Strafverfahren: Anforderungen an die Zustellung eines Strafurteils an die Staatsanwaltschaft
Gesetze: § 142 GVG, § 36 Abs 1 S 1 StPO, § 36 Abs 1 S 2 StPO, § 36 Abs 2 StPO, § 37 Abs 1 StPO, § 41 StPO, § 343 Abs 2 StPO, § 345 Abs 1 StPO
Instanzenzug: LG Verden Az: 1 Ks 103/15
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen das Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers N. . Beide Rechtsmittel sind unzulässig.
21. Die Revisionsführer haben gegen das am in ihrer Anwesenheit verkündete Urteil am 21. bzw. "Rechtsmittel" eingelegt. Der Nebenklägervertreterin wurde das Urteil aufgrund einer entsprechenden Anordnung des Vorsitzenden am zugestellt. Bei der Staatsanwaltschaft erfolgte eine Zustellung am ; das Urteil selbst weist einen von der Ersten Staatsanwältin unterschriebenen Vermerk "Zugestellt StA Verden am " auf. Die Revisionsbegründungen sind am Montag, dem (Staatsanwaltschaft), bzw. am (Nebenkläger) beim Landgericht eingegangen. Wiedereinsetzungsanträge wurden nicht gestellt.
32. Beide Rechtsmittel sind – wie vom Generalbundesanwalts in den Antragsschriften vom dargelegt – unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet wurden.
4a) Dies ist – nach den oben mitgeteilten Daten – hinsichtlich des Rechtsmittels des Nebenklägers N. offensichtlich.
5b) Aber auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist verspätet begründet.
6aa) Zustellungen an die Staatsanwaltschaft bedürfen – wie jede Zustellung – einer Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO). Sie werden von der Geschäftsstelle veranlasst (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) und – sofern kein Fall von § 36 Abs. 2 StPO vorliegt – entweder nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung oder nach § 41 StPO bewirkt.
7bb) Hiervon ausgehend wurde die Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO am ordnungsgemäß bewirkt.
8(1.) Der Vorsitzende der Strafkammer hat die Urteilszustellung vor deren Durchführung angeordnet (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO).
9Dies und einen entsprechenden Zustellungswillen des Vorsitzenden belegt dessen Zustellungsanordnung (Bd. V Bl. 50 d.A.: "Urschriftlich mit Akten ... der Staatsanwaltschaft Verden gem. § 41 StPO ..."). Dass diese Anordnung – unabhängig von der Richtigkeit des dort angegebenen Datums () – vor deren Durchführung erfolgte, ergibt sich aus dem angebrachten Ausführungsvermerk vom – dem Tag der Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls – sowie der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom (Bd. VI Bl. 15 d.A.) und wird zudem belegt durch die in derselben Verfügung angeordneten, am 18. und erfolgten Zustellungen an die Nebenklägervertreter.
10(2.) Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft wurde am bewirkt (Bd. V Bl. 207 R d.A.; Vermerke der Ersten Staatsanwältin vom , Bd. VI Bl. 6 d.A., und vom , Bd. VI Bl. 20 d.A.).
11(a) Den Anforderungen an eine Zustellung gemäß § 41 StPO ist bereits dadurch genügt, dass die Staatsanwaltschaft aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 StPO bezweckt (, BGHSt 58, 243, 252; vgl. auch LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 41 Rn. 1).
12(b) Dies steht aufgrund der – oben mitgeteilten – Zustellungsanordnung des Vorsitzenden außer Frage. Dabei ergaben sich berechtigte Zweifel der Staatsanwaltschaft daran, dass an sie eine Zustellung nach § 41 StPO bewirkt wird, auch nicht daraus, dass der Vorsitzende am eine (weitere) Verfügung zur Zustellung der Akten an die Staatsanwaltschaft "gem. § 347 StPO" traf (Bd. V Bl. 207 R d.A.). Denn die aus den Akten zu ersehende Verfahrenslage war eindeutig. Diese enthielten nicht nur obige, auf die Zustellung des Urteils gerichtete Anordnung des Vorsitzenden sowie das Urteil, gegen das sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft richtete. Vielmehr war für die Staatsanwaltschaft auch ohne weiteres ersichtlich, dass die Übersendung "gem. § 347 StPO" infolge des Fehlens nicht nur ihrer Revisionsanträge und -begründung, sondern auch der der Nebenkläger, auf einem Irrtum des Vorsitzenden beruhen musste, und sie auch nicht nur der Erledigung der von der Staatsanwaltschaft am erbetenen Rücksendung von Beiakten diente (Bd. V Bl. 207 und 219 d.A.; zur entsprechenden Verfügung des Vorsitzenden: Bd. V Bl. 219 R d.A.)
13(c) Nicht anders als bei einem Eingang bei Gericht (vgl. hierzu etwa , NStZ-RR 2012, 118 mwN) kommt es auch bei einer Zustellung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO allein auf den Eingang bei der Behörde, nicht aber auf den bei der zuständigen Abteilung oder gar dem das Verfahren bearbeitenden Staatsanwalt an.
14Dabei bedarf keiner Entscheidung, wann und wie bei einer anderen Zustellungsart (nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung) die Anforderungen an eine wirksame Urteilszustellung erfüllt werden (vgl. etwa zur Zustellung gegen Empfangsbekenntnis: OLG Frankfurt/M., Beschluss vom – 3 Ws 152-153/96, NStZ-RR 1996, 234; LG Marburg NStZ-RR 2014, 112; ferner , NStE Nr. 3 zu § 41 StPO). Denn schon der Wortlaut von § 41 StPO ("Zustellungen an die Staatsanwaltschaft ...") belegt, dass maßgeblich für eine solche Zustellung der Eingang bei der Behörde ist. Auch hat dort die "Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft" den Tag des Urteilseingangs zu bescheinigen (Nr. 159 Satz 1 RiStBV), nicht aber die Geschäftsstelle des zuständigen Dezernats oder gar der das Verfahren bearbeitende Staatsanwalt. Denn die "Staatsanwaltschaft" im Sinne des § 41 StPO ist nicht die Person, die das Amt der Staatsanwaltschaft ausübt (vgl. § 142 GVG), sondern die Behörde, die auch die Beschwerdeführerin (§ 343 Abs. 2 StPO) ist (ebenso bereits RG, Beschluss vom – 3 D 596/38, RGSt 72, 317; ferner: OLG Braunschweig, Beschluss vom – Ws 14/88, NStZ 1988, 514; , NStE Nr. 2 zu § 41 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 41 Rn. 3; LR/Graalmann-Scheerer aaO § 41 Rn. 2; MüKoStPO/Valerius StPO § 41 Rn. 4; KK-StPO/Maul StPO § 41 Rn. 5; BeckOK StPO/Larcher StPO § 41 Rn. 4).
153. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. , NStZ-RR 2008, 146 mwN, ferner Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 473 Rn. 11 a.E.).
Sost-Scheible Cierniak Mutzbauer
Bender Paul
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:060716B4STR253.16.0
Fundstelle(n):
MAAAF-79564