BSG Beschluss v. - B 13 R 9/15 B

(Sozialgerichtsverfahren - Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht bei einer Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde - höhere Gewalt iS von § 67 Abs 3 SGG)

Gesetze: § 67 Abs 3 SGG, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a SGG, § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 121 Abs 1 ZPO, Art 19 Abs 4 S 1 GG

Instanzenzug: SG Dessau-Roßlau Az: S 1 R 62/08 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Az: L 3 R 388/14 Urteil

Gründe

1I. Das die vom Kläger am erhobene Berufung gegen den seinen damaligen Prozessbevollmächtigten am zugestellten Gerichtsbescheid des SG Dessau-Roßlau vom als unzulässig - weil verspätet - verworfen. Die Voraussetzungen für eine Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Den darauf gerichteten Antrag habe der Kläger mehr als fünf Jahre nach Ablauf der versäumten Frist gestellt, obgleich er von seinen damaligen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom ausdrücklich auf den Fristablauf am hingewiesen worden sei.

2Der Kläger hat beim BSG Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil des LSG erhoben. Er macht geltend, das LSG habe rechtsfehlerhaft in der Sache bereits entschieden, noch bevor es über seine Beschwerde gegen den hinsichtlich der Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe (PKH) befunden habe. Außerdem hätte ihm das LSG Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist gewähren müssen, denn er habe erst jetzt Kenntnis von dieser Möglichkeit erlangt. Das SG habe seine Klage auf Auszahlung einer Rentennachzahlung, die vom beklagten Rentenversicherungsträger unter Hinweis auf einen befriedigten Erstattungsanspruch der Krankenkasse wegen überzahlten Krankengelds (§ 50 Abs 2 Nr 2 SGB V iVm §§ 103, 107 SGB X) verweigert worden sei, zu Unrecht abgewiesen, denn sowohl die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit als auch das Krankengeld seien Versicherungsleistungen, für die er Pflichtbeiträge gezahlt habe und die deshalb nicht aufeinander angerechnet werden dürften.

3Zudem hat der Kläger für das Beschwerdeverfahren PKH beantragt.

4II. 1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen.

5Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das ist hier nicht der Fall.

6Dabei kann offenbleiben, ob im Fall des Klägers die strengen Voraussetzungen für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG (§§ 160, 160a SGG) etwa im Hinblick auf den vom Kläger behaupteten Verfahrensmangel (fehlende Entscheidung des LSG über den von ihm mit Schreiben vom auch gegen den PKH ablehnenden Beschluss vom erhobenen Rechtsbehelf "Beschwerde laut §§ 160, 160a und 178a sowie ZPO § 127" vor Erlass des Urteils in der Hauptsache) überhaupt erfüllbar sind. Denn die hinreichende Erfolgsaussicht ist bei einer Entscheidung über die Bewilligung von PKH für ein Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht allein danach zu beurteilen, ob die Beschwerde Aussicht auf Erfolg hat, dh ob möglicherweise aufgrund von Verfahrensfehlern die Revision zuzulassen wäre. Vielmehr ist PKH auch dann zu versagen, wenn klar auf der Hand liegt, dass der Antragsteller letztlich nicht erreichen kann, was er mit dem Prozess erreichen möchte. PKH hat nicht den Zweck, Bedürftigen die Durchführung von Verfahren zu ermöglichen, die im Ergebnis nicht zu ihrem Vorteil ausgehen können und die daher ein vernünftiger Rechtsuchender auf eigene Kosten nicht führen würde (stRspr, vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1041/05 - SozR 4-1500 § 73a Nr 3 RdNr 10 ff; BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 3 mwN; - BeckRS 2014, 71432 RdNr 3 ff).

7So verhält es sich mit dem vom Kläger mit diesem Verfahren verfolgten Rechtsmittel gegen den . Dieser wurde seinen damaligen Prozessbevollmächtigten am zugestellt, sodass die einmonatige Berufungsfrist (§ 151 Abs 1 SGG) am Montag, dem ablief (§ 64 Abs 2 S 1 iVm Abs 3 SGG). Der erst mehr als fünf Jahre nach Fristablauf mit Schreiben vom (beim LSG eingegangen am ) vom Kläger angebrachte Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist war, wie im (gesonderte Entscheidung über die Wiedereinsetzung) zutreffend ausgeführt ist, gemäß § 67 Abs 3 SGG unzulässig. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Kläger ein solcher Antrag vor Ablauf der in dieser Vorschrift für Wiedereinsetzungsgesuche grundsätzlich vorgesehenen Jahresfrist ausnahmsweise "infolge höherer Gewalt" unmöglich gewesen sein könnte.

8Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, er habe den Antrag nicht früher stellen können, weil er "erst jetzt" (Schreiben vom ) Kenntnis von dieser prozessualen Möglichkeit erlangt habe, hilft ihm das nicht weiter. Denn unter höherer Gewalt iS von § 67 Abs 3 SGG ist auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf effektiven Zugang zu den Gerichten (Art 19 Abs 4 S 1 GG) nur ein Ereignis zu verstehen, das auch durch die größte nach den Umständen des gegebenen Falles vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe - also unter Berücksichtigung seiner Lage, Erfahrung und Bildung - zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (vgl BVerfG <Kammer> - BVerfGK 12, 303, 306 mwN). Allein die fehlende Kenntnis über das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung - ihr Vorliegen beim Kläger unterstellt - erfüllt ebenso wenig wie ein bloßer Rechtsirrtum diese Merkmale der höheren Gewalt (vgl - BFHE 250, 19 = Juris RdNr 38). Zudem ist weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dieser durch ein dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde zuzurechnendes Verhalten von der rechtzeitigen Anbringung eines Wiedereinsetzungsantrags abgehalten worden wäre (zu solchen Konstellationen vgl - SozR 4-1500 § 67 Nr 9 RdNr 10).

9Erfolgsaussichten ergeben sich auch dann nicht, wenn das ursprünglich gegenüber dem LSG als "Wiedereinsetzungsantrag laut SGB X § 44" bezeichnete Begehren des Klägers (vgl Berufungsschrift vom - S 3) als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hinsichtlich der Entscheidung über die Nichtauszahlung der errechneten Rentennachzahlung im Bescheid der Beklagten vom (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ) gedeutet wird (zum Verwaltungsakts-Charakter der Mitteilung über die Nichtauszahlung vgl - BSGE 91, 68 = SozR 4-1300 § 31 Nr 1, RdNr 9; - Juris RdNr 15). Über einen solchen Überprüfungsantrag hätte zunächst der beklagte Rentenversicherungsträger in einem neuen Verwaltungsverfahren entscheiden müssen; ein entsprechender Antrag kann nicht unmittelbar zur Eröffnung eines Berufungsverfahrens gegen die bestandskräftig gewordene erstinstanzliche Entscheidung zur Rechtmäßigkeit der Nichtauszahlungs-Bescheide führen (zur Möglichkeit der Durchbrechung der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils auf der Grundlage von § 44 SGB X siehe - SozR 4-2600 § 249b Nr 1 RdNr 18). Schon deshalb kann der Kläger auch auf der Grundlage des § 44 SGB X in Bezug auf das von ihm - gleichsam als "Abkürzung" - erstrebte Rechtsmittelverfahren keinen Erfolg haben. Ungeachtet dessen besteht jedoch von vornherein kein Anspruch auf Überprüfung durch die Behörde nach § 44 SGB X, wenn schon wegen Ablaufs der in § 44 Abs 4 SGB X geregelten Vier-Jahres-Frist eine Erbringung von Sozialleistungen für die Vergangenheit nicht in Betracht kommt ( 8 BH (Kn) 1/94 - SozR 3-6610 Art 5 Nr 1 S 4). Aus diesem Grund kann der Kläger auch mit seinem materiellen Begehren auf Auszahlung der für den Zeitraum Februar 2005 bis September 2006 zunächst im Rentenbescheid vom errechneten, im Abrechnungsbescheid vom aber versagten Rentennachzahlung letztlich keinen Erfolg haben.

10Nach alledem kann der Kläger sein Rechtsschutzziel über eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das keinesfalls erreichen. Deshalb kann ihm aufgrund fehlender Erfolgsaussichten PKH für dieses Verfahren nicht gewährt werden; ebenso entfällt die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

112. Die von dem Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften, weil sie nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein.

12Die nicht formgerecht erhobene Beschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

13Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:151215BB13R915B0

Fundstelle(n):
GAAAF-46391