Anordnung von Sicherungsmaßnahmen in einer Tongrube; Rechtsfolgenverweisung
Gesetze: § 36 Abs 2 S 2 KrW-/AbfG, § 40 Abs 2 KrWG, Art 103 Abs 2 GG
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 2 L 53/13 Urteilvorgehend VG Magdeburg Az: 1 A 328/11 Urteil
Gründe
I
1Der Kläger ist Insolvenzverwalter. Er wendet sich gegen die Anordnung von Wasserhaltungen in einer Tongrube. Die Insolvenzschuldnerin hatte seit den 1990er Jahren Ton im Tagebau abgebaut. Im Rahmen eines Sonderbetriebsplans war es ihr gestattet, zur Wiedernutzbarmachung der Oberfläche die Tongrube teilweise mit Abfällen zu verfüllen. Hierzu verwendete sie entgegen den Festlegungen Abfälle mit einem hohen Anteil an Hausmüll und hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen. Mit Bescheid vom , der auf Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes gestützt war, gab der Beklagte dem Kläger unter Androhung der Ersatzvornahme die Herstellung von drei Wasserhaltungen auf. Die hiergegen erhobene Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid sei zu Recht auf § 10 BBodSchG gestützt worden. Die Vorschriften des Abfallrechts seien nicht vorrangig anzuwenden.
2Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
3Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
41. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Dies wäre nur dann der Fall, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, BVerwG, vgl. nur Beschluss vom - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Diese Voraussetzungen legt die Beschwerde in Bezug auf die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichneten Fragen
Finden die Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes nach § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG bereits ab der faktischen Stilllegung einer Deponie Anwendung oder erst nach der endgültigen Stilllegung einer Deponie im Sinne von § 36 Abs. 3 KrW-/AbfG?
Enthält § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG eine Rechtsgrundverweisung auf die Vorschriften des Bundes-Bodenschutzgesetzes, so dass auch die Regelung über die Bestimmung der zur Sanierung Verpflichteten im Sinne des § 4 Abs. 3 BBodSchG anwendbar ist, oder enthält § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG eine Rechtsfolgenverweisung, die nur eine Inanspruchnahme des nach § 36 KrW-/AbfG für die Stilllegung der Deponie Pflichtigen ermöglicht?
nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar.
5Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen beziehen sich auf ausgelaufenes Recht; denn das Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Abfallentsorgung (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz - KrW-/AbfG) vom (BGBl. I S. 2705), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 1986), ist gemäß Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts vom (BGBl. I S. 212) mit Wirkung vom durch das Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz - KrWG) ersetzt worden. Solche Rechtsfragen haben trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung. Denn die Zulassungsvorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO soll nur eine für die Zukunft geltende richtungsweisende Klärung herbeiführen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 42.12 - juris Rn. 6 und vom - 7 B 22.14 - Buchholz 404.1 VIG Nr. 1 Rn. 15, jeweils m.w.N.). Die Beschwerde legt Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
6a) Ein Fortbestehen der grundsätzlichen Bedeutung ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum einen dann anerkannt, wenn die Klärung der Rechtsfragen für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwerdeführer darlegungspflichtig. Es müssen Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargetan und ersichtlich sein (vgl. 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 S. 12). Dem trägt die Begründung der Beschwerde mit dem unsubstantiierten - und vom Beklagten bestrittenen - Hinweis auf eine Vielzahl von weiteren Fällen nicht ausreichend Rechnung. Angesichts des seit dem Inkrafttreten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes verstrichenen Zeitablaufs ist im Übrigen auch in keiner Weise ersichtlich, dass es noch zahlreiche auf der Grundlage des § 36 KrW-/AbfG zu beurteilende Altfälle geben könnte.
7b) Zum anderen bleibt eine Rechtssache grundsätzlich klärungsbedürftig, wenn sich bei der gesetzlichen Bestimmung, die der außer Kraft getretenen Vorschrift nachgefolgt ist, die streitige Frage in gleicher Weise stellt. Dies muss jedoch offensichtlich sein, weil es nicht Aufgabe des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist, in diesem Zusammenhang mehr oder weniger komplexe Fragen des jetzt geltenden Rechts zu klären und die frühere mit der geltenden Rechtslage zu vergleichen ( 7 B 22.14 - Buchholz 404.1 VIG Nr. 1 Rn. 16).
8Hieran fehlt es hinsichtlich beider Fragen. Bei der ersten Frage liegt es vielmehr aufgrund der Änderung, die der Wortlaut des § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG im Vergleich zu § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG insoweit erfahren hat, auf der Hand, dass die Auslegung der Vorschrift nunmehr der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht mehr bedarf. Dass der nach § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG eindeutige Bezug auf eine endgültige Stilllegung nach Abs. 3 zwingende Rückschlüsse auf die Auslegung des abweichend und insoweit offen formulierten § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG erlauben könnte, legt die Beschwerde weder dar, noch ist dies sonst ersichtlich (vgl. auch OVG Weimar, Urteil vom - 3 KO 702/11 - juris Rn. 33).
