BGH Beschluss v. - VIII ZR 79/15

Anhörungsrüge: Anforderungen an die Darlegung einer Gehörsverletzung

Leitsatz

Da ein Gericht nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich oder jedenfalls mit einer bestimmten Intensität zu befassen, sind bei einer Anhörungsrüge die in § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 5 ZPO aufgestellten Anforderungen an die substanziierte Darlegung einer Gehörsverletzung nicht gewahrt, wenn die Rüge sich auf eine wiederholende Darstellung oder Rechtfertigung des vermeintlich übergangenen Vorbringens beschränkt. In der Anhörungsrüge muss vielmehr zugleich anhand des angegriffenen Urteils näher herausgearbeitet werden, dass darin ein Rechtsstandpunkt eingenommen worden ist, bei dem das als übergangen gerügte Vorbringen schlechthin nicht unberücksichtigt bleiben konnte und seine Nichtberücksichtigung sich deshalb nur damit erklären lässt, dass es nicht zur Kenntnis genommen worden ist.

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 321a Abs 1 S 1 Nr 2 ZPO, § 321a Abs 2 S 5 ZPO

Instanzenzug: Az: VIII ZR 79/15 Urteilvorgehend LG Frankfurt (Oder) Az: 16 S 48/14vorgehend AG Strausberg Az: 24 C 118/09

Gründe

1Die nach § 321a ZPO statthafte Anhörungsrüge ist unzulässig, weil sie bereits den gesetzlichen Darlegungsanforderungen nicht genügt.

21. § 321a ZPO eröffnet nach allgemeiner Auffassung ausschließlich die Möglichkeit, einen Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör geltend zu machen. Andere Rechtsverletzungen können nach § 321a ZPO nicht gerügt werden, so dass auf eine Anhörungsrüge hin nur zu prüfen ist, ob das Gericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen hat, also seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (zuletzt , ZinsO 2016, 1389 Rn. 13, 22 mwN).

3In dem so gesteckten Rahmen ist eine Anhörungsrüge nur zulässig, wenn mit ihr eine neue und eigenständige Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG durch das erkennende Gericht gerügt wird; dabei ist gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 5 ZPO in substantiierter Weise darzulegen, dass das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (BGH, Beschlüsse vom - XI ZR 17/14, juris Rn. 2; vom - V ZR 7/12, juris Rn. 2; jeweils mwN). Denn eine solche Rechtsverletzung kann nicht schon darin gesehen werden, dass das Gericht die Rechtslage abweichend von der Auffassung der Anhörungsrüge beurteilt hat (BGH, Beschlüsse vom - VII ZR 159/07, juris Rn. 3; vom - VI ZR 38/07, NJW 2008, 923 Rn. 6). Vielmehr muss zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hinzukommen, dass sich aus besonderen Umständen des Falles klar ergibt, dass das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat.

4Zwar lässt in Fällen, in denen das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht eingeht, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, dieser Umstand auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (, juris Rn. 15; BGH, Beschlüsse vom - VII ZR 28/15, IHR 2016, 124 Rn. 7; vom - VIII ZR 338/09, WuM 2011, 300 Rn. 3; jeweils mwN). Da das Gericht aber nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich oder jedenfalls mit einer bestimmten Intensität zu befassen, erfordert die substantiierte Darlegung einer Gehörsverletzung in einer Anhörungsrüge unter anderem auch, dass die Rüge sich nicht auf eine wiederholende Darstellung oder Rechtfertigung des vermeintlich übergangenen Vorbringens beschränkt. Sie muss vielmehr zugleich anhand des angegriffenen Urteils näher herausarbeiten, dass darin ein Rechtsstandpunkt eingenommen worden ist, bei dem das als übergangen gerügte Vorbringen schlechthin nicht unberücksichtigt bleiben konnte und seine Nichtberücksichtigung sich deshalb nur damit erklären lässt, dass es nicht zur Kenntnis genommen worden ist (vgl. , juris Rn. 3).

