BAG Urteil v. - 4 AZR 663/14

Bewährungsaufstieg - Umfang der Rechtskraft einer Eingruppierungsfeststellungsklage - Zwischenfeststellungsklage

Gesetze: § 256 Abs 2 ZPO, § 1 TVG, § 1 Abs 1 AltPflHG BB

Instanzenzug: Az: 1 Ca 4131/13 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 14 Sa 1860/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Eingruppierung der Klägerin sowie sich hieraus ergebende Differenzentgeltansprüche.

2Die Klägerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Gewerkschaft ver.di), ist seit dem bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin als Krankenpflegehelferin beschäftigt.

3Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg stellte mit Urteil vom fest, dass die Klägerin von der Beklagten seit nach der VergGr. Ap III der Anlage B - Pflegepersonal - des zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception AG und der Gewerkschaft ver.di geschlossenen Manteltarifvertrags (MTV, vom , nachfolgend VergGr. Ap III MTV) zu vergüten ist. Dabei könne es dahinstehen, ob die Klägerin entsprechend dem tariflichen Tätigkeitsmerkmal als „Altenpflegehelferin mit entsprechender Tätigkeit“ tätig sei oder als Krankenpflegehelferin. Eine im letzteren Fall bestehende Tariflücke sei im Wege der analogen Anwendung des Tätigkeitsmerkmals zu schließen.

4Seit dem erhielt die Klägerin ein regelmäßiges monatliches Entgelt iHv. 2.325,36 Euro brutto, das sich aus einer Grundvergütung, dem Ortszuschlag und einer allgemeinen Zulage zusammensetzt. Weiterhin leistete die Beklagte eine Erschwerniszulage iHv. 46,02 Euro brutto im Monat.

5Mit ihrer Klage hat die Klägerin ein Entgelt nach der VergGr. Ap IV (Fallgr. 2) MTV geltend gemacht. Sie erfülle seit dem die Voraussetzungen dieser Vergütungsgruppe. Aufgrund der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stehe zwischen den Parteien rechtskräftig fest, dass ihre unveränderte Tätigkeit die tariflichen Anforderungen der VergGr. Ap III Fallgr. 1 MTV erfülle. Sie könne deshalb nach Ablauf einer weiteren vierjährigen Bewährungszeit ein Entgelt nach der VergGr. Ap IV MTV, und zwar in Höhe der Betriebszugehörigkeitsstufe 7 bis zum und ab August 2012 der Stufe 8, beanspruchen. Sie verfüge auch seit sechs Jahren über eine staatliche Erlaubnis.

6Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, die Rechtskraft des landesarbeitsgerichtlichen Urteils umfasse lediglich den Entgeltanspruch nach der VergGr. Ap III MTV, nicht aber, dass die Tätigkeit die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals erfülle. Jedenfalls sei die Erschwerniszulage auf einen höheren tariflichen Vergütungsanspruch anzurechnen.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Gründe

9Die Revision der Klägerin ist begründet. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts konnte die zulässige Klage nicht abgewiesen werden. Die Klägerin hat sich zwar für die Dauer von vier Jahren in der VergGr. Ap III Fallgr. 1 MTV bewährt (unter II). Ob ihr aber ein Entgelt nach der VergGr. Ap IV MTV zusteht, weil sie auch die weiteren tariflichen Voraussetzungen der beanspruchten Vergütungsgruppe erfüllt, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen (unter III). Das führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO).

10I. Die für die Eingruppierung der Klägerin maßgebenden tariflichen Regelungen des MTV, der kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt, lauten wie folgt:

11II. Die Klägerin erfüllt die tarifliche Voraussetzung einer „vierjährigen Bewährung in der jeweiligen Fallgruppe“ gemäß der VergGr. Ap IV Fallgr. 2 MTV.

