BAG Urteil v. - 3 AZR 6/15

Betriebliche Altersversorgung - Höhe einer vorzeitigen Firmenrente - Anrechnung von Vordienstzeiten

Gesetze: § 1 BetrAVG, § 559 ZPO

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 22 Ca 4473/13 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 6 Sa 677/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten bei der Berechnung einer vorzeitigen Firmenrente.

2Die im Mai 1961 geborene Klägerin war seit März 1992 bei der S mbH (im Folgenden S) beschäftigt. Diese wurde in der Folgezeit auf die Condor Flugdienst GmbH (im Folgenden Condor) - einem damals zum Konzern der Beklagten gehörenden Unternehmen - verschmolzen. Die Klägerin kündigte ihr Arbeitsverhältnis mit der Condor im August 2001, um zur Beklagten zu wechseln. Seit dem war die Klägerin bei der Beklagten als Flugbegleiterin tätig. In Nr. 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom ist vereinbart, dass sich die gegenseitigen Rechten und Pflichten ua. aus den „für den Bereich Kabinenbesatzungen Gemischt und Interkont. geltenden Tarifverträgen … in ihrer jeweils geltenden Fassung“ ergeben. Der Klägerin waren in Nr. 5 Satz 1 ihres Arbeitsvertrags Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt. Nr. 5 Satz 2 des Arbeitsvertrags bestimmt, dass Inhalt und Umfang der Versorgungsleistungen in einem Tarifvertrag geregelt sind, dessen jeweils geltende Bestimmungen Inhalt dieses Vertrags sind.

3Mit Schreiben vom teilte die Beklagte der Klägerin Folgendes mit:

4Der Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter der Deutschen Lufthansa Aktiengesellschaft (DLH) und der Condor Flugdienst GmbH (CFG) in der Fassung vom (im Folgenden TV-ÜV 1989) enthielt auszugsweise folgende Bestimmungen:

5Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund einer seit dem bestehenden dauernden Flugdienstuntauglichkeit der Klägerin zum . Die Klägerin bezieht seit dem eine vorzeitige Firmenrente nach dem Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter der Deutschen Lufthansa Aktiengesellschaft (DLH) in der Neufassung vom (im Folgenden TV-ÜV 2003). Dieser regelt ua.:

6Die Beklagte legte bei der Berechnung der vorzeitigen Firmenrente der Klägerin nach § 2 Abs. 3 TV-ÜV 2003 eine Beschäftigungszeit ab dem und damit von 175 Monaten zugrunde. Dementsprechend kürzte sie die vorzeitige Firmenrente der Klägerin nach Nr. 2 der Protokollnotiz zum TV-ÜV 2003 um 101/276.

7Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Klage gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung der Firmenrente müssten auch ihre Beschäftigungszeiten bei der S und der Condor ab dem berücksichtigt werden. Die Beklagte habe ihr eine Anrechnung dieser Zeiten im Schreiben vom zugesagt. Auch folge eine Anrechenbarkeit aus der - unstreitig - von der Beklagten erteilten „Bescheinigung zur Vorlage bei einem Arzt oder einer Krankenkasse“ vom , in der bestätigt worden sei, dass sie seit dem bei der Beklagten beschäftigt werde. Zudem sei ihr von der Beklagten im Jahr 2006 der Abschluss eines Senior-Teilzeitvertrags angeboten worden; Voraussetzung hierfür sei die Vollendung des 15. Dienstjahres und damit die Anerkennung der Vordienstzeiten gewesen.

8Die Klägerin hat beantragt

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

10Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

11Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte bei der Berechnung der vorzeitigen Firmenrente der Klägerin nach § 2 Abs. 3 TV-ÜV 2003 iVm. Nr. 2 der Protokollnotiz II nicht die Beschäftigungszeiten der Klägerin bei der S und der Condor ab dem berücksichtigen muss.

12I. Ein Anspruch der Klägerin auf Berücksichtigung dieser früheren Beschäftigungszeiten ergibt sich nicht aus den Bestimmungen des TV-ÜV 2003. Dies ergibt die Auslegung (zu den für die Auslegung eines Tarifvertrags geltenden Grundsätzen vgl. etwa  - Rn. 16).

