 1.3G, Verfalldatum: Dezember 2007

• 10 Signallichter DM 13 81, PT, E-Stern rot, 26,5mm, LS 63, ..., Gefahrklasse: 1.3G, Verfalldatum: Dez. 2009

• 21 Signallichter DM 13, PT, E-Stern rot, 19mm, LS 09, ..., Gefahrklasse: 1.3G, Verfalldatum: Dez. 2010

• 3 Signallichter DM 36, PT, gelb, 26,5mm, LL 50, ..., Gefahrklasse: 1.3G, Verfalldatum: Dez. 2009

b) Manövermunition:

• 63 Manöverpatronen 5,56mm x 45, DM 18, AL 08, ..., Gefahrklasse: 1.4S

• 8 Manöverpatronen 5,56 mm x 45, DM 28, AL 08, ..., Gefahrklasse: 1.4S

• 2 Manöverpatronen 5,56 mm x 45, DM 28, AL 08, ..., Gefahrklasse: 1.4S

• 2 Manöverpatronen 5,56 mm x 45, DM 28, AL 08, ..., Gefahrklasse: 1.4S

• 52 Manöverpatronen 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 8 Manöverpatronen 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 4 Manöverpatronen 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 11 Manöverpatronen 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 3 Manöverpatronen 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 3 Manöverpatronen 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 7,62 mm x 51, DM 28, AM 31, Gefahrklasse: 1.4C, ...

• 1 Manöverpatrone 9 mm x 19, DM 28, AQ 61, Gefahrklasse: 1.4C, ...

Zusammengefasst hatte der frühere Soldat dort 75 Manöverpatronen für das Sturmgewehr G 36, 90 Manöverpatronen für das Sturmgewehr G 3 und 1 Manöverpatrone für Pistole oder Maschinenpistole eingelagert.

Zusätzlich wurden im genannten Dachgeschossraume folgende im Eigentume des Bundes stehenden Ausrüstungsgegenstände der Bundeswehr (Wehrmaterial) vorgefunden und sichergestellt (Anschuldigungspunkte 4 und 5):

...

• 6 dienstliche Kompasse.

Mit Ausnahme der Kompasse handelte es sich um so genannte Fliegerzusatzausrüstung, die ausschließlich an fliegendes Personal zum Gebrauche und anschließender Rückgabe ausgegeben wurde. ...

Die beim früheren Soldaten aufgefundenen Ausrüstungsgegenstände wurden anhand der Versorgungsnummern und der Herstellerdaten eindeutig als Teile des abhanden gekommenen Ausbildungsmaterials identifiziert. Die Kompasse wiederum waren im urkundlichen Bestandsnachweis der ... nicht verzeichnet, sie wurden dort auch nicht vermisst.

...

Die Kompasse (Anschuldigungspunkt 5) will der frühere Soldat nach seiner Einlassung während seiner früheren Verwendung bei der ... als Ausbildungsmaterial vorgefunden und nach seiner Versetzung zum ... im Jahre 2004 zusammen mit anderen Ausbildungsmitteln von ... nach ... überführt haben. Bei der Abholung eines Kompasses in der ..., der mit '...' beschriftet war, seien ihm vom Lehrgruppenfeldwebel, Oberfeldwebel ..., weitere Kompasse angeboten worden. Da er für die Ausbildung im ... weitere Kompasse habe brauchen können, habe er noch fünf zu Ausbildungszwecken mitgenommen. Diese habe er mit seinem Namen beschriftet, 'um zu verhindern, dass sie zurück in den Versorgungskreislauf kommen'. Insofern kann sich der frühere Soldat nicht darauf berufen, lediglich vorgefundenes Material, dessen genaue Herkunft er nicht kannte, dienstlich genutzt zu haben. Vielmehr wusste er, dass er die Kompasse in den Versorgungskreislauf hätte zurückgeben müssen. Dies tat er jedoch bewusst nicht, um nach eigenem Gutdünken frei über sie verfügen zu können. Damit legte er sich einen 'Schwarzbestand' an und entzog das besagte Wehrmaterial wissentlich und willentlich der Verfügbarkeit des Dienstherrn. Allerdings gibt es im Ergebnis keine hinreichenden Beweise dafür, dass der frühere Soldat die genannten Gegenstände (Munition und Kompasse) gestohlen oder unterschlagen hätte, weshalb die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren einstellte und eine entsprechende Anschuldigung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft zu Recht unterblieb. Im weiteren Verlaufe wurde dann auf Grundlage eines weiteren Durchsuchungsbeschlusses der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Süd (Az: ...) am auch das Dienstzimmer des Soldaten im Gebäude ... durchsucht. Im dortigen Spinde wurde ein Simulator Bodensprengpunkt DM 22 und im Unterrollschrank des Schreibtisches wurden 16 Manöverpatronen 5,56 mm x 45 (für Sturmgewehr G 36), zwei Manöverpatronen 7,62 mm x 51 (für Sturmgewehr G3) sowie vier Treibladungszünder für die leichte Panzerfaust aufgefunden und beschlagnahmt. Auch diese Munition hatte der frühere Soldat dort zuvor wissentlich und willentlich eingelagert.