121. Das Landesarbeitsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass sich die als Krankenpflegehelferin beschäftigte Klägerin nicht darauf stützen kann, ihre Tätigkeit erfülle originär die tarifliche Anforderung einer „Altenpflegehelferin“ iSd. VergGr. Ap II Fallgr. 1, Ap III Fallgr. 1 oder Ap IV Fallgr. 2 MTV. Die Tätigkeit einer Krankenpflegehelferin wird von keinem der in der Anlage B zum MTV genannten Tätigkeitsmerkmale unmittelbar erfasst. Es liegt auch keine unbewusste Tariflücke vor, die es dem Senat erlauben könnte, sie aus einem eindeutig feststellbaren Sinn und Zweck des Tarifvertrags heraus zu schließen (ausf. für die Tätigkeit einer Krankenpflegerin  - Rn. 17 ff.).

132. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht jedoch aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zwischen den Parteien bindend fest, dass die Tätigkeit der Klägerin das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Ap III MTV erfüllt. Die Rechtskraft der landesarbeitsgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 2008 beschränkt sich nicht lediglich auf eine Verpflichtung zur Entgeltzahlung nach der VergGr. Ap III MTV.

14a) Die rechtskräftige Feststellung der Vergütungspflicht eines Arbeitgebers gegenüber einem Arbeitnehmer, die auf die Erfüllung eines konkreten Tätigkeitsmerkmals einer tariflichen Entgeltordnung gestützt wird, entfaltet nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (dazu etwa  - Rn. 16) jedenfalls dann eine Bindungswirkung hinsichtlich der konkreten Fallgruppe der Vergütungsgruppe, wenn die Vergütungsgruppe nur eine in Betracht kommende Fallgruppe für die festgestellte Entgeltverpflichtung vorsieht (sh. bereits  - zu B II 4 der Gründe; bestätigt in - 4 AZR 221/96 - zu II 1 a der Gründe mwN). Ob dies auch dann der Fall ist, wenn die maßgebende Vergütungsgruppe mehrere Fallgruppen enthält, muss der Senat vorliegend nicht entscheiden (abl.  -; - 4 AZR 250/94 - zu II 2 b der Gründe).

15b) Danach steht zwischen den Parteien bindend fest, dass die Tätigkeit der Klägerin die Voraussetzungen der VergGr. Ap III Fallgr. 1 MTV erfüllt. Die VergGr. Ap III MTV, nach der die Klägerin aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2008 seit zu vergüten ist, enthält lediglich eine Fallgruppe, die wiederum auf eine bestimmte Fallgruppe der Ausgangsvergütungsgruppe - „Altenpflegehelferinnen nach zweijähriger Bewährung in VG Ap II, FG 1“ - Bezug nimmt.

16c) Die Rechtskraftwirkung der Entscheidung aus dem Jahr 2008 ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht deshalb auf eine bestehende Vergütungspflicht begrenzt, weil der damaligen Feststellung lediglich eine Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO zugrunde lag.

17aa) Nach § 256 Abs. 2 ZPO kann eine Klägerin zugleich mit ihrem Hauptantrag auf Feststellung eines die Entscheidung bedingenden, dh. vorgreiflichen Rechtsverhältnisses klagen. Damit wird ein Begründungselement aus der Entscheidung verselbständigt und mit eigener Rechtskraft versehen. Grund hierfür ist dessen Eignung, über den konkreten Einzelfall hinaus, der mit der Hauptklage entschieden wird, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für mögliche Folgestreitigkeiten herzustellen. Eine Zwischenfeststellungsklage bedingt daher, dass die Frage nach dem Bestand des entsprechenden Rechtsverhältnisses notwendig auch bei der Entscheidung über den Hauptantrag beantwortet werden muss und darüber hinaus auch für andere denkbare Folgestreitigkeiten Bedeutung haben kann ( - Rn. 25, BAGE 138, 287; - 4 AZR 1005/06 - Rn. 20, BAGE 124, 240).

