Abgrenzung zwischen kostenpflichtiger Teilrücknahme des Rechtsmittels und beschränkter Anfechtung des finanzgerichtlichen Urteils; Verletzung des Rechts auf Gehör
Leitsatz
1. Wird ein zunächst umfassend eingelegtes Rechtsmittel in der Rechtsmittelbegründungsschrift ausdrücklich auf einen Teil der im vorangehenden Klageverfahren angefochtenen Verwaltungsakte beschränkt, ist dies nicht als (kostenpflichtige) Teilrücknahme des Rechtsmittels anzusehen, sondern als von Anfang an lediglich beschränkte Anfechtung des finanzgerichtlichen Urteils.
2. Enthält die Rechtsmittelbegründung nach einer umfassenden Anfechtung des FG-Urteils hingegen keine ausdrückliche Beschränkung in Bezug auf die angefochtenen Verwaltungsakte, fehlt es --soweit die Rechtsmittelbegründung zu einzelnen angefochtenen Verwaltungsakten keine Ausführung enthält-- insoweit an der erforderlichen Begründung, so dass das Rechtsmittel in diesem Umfang unzulässig ist.
3. Die unwiderlegliche Vermutung der Ursächlichkeit einer Gehörsverletzung (§ 119 Nr. 3 FGO) gilt nur, wenn sich der Gehörsverstoß auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht. Betrifft er hingegen nur einzelne Feststellungen bzw. rechtliche Gesichtspunkte, ist mit der Gehörsrüge darzulegen, was der Rechtsmittelführer dem FG bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte.
Gesetze: FGO § 116 Abs. 3, FGO § 120 Abs. 3 Nr. 1
Instanzenzug:
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielt aus einem Brennstoffhandel Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Klageverfahren war zwischen den Beteiligten streitig, ob ihm für die Jahre 2007 und 2008 weitere gewerbliche Einkünfte aus einer Handelsvertretung für ein Pharmaunternehmen —das nachfolgend als GmbH bezeichnet wird— zuzurechnen sind.
2 Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) meldete der Kläger am 23. März 2006 unter der Firma „A“ eine Handelsvertretung für pharmazeutische Produkte an. Am 24. Juli 2006 erteilte er einer Frau X die folgende „Bestätigung“: „Hiermit wird für die Firma A <Name und Anschrift des Klägers>, Vertriebsbüro <Anschrift der X, Name, Geburtsdatum und Anschrift der X> bevollmächtigt, alle Rechtsgeschäfte zwischen der Fa. A und der <Name und Anschrift der GmbH> rechtsverbindlich zu tätigen.“
3 Am 25. Juli 2006 kam es zum Abschluss eines „Dienstleistungs-/Servicesvertrags“ zwischen der GmbH und „A“, wobei für Letztere die Anschrift der Frau X angegeben wurde. Frau X unterschrieb für „A"; der Name des Klägers ist in dem Vertragsdokument nicht genannt. Nach dem Inhalt der Vereinbarung hatte „A“ für die GmbH bestimmte Vertriebs-Dienstleistungen zu erbringen und hierfür Anspruch auf eine monatliche Vergütung von 3.750 € zzgl. Umsatzsteuer und Reisekostenersatz.
4 In der Folgezeit wurde Frau X, über deren Vermögen im Jahr 2002 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war, für die GmbH tätig. Bis 2004 war Frau X als Pharmareferentin bei einem großen Pharmakonzern angestellt und anschließend unter der Bezeichnung „A“ selbständig tätig gewesen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der GmbH befand sie sich in der Wohlverhaltensphase des Insolvenzverfahrens und war verpflichtet, alle Einnahmen, die die Pfändungsfreigrenze überstiegen, an den für ihre Gläubiger bestellten Treuhänder abzuführen.
5 Die GmbH zahlte die monatliche Vergütung für die Vertriebstätigkeit auf ein Bankkonto des Klägers. Dieser meldete die Pharmavertretung am 31. Oktober 2008 wieder ab.
6 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) rechnete die von der GmbH gezahlten Vergütungen dem Kläger zu und schätzte die daraus erzielten Einkünfte auf 44.000 € (2007) bzw. 32.000 € (2008). Im Klageverfahren trug der —seinerzeit nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene— Kläger sinngemäß vor, die Einkünfte seien Frau X zuzurechnen. Er habe von den monatlich auf seinem Bankkonto eingegangenen 3.750 € netto zunächst 2.500 € in bar an Frau X weitergegeben und mit dem Restbetrag u.a. die Miete des Büros der Frau X bezahlt. Dasselbe FA habe im Restschuldbefreiungsverfahren der Frau X dieser den Gesamtbetrag der Vergütungen als eigene Einnahmen zugerechnet. Dies habe zur Folge gehabt, dass Frau X wegen der Nichtabführung der Vergütungen an den Treuhänder die Restschuldbefreiung versagt worden sei. Zum Beweis dieses Vorbringens beantragte der Kläger die Beiziehung der Akte des Insolvenzverfahrens der Frau X. Das FG lehnte den Beweisantrag —bereits vor der mündlichen Verhandlung— ab. Auch nach diesem Zeitpunkt wiederholte der Kläger den Beweisantrag mehrfach.
