Betriebsprüfung - Bestandskraft eines früheren Prüfbescheides - Erhebung einer weiteren Beitragsnachforderung für den selben Prüfzeitraum - Vertrauensschutz - Verjährung - Bösgläubigkeit - bedingter Vorsatz
Gesetze: § 14 Abs 1 S 1 SGB 4, § 23 Abs 1 S 2 SGB 4 vom , § 23 Abs 1 S 3 SGB 4 vom , § 25 Abs 1 S 1 SGB 4, § 25 Abs 1 S 2 SGB 4, § 28p Abs 1 S 1 SGB 4, § 28p Abs 1 S 5 SGB 4, § 44 SGB 10, §§ 44ff SGB 10, § 19 EStG
Instanzenzug: SG Mainz Az: S 14 KR 367/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 4 R 448/12 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der nach einer Betriebsprüfung geltend gemachten Nachforderung von Beiträgen zu den Zweigen der Sozialversicherung.
2Am hatte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bei dem Kläger, einem Rechtsanwalt, eine Betriebsprüfung hinsichtlich des Zeitraums bis durchgeführt. Mit (bestandskräftig gewordenem) Bescheid vom hatte sie für diesen Prüfzeitraum Beiträge in Höhe von 531,09 Euro betreffend die Beschäftigung seiner Mitarbeiterin Frau F. nachgefordert.
3Am führte die Beklagte bei dem Kläger erneut eine Betriebsprüfung durch, nunmehr für den Prüfzeitraum bis . Mit Bescheid vom (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom ) forderte sie von ihm nach Abschluss der Prüfung Beiträge und Säumniszuschläge bezüglich der bei ihm beschäftigten Beigeladenen zu 1. und 2. für den Zeitraum vom bis in Höhe von insgesamt 3647,41 Euro nach. Grundlage dafür seien Steuernachforderungen für Fahrtkostenzuschüsse, die sich aus einem bestandskräftigen Bescheid des Finanzamts vom ergäben. Die Fahrtkostenzuschüsse seien auch beitragsrechtlich von Bedeutung. Für die Beitragsnachforderung gelte die 30-jährige Verjährungsfrist, weil der Kläger die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten habe.
4Auf die ua auf die Einrede der Verjährung der Beitragsforderung gestützte Klage hat das SG die Bescheide der Beklagten aufgehoben, soweit Nachforderungen bis einschließlich inklusive der hierauf entfallenden Säumniszuschläge erhoben wurden; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom ).
5Die hiergegen - ausschließlich von der Beklagten eingelegte - Berufung hat das LSG zurückgewiesen: Die Beitragsnachforderung für den bereits früher geprüften Zeitraum bis sei ohne (vorherige) Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides vom rechtswidrig. Durch diesen Bescheid habe die Beklagte Beiträge in einer bestimmten Höhe nachgefordert, ohne Hinweis darauf, dass nur eine stichprobenhafte Prüfung stattgefunden habe. Vielmehr habe der Bescheid den eindeutigen Verfügungssatz enthalten, dass für den Prüfzeitraum bis ein Betrag von 531,09 Euro nachzuzahlen sei. Aus dem Bescheid ergebe sich, dass nicht lediglich die Unterlagen betreffend Frau F., sondern auch diejenigen von weiteren Arbeitnehmern geprüft worden seien. Zudem sei im Prüfbericht darauf hingewiesen worden, dass die Prüfung zeitintensiv gewesen sei. Vom (maßgebenden) Empfängerhorizont aus sei daher nicht erkennbar gewesen, dass es sich lediglich um eine stichprobenhafte Prüfung gehandelt habe. Der (bestandskräftige) nicht nach § 45 SGB X zurückgenommene Bescheid vom stehe daher der neuerlichen Beitragsnachforderung der Beklagten für die Zeit bis entgegen (Urteil vom ).
6Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 28p Abs 1 S 5 SGB IV. Die angefochtenen Bescheide seien auch bezüglich der Nachforderung für den Zeitraum bis einschließlich rechtmäßig, ohne dass es einer teilweisen Aufhebung des früheren Bescheides vom bedurft habe. Die gegenteilige Auffassung des LSG stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG zu Betriebsprüfungen und der Bindungswirkung von dabei ergangenen Prüfbescheiden (Hinweis ua auf BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5 und BSG SozR 4-2400 § 27 Nr 1).
7Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom insgesamt aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom aufzuheben, soweit der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom für die Zeit bis einschließlich aufgehoben wurde und die Klage auch insoweit abzuweisen.
8Der Kläger beantragt sinngemäß,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
9Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
10Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Gründe
11Die zulässige Revision der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen LSG-Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 SGG).
12Das Urteil des LSG hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang Stand und ist daher aufzuheben. Der Senat kann allerdings wegen Fehlens erforderlicher tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend selbst in der Sache entscheiden, ob das LSG zu Recht die Berufung der Beklagten gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des SG abgewiesen hat.
131. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom . Im Revisionsverfahren ist allerdings nur noch über die Rechtmäßigkeit der gegenüber dem Kläger durch die angefochtenen Bescheide festgesetzten Beitragsnachforderung für die Zeit bis in Höhe von 1115,56 Euro zu entscheiden, weil für die Beiträge in Bezug auf die darüber hinausgehende Zeit Rechtskraft eingetreten ist. Bereits das SG hat die Klage für spätere Zeiträume abgewiesen und nur die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt.
142. Gegen die Nachforderung von Beiträgen zu den Zweigen der Sozialversicherung durch die Beklagte als solche bestehen revisionsrechtlich grundsätzlich keine Bedenken (dazu a). Anders als vom LSG angenommen und von Klägerseite geltend gemacht stehen der Festsetzung von Beiträgen und Säumniszuschlägen durch den angefochtenen Verwaltungsakt weder die Bindungswirkung des früheren Bescheides vom entgegen (dazu b) noch ein Bestandsschutz bzw eine "Bindungswirkung" aus früherer "beanstandungsfreier Betriebsprüfung" (dazu c). Ob die angefochtenen Bescheide allerdings unter dem Blickwinkel bereits eingetretener Verjährung rechtswidrig und aufzuheben sind, soweit darin ua auch Beiträge für die Zeit bis gefordert werden, kann der Senat wegen fehlender tatrichterlicher Feststellungen allerdings nicht abschließend selbst beurteilen (dazu d); das führt zur Zurückverweisung an das LSG.
15a) Die Vorinstanzen haben im Ausgangspunkt revisionsrechtlich beanstandungsfrei entschieden, dass die Beklagte gemäß § 28p Abs 1 S 5 SGB IV grundsätzlich berechtigt war, vom Kläger in den angefochtenen Bescheiden Beiträge zu den Zweigen der Sozialversicherung hinsichtlich der entgeltlichen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. und 2. für den Kläger in der noch streitigen Höhe nachzufordern.
16Auch die der Beitragsnacherhebung zugrunde liegenden, den genannten Beigeladenen gewährten Fahrtkostenzuschüsse zählen grundsätzlich zum beitragspflichtigen Arbeitsentgelt iS von § 14 Abs 1 S 1 SGB IV iVm den für die einzelnen Versicherungszweige geltenden speziellen Regelungen. Eine Ausnahme von der Beitragspflicht nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 2 Arbeitsentgeltverordnung (in der bis gültigen Fassung des Art 2 der VO zur Änderung der Sachbezugsverordnung und der Arbeitsentgeltverordnung vom , BGBl I 3822) bzw nach § 1 Abs 1 S 1 Nr 3 Sozialversicherungsentgeltverordnung (in der ab gültigen Fassung des Art 1 der VO zur Neuordnung der Regelungen über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt vom , BGBl I 3385) kommt mangels einer seitens des Klägers erfolgten Pauschalversteuerung gemäß § 40 Abs 2 S 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht in Betracht. Die Beteiligten haben gegen die Anwendung dieser Regelungen und die ihnen zugrunde liegenden finanzbehördlichen Feststellungen Einwände nicht erhoben; auch sonst sind gegen die Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung und ihre Höhe sprechende Umstände nicht ersichtlich.