2. Zu Anschuldigungspunkt 3

Unter dem hatte der frühere Soldat ein schriftliches Versetzungsgesuch an die damalige ... gerichtet, weil er zum nächstmöglichen Zeitpunkte auf den frei gewordenen Dienstposten eines Feldwebels für Standortangelegenheiten beim ...in ... versetzt werden wollte. Seinen Versetzungsantrag hatte er - wie vorgeschrieben - am bei seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten, dem Stabszugführer des ..., eingereicht. In der Folgezeit wurden ihm die Stellungnahmen des Disziplinarvorgesetzten und des nächsthöheren Vorgesetzten zu seinem Versetzungsantrage - auch nach erfolgten Änderungen, zuletzt am - eröffnet. Dennoch will der frühere Soldat von einem Kameraden ... erfahren haben, dass das Bewerbungsverfahren 'nicht sauber' laufe, sondern sich 'hier etwas tue'. Dem ... sei mitgeteilt worden, dass er (damals) ein Alkoholproblem gehabt habe. Der damals neue Kommodore habe ihn deshalb nicht mehr haben wollen. Zwar wurde dem früheren Soldaten von seinen Disziplinarvorgesetzten immer wieder versichert, dass die Versetzung 'klappen' werde. Wegen des vertraulichen Kameradenhinweises wollte er jedoch an die handschriftlichen Notizen der Disziplinarvorgesetzten zu seinem Versetzungsgesuche herankommen, weil er Zweifel an deren Zusagen hatte. Am Abend des entschloss sich der frühere Soldat deshalb, seinen schon im Geschäftsgange befindlichen Bewerbungsvorgang in die Hände zu bekommen. Zu diesem Zwecke verschaffte er sich mit Hilfe seines Generalschlüssels, den er in seiner Eigenschaft als Kasernenoffizier besaß, nach Dienstschluss gegen 19:05 Uhr Zutritt zu den Diensträumen ... bis ... im Gebäude ... des .... Bei diesen Schreibstuben handelte es sich um das Geschäftszimmer sowie die Dienstzimmer des Staffelfeldwebels und des Stabszugführers. Der Jahres- und Tageszeit entsprechend musste er in den Räumen das Licht einschalten. Dies wurde von dem Zeugen Hauptfeldwebel D beobachtet, .... Als der frühere Soldat auf seiner Suche das Dienstzimmer seines damaligen Disziplinarvorgesetzten betrat, entdeckte er auf dessen Schreibtisch eine Mappe mit Personalunterlagen. In dieser befanden sich sein eigenes Versetzungsgesuch mit mehreren Entwürfen der Stellungnahmen seines Disziplinarvorgesetzten und des nächsthöheren Vorgesetzten (stellvertretender Kommodore), ferner die Bewerbungsunterlagen des Stabsfeldwebels E, der auf den Dienstposten des früheren Soldaten nachrücken wollte, sowie eine Stellungnahme des Kommodores des ... an die Stammdienststelle der Bundeswehr vom zu beiden Versetzungsanträgen. Der frühere Soldat nahm die Unterlagen, kopierte sie anschließend sämtlich im Raume ... des Gebäudes ... (Kopierstelle des ...) für sich selbst und legte danach die Mappe mit den Originalen wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück. Während der ganzen Aktion war sich der frühere Soldat seinen eigenen Angabe zufolge des Unrechts seiner Tat bewusst. Ihm war klar, dass er sich unberechtigten Zugang zu den Diensträumen verschafft und die vertraulichen Personalunterlagen (zumindest des Stabsfeldwebels E) widerrechtlich abgelichtet hatte. ...

Im Zeitraume der hier angeschuldigten Geschehnisse war der frühere Soldat- auch nach ärztlichem Urteile - alkoholabhängig. Auch der frühere Soldat war sich dessen bewusst. Wegen seiner Alkoholabhängigkeitserkrankung befand er sich - nach einer einwöchigen Entgiftung - vom 03. März bis auf einer Entziehungskur in der Fachklinik für Suchterkrankungen ... und wurde dort behandelt. ... "

12Der frühere Soldat habe durchgehend willentlich und wissentlich, mithin vorsätzlich ein Dienstvergehen begangen. Indem er Schwarzbestände von Manövermunition und pyrotechnischer Munition in nicht unerheblicher Menge angelegt und in nach den Sicherheitsbestimmungen dafür nicht geeigneten Diensträumen einlagert habe, habe er vorsätzlich gegen die Pflicht zum treuen Dienen und gegen die Gehorsamspflicht verstoßen. Darüber hinaus habe er vorsätzlich gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im dienstlichen Bereich verstoßen. Durch das Eindringen in das Dienstzimmer des Vorgesetzten mittels eines Generalschlüssels und das Fertigen der Kopien habe der frühere Soldat gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen und zugleich die Kameradschaftspflicht verletzt. Indem er sechs dienstlich gelieferte Kompasse im Dachgeschossraum eingelagert habe, anstatt sie in den Versorgungskreislauf zurückzugeben, habe er des Weiteren gegen die Pflicht zum treuen Dienen sowie zur Wahrung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im dienstlichen Bereich verstoßen.

13Der frühere Soldat habe zwar im Tatzeitraum an einer Alkoholabhängigkeitserkrankung gelitten. Seine Schuldfähigkeit sei dadurch aber nicht ausgeschlossen gewesen.

14Das schwerwiegende Dienstvergehen mache eine Dienstgradherabsetzung notwendig. Zwar sei an sich eine Degradierung um zwei Stufen verwirkt gewesen; davon sei jedoch mit Rücksicht auf die lange Verfahrensdauer und wegen weiterer mildernder Umstände abzusehen.

15Der rechtswidrige Zugriff auf das Wehrmaterial sei eine höchst verwerfliche Tat. Denn die Bundeswehr sei vor allem bei Munition und Sprengstoff in hohem Maße auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Soldaten angewiesen. Die Herabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad sei deshalb Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Vorliegend seien die Munition und die Kompasse nicht anvertraut gewesen, sodass nicht die Höchstmaßnahme zu verhängen sei. Der Zugriff auf die dienstlichen Gegenstände sei nicht deshalb milder zu beurteilen, weil der frühere Soldat damit keine Unterschlagung begangen habe. Da er die rechtswidrig gelagerten Gegenstände nur zu dienstlichen Zwecken verwendet habe, habe er sich noch nicht als Vorgesetzter disqualifiziert. Mit seinem widerrechtlichen Zugriff auf Munition habe er Gegenstände der dienstlichen Disposition entzogen, die zum Teil der Gefahrklasse 1.3 zuzuordnen gewesen seien. Zudem habe er die Sachen über einen längeren Zeitraum immer wieder gesammelt. Nicht leicht zu nehmen seien auch der Verstoß gegen die Gehorsamspflicht und das Eindringen in das Büro des Vorgesetzten sowie das Kopieren der Unterlagen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der frühere Soldat zur Tatausführung den ihm anvertrauten Generalschlüssel missbraucht und Personalunterlagen eines Kameraden abgelichtet habe. Ihn belaste zusätzlich, dass er insoweit eigennützig gehandelt habe.

