Unzulässige Klageabweisung durch Prozessurteil bei mangelnder Nachvollziehbarkeit des Gegenstands des Klagebegehrens; Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge; kein Nachschieben weiterer Zulassungsgründe nach Ablauf der Begründungsfrist
Leitsatz
1. Sieht sich das FG trotz zahlreicher Nachfragen und Hinweise nicht imstande, den Gegenstand des Klagebegehrens eines nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägers hinreichend nachzuvollziehen, kann es die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abweisen.
2. Zu den Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge (angeblich abhanden gekommene Belegordner).
3. Im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde können nach Ablauf der (nur einmal verlängerbaren) Begründungsfrist keine weiteren Zulassungsgründe nachgeschoben werden. Maßgeblich ist vielmehr --abgesehen von schlichten Erläuterungen bzw. die Zulässigkeitsfrage unberührt lassenden Ergänzungen des fristgemäßen Vorbringens-- der Inhalt der innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Beschwerdeschrift.
Gesetze: EStG § 15, FGO § 65 Abs. 1, FGO § 76 Abs. 1, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 96 Abs. 1, FGO § 105 Abs. 3, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, FGO § 116 Abs. 5, FGO § 118 Abs. 2, FGO § 135 Abs. 2, FGO § 142, ZPO § 117
Instanzenzug:
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in den Streitjahren 2007 bis 2010 nach eigenen Angaben mit einer von ihm gegründeten „X"-Gruppe gewerblich tätig (§ 15 des Einkommensteuergesetzes) und betrieb —in der Rechtsform des Einzelunternehmens— ein Y-Büro.
2 Gegenstand des Finanzrechtsstreits ist die Rechtmäßigkeit von durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) gegen den Kläger (zum Teil nach Schätzung der Besteuerungsgrundlagen) erlassenen Bescheiden betreffend die Einkommensteuer und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 sowie die Umsatzsteuer für die Jahre 2007 bis 2008 in Gestalt der jeweiligen (zum Teil erst während des gerichtlichen Verfahrens ergangenen) Einspruchsentscheidung. Hinsichtlich der ebenfalls streitbefangenen Umsatzsteuer 2009 sind nach den Feststellungen der Vorinstanz aufgrund der eingereichten Voranmeldungen zwar Vorsteuererstattungen erfolgt, es liegt jedoch kein Umsatzsteuerbescheid vor; dennoch hat das FA auch insoweit eine Einspruchsentscheidung getroffen.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die vom Kläger ohne Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten erhobene Klage mit Urteil vom als unzulässig ab, weil er trotz mehrfacher Nachfragen und Hinweisen des Gerichts den Gegenstand seines Klagebegehrens nicht hinreichend bezeichnet habe (§ 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). In Bezug auf die Umsatzsteuer 2009 liege zudem kein Steuerbescheid vor. Ungeachtet dessen sei die Klage hinsichtlich der Streitjahre 2007, 2008 und 2010 nicht ausreichend substantiiert und habe daher auch aus diesem Grund keine Aussicht auf Erfolg (vom FG mit „unbegründet” umschrieben), da der Kläger den Nachweis schuldig geblieben sei, dass es sich bei den von ihm geltend gemachten Aufwendungen um Betriebsausgaben gehandelt habe (2007 und 2008), bzw. bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine Steuererklärung für das Jahr 2010 eingereicht worden sei.
4 Einen vom Kläger darüber hinaus gegen das FA geltend gemachten Auskunftsanspruch („welche Unterlagen (...) zur beantragten Steuerrückerstattung (...) vorliegen und diese Angaben als vollständig und richtig zu versichern”) verfolgte er nach Auskunftserteilung in der mündlichen Verhandlung („neben den Steuerakten zwei Belegordner (blau und schwarz), gekennzeichnet mit '. Reisekosten 2007 bis 2008' und '. Reisekosten 2009'”) nicht weiter.
5 Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.
6 Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er —nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO)— auf die „Verletzung von Verfahrensgrundrechte(n)” und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache stützt. Zudem hat er sein Rügevorbringen im Anschluss an die Gegenäußerung des FA vom 20./ vertieft, um weitere Anlagen und Beweisangebote ergänzt sowie zusätzliche Verfahrensmängel beanstandet (Schriftsätze vom 8. und 13. Mai sowie vom ).
7 Das FA hat beantragt, die Revision gegen das Urteil des FG nicht zuzulassen.
Gründe
8 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
9 Sie ist unzulässig, weil der Kläger die Voraussetzungen eines der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Revisionszulassungsgründe nicht ausreichend dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
10 1. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sind unschlüssig (s. zu diesem allgemeinen Erfordernis Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 115 Rz 93, m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—).
