Instanzenzug: S 2 R 301/11
Gründe:
1Mit Beschluss vom hat es das Hessische LSG abgelehnt, den Bescheid vom und den Widerspruchsbescheid vom aufzuheben, mit denen die Beklagte den Witwerrentenbescheid des Klägers vom "hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem " aufgehoben, eine Überzahlung iHv 6725,41 Euro für die Zeit vom bis festgestellt und ihm ein entsprechendes Zahlungsgebot erteilt hat.
2Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung macht er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
4Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
6Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
7Der Kläger hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
1. "Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, um einen sogenannten atypischen Fall des § 48 SGB X anzunehmen?"
2. "Ist insbesondere anzunehmen, dass nur das Verhalten und mitwirkende Fehlverhalten der aufhebenden Behörde berücksichtigt werden kann?"
3. "Ist im Falle der sog. Kenntnisnahmefrist nach § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB X maßgeblich die Kenntnis der Dienststelle, die die Rücknahme des Verwaltungsakts vorzubereiten und über sie zu entscheiden hat?"
8Damit ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Die erste Frage lässt sich schon nicht mit einem einfachen "Ja" oder "Nein" beantworten, wie dies grundsätzlich erforderlich wäre (vgl Senatsbeschlüsse vom - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10 und vom - B 5 R 154/10 B - BeckRS 2010, 72088 RdNr 10; - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7 sowie BAGE 121, 52 RdNr 5 f). Mit derart offenen bzw öffnenden (Ergänzungs-)Fragen, die typischerweise mit einem Fragewort (hier: "welche") beginnen und darauf abzielen, das Wissen des Fragestellers in bestimmten (Teil-)Aspekten zu erweitern, soll der Befragte bewusst animiert werden, möglichst umfassend, ausführlich und detailliert (hier zB in Form einer Normkommentierung oder eines Rechtsgutachtens) zu antworten. Das BSG ist jedoch als Rechtsprechungsorgan nicht dazu berufen, abstrakte juristische Fragen rechtsgutachterlich zu klären und losgelöst von der konkreten "Rechtssache" wie auch immer geartete "Voraussetzungen" aufzustellen.
9Darüber hinaus legt die Beschwerdebegründung selbst dar, dass "für das Vorliegen eines atypischen Falles ... nach dem Bundessozialgericht alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden können, die vom Regelfall signifikant abweichen. Die wirtschaftliche Belastung und Bedrängnis der aus der Aufhebung folgenden Rückzahlungsverpflichtung, das Verhalten des Leistungsträgers und sein mitwirkendes Fehlverhalten können danach für die Atypik eines Sachverhaltes sprechen". Berücksichtigt man diese Kriterien, so liegt es auf der Hand, dass die zweite Frage verneint werden müsste, weil eben "alle" Einzelfallumstände und nicht "nur" das (Fehl-)Verhalten der Behörde für die Beurteilung eines atypischen Falles maßgebend sind. Überdies geht der Kläger mit keinem Wort auf die äußerst umfangreiche Rechtsprechung des BSG zur Sollvorschrift des § 48 Abs 1 S 2 SGB X (zB - SozR 4-1300 § 48 Nr 18 RdNr 57 f, vom - 1 RK 45/93 - BSGE 74, 287, 294 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 S 72 sowie vom - 7 RAr 20/89 - Juris RdNr 43, jeweils mwN) und insbesondere nicht auf die Urteile vom (7 RAr 65/85 - NZA 1987, 467 = Juris RdNr 17) und vom (B 2 U 35/97 R - Juris RdNr 26) ein, wonach sich keine allgemeinen Regeln aufstellen lassen, wann ein atypischer Fall vorliegt (vgl dazu auch Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, März 2016, § 48 RdNr 37 mwN). Mit dieser ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung hätte sich der Kläger auseinandersetzen und aufzeigen müssen, dass sich die zweite Frage damit nicht beantworten lässt und inwiefern die bereits bestehenden Rechtsgrundsätze für die Entscheidung des Rechtsstreits erweitert, geändert oder ausgestaltet werden müssen (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2008, Kap IX RdNr 65 f). Da dies nicht geschehen ist, hat der Kläger nicht hinreichend dargetan, dass die zweite Frage (noch oder wieder) klärungsbedürftig sein könnte ( - Juris RdNr 4). Soweit er auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen - Juris) eingeht, genügt dies keinesfalls, um das "Herausbilden" einer im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG stehenden obergerichtlichen Rechtsprechung zu belegen.
10Dieselben Erwägungen gelten auch für die dritte Frage zum Beginn der "sog Kenntnisnahmefrist", wobei der Kläger hier offensichtlich nicht die Zehn-Jahres-Frist nach § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 3 S 3 bis 5 SGB X, sondern die Ein-Jahres-Frist gemäß § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 4 S 2 SGB X ansprechen möchte. Die Beschwerdebegründung geht jedoch mit keinem Wort auf die insofern einschlägige Rechtsprechung des BSG ein, die - in Anlehnung an die Entscheidung des Großen Senats des BVerwG zu § 48 Abs 4 S 1 VwVfG (vgl Beschluss vom - GrSen 1/84 ua - BVerwGE 70, 356) - nahezu einmütig annimmt, dass die Jahresfrist erst zu laufen beginnt, wenn dem innerbehördlich zuständigen Sachbearbeiter (und nicht schon seiner "Dienststelle", dafür - BSGE 74, 20 = SozR 3-1300 § 48 Nr 32; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014 § 45 RdNr 85) die für die Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt werden ( - Juris RdNr 24, vom - B 7 AL 88/99 R - SozR 3-1300 § 45 Nr 42 S 139, vom - 9 RV 14/96 - BSGE 80, 283, 286 = SozR 3-1300 § 50 Nr 19 S 58, vom - 13 RJ 35/94 - BSGE 77, 295, 298 = SozR 3-1300 § 45 Nr 27 S 92 und vom - 11a RA 2/85 - BSGE 60, 239, 241 = SozR 1300 § 45 Nr 26 S 85; Steinwedel, aaO, § 45 RdNr 30; kritisch - BSGE 63, 224 = SozR 1300 § 48 Nr 47). Der Kläger zeigt jedoch nicht schlüssig auf, dass die einjährige Kenntnisnahmefrist in seinem Fall früher - als vom LSG angenommen - begonnen hätte und vor Erlass des Aufhebungsbescheids vom abgelaufen wäre, wenn man die verschiedenen Rechtsansichten (Kenntnis der Behörde, der Dienststelle oder des zuständigen Sachbearbeiters) zugrunde legt.
11Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
12Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstelle(n):
GAAAF-77103