Sozialhilfe - Altenhilfe - Abmilderung altersbedingter Schwierigkeiten - Übernahme der Kosten für den Besuch von Verwandten sowie kulturellen Veranstaltungen
Leitsatz
Der Anspruch auf Altenhilfe nach dem SGB XII setzt auch ohne ausdrücklichen Gesetzesbefehl individualisierte altersbedingte Schwierigkeiten voraus.
Gesetze: § 71 Abs 1 S 1 SGB 12, § 71 Abs 1 S 2 SGB 12, § 71 Abs 2 Nr 5 SGB 12, § 71 Abs 2 Nr 6 SGB 12, § 41 Abs 2 SGB 12, § 9 Abs 1 SGB 12, § 17 Abs 2 SGB 12
Instanzenzug: SG Wiesbaden Az: S 14 SO 77/08 Urteilvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 9 SO 52/10 Urteil
Tatbestand
1Im Streit sind monatliche Leistungen der Altenhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ab dem .
2Der am geborene, schwerbehinderte Kläger (Grad der Behinderung von 80, Merkzeichen B), der mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt lebt, bezog von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Er beantragte im August 2007 zusätzlich Altenhilfe in einer "(vorläufig) dem Amt in der Höhe überlassenen Summe" für monatlich eine Fahrt zum Besuch des Elterngrabes und (auf dem Weg von dort) zum Besuch seiner Nichte (rund 570 km) sowie für eine Fahrt zum Besuch seines Bruders (rund 460 km), ferner für den regelmäßigen Besuch kultureller Veranstaltungen; die Kosten bezifferte er auf monatlich rund 200 Euro. Den Antrag lehnte die Beklagte ab und führte zur Begründung ua aus, § 71 Abs 2 Nr 6 SGB XII beschreibe einen Bedarf, der es alten Menschen ermögliche, die Verbindung zu nahe stehenden Personen aufrechtzuerhalten, um einer Vereinsamung, Benachteiligung und Isolation vorzubeugen. Dies sei beim Kläger, der in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Ehefrau lebe, nicht zu befürchten (Bescheid vom ). Auf den Widerspruch hin sicherte sie die Übernahme der Kosten für zwei bis drei Besuchsfahrten jährlich zur Nichte zu (Bescheid vom ); der Widerspruch im Übrigen blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom ).
3Die Klage, zuletzt gerichtet auf die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von weitergehenden Beihilfen für regelmäßige Fahrten zum Bruder und zur Grabstelle der Eltern und für den regelmäßigen Besuch öffentlicher Veranstaltungen, hilfeweise auf Neubescheidung dieser Anträge, blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts <SG> Wiesbaden vom ; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts <LSG> vom ). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne der sog "Verpflichtungsbescheidungsklage" zulässig, weil § 71 Abs 1 SGB XII der Beklagten zwar kein Entschließungsermessen zubillige, die Auswahl der Leistung aber in ihrem (intendierten) Ermessen stehe. Die vom Kläger begehrten Leistungen fielen aber schon nicht unter den Tatbestand der Altenhilfe; denn bei den Leistungen der Altenhilfe müsse es sich tatbestandlich um solche Leistungen handeln, die nicht von den sonstigen Leistungsnormen des SGB XII erfasst würden. Insbesondere dürfe keine Umgehung der im Sinne eines soziokulturellen Existenzminimums begrenzten Leistungen für den Lebensunterhalt erfolgen. Bei den Besuchsfahrten handele es sich aber nicht um einen Bedarf, der ausschließlich bei alten Menschen anfalle; auch Leistungen zum Besuch kultureller Veranstaltungen seien bereits im Regelsatz enthalten.
4Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 71 SGB XII. Dessen Wendung "außer den Leistungen nach den übrigen Bestimmungen dieses Buches" sei so aufzufassen, dass Altenhilfe parallel, jedenfalls aber ergänzend zu sonstigen Hilfen nach dem SGB XII erbracht werden könne. Es sei sinnwidrig, die Altenhilfe um die Befriedigung von Bedürfnissen reduzieren zu wollen, die bei jüngeren Menschen ebenfalls bestünden; denn alle Bedürfnisse des § 71 Abs 2 SGB XII hätten auch junge Menschen.
6Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
7Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
Gründe
8Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Im Ergebnis zu Recht hat das LSG einen weiter gehenden Anspruch des Klägers auf Altenhilfe abgelehnt.