11 a) Die Rüge, das FG habe den Vortrag des Klägers hinsichtlich eines „jahrelange(n) Fehlverhalten(s) der Beklagten, das zu einer nachgewiesenen finanziellen Notsituation beim Kläger und seinem Bruder führte, (...) nicht als entscheidende Bewertungsgrundlage in das Urteil einbezogen”, erschließt sich nicht. Die Vorinstanz hat das darauf bezogene Vorbringen in dem 78 Seiten (zzgl. Anlagen) umfassenden Schriftsatz des Klägers vom nicht nur auf den Seiten 9 und 10 des Urteils zusammengefasst (§ 105 Abs. 3 Satz 1 FGO), sondern auch an anderen Stellen (z.B. auf den Seiten 4 und 8) ausdrücklich auf den nämlichen Schriftsatz verwiesen und diesen damit zum Gegenstand der Entscheidungsgründe gemacht (vgl. § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO). Dass das Gericht daraus nicht die vom Kläger gewünschten Rechtsfolgen gezogen hat, belegt keinen Verfahrensmangel. Ein die Revisionszulassung bei „greifbarer Gesetzwidrigkeit” des angefochtenen Urteils ausnahmsweise gestattender sog. qualifizierter Rechtsanwendungsfehler (Unterfall von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO; s. dazu Gräber/ Ratschow, a.a.O., § 115 Rz 68 ff., und § 116 Rz 45, zu den Darlegungsanforderungen, jeweils m.w.N.) lässt sich daraus im Streitfall ebenfalls nicht ableiten.
12 b) Auch die vom Kläger erhobene Sachaufklärungsrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht. Der Kläger bemängelt, dass „auch in diesem Verfahren alle schriftlichen Beweise des Klägers, die zwei Aktenordner füllen” (Hervorhebung von dort) bzw. —zuletzt— zwei von vier Aktenordnern, die der Kläger insgesamt zweimal bei dem FA (davon aufgrund eines Zuständigkeitswechsels einmal bei dem FA F) eingereicht habe, fehlten. Das FG habe es verabsäumt, den „Verbleib jener Unterlagen endgültig aufzuklären”. Demgegenüber ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil, dass das Tatgericht der Frage nach der Existenz bzw. dem Verbleib weiterer entscheidungserheblicher Beweismittel (Belege) in der mündlichen Verhandlung durch Befragung des Beklagtenvertreters nachgegangen ist (vgl. FG-Urteil, Seiten 11 und 15). Vor dem Hintergrund dieser Aufklärungsbemühungen hätte der Kläger daher konkret aufzeigen müssen, aus welchen Gründen sich das FG zu einer noch weitergehenden Erforschung dieses Sachverhalts hätte gedrängt sehen müssen, welche (weiteren) Beweis- bzw. Erkenntnismittel es dazu pflichtwidrig nicht herangezogen bzw. ausgeschöpft hat (z.B. die —auch vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht beantragte— Einvernahme des angeblich für den Transport an das FA F eingesetzten Boten Z) und welche Ergebnisse von der unterlassenen Amtsaufklärungsmaßnahme voraussichtlich zu erwarten gewesen wären (z.B. zu erwartender Inhalt der Angaben des Boten Z). Zu alledem verhält sich die Begründungsschrift indes nicht (s. allgemein zu den Darlegungsanforderungen bei der Sachaufklärungsrüge Gräber/ Ratschow, a.a.O., § 120 Rz 70, m.w.N.).
13 c) Zuletzt mangelt es dem Rügevortrag auch hinsichtlich eines vermeintlichen Verstoßes gegen die richterliche Hinweispflicht aus § 76 Abs. 2 FGO („Hinwirken auf sachdienliche Anträge”) an der erforderlichen Schlüssigkeit (s. erneut Gräber/Ratschow, a.a.O., § 120 Rz 71, m.w.N., zu den Darlegungsanforderungen). Zum einen könnte das Urteil —wozu sich die Beschwerdebegründung überhaupt nicht äußert— allenfalls im Hinblick auf das Streitjahr 2009 auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen. Denn das FG hat die Klage hinsichtlich der Streitjahre 2007, 2008 und 2010 auch in der Sache nicht für erfolgversprechend erachtet (vgl. , BFH/NV 2012, 1157, m.w.N.).