16Für ihn spreche, dass er sich von Beginn an umfassend geständig gezeigt und sich im Tatzeitraum wegen seiner Alkoholabhängigkeitserkrankung in einer schwierigen Lebensphase befunden habe. Als Milderungsgründe seien zusätzlich die von ihm über Jahre erbrachten sehr guten dienstlichen Leistungen zu berücksichtigen. Auch liege eine Nachbewährung vor. Zweifel bestünden indes, ob sich der frühere Soldat mit seiner Tat kritisch auseinandergesetzt habe. Der Milderungsgrund mangelhafter Dienstaufsicht stehe ihm nicht zur Seite. Dass die Vorgesetzten von den Schwarzbeständen gewusst hätten, habe nicht nachgewiesen werden können.

173. Gegen das Urteil führen beide Beteiligten eine nachträglich auf die Anfechtung der Maßnahmebemessung beschränkte Berufung.

18Der frühere Soldat hat seine gegen das ihm am zugestellte Urteil am eingelegte Berufung im Wesentlichen damit begründet, die lange Verfahrensdauer hätte stärker mildernd berücksichtigt werden müssen. Durch die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand sei ihm im Falle einer Degradierung auch die Möglichkeit genommen worden, den früheren Dienstgrad wieder zu erlangen. Die wirtschaftlichen Schäden für ihn und im Falle seines Todes seiner Witwe betrügen gut 52 000 € und seien der Schwere des Dienstvergehens nicht mehr angemessen. Die mangelnde Dienstaufsicht sei nicht gewürdigt worden, insbesondere im Hinblick auf seine Alkoholerkrankung. Zudem fehle es an einer angemessenen Würdigung seiner früheren Leistungen. Unzutreffend sei auch die Annahme des Truppendienstgerichts, seine Alkoholerkrankung sei für die Tatbegehung ohne Bedeutung gewesen.

19Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat ihre gegen das ihr am zugestellte Urteil am eingelegte Berufung im Wesentlichen damit begründet, die Maßnahme sei zu milde. Insbesondere sei nicht angemessen gewichtet worden, dass der frühere Soldat für das Eindringen in das Dienstzimmer seines Disziplinarvorgesetzten einen anvertrauten Generalschlüssel eingesetzt und damit eine Vertrauensstellung missbraucht habe.

Gründe

20Die Berufungen sind zulässig.

21Da die Rechtsmittel auf die Anfechtung der Disziplinarmaßnahme beschränkt worden sind, hat der Senat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO die unter Freistellung vom Anschuldigungspunkt 4 getroffenen erstinstanzlichen Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zu Grunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Dabei ist er wegen der von der Wehrdisziplinaranwaltschaft zulasten des Soldaten eingelegten Berufung nicht an das Verschlechterungsverbot gebunden (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO).

221. Die vom Truppendienstgericht getroffenen, unter II. 2 wiedergegebenen Schuld- und Tatsachenfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Senat damit bindend. Ob sie von ihm rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat nicht überprüft werden. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt.

232. Von der Beschränkung der Berufung unberührt bleibt die Prüfung von Prozessvoraussetzungen und Verfahrenshindernissen ( 2 WD 26.11 - juris Rn. 34).

24Aus der Verfahrensdauer kann sich, steht, wie hier, nicht die Höchstmaßnahme in Rede, in Ausnahmefällen ein Verfahrenshindernis ergeben ( 2 WD 26.11 - juris Rn. 40). In Fällen extremer Überlänge kann wegen eines von Verfassungs wegen anzunehmenden Verfahrenshindernisses eine Einstellung in Betracht kommen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre (vgl. - juris Rn. 6 für das Strafverfahren, und StbSt (R) 2/09 - NJW 2010, 1155 <1156> = juris Rn. 15 für das berufsrechtliche Verfahren gegen Steuerberater).

25An derartig extremen Belastungen fehlt es hier aber auch unter Berücksichtigung der aus den noch darzulegenden Gründen unangemessen langen Dauer des Disziplinarverfahrens. Zwar liegen zwischen der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens im Oktober 2010 und der Berufungshauptverhandlung mehr als fünf Jahre und sieben Monate. Die hiermit für den früheren Soldaten verbundenen Belastungen wurden aber zumindest zum Teil dadurch kompensiert, dass ihm über einen längeren Zeitraum als bei einer dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensdauer die höheren Besoldungs- und Versorgungsbezüge gezahlt wurden als ihm nach der tat- und schuldangemessenen Dienstgradherabsetzung zustehen. Im Hinblick darauf erreichen die Belastungen der hohen Verfahrensdauer noch keinen Grad an Zuspitzung, der eine Einstellung im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten erscheinen lässt.

263. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten. Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des (früheren) Soldaten zu berücksichtigen.

27a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen schwer.

28Die disziplinarrechtlich relevanten Verstöße gegen § 7 SG in seinen mehrfachen Erscheinungsformen, gegen § 11 Abs. 1 SG, § 12 Satz 1 SG und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG betreffen zentrale soldatische Pflichten.

29Die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung ( 2 WD 14.13 - juris Rn. 19).

30Auch die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG bestehende Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (vgl. 2 WD 40.10 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 34 Rn. 24 m.w.N.).

31Hinzu treten erschwerend die Verstöße gegen die Pflicht zum Gehorsam und zur Kameradschaft als zentrale Dienstpflichten.

