Verminderung der Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L - Entgeltfortzahlung im Urlaubsfall
Gesetze: § 20 Abs 4 S 1 TV-L, § 20 Abs 1 TV-L, § 21 S 1 TV-L, § 3 Abs 1 BUrlG, § 4 BUrlG, § 1 BUrlG, § 3 Abs 1 S 1 EntgFG, § 26 Abs 1 TV-L
Instanzenzug: Az: 30 Ca 2775/13 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 11 Sa 885/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe der tariflichen Jahressonderzahlung für das Jahr 2012.
2Die Klägerin war seit 1996 bei dem beklagten Freistaat beschäftigt. Nach § 3 des Arbeitsvertrags vom bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder jeweils geltenden Fassung. Die Klägerin war durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ohne Unterbrechung vom bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am an der Arbeitsleistung verhindert. Im Anschluss an die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhielt sie bis zum einen Krankengeldzuschuss. Ihr Resturlaub aus dem Jahr 2011 wurde nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusammen mit dem Jahresurlaub für das Jahr 2012 abgegolten.
3Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom (TV-L) lautet in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung des 6. Änderungstarifvertrags vom auszugsweise wie folgt:
4Der beklagte Freistaat verminderte die Sonderzahlung für das Kalenderjahr 2012 unter Berufung auf § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L um acht Zwölftel, weil die Klägerin in den acht Monaten von Mai bis Dezember 2012 weder Anspruch auf Entgelt noch auf Fortzahlung des Entgelts nach § 21 TV-L gehabt habe.
5Die Klägerin hat gemeint, ihr stehe die unverminderte Jahressonderzahlung 2012 und damit ein weiterer - rechnerisch unstreitiger - Betrag von 1.337,34 Euro brutto zu. Da eine Verminderung der Jahressonderzahlung nur für Kalendermonate in Betracht komme, in denen an keinem Tag Anspruch auf Entgelt(fortzahlung) bestanden habe, stehe ihr auch die anteilige Sonderzahlung für die Monate Mai bis Dezember 2012 zu, denn in dieser Zeit habe sie monatlich für jeweils 2,5 Arbeitstage einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Urlaubsfall erworben.
6Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
7Der beklagte Freistaat hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Verminderung der Jahressonderzahlung um acht Zwölftel sei zu Recht erfolgt. Die Klägerin habe im Zeitraum von Mai bis Dezember 2012 keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt gehabt, weil ihr wegen der Arbeitsunfähigkeit kein Urlaub erteilt worden sei.
8Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit vorliegend von Interesse - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
Gründe
9Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann von dem beklagten Freistaat nicht weitere 1.337,34 Euro brutto als Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 2012 verlangen. Der beklagte Freistaat war berechtigt, die Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L um diesen Betrag zu kürzen. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
10I. Der TV-L findet in der hier maßgeblichen Fassung des 6. Änderungstarifvertrags vom aufgrund der Bezugnahmeklausel in § 3 des Arbeitsvertrags vom auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Gemäß § 2 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) vom iVm. Anlage 1 Teil A Nr. 1, Teil B Nr. 18 hat der TV-L den BAT vom und den Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom ersetzt.
11II. Die Klägerin hat gemäß § 20 Abs. 1 TV-L dem Grunde nach Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2012, weil sie am in einem Arbeitsverhältnis stand. Der Anspruch in Höhe von 80 % der Bemessungsgrundlage (§ 20 Abs. 2 und Abs. 3 TV-L) vermindert sich jedoch nach § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L um acht Zwölftel, weil die Klägerin in acht der zwölf maßgeblichen Monate keinen Anspruch auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung hatte.
121. Bereits der Wortlaut des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L, von dem bei der Auslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 13), spricht für ein solches Verständnis. Danach vermindert sich der Anspruch auf die Jahressonderzahlung für Monate ohne Entgelt- oder Entgeltfortzahlungsansprüche. Der Klägerin standen für die betreffenden Monate keine derartigen Ansprüche zu.
13a) Die Klägerin hat in dem Zeitraum von Mai bis Dezember 2012 nicht gearbeitet und folglich keine Entgeltansprüche erworben.
14b) Entgeltfortzahlungsansprüche wegen Arbeitsunfähigkeit bestanden ebenfalls nicht. Die Klägerin war zwar in der Zeit von Mai bis Dezember 2012 arbeitsunfähig erkrankt, der Entgeltfortzahlungszeitraum nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, § 22 Abs. 1 TV-L war jedoch ebenso abgelaufen wie der Zeitraum, in dem die Klägerin nach § 22 Abs. 2 und Abs. 3 TV-L einen Krankengeldzuschuss verlangen konnte (§ 20 Abs. 4 Satz 3 TV-L).
15c) Die in der Zeit von Mai bis Dezember 2012 entstandenen Urlaubsansprüche haben auch keine „Ansprüche auf Entgeltfortzahlung“ iSd. TV-L ausgelöst. Bei den Zeiträumen, für die sich der Anspruch auf die Jahressonderzahlung gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L jeweils um ein Zwölftel vermindert, handelt es sich um Kalendermonate ohne „Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21“. Aus der Verweisung in § 21 Satz 1 auf § 26 TV-L ergibt sich, dass für den Fall des Erholungsurlaubs mit dem „Anspruch auf … Fortzahlung des Entgelts nach § 21“ das Urlaubsentgelt gemeint ist. Denn nach § 26 Abs. 1 Satz 1 TV-L haben Beschäftigte in jedem Kalenderjahr „Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21)“. Notwendige Voraussetzung für den Anspruch auf Urlaubsentgelt ist jedoch, dass Erholungsurlaub gewährt und genommen wurde. Solange dies nicht der Fall ist, besteht auch kein Anspruch auf „Fortzahlung des Entgelts“ iSv. § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L.
162. Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang und der sich hieraus ergebende Sinn und Zweck des § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L zeigen, dass einer Verminderung der Jahressonderzahlung nur der Anspruch auf Urlaubsentgelt, nicht aber der Erwerb von Urlaubsansprüchen entgegensteht.
17a) Bei der Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L handelt es sich - auch - um eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung. Dies folgt aus § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L, wonach für Monate ohne Anspruch auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung grundsätzlich kein Anspruch auf die Jahressonderzahlung besteht. Wie die Stichtagsregelung in § 20 Abs. 1 TV-L zeigt, wird mit der Jahressonderzahlung zugleich Betriebstreue honoriert. Schließlich sollen die Mitarbeiter durch die Jahressonderzahlung auch für die Zukunft zu reger und engagierter Mitarbeit motiviert werden ( - Rn. 20 mwN, BAGE 144, 117). Dass - wie die Revision meint - die Jahressonderzahlung vor allem die Betriebstreue honoriere und eine lange Erkrankung, Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit nicht dazu führen könne, die Betriebstreue weniger zu belohnen, ist unzutreffend. Sowohl der Vergütungs- als auch der Motivationscharakter der Jahressonderzahlung würden ausgeblendet, wenn bereits der Erwerb von Urlaubsansprüchen einer Verringerung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L entgegenstünde.
18b) Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach vollendeter Wartezeit (§ 4 BUrlG) für das Entstehen neuer Urlaubsansprüche zu Beginn des Kalenderjahres allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung ist. Der Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat ( - Rn. 11 mwN, BAGE 148, 115). Nach dem Verständnis der Revision käme die Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung damit weder bei langzeiterkrankten noch bei solchen Beschäftigten in Betracht, die unbezahlten Sonderurlaub nach § 28 TV-L erhalten haben (vgl. dazu - Rn. 9, BAGE 142, 371). Die Ausnahmeregelung in § 20 Abs. 4 Satz 3 TV-L wäre überflüssig.
193. Die Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung hat entgegen der Auffassung der Revision auch nicht dann zu unterbleiben, wenn die Urlaubsansprüche aus dem betreffenden Kalenderjahr zu einem späteren Zeitpunkt abgegolten werden. Auch in diesem Fall hat der Arbeitnehmer in dem für die Jahressonderzahlung maßgeblichen Bezugsjahr im Umfang der Urlaubsabgeltung keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt und damit auch keinen Anspruch auf „Fortzahlung des Entgelts“ iSd. § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L erworben.
204. Die Revision kann sich zur Stützung ihrer Auffassung nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG vom (Arbeitszeitrichtlinie) berufen.
21a) Die Revision übersieht, dass die Frage, ob die Klägerin für das Kalenderjahr 2012 Urlaubsansprüche erworben hat, ausweislich der in § 20 TV-L tariflich normierten Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlusstatbestände unerheblich ist. Danach ist die Jahressonderzahlung gemäß § 20 TV-L als urlaubsunabhängige Sonderzahlung ausgestaltet (vgl. zur Differenzierung - Rn. 25 ff. mwN). Sie wird ohne Rücksicht darauf gezahlt, ob im jeweiligen Kalenderjahr ein Urlaubsanspruch bestand oder Urlaub gewährt oder abgegolten wurde. Auch ihre Höhe richtet sich weder nach dem Urlaubsentgelt noch nach einer etwa gezahlten Urlaubsabgeltung.
22b) Das gewandelte Verständnis des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung, der nicht mehr als Äquivalent zum Urlaubsanspruch, sondern als ein Aliud in Form eines selbständigen Geldanspruchs anzusehen ist (vgl. dazu - Rn. 18 mwN), wirkt sich im Streitfall nicht zugunsten der Klägerin aus, weil das Unionsrecht keine Vorgaben zur Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen für die tarifliche Jahressonderzahlung nach § 20 TV-L enthält. Ob die Klägerin, wie die Revision der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen glaubt, in jedem Kalendermonat nach und nach einen anteiligen Urlaubsanspruch erworben hat, bedarf deshalb keiner Entscheidung. Selbst wenn das der Fall wäre, änderte dies nichts an der Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 TV-L, da nach dieser Tarifvorschrift bezogen auf den Urlaub ein „Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts“ nur besteht, wenn dem Beschäftigten Urlaub gewährt wurde und er deshalb Anspruch auf Urlaubsentgelt hat. Ebenso kann dahinstehen, ob der Verminderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung auch ein im selben Kalenderjahr fällig gewordener Anspruch auf Urlaubsabgeltung entgegensteht. Im Streitfall ist der Abgeltungsanspruch der Klägerin erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Januar 2013 fällig geworden (vgl. - Rn. 13) und damit nach Ablauf des für die Jahressonderzahlung 2012 maßgeblichen Bezugszeitraums.
23III. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:111115.U.10AZR645.14.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 308 Nr. 5
VAAAF-48223