Haftung des ehemaligen Vertreters einer britischen Limited für Umsatzsteuerverbindlichkeiten und Säumniszuschläge der Ltd.
aufgrund geschätzter, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender und damit nur formell bestandskräftiger Umsatzsteuerbescheide
Anwendbarkeit von § 166 AO bereits bei formeller Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung
Leitsatz
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der ehemalige Vertreter einer britischen Limited rechtmäßig als Haftungsschuldner
für Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Limited in Anspruch genommen werden kann, wenn er im streitigen Zeitraum als alleiniger
Geschäftsführer und anschließend als Mitgeschäftsführer neben einem weiteren Geschäftsführer der Limited nicht für die fristgerechte
Einreichung inhaltlich zutreffender Umsatzsteuervoranmeldungen sowie für die fristgerechte Einreichung einer inhaltlich zutreffenden
Umsatzsteuererklärung für das Vorjahr gesorgt hat. Der Haftungsschuldner muss die gegenüber der Limited ergangenen geschätzten,
formell bestandskräftigen, nicht mit Einsprüchen angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bzw. Voranmeldungen auch dann nach §
166 AO gegen sich gelten lassen, wenn sie unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind und daher auf einen entsprechenden
Antrag der Limited hin noch nach § 164 Abs. 2 AO geändert hätten werden können (gegen ).
2. § 166 AO stellt auf die formelle Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, nicht auf deren materielle Unabänderbarkeit ab.
Voraussetzung ist damit, dass die Steuerfestsetzung nicht (mehr) mit einem förmlichen Rechtsbehelf (Einspruch, Klage, Nichtzulassungsbeschwerde,
Revision) angefochten werden kann. Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Korrekturvorschriften
der AO noch geändert werden kann.
3. Lässt der potentielle Haftungsschuldner eine Steuerfestsetzung gegenüber der von ihm vertretenen Gesellschaft im Vertrauen
auf die materielle Änderungsmöglichkeit formell bestandskräftig werden, hat er die sich hieraus ergebende Gefahr, dass es
zu einer Änderung der Steuerfestsetzungen nicht mehr kommt, selbst zu tragen. Eine besondere Schutzwürdigkeit des Haftungsschuldners
besteht insoweit nicht (Anschluss an ).
4. Der Erlass eines Haftungsbescheides i. S. v. § 191 AO setzt keine wirksame Bekanntgabe entsprechender Steuerbescheide voraus.
Ausreichend sind vielmehr die materiell-rechtliche Entstehung sowie das aktuelle Fortbestehen der Steuerschuld.
5. Die Haftung des Vertreters einer Kapitalgesellschaft gemäß § 69 S. 2 AO erfasst dem Grunde nach auch die von der Gesellschaft
verwirkten Säumniszuschläge zu den rückständigen sog. Primärschulden; das gilt aber ab dem Zeitpunkt der sog. Insolvenzreife
der Gesellschaft i. S. v. § 17 Abs. 2 InsO nur noch für 50 v. H. der ab diesem Zeitpunkt verwirkten Säumniszuschläge.
Tatbestand
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n): DStR 2016 S. 10 Nr. 18 DStRE 2016 S. 814 Nr. 13 EFG 2016 S. 257 Nr. 4 Ubg 2016 S. 438 Nr. 7 Ubg 2016 S. 629 Nr. 10 WAAAF-45687
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