32Taterschwerend tritt hinzu, dass einige Munitionsteile ausweislich der in die Berufungshauptverhandlung durch Verlesung im Einverständnis der Beteiligten eingeführten Stellungnahme des Feuerwerkers S. vom der Gefahrenklasse 1.3 angehörten, sodass bei deren Entzünden die Gefahr eines Massenfeuers bestanden hätte. Die Pflichtverletzungen erfolgten zudem dauerhaft und mehrfach. Der frühere Soldat war im Übrigen seinerzeit als Kasernenoffizier eingesetzt, wodurch ihm eine besondere Verantwortung übertragen worden war. Darüber hinaus nutzte er durch den Einsatz des Generalschlüssels diese Vertrauensstellung aus und erlangte dadurch Kenntnisse über personenbezogene Daten des Kameraden E. Der Generalschlüssel war dem früheren Soldaten zur Erfüllung seiner Dienstaufgaben anvertraut worden. Damit war keine generelle Ermächtigung verbunden, sich zu privaten Zwecken Informationen über vertrauliche Daten Dritter zu verschaffen, die der Soldat zur Erledigung seiner dienstlichen Aufgaben nicht benötigte.

33Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch bestimmt, dass der frühere Soldat als Oberstabsfeldwebel, mithin als Angehöriger des obersten Unteroffizierdienstgrades, in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der (frühere) Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus ( 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 Rn. 53 m.w.N.).

34b) Nachteilige Auswirkungen hatte das Dienstvergehen nicht dergestalt, dass es durch das Vorenthalten der Materialen in der Truppe anderen Ortes zu Mängeln gekommen wäre. Jedoch wurde das Vertrauen in die integre Amtsführung des früheren Soldaten nachhaltig erschüttert. Insbesondere der Zeuge Hauptfeldwebel D hat ausgesagt, der frühere Soldat sei für ihn bis zu dem Geschehen ein Vorbild gewesen. Ebenso hat der frühere Disziplinarvorgesetzte, Major C, ausgesagt, er sei erschüttert darüber gewesen, dass der frühere Soldat, zu dem er aufgeschaut habe, den Generalschlüssel benutzt habe, um sich zu seinem Büro Zutritt zu verschaffen.

35c) Die Beweggründe des früheren Soldaten waren indes nicht primär eigennützig, soweit es die Anschuldigungspunkte 1, 2 und 5 betraf. Er hat die Gegenstände nicht zu eigenen, sondern ausschließlich zu dienstlichen Zwecken dem Bewirtschaftungskreislauf entzogen, auch wenn er sich die Dienstverrichtung dadurch erleichtern wollte. Anderes gilt für das unter Anschuldigungspunkt 3 beschriebene Verhalten, durch das er sich zu eigenem Nutzen einen Erkenntnisvorsprung zu verschaffen versucht hat.

36d) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird vor allem dadurch bestimmt, dass er vorsätzlich gehandelt hat.

37aa) Der Senat geht aber im Zweifel zugunsten des früheren Soldaten davon aus, dass er bei dem Eindringen in das Büro seines Vorgesetzten und der Fertigung der Kopien in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt und damit vermindert schuldfähig war. Hinsichtlich der weiteren Pflichtverletzungen ist der Senat allerdings von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des früheren Soldaten überzeugt.

38aaa) Dass der frühere Soldat während des von der Anschuldigung erfassten Zeitraums so kontinuierlich außer Dienst und seit 2007 auch während des Dienstes erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen hatte, dass er fortwährend unter Alkoholeinfluss stand, steht zur Überzeugung des Senats fest.

39Bereits erstinstanzlich hat der frühere Soldat darauf hingewiesen, bis 2009 "Spiegeltrinker" gewesen zu sein, d.h. einen bestimmten Alkoholisierungsgrad benötigt zu haben, um seinen dienstlichen Auftrag erfüllen zu können. Dem entspricht, dass er bereits anlässlich seiner Anhörung am auf seine Ausführungen anlässlich seiner Anhörung am hingewiesen und dort ausgeführt hatte, er habe auch im Dienst Alkohol konsumiert. Während er zunächst nur zu Hause getrunken habe, habe er später bereits vor Dienstbeginn am Morgen und auch während des Dienstes Alkohol zu sich genommen. Er habe zwar nicht jeden Tag vor oder während des Dienstes getrunken, sehr wohl aber im Laufe der Zeit zunehmend. Während er zu Hause bereits seit mehreren Jahren regelmäßig Alkohol konsumiert habe, sei dies im Dienst seit 2 Jahren gewesen. Er denke, er hätte sich im Dienst ohne Alkohol anders verhalten. So könne er nicht ausschließen, unter Alkoholeinfluss ein Dienstkraftfahrzeug geführt zu haben. In der Abgabe an die Staatsanwaltschaft durch den Stabszugführer ... vom ist ebenfalls davon die Rede, dass der Soldat Alkohol konsumiert haben könne.

40Für den Alkoholkonsum des früheren Soldaten auch während des Dienstes und während des von der Anschuldigungsschrift erfassten Zeitraums sprechen ferner die zahlreichen Bierflaschen, die im Dachbodenzimmer aufgefunden wurden, und vor allem die Erkenntnisse in dem Entlassungsbericht der Fachklinik ... vom , der weitgehend verlesen und dadurch in die Berufungshauptverhandlung eingeführt wurde. In ihm ist nicht nur festgestellt, dass der frühere Soldat an einer Alkoholerkrankung litt, sondern auch, dass er meistens abends zu Hause 3-5 Bier getrunken habe, teilweise auch im Dienst. Der Zeuge Major C hat schließlich in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, dass der frühere Soldat während des Dienstes öfter nicht auffindbar gewesen sei.