18bb) Soweit das Landesarbeitsgericht davon ausgeht, „die Rechtskraftwirkung einer Zwischenfeststellung reicht nicht weiter, als die Vorgreiflichkeit des festgestellten Rechtsverhältnisses für die Hauptsache geht“, ist dies unzutreffend.

19(1) Die Rechtskraftwirkung einer Zwischenfeststellungsklage ist gegenüber einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO nicht eingeschränkt. Das Bestehen oder Nichtbestehen des betreffenden Rechtsverhältnisses wird zwischen den Parteien in gleichem Maße für alle Folgestreitigkeiten festgestellt (vgl.  - Rn. 19). Die Vorgreiflichkeit ersetzt zwar das sonst notwendige Feststellungsinteresse ( - Rn. 25, BAGE 138, 287; - 4 AZR 1005/06 - Rn. 20, BAGE 124, 240), hat aber für den Umfang der Rechtskraft keine weiter gehende Bedeutung (vgl.  - Rn. 27 mwN, BAGE 128, 73; - 7 AZR 194/91 - zu I 2 der Gründe; sowie ausdrücklich MüKoZPO/Becker-Eberhard 4. Aufl. § 256 Rn. 75).

20(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich auch aus der Entscheidung des - VIII ZR 165/93 - BGHZ 125, 251) nichts anderes. Soweit es dort heißt, die „Rechtskraftwirkung der Zwischenfeststellung … reicht nicht weiter, als die Vorgreiflichkeit des festgestellten Rechtsverhältnisses für die Hauptsache geht“, betreffen diese Ausführungen Besonderheiten des Wechselprozesses, weil zwischen dem Wechselanspruch und dem der Wechselbegebung zugrundeliegenden Kausalverhältnis keine Präjudizialität iSd. § 256 Abs. 2 ZPO besteht. Dementsprechend kann eine im Wechselprozess rechtskräftig getroffene Zwischenfeststellung die „Berufung auf das Nichtzustandekommen des Kausalverhältnisses nur gegenüber künftigen Wechselklagen der Klägerin, nicht aber gegenüber einer Kaufpreisklage aus dem Kausalverhältnis selbst“ abschneiden ( - zu II 2 a bb der Gründe, aaO). Auf eine Zwischenfeststellungsklage im Rahmen eines Eingruppierungsrechtsstreits lassen sich diese Erwägungen schon im Ansatz nicht übertragen.

213. Die dargestellte Bindungswirkung führt dazu, dass bei unveränderter Tätigkeit und einer sich auf die Erfüllung der tariflichen Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals beziehenden Feststellung zugleich feststeht, dass eine tariflich vorgesehene Bewährungszeit zu diesem Zeitpunkt begonnen hat ( - zu II 1 a der Gründe).

22a) Die Klägerin hat damit im Bewährungszeitraum vom bis zum durch ihre unverändert auszuübende und ausgeübte Tätigkeit das Merkmal der „Altenpflegehelferin mit entsprechender Tätigkeit“ in VergGr. Ap II Fallgr. 1 MTV erfüllt.

23b) Die Klägerin hat sich weiterhin bewährt. Davon geht auch die Beklagte aus. Soweit sie in diesem Zusammenhang meint, eine Bewährung im Rahmen der tatsächlich auszuübenden Tätigkeit reiche nicht aus, weil diese nicht das Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Ap III Fallgr. 1 MTV erfülle, verkennt sie die Reichweite der rechtskräftigen Feststellung im Vorprozess (unter II 1 und 2).

24III. Ob die Klägerin die weitere Anforderung der VergGr. Ap IV Fallgr. 2 MTV - „frühestens jedoch nach sechsjähriger Berufstätigkeit nach Erlangung der staatlichen Erlaubnis“ - erfüllt, steht aber aufgrund der bisherigen Feststellungen noch nicht fest. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache - auch vor dem Hintergrund der bisherigen Erörterungen des Rechtsstreits in den Tatsacheninstanzen - zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit die Parteien Gelegenheit zu weiterem tatsächlichen Vortrag erhalten.