17b) Zu Unrecht haben die Vorinstanzen allerdings angenommen, der Beitragsnachforderung in den angefochtenen Bescheiden stehe in der Zeit vom bis eine aus der Bestandskraft des früheren Bescheides der Beklagten vom abgeleitete Bindungswirkung entgegen. Der Bescheid vom entfaltet nämlich für den vorliegenden Rechtsstreit keine solche Bindungswirkung. Daher bedurfte es im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen nicht seiner Aufhebung gemäß §§ 44 ff SGB X vor Erlass der angefochtenen Bescheide.
18aa) Eine aus der Bestandskraft des früheren Bescheides der Beklagten vom abgeleitete Bindungswirkung kann schon deshalb nicht bejaht werden, weil durch ihn seinerzeit personenbezogen Beiträge nur bezüglich der Beschäftigung von Frau F., nicht aber hinsichtlich der Beschäftigung der am vorliegenden Rechtsstreit beteiligten Beigeladenen zu 1. und 2. nachgefordert wurden. Das LSG kann sich für seine Auffassung insbesondere nicht auf das (BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 24) berufen. Der Senat hat darin unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung (wiederholend) ausgeführt, dass sich eine materielle Bindungswirkung lediglich insoweit ergeben könnte, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht (und Beitragshöhe) in der Vergangenheit im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden. Dem genannten Urteil ist jedoch nicht zu entnehmen, dass bei Erlass eines personenbezogenen Beitragsbescheides damit zugleich (spiegelbildlich bzw mittelbar) eine Regelung darüber getroffen wird, dass "im Übrigen", dh insbesondere hinsichtlich aller sonstigen Beschäftigten, die von der personenbezogen Beitragsfestsetzung nicht betroffen sind, im Prüfzeitraum "alles in Ordnung" sei, dass also hinsichtlich dieser zB keine Versicherungspflicht bzw kein Beitragsanspruch bestehe. Im Übrigen enthält das geltende Sozialversicherungsrecht gerade keine Vorschrift, die mit der Änderungssperre nach § 173 Abs 2 S 1 Abgabenordnung für Steuerbescheide, die aufgrund einer (steuerlichen) Außenprüfung ergangen sind, vergleichbar ist (vgl bereits BSG aaO, RdNr 33-35).
19bb) Entgegen der Auffassung des LSG rechtfertigt auch der im früheren Bescheid vom fehlende Hinweis darauf, dass nur eine stichprobenartige Prüfung stattgefunden habe, kein anderes Ergebnis.
20Wie der 12. Senat nämlich ebenfalls bereits entschieden hat, darf auch bei "kleineren" Betrieben eine Betriebsprüfung auf Stichproben beschränkt bleiben (vgl BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 26). Selbst bei einer Betriebsprüfung in einem sog Kleinstbetrieb mit nur einem einzigen "Aushilfsarbeiter" besteht danach keine Verpflichtung der Prüfbehörden, die versicherungsrechtlichen Verhältnisse (aller) Mitarbeiter vollständig zu beurteilen (vgl BSGE 93, 119 = SozR 4-2400 § 22 Nr 2, RdNr 36). Dass die nach § 28p Abs 1 S 1 SGB IV mindestens alle vier Jahre durchzuführenden Betriebsprüfungen durch die Rentenversicherungsträger prinzipiell nur stichprobenartig erfolgen können, liegt bei lebensnaher Betrachtung auf der Hand. Stichprobenartig vorgenommene Betriebsprüfungen entsprechen einer jahrzehntelangen Praxis, die sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung unbeanstandet gelassen haben. Demzufolge lässt das Fehlen eines - aus der Sicht eines verständigen Bescheidempfängers eine Selbstverständlichkeit wiedergebenden - Hinweises nicht ohne Weiteres den Schluss darauf zu, dass der Betroffene bei seiner Prüfung vom Vorliegen eines gänzlich atypischen Falles hätte ausgehen dürfen. Ähnliches gilt für die im Protokoll der Schlussbesprechung am gemachten Hinweise der Beklagten, dass weitere Arbeitnehmer geprüft wurden und die Prüfung zeitintensiv gewesen sei. Daraus kann bei einer praxisorientierten, der Eigenart einer Massenverwaltung im Bereich der Sozialversicherung gerecht werdenden Betrachtungsweise ebenfalls nicht geschlossen werden, dass die gesamte Praxis der Meldungen und Beitragszahlung eines Arbeitgebers (vgl §§ 28a, 28e, 28f, 28g SGB IV) in Bezug auf sämtliche Betriebsangehörigen unter allen denkbaren Aspekten behördlicherseits für "in Ordnung" befunden wurde. Betriebsprüfungen - ebenso wie das Ergebnis der Prüfung festhaltende Prüfberichte der Versicherungsträger - bezwecken nämlich insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm etwa mit Außenwirkung "Entlastung" zu erteilen (vgl erneut BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 24 mwN).
