Kartellzivilprozess: Umfang der Garantie des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren; Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelung über Branchenvereinbarungen zwischen Presseverlagen und Presse-Grossisten; Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für eine solche Regelung
Gesetze: Art 72 Abs 2 GG, Art 74 Nr 11 GG, Art 103 Abs 1 GG, Art 106 Abs 2 AEUV, § 30 Abs 2a GWB, § 321a ZPO
Instanzenzug: Az: KZR 17/14 Urteilvorgehend Az: VI-U (Kart) 7/12 Urteilvorgehend Az: 88 O (Kart) 17/11 Urteil
Gründe
1Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet. Zu Unrecht meint die Anhörungsrüge, das Senatsurteil verletze den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör, weil es ihren Vortrag in mehreren Punkten nicht berücksichtige.
2I. Die Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern, und dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (BVerfGE 86, 133, 144; BVerfG, NJWRR 2004, 1710, 1712). Damit ist jedoch kein Anspruch darauf verbunden, dass jedes Argument ausdrücklich beschieden wird. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen in Erwägung gezogen hat, auch wenn es die von einer Partei gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen nicht teilt (, GRUR 2012, 314 Rn. 12; Beschluss vom - X ZR 79/13 Rn. 3, juris). Geht das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht ein, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfGE 86, 133, 146; , BGHZ 173, 47 Rn. 31).
3II. Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt danach nicht vor.
41. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, der Senat habe ihren vorinstanzlichen Vortrag unberücksichtigt gelassen, wonach nicht sichergestellt sei, dass überhaupt alle branchenangehörigen Unternehmen jeweils an den Branchenvereinbarungen beteiligt seien, da eine Verpflichtung zur Teilnahme an solchen Vereinbarungen nicht bestehe. Die Klägerin hatte sich hierauf zum Beleg für die von ihr vertretene, vom Senat indes nicht geteilte Rechtsansicht berufen, § 30 Abs. 2a GWB erfülle die an eine Betrauung zu stellenden Anforderungen in mehrfacher Hinsicht nicht. Mit den gegen einen ausreichenden und wirksamen Betrauungsakt gerichteten Einwänden der Klägerin hat sich der Senat in den Randnummern 28 bis 40 seiner Entscheidung ausführlich auseinandergesetzt. Soweit die Klägerin geltend macht, das Ziel des § 30 Abs. 2a GWB, den flächendeckenden und diskriminierungsfreien Vertrieb von Presseerzeugnissen zu gewährleisten, könne nicht erreicht werden, wenn nicht sämtliche Verlage und Grossisten an der Branchenvereinbarung teilnähmen, bestand für den Senat kein Anlass, auch auf dieses in der Argumentation der Klägerin untergeordnete, an einen hypothetischen Sachverhalt anknüpfende Argument in seinem Urteil ausdrücklich einzugehen. Die Vorschrift des § 30 Abs. 2a GWB ist nach den Ausführungen im Senatsurteil nur anwendbar, wenn die Branchenvereinbarungen den flächendeckenden Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften regeln. Eine Betrauung ohne Verpflichtung auf dieses Ziel gibt es danach also nicht.
52. Auch eine Gehörsverletzung der Klägerin wegen Übergehens ihrer verfassungsrechtlichen Einwände liegt nicht vor.
6Der Senat hat die auf Art. 5 Abs. 1 GG (Pressevertriebsfreiheit der Verlage) und eine vermeintlich fehlende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gestützten Einwände der Klägerin erwogen und nicht für durchgreifend erachtet. Da es sich dabei erkennbar nicht um zentrales, sondern in der Revisionserwiderung deutlich untergeordnetes Vorbringen handelte, war es nicht erforderlich, darauf in den Entscheidungsgründen ausdrücklich einzugehen. Im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG hat die Revisionserwiderung auf Seiten 57 f. allein zu einer vermeintlich verfassungswidrigen Belastung der Grossisten vorgetragen, nicht aber zu einer solchen der Verlage. Die nach Ansicht der Klägerin fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für § 30 Abs. 2a GWB ist in der 67 Seiten umfassenden Revisionserwiderung lediglich in drei Zeilen unter Bezugnahme auf eine einzige Literaturstelle gerügt worden. Der Senat hat für offensichtlich erachtet, dass sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das Wirtschaftsrecht (Art. 72 Abs. 2, Art. 74 Nr. 11 GG) ergibt, die das Kartellrecht sowie Ausnahmen von seinem Anwendungsbereich, insbesondere auch im Hinblick auf Art. 106 Abs. 2 AEUV, umfasst.
73. Soweit die Klägerin geltend macht, der Senat habe bei seiner Beurteilung, die Wettbewerbsregeln der Union verhinderten im Sinne von Art. 106 Abs. 2 Satz 1 AEUV die Erfüllung der besonderen Aufgaben, die den Pressegrossisten übertragen worden sind, Vortrag der Klägerin zur Bedeutung der "Nationalvertriebe" übergangen, legt sie ebenfalls keine Gehörsverletzung dar. Wie die Klägerin erkennt, hat der Senat die Bündelung des Vertriebs kleinerer und ausländischer Verlage in "Nationalvertrieben" in Rn. 61 seiner Entscheidung ausdrücklich berücksichtigt. Er hat allerdings nicht die Auffassung der Klägerin geteilt, dieser Umstand stehe der Möglichkeit von großen Verlagen und Verlagen mit auflagenstarken Titeln entgegen, bei Wegfall des zentralen Verhandlungsmandats bessere Preise und Konditionen durchsetzen zu können.
84. Die Anhörungsrüge meint weiter, die Begründung des Senats, mit der er den von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Anspruch aus § 21 Abs. 2 GWB abgewiesen habe, sei nicht tragfähig und die Frage einer Druckausübung durch den Beklagten habe noch aufgeklärt werden müssen. Dazu bestand indes kein Anlass. Nach der rechtlichen Beurteilung des Senatsurteils versucht der Beklagte nicht, die Klägerin oder seine Mitglieder zu einem nach § 21 Abs. 2 GWB verbotenen Verhalten zu veranlassen, da das zentrale Verhandlungsmandat nicht gegen Kartellrecht verstößt.
95. Ohne Erfolg rügt die Klägerin schließlich, indem der Senat in der Sache selbst entschieden habe, sei die Klägerin mit ihrem Vortrag zu dem im Wege der Eventualanschlussberufung weiterverfolgten Anspruch aus § 21 Abs. 3 GWB unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht gehört worden. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin insoweit tatsächlich hilfsweise einen weiteren Anspruch im prozessualen Sinne geltend gemacht hat. Ein Anspruch aus § 21 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB kam jedenfalls offensichtlich nicht in Betracht; die Anhörungsrüge zeigt auch nicht auf, dass die Klägerin derartiges geltend gemacht hätte. Ebenso wenig war dem Vortrag der Klägerin, die auch keinen hierauf abgestellten (Hilfs-)Antrag formuliert hat, in den in Bezug genommenen Schriftsätzen eine tatbestandsmäßige Zwangsausübung im Sinne von § 21 Abs. 3 Nr. 3 GWB zu entnehmen; vielmehr hat die Klägerin eine solche lediglich in der - nach ihrer vom Senat nicht geteilten Rechtsauffassung kartellrechtswidrig aufrechterhaltenen - "Verbandsdisziplin" der Beklagten sehen wollen.
Limperg Meier-Beck Kirchhoff
Bacher Deichfuß
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:080316BKZR17.14.0
Fundstelle(n):
CAAAF-71942