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Grundlagen - Stand: 22.02.2021

Sozialhilferegress bei Erbschaften

Zekiye Kaya

Dieses Dokument wird nicht mehr aktualisiert und entspricht möglicherweise nicht dem aktuellen Rechtsstand.

I. Definition des Sozialhilferegresses bei Erbschaften

Angesichts der immer größer werdenden Zahl an Leistungsempfängern erfährt das Recht des Sozialhilferegresses auch im Rahmen der Nachfolgeberatung eine immer höhere Bedeutung. Beigetragen hat hierzu auch das zuletzt ergangene sowie der Beschluss des LSG Bayern vom - L 8 SO 146/B ER. Erneut wurde nämlich die Problematik der Sittenwidrigkeit eines Bedürftigentestaments sowie der Ausschlagung einer Erbschaft der gerichtlichen Klärung zugeführt.

Dargestellt wird hier die Problematik der Sittenwidrigkeit der Erbausschlagung, des Pflichtteilsverzichts sowie des Bedürftigentestaments unter Berücksichtigung der bisherigen höchstrichterlichen sowie untergerichtlichen Rechtsprechung und Literaturmeinung.

II. Ausschlagung

Sofern ein Leistungsberechtigter aufgrund einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses zu Vermögen gelangt, das die Hilfsbedürftigkeit reduziert oder gar ausschließen würde, ist er aufgrund des Nachranggrundsatzes (Subsidiaritätsprinzips) grundsätzlich verpflichtet, dieses Vermögen für seinen eigenen Unterhalt einzusetzen. Dies widerspricht jedoch den Vorstellungen vom Erblasser und/oder vom Erben. Daher bleibt allenfalls die Möglichkeit der Ausschlagung, wobei jedoch Streit darüber herrscht, inwieweit diese zu Lasten des Sozialleistungsträgers als sittenwidrig einzustufen ist, denn durch die Ausschlagung wird die Erbenstellung beseitigt und dem Sozialleistungsträger der Zugriff auf die Erbschaft verwehrt.

Das für die Sozialhilfe früher zuständige BVerwG hat sich in diesem Zusammenhang mit Beschluss vom - 5 B 29/90 ganz klar positioniert und festgehalten:

  • Eine Erbausschlagung kann nicht mit einem Unterhaltsverzicht, der zur Sozialhilfebedürftigkeit führt, gleichgestellt werden. Das Erbe hat keine Unterhaltsfunktion.

  • Es ist nicht Aufgabe des Erbrechts, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu verhindern.

  • Eventuellen Missbräuchen bei der Herstellung oder Aufrechterhaltung des Zustands der Sozialhilfebedürftigkeit ist gegebenenfalls mit dem Instrumentarium des Sozialhilferechts zu begegnen (LG Aachen, Beschluss vom - 9 T 99/04).

  • Das Recht des Erben, die Erbschaft auszuschlagen, wird durch § 92c BSHG (nunmehr § 102 SGB XII) nicht eingeschränkt. Es begegnet keinen Zweifeln, dass die Anwendung des § 138 BGB bei der Ausschlagung abzulehnen ist. Es kommt nicht auf die Motive an, weshalb der Berufene die Erbschaft annimmt oder ausschlägt. Auch nach öffentlichem Recht kann dem Einzelnen eine Erbenstellung nicht aufgedrängt werden (BVerwG Buchholz 436.0, § 92 c BSHG Nr. 5).

Gleichwohl ist das Meinungsbild zur Frage der Sittenwidrigkeit der Ausschlagung in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich. Entfacht wird der Streit darüber hinaus durch den Beschluss des LSG Bayern vom - L 8 SO 146/15 B ER, das die Erbausschlagung durch den Sozialhilfeempfänger für sittenwidrig hält (vgl. hierzu BeckRS 2015, 71493 mit Anmerkung Litzenburger).

1.

Zu dieser Erkenntnis gelangte bereits das , das erstmals als ein Obergericht über einen Fall zu entscheiden hatte, in dem einem Betreuten, der Sozialhilfe bezog, eine Erbschaft anfiel, die er, vertreten durch den Betreuer, ausschlug. Das damals zuständige Vormundschaftsgericht hatte die beantragte Genehmigung versagt, weil es die Ausschlagung der Erbschaft für sittenwidrig hielt.

Im Verfahren der weiteren Beschwerde kam das OLG Stuttgart zu dem Ergebnis, dass die Ausschlagung als Rechtgeschäft zu Lasten der Sozialhilfe sittenwidrig und gemäß § 138 BGB nichtig war. Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die dazu führe, dass die Sozialhilfebedürftigkeit des vorläufigen Erben fortbestehe, verstoße gegen die guten Sitten, es sei denn, die Ausschlagung könne durch überwiegende Interessen des Erben motiviert sein. Nach Ansicht des OLG Stuttgart entzieht nämlich der Behinderte durch die Ausschlagung bereits angefallenes Vermögen dem Zugriff des Sozialhilfeträgers und trifft daher eine sittenwidrige Disposition zu Lasten der Hilfe leistenden Allgemeinheit. Ein derartiges Verhalten genieße nicht den Schutz der Rechtsordnung.