9Entsprechendes gilt auch für die zweite Frage. Es drängt sich schon nicht auf, dass die im Rahmen des § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG gerade wegen der Möglichkeit einer Erweiterung des pflichtigen Personenkreises umstrittene Frage, ob die Bezugnahme auf das Bundes-Bodenschutzgesetz als Rechtsgrund- oder als Rechtsfolgenverweisung und damit einhergehend als Regimewechsel vom Abfall- zum Bodenschutzrecht zu verstehen ist, bei der nunmehr geltenden Vorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG nur aufgrund eines Revisionsverfahrens beantwortet werden könnte. Die Entstehungsgeschichte der Norm gibt angesichts eines nicht eindeutigen Wortlauts ausschlaggebende Hinweise für das jedenfalls nunmehr maßgebliche Verständnis der Bestimmung. Zwar ist insoweit der Gesetzestext unverändert geblieben. Die Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren, in dem im Ergebnis ohne Erfolg ausdrücklich eine Ergänzung der Norm um einen Verweis auf § 4 Abs. 3 BBodSchG angeregt worden war, lassen aber - soweit ersichtlich - allein eine Auslegung als Rechtsfolgenverweisung zu (siehe Stellungnahme des Bundesrates zu § 40 Abs. 2 Satz 2, BT-Drs. 17/6052 S. 119 und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 17/6645 S. 6 f.; vgl. Attendorn, in: Jarass/Petersen, KrWG, 2014, § 40 Rn. 40). Denn bereits der Vorschlag des Bundesrates setzt dieses Verständnis voraus, und die Bundesregierung ist dem nicht entgegengetreten. Aber selbst wenn insoweit noch Raum für die Annahme eines Klärungsbedarfs bliebe, der bezogen auf § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG die Zulassung der Revision zu rechtfertigen geeignet wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Auslegung dieser Vorschrift gerade vor dem Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens offensichtlich und zwingend Auswirkungen auf das Verständnis des § 36 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG haben könnte.
102. Mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) dringt der Kläger ebenso wenig durch. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) durch eine Überraschungsentscheidung ist nicht dargetan.
11Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es indessen, dass das Gericht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa 6 C 9.12 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 180 Rn. 38 und vom - 7 C 1.12 - juris Rn. 16,18, jeweils m.w.N.). Die Garantie des rechtlichen Gehörs kann deshalb auch dann verletzt sein, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens seine Rechtsauffassung in hinreichend eindeutiger Weise zu erkennen gegeben hat und dann - ohne vorherigen Hinweis - von dieser wieder abrückt, so dass den Prozessbeteiligten ein Vortrag zur gewandelten Rechtsauffassung nicht mehr möglich ist (vgl. 7 C 3.10 - NVwZ 2011, 696 Rn. 11; Beschluss vom - 5 B 37.09 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 83 Rn. 2; - BVerfGK 9, 295 <juris Rn. 29>).
12Hiernach ist allein mit dem Vortrag, das Oberverwaltungsgericht habe nicht darauf hingewiesen, dass es an seiner im Beschluss vom - 2 L 251/04 - vertretenen Rechtsauffassung nicht mehr festhalte, eine unzulässige Überraschungsentscheidung nicht dargetan. Der Kläger trägt nicht vor - und in den Akten findet sich dafür auch kein Anhaltspunkt -, das Oberverwaltungsgericht habe im vorliegenden Verfahren zunächst deutlich gemacht, dass es die damals geäußerte Rechtsansicht auch seiner nunmehr zu treffenden Entscheidung zugrunde legen werde. Auch der Kläger hat in seinem Schriftsatz vom , in dem er auf die Vorschrift des § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG eingegangen ist (S. 7), nicht selbst zur Stützung seines Vortrags und seiner Rechtsauffassung auf diese Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bezug genommen; das Oberverwaltungsgericht war demnach nicht etwa gehalten, eine aus seiner Sicht unzutreffende Annahme des Klägers zu korrigieren. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen Beschluss überhaupt zur Kenntnis genommen haben sollte, konnte dies wegen des Fehlens einer fallübergreifenden Selbstbindung des Gerichts und insbesondere angesichts der weiterhin widerstreitenden Ansichten in Rechtsprechung und Schrifttum über das zutreffende Verständnis der fraglichen Norm nicht Grundlage für ein wie auch immer geartetes Vertrauen oder eine schutzwürdige Erwartungshaltung sein, was weiteren Vortrag entbehrlich hätte erscheinen lassen können.
13Im Übrigen ist auch nicht substantiiert dargetan, dass das Oberverwaltungsgericht im Verlauf der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung den nunmehr vermissten Hinweis nicht erteilt hat. Auf das Fehlen diesbezüglicher Angaben der Sitzungsniederschrift kann sich der Kläger zur Stützung seines Vortrags nicht berufen, denn ein solcher Hinweis zählt nicht zu den wesentlichen Vorgängen, die gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO in das Protokoll aufzunehmen sind und auf die sich dessen Beweiskraft gemäß § 165 ZPO bezieht (vgl. 2 B 9.12 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 61 Rn. 14). Der Beklagte trägt hingegen in seiner Beschwerdeerwiderung unter Hinweis auf die Wahrnehmungen des in der mündlichen Verhandlung anwesenden Prozessbevollmächtigten vor, dass der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung sehr wohl mitgeteilt habe, das Oberverwaltungsgericht werde von dieser Entscheidung Abstand nehmen. Hierauf ist der Kläger nicht mehr eingegangen.
14Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2016:260716B7B26.15.0
Fundstelle(n):
CAAAF-81328