9Gegenstand des Verfahrens sind der Bescheid der Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG), vor dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 SGB XII iVm § 8 Abs 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum SGB XII <HAG/SGB XII> vom - GVBl I 488), sowie (gemäß § 96 SGG) die auf der Grundlage der erteilten Zusicherung, die Kosten für die Besuche der Nichte in bestimmtem Umfang zu übernehmen (Bescheid vom ), ergangenen Folgebescheide, mit denen in unregelmäßigen Abständen hierfür Leistungen bewilligt worden sind. Mit diesen Bescheiden hat es die Beklagte (gleichzeitig) abgelehnt, dem Kläger die darüber hinaus geltend gemachten monatlichen Kosten als Altenhilfe zu gewähren. Da ein solcher Anspruch des Klägers in der Sache ausscheidet (dazu sogleich), waren genauere Feststellungen zu den Folgebescheiden entbehrlich.
10Die Klage ist entgegen der Auffassung des LSG als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, § 56 SGG), gerichtet auf Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG), zulässig. Der Kläger hat bereits im Verwaltungsverfahren wie auch im anschließenden Klageverfahren konkrete Bedarfe der Altenhilfe - nämlich Fahrkosten für zwei monatliche Fahrten (insgesamt monatlich rund 1030 km) und Veranstaltungsbesuche - bezeichnet und die aus seiner Sicht dadurch entstehenden (und in der Zeit ab Antragstellung tatsächlich entstandenen) Kosten mit rund 200 Euro beziffert. Er macht dabei geltend, dass auf die monatlichen Leistungen für diese Bedarfe ein Rechtsanspruch aus § 71 SGB XII bestehe und hinsichtlich des Grundes die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Lediglich bei der Bestimmung der Leistungshöhe, die aber nicht schon Gegenstand seiner Klage ist, geht er von einem Ermessen der Beklagten aus. Der ausdrücklich (als Verpflichtungsbescheidungsantrag) gestellte Hilfsantrag für den Fall, dass - entgegen seiner Auffassung - auch die Gewährung von Leistungen für die genannten Bedarfe dem Grunde nach im Ermessen der Behörde steht, ist dabei von seinem Begehren ohnehin mitumfasst.
11Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der geltend gemachten Fahrkosten und der Kosten für den Besuch von Veranstaltungen als (monatliche) Leistungen der Altenhilfe - andere Anspruchsgrundlagen scheiden aus - besteht gegen die Beklagte als sachlich und örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe am Ort des tatsächlichen Aufenthalts des Klägers (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 Satz 1 iVm § 3 Abs 2 SGB XII, § 1 Abs 1 HAG/SGB XII) nicht. Nach § 71 Abs 1 Satz 1 SGB XII soll alten Menschen außer den Leistungen nach den übrigen Bestimmungen dieses Buchs Altenhilfe gewährt werden. Die Altenhilfe als "Hilfe in anderen Lebenslagen" nach dem 5. Kapitel des SGB XII soll dabei dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen (§ 71 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Als Leistungen kommen - was der Kläger ua geltend macht - insbesondere Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch den Besuch von Veranstaltungen (§ 71 Abs 2 Nr 5 SGB XII) und Leistungen, die alten Menschen die Verbindung zu nahe stehenden Personen ermöglichen (§ 71 Abs 2 Nr 6 SGB XII), in Betracht; der Katalog des § 71 Abs 2 SGB XII ist jedoch ausdrücklich nicht abschließend formuliert.
12Der Kläger ist zwar ein "alter Mensch" im Sinne dieser Vorschrift; denn er hat die Altersgrenze zum Bezug einer Regelaltersrente, die mit der in § 41 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB XII genannten Grenze für den Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter identisch ist, überschritten. Wann ein Mensch als "alt" anzusehen ist, wird in § 71 SGB XII nicht im Sinne einer ausdrücklichen Altersgrenze geregelt; als abschließende Tatbestandsvoraussetzung widerspräche dies ohnehin dem gesetzgeberischen Ziel der Regelungen (dazu sogleich). Jedenfalls bei Erreichen der Altersgrenze für eine Regelaltersrente ist dieses Tatbestandsmerkmal jedoch erfüllt, weil der Gesetzgeber an das (regelmäßige) altersbedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben den Eintritt in die vorgesehenen Alterssicherungssysteme knüpft und ab diesem Zeitpunkt von einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit unter dem Gesichtspunkt des Alters ausgeht. Es kann dahinstehen, ob Altenhilfe für Bedarfe im "Alter" schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Betracht kommt und ob insoweit eine feste (und ggf welche) Untergrenze an Lebensjahren zu ziehen ist (vgl dazu: Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 71 RdNr 5, Stand Januar 2014; Strnischa in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 71 SGB XII RdNr 6, Stand März 2014; Sehmsdorf in Coseriu/Eicher, jurisPraxisKommentar SGB XII, 2. Aufl 2014, § 71 SGB XII RdNr 8; Baur in Mergler/Zink, SGB II/SGB XII, § 71 SGB XII RdNr 5, Stand Januar 2006; Kaiser in Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 71 SGB XII RdNr 2, Stand Dezember 2015; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 71 SGB XII RdNr 6).