131. Bereits der Wortlaut der tariflichen Regelungen zeigt, dass für die Berechnung der Firmenrente nur die in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten verbrachten Beschäftigungszeiten maßgebend sind. Nach § 2 Abs. 3 TV-ÜV 2003 iVm. Nr. 2 der Protokollnotiz hängt die Höhe der Firmenrente von der „Gesamtbeschäftigungszeit“ sowie die Anzahl der „Beschäftigungsmonate“ ab. Die Formulierung „Gesamtbeschäftigungszeit“ erfasst zwar auch die von einem wiedereingestellten Flugbegleiter in einem früheren Arbeitsverhältnis mit der Beklagten erbrachten Vordienstzeiten (vgl. zur dieser Auslegung  - Rn. 17 ff.). Hierzu gehören aber nicht Beschäftigungszeiten, die von dem Flugbegleiter in einem Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber erbracht wurden. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, der wegen fehlender anderweitiger Definition durch die Tarifparteien auch dem TV-ÜV 2003 zugrunde liegt, ist unter „Beschäftigungszeit“ nur die Zeit zu verstehen, während der ein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber bestand (vgl. auch  -). Betriebszugehörigkeitszeiten, die in einem Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber erbracht wurden, gehören dagegen nicht dazu.

142. Dieses Normverständnis wird auch durch den Vergleich mit § 17 Abs. 1 TV-ÜV 2003 gestützt. Nach dieser Bestimmung besteht eine Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss einer Flugdienstuntauglichkeitsversicherung für Flugbegleiter ab dem sechsten fliegerischen „Dienstjahr im Konzern“. Die Regelung stellt - anders als die Formulierung in § 2 Abs. 3 TV-ÜV 2003 und in der Protokollnotiz II zum TV-ÜV 2003 - gerade nicht auf die Beschäftigungszeit, sondern auf die im Konzern erbrachten Dienstjahre ab. Dies zeigt, dass die Tarifparteien des TV-ÜV 2003 bei der Berücksichtigung von Betriebszugehörigkeitszeiten der Flugbegleiter bewusst danach unterschieden haben, ob diese in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten oder auch bei anderen konzernangehörigen Unternehmen erbracht wurden.

15II. Die Klägerin kann ihr Begehren auf Anrechnung ihrer früheren Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der vorzeitigen Firmenrente nach § 2 Abs. 3 TV-ÜV 2003 iVm. Nr. 2 der Protokollnotiz II auch nicht auf das Schreiben der Beklagten vom stützen. Die Beklagte hat die Vordienstzeiten der Klägerin bei der S und der Condor ab dem nur für die Berufsuntauglichkeitsversicherung nach Teil IV TV-ÜV 2003 und nicht im Hinblick auf die Firmenrente nach Teil II TV-ÜV 2003 angerechnet. Dies ergibt die Auslegung des Schreibens.

161. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts enthält das Schreiben der Beklagten vom Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Seine Auslegung hat daher nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen zu erfolgen (vgl. etwa  - Rn. 24).

172. Bereits aus dem Wortlaut des Schreibens ergibt sich, dass die früheren Beschäftigungszeiten der Klägerin bei der S und Condor nicht für die Firmenrente anerkannt wurden. Die Beklagte hat in dem Schreiben vom die Vordienstzeiten der Klägerin nicht generell, sondern lediglich für bestimmte Regelungsbereiche des Arbeitsverhältnisses und in unterschiedlichem zeitlichen Umfang angerechnet. Die Anrechnung der Beschäftigungszeiten der Klägerin bei der S und Condor ab dem bezieht sich dabei ausdrücklich nur auf die Berufsuntauglichkeitsversicherung. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Formulierung ist es unerheblich, dass die im Schreiben der Beklagten in Bezug genommene Protokollnotiz IV zum TV-ÜV 1989 nicht nur Regelungen über die Höhe der Versicherungssumme bei der Berufsuntauglichkeitsversicherung (Abs. 2 der Protokollnotiz IV zum TV-ÜV 1989), sondern auch zur Berechnung der Firmenrente (Abs. 1 der Protokollnotiz IV zum TV-ÜV 1989) enthält.