41Hinzu treten die Beobachtungen des Zeugen Hauptfeldwebel D zum Anschuldigungspunkt 3, die (der damalige) Oberleutnant C in seinem Vermerk vom festgehalten hat und deren Richtigkeit der Zeuge Hauptfeldwebel D in der Berufungshauptverhandlung erneut bestätigt hat. Danach hatte er den Eindruck, dass der frühere Soldat am Abend des "etwas angetrunken gewesen sei, da er ein wenig taumelte". Darüber hinaus hat er ausgesagt, er wisse, dass der frühere Soldat auch angetrunken Dienst verrichtet habe; er selbst habe ihn mit einer Flasche Bier angetroffen. Den Alkoholisierungsgrad eines Menschen könne er deshalb gut einschätzen, weil seine Familie im Gastgewerbe tätig sei.

42bbb) Da der frühere Soldat ausweislich des Entlassungsberichts der Fachklinik ... vom an einer Alkoholerkrankung litt, ist er für seinen Alkoholkonsum im Zeitraum des Dienstvergehens nicht selbst verantwortlich und eine dadurch verursachte Einschränkung der Steuerungsfähigkeit kann eine Maßnahmemilderung rechtfertigen ( 2 WD 23.13 - juris Rn. 44 m.w.N.).

43ccc) Es ist nicht mehr aufklärbar, zu welchen Blutalkoholkonzentrationen der kontinuierliche Alkoholkonsum des früheren Soldaten in den fraglichen Zeiträumen jeweils führte. Der frühere Soldat hatte weder im Ermittlungsverfahren noch vor dem Truppendienstgericht oder mit seiner Berufungsbegründung konkrete Angaben zu seinen jeweiligen Trinkmengen machen können. Damit fehlt es an Grundlagen für eine Berechnung von Blutalkoholkonzentrationen. Es ist auch nicht mehr möglich, ein medizinisches Gutachten zu den Auswirkungen eines entsprechenden Alkoholisierungsgrades auf die Steuerungsfähigkeit eines trinkgewohnten Alkoholikers einzuholen.

44Entlastende Umstände sind allerdings nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist. Für die Berücksichtigung von Milderungsgründen genügt es hiernach, wenn für sie hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, sodass sich ihr Vorliegen nicht ausschließen lässt. Lässt sich deshalb nach erschöpfender Sachaufklärung ohne vernünftigen Zweifel ein Sachverhalt nicht ausschließen, der eine erheblich verminderte oder ausgeschlossene Schuldfähigkeit ergibt, ist dieser Gesichtspunkt in die Gesamtwürdigung einzustellen ( 2 WD 3.14 - juris Rn. 69 m.w.N.).

45Hiernach ist der Senat überzeugt, dass der frühere Soldat bei der Anlage und der Einlagerung von Schwarzbeständen an Manöver- und pyrotechnischer Munition und der Einlagerung der Kompasse nicht so hochgradig alkoholisiert gewesen war, dass von einer im Sinne des § 21 StGB erheblichen Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gesprochen werden kann. Dagegen lässt sich für den Zeitraum des Eindringens in das Büro des Vorgesetzten unter Verwendung des Generalschlüssels und der Fertigung der Kopien aus Personalunterlagen eine deutlich stärkere Alkoholisierung, die zu einer im Rechtssinne erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit führt, nicht ausschließen.

46Dass der frühere Soldat bei den die pflichtwidrige Einlagerung von Munition und Kompassen betreffenden Pflichtverletzungen nicht so stark alkoholisiert war, dass von einem Blutalkoholwert von mehr als 2 ‰ ausgegangen werden kann, von dem an eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit indiziert ist (vgl. Fischer, StGB, 63. Auflage 2016, § 20 StGB Rn. 21 m.w.N.), ergibt sich trotz des Fehlens von Erkenntnissen zu konkreten Trinkmengen zur Überzeugung des Senats daraus, dass der Soldat während des ganzen von den entsprechenden Vorwürfen erfassten Zeitraumes zwar kontinuierlich einen gewissen Alkoholspiegel hatte, ihn dieser aber nicht an einer korrekten Erfüllung seiner Dienstpflichten hinderte und dieser ihm während der Dienstzeit auch nicht durch auffälliges Verhalten anzumerken war.

47Der frühere Soldat hat zu den von Anschuldigungspunkt 1, 2 und 5 beschriebenen Zeiträumen keine Ausfallerscheinungen gezeigt. Der Zeuge Hauptfeldwebel D hat insoweit ausgesagt, dieser habe militärfachlich ohne Ausfallerscheinungen funktioniert. Auch der frühere Disziplinarvorgesetzte, Major C, hat von keinen alkoholbedingten Auffälligkeiten berichten können, sondern vielmehr ausgesagt, der frühere Soldat habe nicht getaumelt und keine Alkoholfahne aufgewiesen; von dessen Alkoholproblem habe er nur gerüchteweise gehört. Außer dass der frühere Soldat öfter nicht auffindbar gewesen sei, habe er "im Dienst funktioniert". Der Zeuge Hauptmann F hat zudem ausgeführt, auch ihm gegenüber sei nicht über Ausfallerscheinungen des früheren Soldaten berichtet worden. Dieser Zeuge hat zudem von sehr guten Leistungen des früheren Soldaten berichtet. Diese wären für einen dauernd stark alkoholisierten Soldaten schwerlich möglich. Mit den übereinstimmenden Zeugenaussagen korrespondiert im Übrigen die Selbsteinschätzung des früheren Soldaten, der erstinstanzlich ausgeführt hat, als Spiegeltrinker gerade einen Mindestpegel an Alkoholisierung wahren zu müssen, um funktioniert haben zu können.