14 Zum anderen geht die Rüge von der unzutreffenden Grundannahme aus —und damit letztlich ins Leere—, dass der Kläger „als 'Nicht-Jurist' deutlicher auf die Folgen des Verbleibens bei dem Klageantrag hätte hingewiesen werden müssen” bzw., dass diesem hätte „mitgeteilt werden müssen, dass auf Basis der bislang gestellten Anträge die Klagen jedenfalls vorläufig durch das Finanzgericht als unzulässig angesehen worden sind” (Hervorhebung jeweils durch den Senat). Der Kläger verkennt bei diesem Rügeansatz, dass sich das FG, wie er selbst zuvor noch einleitend ausgeführt hat, in Anwendung von § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO vom Wortlaut seiner Aufhebungsanträge gelöst und —im Ergebnis erfolglos— versucht hat, den Gegenstand des Klagebegehrens (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu ergründen (vgl. —für das Streitjahr 2009— FG-Urteil, S. 13 f.). Anders als der Kläger meint, hat das Gericht die Klage daher nicht wegen der konkret gestellten Anträge als unzulässig abgewiesen (wegen § 65 Abs. 1 Satz 2 FGO —"soll"— wäre die Klage selbst bei gänzlich fehlenden Anträgen zulässig gewesen, vgl. Gräber/ Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 65 Rz 46, m.w.N.), sondern weil es sich —wie nicht nur das Urteil immer wieder (s. Seiten 12 bis 14), sondern auch das Sitzungsprotokoll ausweist— „trotz eindringlicher und gut gemeinter Hinweise” nicht imstande gesehen hat, den Gegenstand des Klagebegehrens hinreichend, d.h. vor allem „betragsmäßig”, nachzuvollziehen. Dies ist für sich gesehen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Gräber/Herbert, a.a.O., § 65 Rz 32 und 71, m.w.N.). Es kommt danach nicht mehr darauf an, ob die ohne zugrunde liegenden Steuerbescheid ergangene Einspruchsentscheidung betreffend die Umsatzsteuer 2009 zudem, wie das FG ausgeführt hat, nicht isoliert anfechtbar war (vgl. dazu Gräber/Levedag, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 44 Rz 45 ff.), weil es sich dabei nur um eine weitere, im Ergebnis nicht tragende Begründung handelt, auf der das Urteil nicht beruhen kann.
15 Schließlich belegt weder der Beschwerdevortrag noch sind sonst irgendwelche Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die hinsichtlich des Gegenstands des Klagebegehrens erteilten richterlichen Hinweise —auch in Ansehung dessen, dass der Kläger vor dem FG nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war— nicht „deutlich” oder „ausdrücklich” genug waren.
16 2. Die Grundsatzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) des Klägers wird den Darlegungsanforderungen nicht gerecht (s. allgemein dazu Gräber/Ratschow, a.a.O., § 116 Rz 32, m.w.N.). Zwar stellt die Beschwerdebegründung noch eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage heraus („ob ein Finanzgericht von einem Kläger, der weder von einem Rechtsanwalt, noch von einem Steuerberater vertreten worden ist, erhobene Untätigkeits- bzw. Anfechtungsklagen gegen Bescheide als unzulässig verwerfen darf, weil der Kläger sein Klagebegehren nicht hinreichend bezeichnet hat, obwohl das Finanzgericht inhaltlich nicht mitgeteilte Hinweise bzw. Nachfragen ausgebracht hat”). Der Kläger hat es jedoch versäumt, sich mit den in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen zu der aufgeworfenen Rechtsfrage auseinander zu setzen.
17 3. Soweit sich der Kläger in der Beschwerdebegründung einen „weiteren Sachvortrag” vorbehalten hat, übersieht er, dass die Gründe für die Revisionszulassung innerhalb der Begründungsfrist in der gebotenen Form dargelegt werden müssen (Gräber/ Ratschow, a.a.O., § 116 Rz 22). Nach Ablauf der nur einmal verlängerbaren (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO) Begründungsfrist (im Streitfall bis zum ) können demnach insbesondere keine weiteren Zulassungsgründe nachgeschoben werden; maßgeblich ist vielmehr —abgesehen von schlichten Erläuterungen bzw. die Zulässigkeitsfrage unberührt lassenden Ergänzungen des fristgemäßen Vorbringens— der Inhalt der innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Beschwerdeschrift (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 116/06, BFH/NV 2007, 1705, unter 5.). Dabei ist außerdem zu beachten, dass sich das Beschwerdevorbringen bei der Grundsatzrüge innerhalb der vom FG getroffenen Tatsachenfeststellungen bewegen muss, an die der BFH in analoger Anwendung des § 118 Abs. 2 FGO auch im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde gebunden ist (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom X B 5/15, BFH/NV 2016, 8, unter II.1., m.w.N.). Aus diesem Grund konnten hier auch weder die (weiteren) Beweisangebote des Klägers zum Tragen kommen noch kam die von ihm begehrte „Beiziehung der Verfahrensakte BFH, Az. III B 17/14” in Betracht.
18 Zuletzt kann der Kläger im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren weder mit „einfachen” materiell-rechtlichen Angriffen gegen die Richtigkeit des FG-Urteils (diese werden von § 115 Abs. 2 FGO nicht erfasst; zur Ausnahme des qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers s. die Nachweise unter II.1.a) noch mit entsprechenden Einwendungen gegen die dem Urteil vorgelagerte Entscheidung im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gehört werden (vgl. Gräber/Ratschow, a.a.O., § 128 Rz 11, m.w.N.), zumal letztere hier bereits an der fehlenden Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung) scheiterte (vgl. FG-Urteil, Seite 8, 2. Absatz).
19 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
20 Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 928 Nr. 6
JAAAF-70505