52. Hieran fehlt es der Anhörungsrüge im Streitfall. Sie beschränkt sich in ihrem Kern vielmehr darauf, zu beanstanden, dass im Senatsurteil "ihr Sachvortrag sowie die von ihr vorgelegten Beweise nicht hinreichend gewürdigt" worden seien, und eine abweichende Rechtsanwendung zu begehren.

6a) Soweit die Anhörungsrüge beanstandet, der Senat habe übersehen, dass im vorliegenden Vertragsverhältnis keine Regelungslücke existiere, weil sich der Versorger seit dem Ende 2004 erhobenen Unbilligkeitseinwand der Beklagten zur Vermeidung einer Kostenunterdeckung bei Weiterbelieferung zum anfänglichen Preis kurzfristig durch Kündigung vom Vertrag hätte lösen können, nimmt sie ihrerseits nicht den in Randnummern 19 f., 33 des Senatsurteils dargestellten Rechtsstandpunkt zur Kenntnis, nach dem die Annahme der Regelungslücke und ihrer Ausfüllung sich aus der Sicht der Vertragsparteien bei Vertragsschluss nach ganz anderen Kriterien beurteilt, als die Beklagte sie ihrer Rechtsposition zugrunde gelegt wissen will. Dass der Senat auch nach dem von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkt das Vorliegen einer Regelungslücke und die Möglichkeiten ihrer Ausfüllung nur daran hätte messen können und müssen, dass die Klägerin nach Erhebung des Unbilligkeitseinwandes eine ihr zukommende Kündigungsmöglichkeit nicht wahrgenommen habe, zeigt weder die Anhörungsrüge auf noch ist dies sonst ersichtlich.

7b) Soweit die Anhörungsrüge es als gehörsverletzend wertet, dass der Senat ohne Tatsachenvortrag des Versorgers dessen unzumutbare Belastung durch die im Streitfall bestehende Differenz von 752,43 € zwischen dem ursprünglichen Anfangspreis und dem sich nach der "Dreijahreslösung" ergebenden Preis angenommen habe, weil dieser Preis nachweislich zu einer Unterdeckung seiner Gasbezugskosten führen würde, findet sich eine solche Aussage angesichts des vom Senat schon im Ansatz abweichend eingenommenen Rechtsstandpunktes jedenfalls mit der von der Anhörungsrüge suggerierten, diesem Rechtsstandpunkt jedoch grundlegend zuwider laufenden Zielrichtung im Senatsurteil nicht.

8Dass der Senat nach diesem etwa in den Randnummern 19, 39 dargestellten Rechtsstandpunkt, der entscheidend an eine hypothetische Willensbildung der Vertragsparteien bei Vertragsschluss anknüpft, auf die als übergangen beanstandeten Veränderungen der Vorlieferantenpreise als entscheidungstragend hätte eingehen müssen, zeigt die Anhörungsrüge nicht auf und erschließt sich auch sonst nicht. Hiervon abgesehen übergeht die Anhörungsrüge, dass ausweislich der Randnummern 40 f. des Senatsurteils dem Senat das Vorbringen der Beklagten zu den von ihr für relevant gehaltenen Preisänderungen nicht entgangen ist, der Senat ihm aber nach seinem abweichenden Rechtsstandpunkt keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat. Gleiches gilt für den Einwand der Willkürlichkeit der vom Senat angewandten "Dreijahreslösung" und des dabei erzielten Ergebnisses. Auch hiermit hat sich der Senat etwa in Randnummer 40 f. seines Urteils befasst, ihm nach seinem Rechtsstandpunkt aber keine Bedeutung beigemessen, ohne dass die Anhörungsrüge aufzeigt, dass der Senat auch auf der Grundlage seines Rechtsstandpunktes nur zu dem von der Beklagten gewünschten Ergebnis hätte kommen können und müssen.

93. Die Anhörungsrüge wäre im Übrigen aus den vorstehend unter 2 dargestellten Erwägungen zumindest auch unbegründet. Daraus ergibt sich zugleich, dass der Senat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 3 ZPO).

Dr. Milger                          Dr. Achilles                         Dr. Schneider

                    Dr. Fetzer                             Kosziol

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:230816BVIIIZR79.15.0

Fundstelle(n):
NJW 2016 S. 10 Nr. 40
BAAAF-82186