Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung des Gebots des gesetzlichen Richters - nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Richterbank - Selbstentscheidung des Richters über ein Ablehnungsgesuch bzw einen Befangenheitsantrag
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, § 557 Abs 2 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Instanzenzug: Az: S 23 AS 4596/10vorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 2 AS 551/14 Urteil
Gründe
1Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) vom ist zulässig, denn er hat einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
2Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor. Das LSG war bei seinem auf die mündliche Verhandlung vom ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 Nr 1 Zivilprozessordnung <ZPO> iVm § 202 Satz 1 SGG). Denn an diesem Urteil hat ein Richter mitgewirkt, den der Kläger zuvor am Terminstag zwar erfolglos abgelehnt hatte, dessen Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt hat. Die Verwerfung des diesen Richter betreffenden Ablehnungsgesuchs als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten Richters hat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt Bundesverfassungsgericht <BVerfG> Beschluss vom - 1 BvR 1288/14; Bundessozialgericht <BSG> Beschluss vom - B 14 AS 363/13 B - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung vorliegend entgegen § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG nicht gebunden ist (vgl BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN).
3Der vom Kläger abgelehnte Richter K. hat vor Beginn der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils vom an dem Beschluss vom mitgewirkt, durch den das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung als unzulässig verworfen worden ist, es sei rechtsmissbräuchlich zur Verzögerung und Verhinderung der mündlichen Verhandlung gestellt. Der Kläger, der selbst Rechtsanwalt sei, habe die Ladung zum Termin am erhalten und stütze sich in seinem Ablehnungsgesuch, das am Terminstag um 00:14 Uhr bei Gericht eingegangen sei, auf eine vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses vom in einem Parallelverfahren sowie ebenfalls als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen in einem weiteren Parallelverfahren. Bei dieser Sachlage - Anbringung des Antrags wenige Stunden vor dem Termin trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe - liege es auf der Hand, dass der Ablehnungsantrag vom Kläger allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht worden sei, um eine Verlegung des Termins zu erzwingen.
4Diese Ausführungen des LSG lassen die Einhaltung der engen Grenzen für eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch nicht erkennen. Art 101 Abs 1 Satz 2 GG lässt lediglich in den klaren Fällen eines unzulässigen oder missbräuchlich angebrachten Ablehnungsgesuchs eine Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das Gesuch zu. Entsprechend ist bei dem kollegial besetzten LSG über ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne den abgelehnten Richter von dem zuständigen Senat mit dem nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter zu entscheiden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine eigene angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste. Wie im Zivil- und Strafprozess ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannt, dass abweichend von dem aufgezeigten Grundsatz der Spruchkörper ausnahmsweise in alter Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nur über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheidet (vgl ; im Einzelnen - juris RdNr 8 ff mwN).
5Vorliegend hat der abgelehnte Richter das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch mit anderen Richtern zwar als unzulässig verworfen, weil er es für rechtsmissbräuchlich hielt. Aus der Begründung des Beschlusses vom ergibt sich indes zugleich, dass dieser Entscheidung eine Bewertung der vom Kläger vorgetragenen konkreten Ablehnungsgründe zugrunde liegt. Denn ob diese Ablehnungsgründe allein aus verfahrensfremden Gründen angebracht und rechtsmissbräuchlich sind, lässt sich nicht entscheiden, ohne die vom Kläger gegen Richter K. vorgetragenen Gründe zu bewerten: Ergibt sich aus diesen Ablehnungsgründen eine rechtzeitig geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit, ist dem Ablehnungsgesuch zu entsprechen, auch wenn es erst am Terminstag angebracht wird. Dem Beschluss des LSG liegt damit die nicht ausdrücklich formulierte, aber in ihm doch anklingende Bewertung zugrunde, die vom Kläger vorgetragenen Gründe liegen entweder nicht vor ("vermeintlich unsachliche Begründung eines Kostenbeschlusses", "als unsachlich gerügte prozessleitende Verfügungen") oder sind, lägen sie vor, nicht rechtzeitig geltend gemacht ("trotz langer Kenntnis der vermeintlichen Ablehnungsgründe"); eine andere überprüfbare Begründung für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig lässt sich den Gründen des Beschlusses nicht entnehmen (zur Überprüfung der Begründung für die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs vgl RdNr 20).
6In dieser Weise konnte der abgelehnte Richter K. nicht selbst entscheiden, ohne zugleich die gegen ihn vorgetragenen Ablehnungsgründe zu bewerten. Damit wird das ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen zulässige Selbstentscheidungsrecht im vereinfachten Ablehnungsverfahren, das nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern soll, der Sache nach auf einen Fall der mangelnden Begründetheit eines Ablehnungsgesuchs ausgedehnt. Es liegt deshalb eine unzulässige Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch vor und der hierin liegende Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters wirkte in der Besetzung des LSG bei seiner Endentscheidung im mit der Beschwerde angefochtenen Urteil vom fort.
7Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 547 Nr 1 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG) führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 SGG).
8Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:161215BB14AS19115B0
Fundstelle(n):
IAAAF-48450