2. I-15 Wx 85/2009

Ebenfalls in diesem Sinne hatte sich das geäußert ( I-15 Wx 85/2009) und sich bei der Argumentation auf das sozialhilferechtliche Nachrangprinzip berufen.

3.

Eine endgültige höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage steht bislang noch aus, denn der BGH hat die Frage der Sittenwidrigkeit der Ausschlagung lediglich als obiter dictum behandelt und sich gegen die Sittenwidrigkeit ausgesprochen ().

Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Ehegatten errichteten am Todestag der Ehefrau ein Berliner Testament, in dem sie ihre drei Kinder als Schlusserben einsetzten und den Erbteil ihrer behinderten, jedoch geschäftsfähigen Tochter, die seit 1992 Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII erhielt, durch Dauertestamentsvollstreckung und Nacherbfolge beschränkten. Unmittelbar im Anschluss an die Testamentserrichtung und noch vor dem Tod der Ehefrau verzichteten alle drei Kinder auf ihren jeweiligen Pflichtteil nach dem erstversterbenden Elternteil, § 2346 Abs. 2 BGB, um das Entstehen eines Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils zu vermeiden.

Der klagende Sozialleistungsträger hielt den Pflichtteilsverzicht der behinderten Tochter wegen Verstoßes gegen § 138 BGB für unwirksam und leitete deren Pflichtteilsanspruch einschließlich Auskunftsrecht gemäß § 93 SGB XII im Wege einer Stufenklage auf sich über.

Der BGH hielt den Vorgang nach einer Gesamtschau nicht für sittenwidrig und bestätigte die Klageabweisung der beiden Vorinstanzen: Weder das Testament noch der Pflichtteilsverzicht verstießen gegen die guten Sitten. Das Urteil baut zunächst auf einer schon gefestigten Rechtsprechung zum sogenannten Behindertentestament auf und entwickelt diese weiter zu Lasten der Sozialhilfe. Schon mit Urteil vom 21. 3. 1990 - IV ZR 169/89 hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung erbrechtliche Regelungen, die den Nachlass des behinderten Kindes zu seinen Lebzeiten vom Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen, nicht als sittenwidrig angesehen und dies in mehreren nachfolgenden Entscheidungen bestätigt (, , ).

Nach dem BGH ist die Testierfreiheit vorrangig, da das Subsidiaritätsprinzip bei der Sozialhilfe in Bezug auf behinderte Menschen in erheblichem Umfang durchbrochen sei und daher nicht die für einen Maßstab der Sittenwidrigkeit erforderliche Prägekraft habe. Bei Leistungen für behinderte Menschen sei der Vermögenseinsatz auf das Zumutbare beschränkt. Damit überträgt der 4. Senat die bisherige Rechtsprechung zum Behindertentestament nunmehr auf erbrechtliches Handeln. Die Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG enthalte als Pendant die „negative Erbfreiheit”, so dass niemand verpflichtet sei, zu erben. Auch hinsichtlich des Pflichtteilsverzichts habe der im SGB XII unvollkommen ausgestaltete Nachrang nicht die hinreichende Prägekraft. Im Übrigen wirft das Gericht die in Art. 6 GG geschützte familiäre Solidarität in die Waagschale: Hätte die behinderte Tochter nicht verzichtet, hätte sie sich den Wünschen des gesamten Familienbundes entgegengesetzt.

Im Rahmen seiner Urteilsbegründung hat der BGH darüber hinaus den Pflichtteilsverzicht des behinderten Sozialhilfeempfängers mit dem Fall der Ausschlagung einer bereits angefallenen Erbschaft verglichen. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass auch die Ausschlagung einer Erbschaft und eines Vermächtnisses grundsätzlich nicht sittenwidrig ist, und bezieht klare Gegenposition zu den Ausführungen des OLG Stuttgart und OLG Hamm. Seine Rechtsansicht begründet das Gericht damit, dass jeder grundsätzlich in seiner Entscheidung frei sei, ob er Erbe eines anderen werde oder auf andere Art etwas aus dessen Nachlass bekommen will. Daher müsse dem Betreffenden das Recht zur Ausschlagung zustehen, damit sich dieser gegen den vom Gesetz vorgesehenen Vonselbsterwerb gemäß §§ 1922, 1942 BGB wehren könne. Mithin sei die grundsätzliche Ablehnungsmöglichkeit gegenüber Zuwendungen notwendiger Widerpart, der einen unmittelbar wirksamen Vermögensübergang ohne eigenes Zutun erst rechtfertige.

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