Tarifkundenvertrag im Rahmen der Grundversorgung: Wirksamkeit einer über die Bezugskostensteigerung hinausgehende Preisbestimmung des Energieversorgers
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 315 BGB, § 4 Abs 1 AVBGasV, § 4 Abs 2 AVBGasV
Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 9 S 574/06vorgehend AG Delmenhorst Az: 4A C 4063/06 (IV)nachgehend Az: VIII ZR 76/13 Revision zurückgewiesen
Gründe
I.
1Die Kläger beziehen von der Beklagten, einem regionalen Energieversorgungsunternehmen, als Tarifkunden im Rahmen der Grundversorgung leitungsgebunden Erdgas. Die Beklagte erhöhte den Arbeitspreis für den Gasbezug einseitig zum (von 3,18 Cent/kWh auf 3,58 Cent/kWh), zum (von 3,58 Cent/kWh auf 4,16 Cent/kWh) und zum (von 4,16 Cent/kWh auf 4,52 Cent/kWh). Die Kläger widersprachen den Preiserhöhungen. Mit der Klage nehmen sie die Beklagte auf Feststellung in Anspruch, dass die genannten Preiserhöhungen unbillig und unwirksam sind. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
2Der Senat hat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom gemäß § 148 ZPO analog im Hinblick auf das beim Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) damals aufgrund des Vorlagebeschlusses des Senats gemäß Art. 267 AEUV im Verfahren VIII ZR 71/10 anhängige Verfahren C-359/11 ausgesetzt. In diesem Verfahren ist am die Entscheidung des Gerichtshofs ergangen (C-359/11 und C-400/11, NJW 2015, 849 - Schulz und Egbringhoff).
II.
3Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht (mehr) vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
41. Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil es Zweifel hat, ob § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV mangels Transparenz als Rechtsgrundlage für Preiserhöhungen gegenüber Tarifkunden weiterhin herangezogen werden kann. Diese Zweifel sind indes durch die grundlegenden, nach Erlass des Berufungsurteils verkündeten Entscheidungen des Senats vom (VIII ZR 158/11, ZIP 2015, 2226, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, und VIII ZR 13/12, juris) beseitigt, so dass ein Klärungsbedarf nicht mehr besteht.
5Der Senat hat in seiner früheren ständigen Rechtsprechung aus § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV beziehungsweise aus § 5 Abs. 2 GasGVV (in der bis zum geltenden Fassung vom [BGBl. I S. 2391]; im Folgenden GasGVV aF) ein nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) bestehendes Preisänderungsrecht des Gasgrundversorgers entnommen (vgl. nur , BGHZ 172, 315 Rn. 14 ff.; vom - VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 26; ebenso , BGHZ 176, 244 Rn. 26, 29). Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - im Anschluss an das vorgenannte Urteil des Gerichtshofs vom entschieden hat, kann aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV beziehungsweise aus § 5 Abs. 2 GasGVV aF für die Zeit ab - dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gasrichtlinie 2003/55/EG - ein einseitiges Preisänderungsrecht des Versorgers nicht entnommen werden, weil eine solche Annahme nicht mit den Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A der vorgenannten Gas-Richtlinie (aufgehoben zum durch Art. 53 der Gas-Richtlinie 2009/73/EG) zu vereinbaren ist (, aaO Rn. 33 ff.; und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 35 ff.).
6Wie der Senat in den Urteilen vom (VIII ZR 158/11, aaO Rn. 66 ff. und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 68 ff.) weiter entschieden hat, ergibt sich jedoch aus der gebotenen und an dem objektiv zu ermittelnden hypothetischen Willen der Vertragsparteien auszurichtenden ergänzenden Auslegung (§§ 157, 133 BGB) eines - wie hier - auf unbestimmte Dauer angelegten Gaslieferungsvertrags, dass der Grundversorger berechtigt ist, Steigerungen seiner (Bezugs-)Kosten, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, während der Vertragslaufzeit an seine Kunden weiterzugeben, und er verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Die Beurteilung der Wirksamkeit einer einseitigen Preisbestimmung des Grundversorgers während der Vertragslaufzeit konzentriert sich mithin auf die tatsächliche Frage, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind.
72. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat das Berufungsgericht im Ergebnis richtig entschieden, so dass die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat.
8a) Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung, die Preisbemessung der Beklagten sei wirksam, maßgeblich darauf abgestellt, dass die Beklagte in dem durch die Feststellungsklage zur Überprüfung gestellten Zeitraum 2004 bis 2006 Bezugskostensteigerungen in Höhe von insgesamt 1,3256 Cent/kWh zu verzeichnen hatte, wovon sie jedoch nur 1,2400 Cent/kWh an die Kläger weiterberechnet hat. Dies sei nicht als unbillig anzusehen.
9b) Diese Entscheidung ist - auch wenn sie unter dem im Rahmen der vorgenannten ergänzenden Vertragsauslegung nicht maßgeblichen Blickwinkel der Billigkeit nach § 315 BGB (vgl. , aaO Rn. 100, und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 102) getroffen wurde - im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn die Beklagte kann sich bei den im Zeitraum 2004 bis 2006 vorgenommenen Preiserhöhungen auf ein in ergänzender Auslegung des Gaslieferungsvertrags der Parteien bestehendes Preisänderungsrecht stützen, weil sie ihre Bezugskostensteigerungen auf den gesamten Zeitraum bezogen nicht einmal vollständig an die Kläger weitergegeben hat.