21c) Die frühere "beanstandungsfrei" verlaufene Betriebsprüfung mit ihrer Schlussbesprechung am und der in diesem Zusammenhang ergangene frühere Bescheid vom entfalten auch aus sonstigen Gründen keine Bindungswirkung und vermitteln dem Kläger keinen "Bestandsschutz" gegenüber einer neuerlichen Beitragsforderung, die der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide entgegenstehen könnte. Der Senat hat sich bereits in seinem Urteil vom (BSGE 115, 1 = SozR 4-2400 § 27 Nr 5, RdNr 33-35; hierzu auch Körtek, jurisPR-SozR 13/2014 Anm 2; Neidert, DB 2014, 2471) ausführlich mit der vom Berufungsgericht und Teilen des Schrifttums erhobenen Forderung nach einem derartigen "Bestandsschutz" als Folge von beanstandungsfrei endenden Betriebsprüfungen befasst und darauf hingewiesen, dass es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt (BSG aaO, RdNr 28 ff mwN). Hieran hält der Senat fest.
22d) Ob die angefochtenen Bescheide indessen möglicherweise rechtswidrig sind, soweit den darin geltend gemachten Beitragsforderungen für den Zeitraum bis die Verjährung des Anspruchs nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV entgegensteht, kann der Senat selbst nicht abschließend beurteilen. Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - Feststellungen zur möglichen Verjährung nicht getroffen, insbesondere nicht zur Fälligkeit der Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Monat Dezember 2003 (dazu aa) sowie zum (bedingten) Vorsatz einer Beitragsvorenthaltung (dazu bb).
23aa) Es fehlen bereits Tatsachenfeststellungen des LSG zur Fälligkeit der von der Beklagten für den Monat Dezember 2003 geltend gemachten Beiträge. Solche Feststellungen sind aber erforderlich, um beurteilen zu können, ob die entsprechende Forderung bereits am - und damit schon vor Erlass des Lohnsteuerhaftungsbescheides des Finanzamts vom und erst recht vor Erlass der im vorliegenden Rechtsstreit angefochtenen Bescheide aus dem Jahr 2010 - nach § 25 Abs 1 S 1 SGB IV verjährt war.
24Gemäß § 23 Abs 1 S 2 und 3 SGB IV in der insoweit bis gültigen Fassung (Art 1 des Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom , BGBl I 688) werden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, spätestens am Fünfzehnten des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt. Beiträge sind abweichend hiervon spätestens am Fünfundzwanzigsten des Monats fällig, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt, wenn das Arbeitsentgelt bis zum Fünfzehnten dieses Monats fällig ist; fällt der Fünfundzwanzigste eines Monats nicht auf einen Arbeitstag, werden die Beiträge am letzten banküblichen Arbeitstag davor fällig; dies gilt nicht bei Verwendung eines Haushaltsschecks.