48Dagegen gibt es Indizien dafür, dass der frühere Soldat zum Zeitpunkt des Eindringens in das Büro seines Vorgesetzten mittels eines Generalschlüssels deutlich mehr Alkohol zu sich genommen hatte als für ihn üblich, sodass er im Ergebnis eine Blutalkoholkonzentration erreicht hatte, die selbst bei einem trinkgewohnten Alkoholiker zu starken Einschränkungen der Steuerungsfähigkeit führte. Wie ausgeführt hat der Zeuge D bei dieser Gelegenheit motorische Ausfälle des früheren Soldaten beobachtet, sodass sich dem Zeugen der Eindruck einer Alkoholisierung aufdrängte. Dies ist umso auffälliger, als sich der frühere Soldat ansonsten trotz seines Alkoholspiegels sicher bewegen konnte. Hinzu kommt, dass der frühere Soldat sich bei dieser Gelegenheit auch besonders leichtsinnig verhielt und naheliegende Sicherungsmaßnahmen, um bei seinem pflichtwidrigen Tun nicht entdeckt zu werden, unterließ. So hat er beim Eindringen in das Büro des Vorgesetzten Licht eingeschaltet und dadurch nach außen für Vorbeikommende oder Personen an den Fenstern des gegenüberliegenden Unterkunftsblocks gut einsehbar agiert. Außerdem lag auf der Hand, dass das Kopieren von Personalunterlagen des Kameraden E, der kein Konkurrent um den vom früheren Soldaten angestrebten Dienstposten, vielmehr sein möglicher Nachfolger auf dem alten Dienstposten gewesen wäre, im Hinblick auf das Ziel des früheren Soldaten, die Behandlung seiner Bewerbung um einen neuen Dienstposten in Erfahrung zu bringen, völlig unsinnig war. Da hiernach Anhaltspunkte für eine deutlich über den Wert von 2 ‰ hinausreichende Alkoholisierung zu diesem Zeitpunkt vorliegen und weitere Aufklärungen schon wegen des Zeitablaufes nicht mehr möglich sind, geht der Senat im Hinblick auf diesen Vorwurf nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" von einer hochgradigen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit durch den Alkoholrausch aus. Diese bewertet er als im Sinne des § 21 StGB erheblich.

49bb) Gründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Soldaten zusätzlich mindern könnten, bestehen nicht. Sie wären nur dann gegeben, wenn die Situation, in der er versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet gewesen wäre, dass von ihm ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt hätte werden können ( 2 WD 18.07 - m.w.N.).

50Der Milderungsgrund des Handelns in einer seelischen Ausnahmesituation (vgl. 2 WD 10.13 - Rn. 78 m.w.N.) erlangt daneben kein eigenständiges Gewicht mehr, weil die Alkoholerkrankung für die erschwerten Lebensumstände ursächlich war und die damit verbundenen Beeinträchtigungen durch den aus § 21 StGB abgeleiteten Milderungsgrund ausreichend aufgefangen sind.

51aaa) Am klassischen Milderungsgrund einer unzureichenden Dienstaufsicht fehlt es, weil der frühere Soldat keines hilfreichen Eingreifens der Dienstaufsicht bedurfte, um zu erkennen, dass er verpflichtet war, seinem Dienstherrn kein Wehrmaterial, insbesondere Munition, vorzuenthalten, und er auch nicht befugt war, sich mittels eines Generalschlüssels Zugang zu Diensträumen zu verschaffen, um dort Einsicht in eigene und vor allem fremde Personalunterlagen zu nehmen. Dieser Milderungsgrund steht einem Soldaten nur dann zur Seite, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht ( 2 WD 12.14 - juris Rn. 48). Der Senat ist überzeugt, dass die Einsichtsfähigkeit des früheren Soldaten trotz der Alkoholisierung nicht so weit eingeschränkt war, dass er zu diesen sich aufdrängenden Erkenntnissen nicht mehr in der Lage gewesen wäre.

52Soweit der frühere Soldat vorgetragen hat, seine sich auf die unsachgemäße Lagerung von dienstlichen Gegenständen beziehenden Pflichtverletzungen seien seinen Vorgesetzten bekannt gewesen, bewegt sich sein Vortrag im Vagen, zumal er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, seine Einlassung in der Berufungshauptverhandlung zu konkretisieren. Der Senat glaubt dem Zeugen Major A, der die Angaben des früheren Soldaten in seiner in der Berufungshauptverhandlung nach § 106 Abs. 2 WDO verlesenen Aussage vom bestritten hat.

53bbb) Die Dienstaufsicht hat auch nicht im Hinblick auf die Alkoholerkrankung des früheren Soldaten versagt, weil der Disziplinarvorgesetzte Major C bis zu den Beobachtungen des Zeugen Hauptfeldwebel D am keine alkoholbedingten Auffälligkeiten festgestellt hatte. Der Zeuge C hat in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft dargelegt, nicht von dem Alkoholproblem des früheren Soldaten gewusst zu haben. Diese Aussage korrespondiert mit den Angaben des früheren Soldaten selbst, seinen Alkoholkonsum im Dienst verheimlicht zu haben. Soweit der Disziplinarvorgesetzte erklärte, nur gerüchteweise von einem Alkoholproblem gehört zu haben und dem nicht - etwa durch die Anordnung einer Blutuntersuchung - nachgegangen zu sein, begründet dies ebenfalls kein vorwerfbares Verhalten. Es ist nachvollziehbar, dass der Disziplinarvorgesetzte den früheren Soldaten nicht ohne valide Tatsachengrundlage eines dienstrechtlich problematischen Verhaltens bezichtigen und damit riskieren wollte, das Verhältnis zu dem von ihm als Leistungsträger geschätzten Kameraden zu belasten.

54Auch soweit es das Verhalten der Vorgesetzten nach Bekanntwerden der Alkoholerkrankung betrifft, hat der Zeuge Major C die zahlreichen Bemühungen insbesondere des Hauptmanns B dargelegt, dem früheren Soldaten zu helfen. Dieser habe insbesondere den Soldaten und dessen Ehefrau am Wohnort aufgesucht. Die Aussagen des Zeugen Major C sind glaubhaft, zumal auch dem vom früheren Soldaten an das Truppendienstgericht gerichteten Schriftsatz vom zu entnehmen ist, dass Hauptmann B ihn und seine Ehefrau in das Bundeswehrkrankenhauses ... begleitet hat. Auch der truppenärztlichen Stellungnahme vom ist zu entnehmen, dass Vorgesetzte ihn schon vor dem gedrängt haben, sich wegen der Alkoholerkrankung einer Behandlung zu unterziehen.