7 Ferner legten sowohl der Kläger als auch das FA im Klageverfahren Unterlagen aus einem bei der Deutschen Rentenversicherung in Bezug auf Frau X geführten Statusfeststellungsverfahren sowie aus einem arbeitsgerichtlichen Verfahren der Frau X gegen die GmbH vor. Nach der Mitteilung des FA endete dieses Verfahren mit der Feststellung, dass Frau X Arbeitnehmerin der GmbH gewesen sei.
8 Das FG gab der Klage teilweise statt. Zwar seien die Einkünfte aus dem Pharmahandel dem Grunde nach dem Kläger zuzurechnen, da Frau X nur als seine Vertreterin anzusehen sei. Der Höhe nach sei allerdings die vom FA vorgenommene Schätzung zu reduzieren. Frau X habe im Restschuldbefreiungsverfahren eingeräumt, vom Kläger monatlich 2.500 € in bar erhalten zu haben. Danach seien dem Kläger monatlich 1.250 € verblieben. Die behaupteten weiteren Ausgaben für Frau X habe der Kläger nicht nachgewiesen.
9 Hinsichtlich eines weiteren Streitpunkts —der Schätzung der Einkünfte aus dem Brennstoffhandel— hatte die Klage in vollem Umfang Erfolg.
10 Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln.
11 Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
Gründe
12 II. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie die Einkommensteuer 2005 und 2010 sowie die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2005 betrifft. Insoweit fehlt es an der gemäß § 116 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zwingend erforderlichen Beschwerdebegründung.
13 1. Der Kläger hat die Beschwerde ausdrücklich wegen der Einkommensteuerbescheide 2005, 2007, 2008 und 2010 sowie der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2005 erhoben. Die streitigen Einkünfte aus der Vertriebstätigkeit für die GmbH haben aber lediglich in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2007 und 2008 ihren Niederschlag gefunden. In Bezug auf die weiteren Verwaltungsakte war die Klage hingegen in vollem Umfang erfolgreich.
14 In der Beschwerdebegründung hat der Kläger weder die angefochtenen Bescheide bezeichnet noch einen ausdrücklichen Antrag gestellt. Inhaltlich befasst sich die Beschwerdebegründung indes ausschließlich mit den Einkünften aus der Vertriebstätigkeit.
15 2. In der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Fallkonstellationen, in denen ein zunächst umfassend eingelegtes Rechtsmittel in der Rechtsmittelbegründungsschrift ausdrücklich auf einen Teil der im vorangehenden Klageverfahren angefochtenen Verwaltungsakte beschränkt wird, nicht als —kostenpflichtige— Teilrücknahme des Rechtsmittels angesehen worden, sondern als von Anfang an lediglich beschränkte Anfechtung des finanzgerichtlichen Urteils (für Nichtzulassungsbeschwerden , BFH/NV 2008, 952, unter II.1.; für Revisionen Senatsurteil vom 9. Dezember 2014 X R 4/11, BFH/NV 2015, 853, Rz 37, m.w.N.). Dies ist damit begründet worden, dass erst in der Rechtsmittelbegründungsschrift die Stellung eines Antrags —und damit die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird (vgl. für die Revision § 120 Abs. 3 Nr. 1 FGO)— verlangt wird.
16 Etwas anderes gilt aber, wenn die Rechtsmittelbegründung keine ausdrückliche Beschränkung in Bezug auf die —zunächst umfassend angefochtenen— Verwaltungsakte enthält. In diesem Fall bleibt es bei der umfassenden Anfechtung des Urteils; dem Rechtsmittel fehlt es dann in Bezug auf einen Teil der angefochtenen Verwaltungsakte an der erforderlichen Begründung (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung , BFHE 228, 509, BStBl II 2010, 622, unter II.1.). So liegt es auch im Streitfall.
III.
17 Soweit die Beschwerde die Einkommensteuer 2007 und 2008 betrifft, ist sie unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen teils nicht vor; teils sind sie nicht in der erforderlichen Weise dargelegt worden.
18 1. Der Kläger rügt zunächst, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, indem es die Akten des Insolvenzverfahrens der Frau X trotz eines entsprechenden Antrags nicht beigezogen habe. Aus diesen Akten hätte sich ergeben, dass das FA die gesamten 3.750 € monatlich der Frau X als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zugerechnet habe.