251. Nach dem bisherigen Vorbringen steht weder fest, ob die Klägerin über eine „sechsjährige Berufstätigkeit“ nach Erlangung „der staatlichen Erlaubnis“ verfügt, noch ob ihr eine Erlaubnis zum Tätigwerden als Altenpflegehelferin erteilt worden ist. Sie hat lediglich ausgeführt, sie verfüge „bereits seit ebenfalls sechs Jahren über die staatliche Erlaubnis“. Um welche Erlaubnis es sich dabei handelt, erschließt sich nach dem Vortrag der Klägerin nicht.

262. Im Rahmen der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht insbesondere Folgendes zu beachten haben:

27a) Soweit die VergGr. Ap IV Fallgr. 2 MTV eine „staatliche Erlaubnis“ voraussetzt, handelt es sich, wie sich aus dem systematischem Zusammenhang der tariflichen Anforderung ergibt, grundsätzlich um die Erlaubnis zur Ausübung einer Tätigkeit mit der Berufsbezeichnung Altenpflegehelferin (vgl. etwa § 1 Abs. 1 Brandenburgisches Altenpflegehilfegesetz). Aus Vorbemerkung Nr. 4 der Anlage B zum MTV folgt kein anderes Ergebnis. Ob überhaupt eine staatliche Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Krankenpflegehelferin“ oder „Gesundheits- und Krankenpflegehelferin“ (sh. etwa § 1 Abs. 1 Brandenburgisches Krankenpflegehilfegesetz) ausreichen könnte, wenn eine Krankenpflegehelferin die Tätigkeit einer Altenpflegehelferin ausübt, kann dahinstehen. Für eine solche Tätigkeit fehlt es nach dem Vorbringen der Klägerin an tatsächlichen Anhaltspunkten.

28b) Weiterhin ist nach dem Wortlaut und der tariflichen Systematik für die VergGr. Ap IV Fallgr. 2 MTV eine sechsjährige Berufstätigkeit nach Erlangung der staatlichen Erlaubnis als Altenpflegehelferin erforderlich. Diese kann auch bei einem anderen Arbeitgeber erbracht worden sein. Eine entsprechende Berufstätigkeit als Krankenpflegehelferin ist wiederum nicht ausreichend. Das zeigt wiederum die Vorbemerkung Nr. 4 der Anlage B zum MTV, die eine Tätigkeit als Altenpflegehelferin verlangt.

29c) Sollte die Klägerin ein Entgelt nach der VergGr. Ap IV (Fallgr. 2) MTV beanspruchen können, ist derzeit eine Anrechnungsbefugnis der Beklagten in Höhe der geleisteten Erschwerniszulage von monatlich 46,02 Euro brutto nicht ersichtlich. Soweit die Beklagte meint, das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg habe im Vorprozess eine entsprechende Anrechnung vorgenommen, ist dies unzutreffend. Lediglich bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Zuwendung nach § 3 Abs. 2 des zwischen den Tarifvertragsparteien des MTV geschlossenen Tarifvertrags über eine Zuwendung (vom ) hat es die Erschwerniszulage außer Betracht gelassen.

30d) Dem weiteren Einwand der Beklagten, die Klägerin sei weder bis zum der Betriebszugehörigkeitsstufe 7 noch anschließend der Stufe 8 nach § 12b MTV iVm. Anlage 2 zum Vergütungstarifvertrag Nr. 1 (vom ) zuzuordnen, weil dies eine zutreffende Eingruppierung nach dem MTV voraussetze, die aber aufgrund einer Tariflücke ausscheide, steht wiederum die Rechtskraft der Entscheidung aus dem Jahr 2008 entgegen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:211015.U.4AZR663.14.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 1076 Nr. 18
OAAAF-72492