55e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" sprechen für den früheren Soldaten die ihm bescheinigten besonderen Leistungen. Hauptmann F hat ihm bereits erstinstanzlich attestiert, dieser habe sich im Vergleich zu anderen Oberstabsfeldwebel leistungsmäßig deutlich im oberen Drittel bewegt, er habe zu den "Top 5" gehört. Er hat an dieser Bewertung auch in der Berufungshauptverhandlung festgehalten und unterstrichen, der frühere Soldat sei "super und absolut perfekt" gewesen; er habe auch keine Bedenken gehabt, ihn mit der Verwahrung von Munition und des Generalschlüssels zu betrauen. Der ehemalige Disziplinarvorgesetzte hat den früheren Soldaten zudem als "Aushängeschild der Einheit" bezeichnet, den er bei einer Bewertungsskala bis "7" mit "6", bei einer Skala von "9" mit "7,5" bewerten würde.

56Der frühere Soldat hat damit zwar überdurchschnittliche Leistungen erbracht, sie jedoch nach Begehung des Dienstvergehens nicht gesteigert, sodass, anders als vom Truppendienstgericht angenommen, keine Nachbewährung als klassischer Milderungsgrund vorliegt (vgl. 2 WD 10.12 - juris Rn. 48).

57Dass der frühere Soldat vorher seinen Dienst untadelhaft versehen hat und straf- sowie disziplinarrechtlich nicht vorbelastet war, ist kein für ihn sprechender Umstand von Gewicht, weil er hiermit nur die Mindesterwartungen des Dienstherrn pflichtgemäß erfüllte ( 2 WD 23.13 - juris Rn. 58).

58f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts der Ausspruch einer gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 62 Abs. 1 WDO zulässigen Dienstgradherabsetzung erforderlich und angemessen. Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in ständiger Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus (vgl. BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35).

59aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".

60Hiernach geht das Truppendienstgericht im Ergebnis zutreffend bei seinen Zumessungserwägungen von einer Dienstgradherabsetzung aus.

61Den Schwerpunkt des Dienstvergehens bilden die in der Anlegung von Schwarzbeständen und der unsachgemäßen Lagerung von Manöver- und pyrotechnischer Munition bestehenden Pflichtverletzungen. Zwar sind diese Pflichtverletzungen nicht dadurch charakterisiert, dass sich ein Soldat in Vorgesetztenstellung vorsätzlich an Eigentum oder Vermögen seines Dienstherrn vergreift, weil es hier sowohl an einer Zueignungsabsicht als auch an einem dauerhaften Entzug der dienstlichen Nutzung durch Verbringung in die private Sphäre (vgl. 2 WD 20.09 - juris Rn. 46) fehlt. Gleichwohl sind sie wegen eines vergleichbaren Gewichtes grundsätzlich mit derselben Maßnahmeart zu sanktionieren. Das Gewicht dieser Pflichtverletzungen wird nämlich dadurch bestimmt, dass ein Befehl über die sachgemäße Lagerung von besonders gefahrträchtiger Munition missachtet wurde. Die Verletzung der Gehorsamspflicht ist je nach Schwere des Verstoßes mit einer Gehaltskürzung, einem Beförderungsverbot oder auch einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden (vgl. 2 WD 27.06 - BVerwGE 129, 181 Rn. 85 und vom - 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 Rn. 49 m.w.N.). Dabei ist das disziplinare Gewicht eines Ungehorsams umso höher, je größer die dadurch drohenden Gefahren für ein bedeutsames Rechtsgut, insbesondere Leib und Leben von Kameraden, sind ( 2 WD 7.14 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 48 Rn. 51 ff. m.w.N.). Eine solche Gefahrenlage besteht bei der unsachgemäßen Lagerung von Munition, die nach der Einschätzung des sachkundigen Zeugen S der Gefahrenklasse 1.3 zuzuordnen ist. Schon bei nur fahrlässigen Verletzungen von Sorgfaltspflichten im Umgang mit Munition ist ein Beförderungsverbot Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ( 2 WD 20.12 - juris Rn. 60). Der schwereren Schuldform des Vorsatzes ist Rechnung zu tragen.

62Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der frühere Soldat für einen Teil der Pflichtverletzungen einen ihm anvertrauten Generalschlüssel missbraucht hat. Denn dieser Umstand bezieht sich nicht auf den Schwerpunkt des Dienstvergehens. Der anvertraute Schlüssel wurde zudem nicht eingesetzt, um dem Dienstherrn Eigentum oder Vermögen dauerhaft zu entziehen, sodass keine Vergleichbarkeit mit dem Zugriff auf anvertrautes Gut oder einem Tankkartenbetrug zulasten des Bundes mit einer anvertrauten Tankkarte besteht. Zudem betrifft er die Pflichtverletzungen, wegen derer ein gewichtiger Milderungsgrund in der verminderten Schuldfähigkeit des früheren Soldaten besteht. Damit ist diesem Umstand erschwerend auf der zweiten Stufe der Bemessungserwägungen bei der Bestimmung des Ausmaßes der Degradierung Rechnung zu tragen.

63bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts im Einzelfall Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn bei der Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, hinsichtlich des Disziplinarmaßes ein Spielraum besteht ( 2 WD 11.14 - juris Rn. 52 m.w.N.).

64Nach Maßgabe dessen ist weder, wie vom früheren Soldaten beantragt, von der Art der Disziplinarmaßnahme noch, wie vom Bundeswehrdisziplinaranwalt beantragt, von dem Ausmaß der Degradierung abzuweichen, sodass beide Berufungen zurückzuweisen sind.