183. Entgegen der Ansicht der Revision durfte ein verständiger Erklärungsempfänger die im Schreiben vom erfolgte Zusage zur Anrechnung der Vordienstzeiten auf die Berufsuntauglichkeitsversicherung auch nicht über ihren Wortlaut hinaus dahin verstehen, dass sie sich auch auf die Firmenrente nach dem TV-ÜV in der jeweils geltenden Fassung beziehen sollte.

19Nach den tariflichen Vorgaben unterscheiden sich die den Flugbegleitern zugesagte Firmenrente und die Berufs- bzw. Flugdienstuntauglichkeitsversicherung sowohl in ihrer Zielsetzung als auch in ihren konkreten Voraussetzungen erkennbar voneinander. Die Berufs- bzw. Flugdienstuntauglichkeitsversicherung deckt ausschließlich das Risiko einer vor Vollendung des 45. Lebensjahres eintretenden dauernden Flugdienstuntauglichkeit der Flugbegleiter ab (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 TV-ÜV 1989, § 17 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 TV-ÜV 2003). Dagegen gewährleistet die Firmenrente zum einen die Übergangsversorgung der Flugbegleiter zwischen der Vollendung ihres 55. Lebensjahrs und dem Bezug einer gesetzlichen Rente (vgl. § 2 Abs. 1 TV-ÜV 1989, § 2 Abs. 1 TV-ÜV 2003); zum anderen sichert sie das Risiko einer nach Vollendung des 45. Lebensjahrs eintretenden Flugdienstuntauglichkeit ab (§ 2 Abs. 5 TV-ÜV 1989, § 2 Abs. 4 TV-ÜV 2003). Auch die den Mitarbeitern gewährten Leistungen sind unterschiedlich: Während die Versorgungsempfänger beim Bezug einer Firmenrente monatliche Zahlungen von der Beklagten erhalten, haben sie bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Berufs- bzw. Flugdienstuntauglichkeitsversicherung lediglich Anspruch auf Zahlung einer einmaligen Versicherungssumme. Angesichts dieser Unterschiede konnte ein verständiger Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass sich die Anerkennung von Vordienstzeiten für die Berufs- bzw. Flugdienstuntauglichkeitsversicherung auch auf die Firmenrente beziehen würde.

20Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang erstmals in der Revision auf ein Schreiben des Versicherers beruft, wonach den Arbeitnehmern mitgeteilt worden sei, dass die Einmalzahlung in eine Rente „umgerechnet“ werde, handelt es sich um vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellten neuen Sachvortrag in der Revisionsinstanz, der nach § 559 ZPO nicht berücksichtigt werden kann.

214. Die Klägerin kann sich auch nicht erfolgreich auf die Unklarheitenregelung in § 305c Abs. 2 BGB berufen. Das Schreiben der Beklagten vom enthält angesichts seines unmissverständlichen Inhalts keine Unklarheit.

22III. Das Schreiben der Beklagten vom führt zu keinem anderen Ergebnis. In dem „zur Vorlage bei einem Arzt oder einer Krankenkasse“ gefertigten Schreiben hat die Beklagte der Klägerin lediglich bescheinigt, dass sie wegen dauerhafter Flugdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig ist. Ein Wille der Beklagten, Vordienstzeiten der Klägerin uneingeschränkt auch für die Berechnung der Firmenrente anzuerkennen, lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen. Entgegen der Ansicht der Revision hat die Beklagte vor dem Hintergrund ihres unmissverständlichen Schreibens vom damit auch keinen anderweitigen Anschein gesetzt, den sie sich nunmehr entgegenhalten lassen müsste.

23Der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin im Jahr 2006 einen Senior-Teilzeitvertrag angeboten hat, führt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung. Die Klägerin konnte einem solchen Angebot der Beklagten nicht entnehmen, dass die Beklagte damit ihre früheren Beschäftigungszeiten auch im Hinblick auf die Firmenrente anerkennen wollte.

24IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:190516.U.3AZR6.15.0

Fundstelle(n):
HAAAF-76469