25Ob vorliegend die für Dezember 2003 geltend gemachten Beiträge spätestens bereits am Dienstag, den (= Tag vor Heiligabend 2003) oder - mit der Folge eines späteren Verjährungsbeginns - spätestens erst am fällig wurden, lässt sich mangels Feststellungen zur Fälligkeit des Arbeitsentgeltanspruchs der Beigeladenen zu 1. und 2. nicht beurteilen. Diese Feststellungen sind vom LSG nachzuholen.
26bb) Die für die Zeit bis geltend gemachten Beitragsansprüche wären bei Anwendung der regelmäßigen vierjährigen Verjährungsfrist des § 25 Abs 1 S 1 SGB IV bereits am und damit vor Erlass der angefochtenen Bescheide verjährt gewesen.
27Etwas anderes würde jedoch gelten, wenn der Kläger bereits durch den Lohnsteuerprüfbericht des Finanzamts vom hinsichtlich der Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen als bösgläubig anzusehen wäre. Hat der Beitragsschuldner bei Eintritt der Fälligkeit keinen Vorsatz zur Vorenthaltung, läuft zwar zunächst von Beginn des folgenden Kalenderjahres an eine vierjährige Verjährungsfrist. Diese verlängert sich jedoch durch eine rückwirkende Umwandlung in die 30-jährige Verjährungsfrist (§ 25 Abs 1 S 2 SGB IV), wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird (vgl bereits BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 34 f). Bösgläubigkeit ist in diesem Zusammenhang nämlich nicht erst bei einer absichtlichen bzw bewusst vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung - zB bei klassischer "Schwarzarbeit" - anzunehmen, es reicht vielmehr aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthält, er also seine Beitragspflicht für möglich hält, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf nimmt (vgl BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 mwN; BSGE 100, 215 = SozR 4-2400 § 25 Nr 2, RdNr 26). Bedingter Vorsatz liegt nach der Rechtsprechung des Senats in diesem Zusammenhang nahe, wenn etwa Beiträge für verbreitete "Nebenleistungen" zum Arbeitsentgelt nicht gezahlt werden und zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung eine bekannte oder zumindest ohne Weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht (so BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 f). Zwar kann von einer prinzipiellen Übereinstimmung von Steuer- und Beitragspflicht von Lohn iS von § 19 EStG und Arbeitsentgelt iS von §§ 14, 17 SGB IV ausgegangen werden (vgl dazu näher Segebrecht in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 25 RdNr 32; Roßbach in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 25 SGB IV RdNr 4); auch dürfte bekannt sein, dass Lohnsteuerhaftungsbescheide in aller Regel auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht Konsequenzen haben (vgl hierzu zB Zieglmeier in Kasseler Komm, Stand Juni 2015, § 25 SGB IV RdNr 49). Um einen für eine die Verjährungsfrist verschiebende Beitragsvorenthaltung erforderlichen Vorsatz bejahen zu können, ist jedoch tatrichterlich das Vorliegen des dafür erforderlichen inneren (subjektiven) Tatbestandes festzustellen. Dieser darf regelmäßig nicht pauschal aufgrund allgemeiner rechtlicher Erwägungen unterstellt werden, sondern ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und bezogen auf den betreffenden Beitragsschuldner durch Sachverhaltsaufklärung individuell zu ermitteln (vgl BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7 RdNr 22 ff; BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 36 f, vgl aber erneut S 35 f).
28Letzteres muss das LSG hier nachholen. Es wird neben dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge für den Monat Dezember 2003 festzustellen haben, inwieweit nach den Umständen beim Kläger (bedingter) Vorsatz angenommen werden kann oder nicht. Dabei wird es ua auch zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte den Kläger schon im früheren Bescheid vom ausdrücklich darum gebeten hatte, die im Rahmen einer künftigen Lohnsteueraußenprüfung ergehenden Prüfberichte und Bescheide auch sozialversicherungsrechtlich auszuwerten (vgl zur Bedeutung derartiger Gesichtspunkte vgl allgemein Roßbach, aaO, § 25 SGB IV RdNr 4).
293. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:181115UB12R714R0
Fundstelle(n):
DAAAF-74405