13Der Tatbestand der Altenhilfe setzt aber daneben das Bestehen von Bedarfen wegen "altersbedingter Schwierigkeiten" voraus. Anders als der Kläger meint, löst danach nicht allein das Alter eines Menschen Ansprüche auf Altenhilfe im Sinne eines "Bedarfs in anderen Lebenslagen" aus, ohne dass bereits auf der Tatbestandsseite die mit dem individuell unterschiedlich verlaufenden Lebensprozess "Alter" verbundenen Bedarfe zu prüfen wären. Dies ergibt sich aus der Systematik des gesamten SGB XII: Der Anspruch auf Leistungen zur Existenzsicherung im Sozialhilferecht, die in den 3. bis 9. Kapiteln geregelt sind, ist stets bedarfsbezogen (vgl § 9 Abs 1 SGB XII). Eine Leistung an einen Einzelnen, die unabhängig von einem individuellen Bedarf gewährt würde, ist dem Gesetz dabei fremd. Ein bestimmtes Lebensalter löst unabhängig von den sonstigen Lebensumständen, die nicht bereits bei der Bemessung der Regelbedarfe unterstellt werden, deshalb keine besonderen Bedarfe aus.
14Die Regelung des § 71 SGB XII entspricht diesem Konzept. § 71 SGB XII beschreibt in Abs 1 zwar nicht ausdrücklich anspruchsbegründende Bedarfe, sondern nennt in Abs 2 lediglich Leistungen, die in Betracht kommen. Die Gesetzeshistorie sowie Sinn und Zweck der Vorschrift lassen erkennen, dass Ziel der Altenhilfe, die als eine eigenständige Leistung des Sozialhilferechts mit der Schaffung des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - (vom - BGBl I 815) zum eingeführt worden (vgl § 75 BSHG) und seither in ihren wesentlichen Zügen unverändert geblieben ist, die Deckung von zusätzlichen, aus den körperlichen, seelischen oder geistigen Alterserschwernissen herrührenden Bedarfslagen ist.
15Dies macht die Formulierung in Abs 1 Satz 1 deutlich, wonach Altenhilfe "außer den Leistungen nach den übrigen Bestimmungen dieses Buches" zu leisten ist: Mit dieser Voraussetzung soll klargestellt werden, dass die Altenhilfe nicht eine Zusammenfassung aller denkbaren Hilfen für Menschen bei Überschreiten einer bestimmten Altersgrenze ist, sondern sich eine spezifische Bedarfslage aus altersbedingten Schwierigkeiten ergeben muss, und also der Bedarf sich als solcher von den übrigen, insbesondere den im 3. und 4. Kapitel genannten, Bedarfen abhebt; die allgemein bestehenden Bedarfslagen werden auch bei alten Menschen mit den Leistungen nach den übrigen Kapiteln gedeckt (vgl BT-Drucks 3/1799, S 51; zur Diskussion im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auch Weller, Blätter der Wohlfahrtspflege 1961, 264 ff). Auch die in § 71 Abs 1 Satz 2 SGB XII genannten Zwecke der Altenhilfe ("Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen") lassen erkennen, dass die Norm den gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff der "altersbedingten Schwierigkeiten" in Bezug nimmt und es (allein) um die Deckung von Bedarfslagen geht, die für "alte Menschen" durch den im Einzelfall unterschiedlich verlaufenden Alterungsprozess entstehen.
