BGH Beschluss v. - 2 StR 537/15

Instanzenzug:

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

21. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. Dezember 2015 ohne Erfolg.

32. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen zerschlug der Angeklagte anlässlich einer Schlägerei zwischen zahlreichen Beteiligten eine Bierflasche aus Glas und versetzte dem Zeugen Z. mit bedingtem Tötungsvorsatz "mittels des abgebrochenen Flaschenhalses einen gezielten Stich in dessen rechten hinteren Halsbereich", wodurch u.a. ein Seitenast der Hauptschlagader durchtrennt wurde. Der Geschädigte ging infolge der Verletzung zu Boden und wurde durch mehrere Gäste gemeinsam aus der Bar zu einem gegenüberliegenden Imbiss getragen, wo er notfallmäßig versorgt wurde. Aufgrund des durch die anhaltende Schlägerei bestehenden "großen Durcheinanders" begab sich der Angeklagte sodann in den oberen Bereich der Bar.

5Das Landgericht hat angenommen, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, weil der Geschädigte nach der Stichverletzung "zeitnah" am Boden zusammen brach und stark zu bluten begann. Davon sei der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten.

6b) Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags (§ 24 Abs. 1 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Den Feststellungen ist bereits das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont), wonach sich u.a. auch die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt (vgl. , NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschluss vom 10. Oktober 2013 - 2 StR 64/13, NStZ-RR 2014, 111, jeweils mwN), nicht ausreichend konkret zu entnehmen; die bisherigen Feststellungen belegen noch nicht einmal, dass der Angeklagte davon ausgegangen ist, den Geschädigten lebensgefährlich verletzt zu haben.

7c) Der neue Tatrichter wird sich zudem eingehender als bislang geschehen damit zu befassen haben, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Die Annahme oder die Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (, NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist zwar die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. , NJW 1999, 2533, 2534). Neben der konkreten Angriffsweise ist aber auch regelmäßig die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZRR 2007, 267, 268; Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14, NStZ-RR 2016, 111, 112 mwN).

8Aus dem Wissen um die allgemeine Gefährlichkeit des Einsatzes des vom Angeklagten verwendeten Tatwerkzeugs gegen den Halsbereich eines Menschen (vgl. auch , BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN) lässt sich nicht ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, der Geschädigte könne zu Tode kommen (vgl. auch Senat, Beschluss vom 7. September 2015 - 2 StR 194/15 mwN). Insoweit wird sich der neue Tatrichter insbesondere damit auseinandersetzen müssen, ob dem Angeklagten im Rahmen der unübersichtlichen "Massenschlägerei", die bei ihm nach den bisherigen Feststellungen zudem zu einer gewissen affektiven Erregung geführt hat, das Bewusstsein gefehlt hat, dass seine - zumal "spontane" - Tathandlung den Tod des Geschädigten zur Folge haben könnte.

9d) Die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung kann nicht bestehen bleiben (vgl. , BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Gericke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12).

10e) Die Aufhebung der Einsatzstrafe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, den Anrechnungsmaßstab für die in Spanien erlittene Auslieferungshaft zu bestimmen (vgl. dazu : Maßstab 1:1).

113. Der Schuldspruch wegen (weiterer) gefährlicher Körperverletzung und die insoweit verhängte Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erweisen sich als rechtsfehlerfrei.

Fundstelle(n):
AAAAF-71921