10aa) Zwar berechnete die Beklagte den Klägern nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Jahr 2004 einen um 0,3 Cent/kWh erhöhten Arbeitspreis, obwohl in diesem Jahr ihre Bezugskosten nur um 0,13259 Cent/kWh stiegen. Diese im Jahr 2004 zu verzeichnende zu starke Erhöhung glich sich in den Folgejahren 2005 und 2006 jedoch aus. So hatte die Beklagte im Jahr 2005 Erhöhungen ihrer Bezugspreise in einer Gesamthöhe von 0,7685 Cent/kWh hinzunehmen, wovon sie jedoch nur 0,55 Cent/kWh an die Kläger weitergegeben hat. Ähnliches hat das Berufungsgericht für das Jahr 2006 festgestellt. Zum erhöhte der Vorlieferant die Bezugskosten der Beklagten um 0,4212 Cent/kWh, wovon die Beklagte den Klägern jedoch nur 0,39 Cent/kWh weitergaben. Das Berufungsgericht hat, die mit der Feststellungsklage angegriffenen Preiserhöhungen in ihrer Abfolge in den Blick nehmend, zusammenfassend festgestellt, dass die Beklagte in dem Zeitraum 2004 bis 2006 Bezugskostensteigerungen in Höhe von 1,3256 Cent/kWh ausgesetzt war, von denen sie die Kläger jedoch nur in einer Höhe von nur 1,24 Cent/kWh belastet hat.
11bb) Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Preisbemessung der Beklagten auf der Grundlage dieser Feststellungen und unter Berücksichtigung der nachstehend unter (2) angeführten Umstände als wirksam angesehen und seine diesbezügliche Beurteilung an dem gesamten in Streit stehenden Zeitraum ausgerichtet hat.
12(1) Der Senat hat in den Urteilen vom (VIII ZR 158/11, aaO Rn. 101, und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 103) entschieden, dass dem Tatrichter bei der Beurteilung, ob die Preiserhöhungen des Energieversorgers dessen (Bezugs-)Kostensteigerungen (hinreichend) abbilden, ein Ermessen zusteht. Dessen Ausübung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung darauf, ob sie auf grundsätzlich falschen oder offenbar unrichtigen Erwägungen beruht, erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Bemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder bei einer etwaigen Schätzung unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt wurden.
13So hat der Senat die auch im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung zu berücksichtigende tatrichterliche Erwägung gebilligt, dass dem Energieversorgungsunternehmen bei der Weitergabe von (Bezugs-)Kosten-steigerungen - auch mit Rücksicht auf die oftmals nicht sicher voraussehbare Entwicklung der Bezugskosten - ein Ermessensspielraum zuzugestehen ist. Denn bei einem Massengeschäft wie dem Tarifkundenvertrag liegt es - auch aus Praktikabilitätsgründen - im Interesse beider Vertragsparteien, eine Weitergabe von Kostensenkungen und Kostenerhöhungen nicht - was regelmäßig mit einem die Energieversorgung unnötigerweise verteuernden hohen Aufwand verbunden wäre - tagesgenau vorzunehmen, sondern auf die Kostenentwicklung in einem gewissen Zeitraum abzustellen. Wie lange der Zeitraum für die vorbezeichnete Gesamtbetrachtung sein muss, lässt sich, wenn auch das Gaswirtschaftsjahr ein in den meisten Fällen geeigneter Prüfungsmaßstab sein wird, nicht generell bestimmen, sondern bedarf der Beurteilung des Tatrichters auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls (, aaO Rn. 101 ff., und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 103 ff.).
14(2) Ausgehend hiervon hält sich die im Streitfall vom Berufungsgericht an der Gesamtbetrachtung des streitgegenständlichen Streitraums ausgerichtete Bewertung noch innerhalb des vorstehend aufgezeigten tatrichterlichen Beurteilungsermessens.
15Insbesondere hat es das Berufungsgericht angesichts der von ihm aufgezeigten Umstände des Einzelfalls rechtsfehlerfrei als nicht zu beanstanden angesehen, dass die Beklagte den Klägern bezogen auf das Gaswirtschaftsjahr 2004 mit der Preiserhöhung vom 0,16741 Cent/kWh mehr in Rechnung gestellt hat, als sie ihrem Vorlieferanten für den Einkauf zu zahlen hatte. Das Berufungsgericht hat sich nach Zeugeneinvernahme davon überzeugen können, dass der Beklagten die Preiserhöhungen seitens ihrer Lieferanten erst rückwirkend mitgeteilt wurden und auch die Abrechnungszeiträume nicht mit denjenigen gegenüber den Klägern identisch waren. Der Beklagten ist daher nach Auffassung des Berufungsgerichts ein gewisser unternehmerischer Risikozuschlag bei der Preisbemessung zuzugestehen, der die über die Bezugskostensteigerung hinausgehende Preisbestimmung im Jahr 2004 rechtfertigt. Diese im Streitfall getroffene Wertung des Berufungsgerichts ist aus Rechtsgründen jedenfalls deshalb nicht zu beanstanden, weil das Berufungsgericht, gestützt auf sachverständige Ausführungen, zugleich festgestellt hat, dass die Beklagte in den unmittelbar folgenden Gasbezugsjahren 2005 und 2006 nicht alle ihr entstandenen Bezugskostensteigerungen weitergegeben hat, mit der Folge, dass den Klägern über den streitgegenständlichen Gesamtzeitraum 2004 bis 2006 ein Kostenvorteil entstand, weil die Beklagte Bezugskostensteigerungen von 1,3256 Cent/kWh nur in Höhe von 1,24 Cent/kWh an die Kläger weiterberechnete.
16c) Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet; von einen näheren Begründung wird gemäß § 564 ZPO abgesehen.
173. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Dr. Milger Dr. Schneider Dr. Fetzer
Dr. Bünger Kosziol
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2015:151215BVIIIZR76.13.0
Fundstelle(n):
DAAAF-75870