16Aus § 71 Abs 1 Satz 1 SGB XII ist dabei aber - anders als es das LSG meint - nicht einschränkend abstrakt-generell der Schluss zu ziehen, dass Leistungen der Altenhilfe für solche Bedarfslagen ausscheiden, die dem Grunde nach schon von den übrigen Leistungen des SGB XII - insbesondere von den Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt nach dem 3. und 4. Kapitel - erfasst werden. Die Altenhilfe ist zwar eine Hilfe, die nur eingreift, soweit nicht der Tatbestand für eine andere Hilfe erfüllt ist. Liegt also eine "altersbedingte Schwierigkeit" vor, der sowohl durch Einsatz einer anderen Hilfe als auch durch Altenhilfe begegnet werden könnte (im Alter aufgrund körperlicher Schwäche etwa die Pflegebedürftigkeit), ist die Altenhilfe subsidiär. Es kann sich aber bei anspruchsbegründenden "altersspezifischen Schwierigkeiten" durchaus um Bedarfslagen handeln, die auch in jüngerem Alter bereits bestehen, die aber erst unter dem Gesichtspunkt der altersbedingten Auswirkungen - insbesondere also der drohenden Vereinsamung und Isolation aus altersbedingten Gründen (etwa nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben oder nach dem Verlust des Partners) oder der zunehmenden körperlichen oder geistigen Schwäche und der daraus resultierenden eingeschränkten Selbsthilfemöglichkeiten (etwa der nur noch eingeschränkten Möglichkeit, Einkäufe selbst zu erledigen) - ergänzend oder auch in besonderem Maße zu decken sind. Diese Auslegung wird durch die ausdrücklich genannten Beispiele für Leistungen in § 71 Abs 2 Nr 5 SGB XII (Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch den Besuch von Veranstaltungen) und § 71 Abs 2 Nr 6 SGB XII (Aufrechterhalten der Verbindung zu nahe stehenden Personen) unterstützt; denn die damit angesprochenen Bedürfnisse bestehen auch bei jüngeren Menschen - und die Kosten hierfür fließen in die Bemessung der Regelbedarfe ein -, ohne dass sie deshalb als Leistungen der Altenhilfe ausgeschlossen wären.
17Inwieweit § 71 SGB XII daneben Grundlage für eine umfassende (von der Lebenslage des einzelnen älteren Bewohners unabhängige) kommunale Altenpolitik ist, kann offen bleiben (iS einer solchen "doppelten" Zielsetzung etwa BT-Drucks 7/308, S 17, wonach sich die Altenhilfe "sowohl als unmittelbar anzuwendende Vorschrift bewährt wie auch als Initialzündung für besondere Maßnahmen zugunsten alter Menschen in den Ländern ausgewirkt" hat; vgl auch Bieritz-Harder in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 10. Aufl 2015, § 71 SGB XII RdNr 8). Ausschließlicher Gesetzeszweck ist dies jedenfalls nicht; ein individueller Anspruch würde hieraus auch nicht resultieren.
18Ob Bedarfe iS des § 71 SGB XII "altersbedingt" entstehen, hängt von einer Betrachtung der Lebensumstände im Einzelfall ab. Dabei ist der unbestimmte Rechtsbegriff der "altersbedingten Schwierigkeiten" einerseits Anspruchsvoraussetzung; die Entscheidung der Verwaltung ist insoweit gebunden, als bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen (Alter und Bedarfslagen aufgrund altersbedingter Schwierigkeiten) die Rechtsfolge der Gewährung von Leistungen regelmäßig ("soll") vorgezeichnet ist. Die Frage nach Art und Umfang der "altersbedingten Schwierigkeiten" leitet aber auch das der Verwaltung eingeräumte Ermessen bei der Entscheidung, welche (geeigneten und ausreichenden) Leistungen in diesem Fall zur Deckung der Bedarfslage erbracht werden (§ 17 Abs 2 SGB XII).