65Zur Bestimmung der konkret tat- und schuldangemessenen Reichweite der Dienstgradherabsetzung sind die bei der Bestimmung des Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen noch nicht berücksichtigten erschwerenden Aspekte, hier vor allem die gravierende Pflichtverletzung durch das Eindringen in das Büro des Vorgesetzten mittels des anvertrauten Generalschlüssels und die Fertigung von Kopien aus Personalunterlagen auch eines Kameraden, den mildernden Aspekten in der Person und Führung des früheren Soldaten und die verminderte Schuldfähigkeit bei einem Teil der Pflichtverletzungen gegeneinander abzuwägen.

66Maßnahmemildernd ist darüber hinaus die Verfahrensdauer einzustellen.

Eine überlange Verfahrensdauer, die einen Verstoß gegen die Gewährleistung einer Verhandlung innerhalb angemessener Frist durch Art. 6 EMRK darstellt, begründet einen Milderungsgrund bei solchen Disziplinarmaßnahmen, die wie die Dienstgradherabsetzung der Pflichtenmahnung dienen. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern können (vgl. 2 WD 2.02 - NZWehrr 2004, 83 ff. und juris Rn. 18; vom - 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <32>; vom - 2 WD 6.07 - juris Rn. 116; vom - 2 WD 1.08 - juris Rn. 122; vom - 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 47, vom - 2 WD 26.11 - juris Rn. 39 f. m.w.N. sowie vom - 2 WD 10.12 - juris Rn. 62).

67Ob die Dauer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls und folgender Kriterien zu beurteilen: die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen (EGMR, Urteil vom - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N.; 2 WD 26.11 - juris Rn. 36). Hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich und es ist nicht auf feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte abzustellen, unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen ( 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 <154> Rn. 29). Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 6 EMRK zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 42). Bei der Verfahrensgestaltung kommt dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zu. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind.

68Es kann offen bleiben, ob die Verfahrensdauer eines Disziplinarverfahrens ab der förmlichen Einleitung zu berücksichtigen ist (so EGMR, Urteil vom - V - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 LS) oder wegen der Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO erst ab Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht.

Nachdem im März 2009 konkrete Hinweise auf Pflichtverletzungen des früheren Soldaten bekannt wurden, ist durch Vorgesetzte und die Wehrdisziplinaranwaltschaft in diesem Verfahren kontinuierlich und ohne nicht durch Sachgründe gerechtfertigte Verzögerungen ermittelt worden. Es sind truppendienstgerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse beantragt und umgesetzt, zahlreich aufgefundenes Wehrmaterial gesichtet, erfasst und überprüft, Zeugen angehört und auch der frühere Soldat selbst mehrfach vernommen worden. Die Ermittlungen wurden auch dadurch verlängert, dass der frühere Soldat wegen des Aufenthaltes in der Fachklinik nach dem Alkoholentzug nicht durchgehend uneingeschränkt für Vernehmungen zur Verfügung stand. Die Ermittlungen erstreckten sich auch auf seine Alkoholerkrankung. Dem früheren Soldaten musste rechtliches Gehör zu Ermittlungsergebnissen gewährt werden. Anfang Dezember 2010 wurde die Anschuldigungsschrift an das Truppendienstgericht übersandt.

Beim Truppendienstgericht konnte das Verfahren dann allerdings nach der Zustellung der Anschuldigungsschrift und dem Eingang einer Stellungnahme des früheren Soldaten fast vier Jahre lang nicht weiter gefördert werden. Erst Mitte Oktober 2014 war dort eine Hauptverhandlung möglich. Dies mag der gerichtsbekannt hohen Belastung der Truppendienstgerichte geschuldet sein und ist dann dem Vorsitzenden der Kammer nicht vorwerfbar. Hierin begründete Verfahrensverzögerungen sind allerdings dem Staat zuzurechnen und rechtfertigen es nicht, einen Soldaten länger als nötig den Belastungen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens auszusetzen. Das Disziplinarverfahren hatte schon deswegen für alle Beteiligten hohe Bedeutung, weil ein schweres Dienstvergehen und eine gravierende Maßnahme mit Auswirkungen auf das Amt des Soldaten in Rede stand. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Vorbereitung einer Hauptverhandlung einen nicht unerheblichen Aufwand mit sich bringt, wäre dieser in einem "mehrmonatigen Gestaltungszeitraum" (vgl. 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 53 f.) zu bewältigen gewesen. Danach hätten der Anspruch auf eine Erledigung des Verfahrens in angemessener Zeit und das Beschleunigungsgebot aus § 17 Abs. 1 WDO eine Terminierung geboten. Hier war aber erst Mitte Oktober 2014 die abschließende Verhandlung möglich. Mithin steht hier eine unangemessene Verlängerung des Verfahrens um einen mehrjährigen Zeitraum in Rede.

69In Abwägung der erschwerenden Aspekte mit den mildernden unter Einbeziehung der überlangen Verfahrensdauer ist die Herabsetzung um einen Dienstgrad tat- und schuldangemessen.

70Anders als vom früheren Soldaten vorgetragen, gebieten die mit einer Herabsetzung im Dienstgrad für ihn und seine Ehefrau - als zukünftige Witwe - verbundenen finanziellen Nachteile keine noch darüber hinausgehende Milderung der Disziplinarmaßnahme. Sie mildernd zu berücksichtigen ist unzulässig, weil dies auf eine Kompensation von Auswirkungen einer Disziplinarmaßnahme hinausliefe, die der Gesetzgeber als sanktionstypische Folge in seinen Willen ausdrücklich aufgenommen hat (vgl. 2 WD 3.13 - juris Rn. 45 m.w.N.).

714. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2 WDO. Gemäß § 140 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 WDO war der frühere Soldat von der Hälfte der ihm im Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu entlasten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2016:190516U2WD13.15.0

Fundstelle(n):
MAAAF-84456