19 Aus diesem Vorbringen ergibt sich kein Verfahrensmangel des FG. Das im Insolvenzverfahren der Frau X eingereichte Schreiben des FA vom 18. November 2008 nebst Anlagen, auf das sich das Vorbringen des Klägers in der Beschwerdebegründung bezieht, hatte bereits der Kläger dem FG vorgelegt. Es war dem FG also bekannt. Dass sich aus den Akten des Insolvenzverfahrens noch weitere Erkenntnisse über die seinerzeitige Rechtsauffassung des FA ergeben könnten, die über den Inhalt der vorgelegten Schreiben des FA hinausgehen, hat der Kläger nicht vorgetragen.
20 Im Übrigen entspricht die Argumentation des FA im Schreiben vom 18. November 2008 in einem entscheidenden Detail nicht vollständig dem Vorbringen des Klägers. Das FG hat angenommen, das Entgelt sei unmittelbar durch die —von der Person der Frau X zu unterscheidende— „Firma A“ bezogen worden. Auf dieser Grundlage ist das Schreiben so zu verstehen, dass das FA die darin genannten, von der GmbH tatsächlich gezahlten Bruttobeträge von 4.350 € bzw. 4.462,50 € monatlich nicht etwa unmittelbar der Frau X zugerechnet hat, sondern sie lediglich als Vergleichsmaßstab für die Anwendung der Fiktion der —im Schreiben des FA ebenfalls genannten— Vorschrift des § 295 Abs. 2 der Insolvenzordnung herangezogen hat. Nach dieser Regelung obliegt es dem Schuldner, der eine selbständige Tätigkeit ausübt, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Das FA will in seinem Schreiben an das Insolvenzgericht eine solche angemessene Vergütung aus einem Dienstverhältnis fingieren. Dies ist aber nicht notwendig gleichbedeutend mit der —vom Kläger in dieses Schreiben hineingelesenen— Aussage, dass das FA die Vergütungen der Frau X unmittelbar als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zugerechnet habe.
21 Der Umstand, dass das FG das Schreiben des FA vom 18. November 2008 nicht erkennbar in seine Entscheidungsfindung einbezogen hat, könnte zwar möglicherweise einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO begründen. Einen solchen hat der Kläger aber nicht gerügt. Auch sinngemäß kann seiner Beschwerdebegründung nicht die Rüge entnommen werden, das FG habe seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens geschöpft.
22 2. In Bezug auf die Rüge, das FG habe den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, ist die Beschwerde unzulässig, weil die Darlegungsanforderungen, die an eine solche Rüge zu stellen sind (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO), nicht erfüllt sind.
23 Der Kläger bringt vor, das FG hätte ihn darauf hinweisen müssen, dass er für die Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben Nachweise vorlegen müsse. Zudem sei die vom FG gegebene Begründung, Mietzahlungen für Frau X könnten dem Kläger nicht entstanden sein, weil der Vertrag mit der GmbH einen Anspruch auf Reisekostenersatz vorsehe, überraschend.
24 Der Senat lässt offen, ob das FG in diesem Sinne zu verstehen ist. Es hat in Bezug auf die Reise- und notwendigen Übernachtungskosten formuliert, „Insoweit“ konnten dem Kläger keine Aufwendungen entstanden sein. Für „weitere“ Aufwendungen fehlten Nachweise. Mit „weiteren“ Aufwendungen können auch weitere Mietaufwendungen gemeint sein.
25 Für eine in zulässiger Form erhobene Gehörsrüge fehlt es jedenfalls an der Darlegung, was der Kläger dem FG bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte (vgl. hierzu , BFH/NV 2008, 1848, unter II.2.c, m.w.N.). Die unwiderlegliche Vermutung der Ursächlichkeit einer Gehörsverletzung (§ 119 Nr. 3 FGO) gilt nur, wenn sich der Gehörsverstoß auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802: verfahrensfehlerhafte Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne den Kläger), nicht aber, wenn der Gehörsverstoß —wie hier— nur einzelne Feststellungen bzw. rechtliche Gesichtspunkte betrifft (vgl. , BFH/NV 2015, 1256, Rz 13, m.w.N.).
26 Vorliegend hat der Kläger nicht dargelegt, was er dem FG im Falle der Erfüllung der Hinweispflicht noch vorgetragen hätte. Er hat vielmehr pauschal behauptet, er hätte „noch entsprechend vortragen und Beweis antreten können“. Dies stellt keinen hinreichend konkreten Sachvortrag zu den weiteren geltend zu machenden Betriebsausgaben dar.
27 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
28 4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 771 Nr. 5
BAAAF-69690