19Bezogen auf die so verstandenen Tatbestandsvoraussetzungen der Altenhilfe kann dahinstehen, ob und in welchen Fällen der Wunsch nach dem Besuch von Grabstätten naher Angehöriger oder Freunde altersspezifische Bedarfslagen beeinflussen kann. Unter eine der in § 71 Abs 2 SGB XII beispielhaft genannten Leistungen lassen sich Kosten für solche Besuche nicht fassen, wovon auch der Kläger ausgeht. Ob mit Grabbesuchen die in § 71 Abs 1 Satz 2 SGB XII genannten Zwecke andererseits überhaupt erfüllt werden können, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls fehlt es beim Kläger an der erforderlichen Altersspezifik. Seine Entscheidung, sich - ggf anders als in jüngeren Jahren - vermehrt um die Grabstelle seiner Eltern zu kümmern, weist für sich genommen keine Bezüge zu "altersbedingten Schwierigkeiten" auf, selbst wenn es sich - wie er ausführt - um einen alterstypischen Wunsch handeln mag und deshalb altersbedingt andere Prioritäten in der Lebensgestaltung bestehen. Der Kläger hat indes nichts vorgetragen und es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die die Realisierung dieses Wunsches altersbedingt erschwert erscheinen ließen. Weder seine Bedürftigkeit noch seine übrigen Lebensumstände lassen insoweit altersspezifische Schwierigkeiten erkennbar werden. Insbesondere aus der Entfernung der Grabstätte und der daraus entstehenden Notwendigkeit von längeren Fahrten entstehen - den Vortrag des Klägers und die bekannten Lebensumstände zugrunde gelegt - keine altersspezifischen Schwierigkeiten. Liegen altersspezifische Schwierigkeiten nach den objektiven Umständen nicht vor, ist es aber Sache des Leistungsempfängers, Näheres dazu vorzutragen, was über den bloßen Wunsch auf vermehrt altersspezifische Aktivitäten hinausgeht.
20Gleiches gilt wegen der Kosten für zusätzliche Veranstaltungsbesuche. Auch insoweit setzt der Anspruch voraus, dass die Möglichkeit, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen, im Einzelfall aus altersspezifischen Gründen bereits eingeschränkt ist oder eine entsprechende Einschränkung droht. Wie bereits dargestellt, ist § 71 Abs 1 SGB XII iVm § 71 Abs 2 Nr 5 SGB XII gerade nicht das gesetzgeberische Ziel zu entnehmen, dass alte Menschen generell "besonders oft" an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, wie der Kläger meint. Im Hinblick auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hat der Kläger weder etwas vorgebracht, was vor dem Hintergrund seiner Lebensumstände einen altersspezifischen Bedarf an einem Besuch von öffentlichen Veranstaltungen (Theater, Kino oä) begründet, noch sind solche Gesichtspunkte erkennbar. Die Kosten für solche Veranstaltungen allein unter dem Aspekt der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sind aber aus dem Regelsatz aufzubringen.
21Bezüglich der vom Kläger geltend gemachten altersbedingten Schwierigkeiten bei der Kontaktpflege mit nahe stehenden Personen, aus denen eine (drohende) Vereinsamung und Isolation folgt, kann dahin stehen, ob bei ihm solche Schwierigkeiten bestehen; hiervon ist die Beklagte aber bei Erteilung der Zusicherung vom und in der Folge ausgegangen. Ihre Entscheidung, zur Deckung entsprechender Bedarfslagen (vgl § 71 Abs 2 Nr 6 SGB XII) lediglich die Kosten für zwei bis drei Besuchsfahrten jährlich zur Nichte zu übernehmen, nicht dagegen die Kosten für regelmäßige Fahrten auch zum Bruder, ist jedenfalls ermessensfehlerfrei. In ihre Entscheidung hat sie die gesamten bekannten Lebensumstände des Klägers, der mit seiner Ehefrau in einem Haushalt lebt, einbezogen. Der aus diesen Umständen gezogene Schluss, eine weitergehende Isolation und soziale Vereinsamung sei wegen der Verhältnisse am Wohnort nicht zu befürchten, ist nicht zu beanstanden. Auch insoweit hat der Kläger keine Besonderheiten (etwa tiefgreifende Konflikte mit seiner Partnerin oder sonst am Wohnort) vorgetragen, die einen weitergehenden Bedarf nachvollziehbar machen würden. Die weitere Entscheidung, dass damit gelegentliche Fahrten zur Nichte (die krankheitsbedingt nicht telefonieren und auch keine Reisen unternehmen kann) ausreichend zur Deckung der Bedarfslage sind und sich die Kontaktpflege zum ebenfalls entfernt lebenden Bruder auf nur gelegentliche gegenseitige Besuche (wie sie in jedem Lebensalter üblich sind) und im Übrigen auf telefonischen oder brieflichen Kontakt beschränken kann, ist bei dem festgestellten Umfang der "altersbedingten Schwierigkeiten" ermessensfehlerfrei.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:240216UB8SO1114R0
Fundstelle(n):
QAAAF-78611