BSG Beschluss v. - B 12 KR 118/14 B

Instanzenzug: S 8 KR 169/10

Gründe:

1In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit von Verwaltungsakten.

2Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung seines Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

3Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Allein die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

4Der Kläger beruft sich in seiner Beschwerdebegründung vom allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

51. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Frage erneut klärungsbedürftig werden, hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13).

6Der Kläger hält die folgenden Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

"Ist ein Verwaltungsakt, der nur auf Antrag ergehen darf (§ 18 Satz 2 Ziff. 2 SGB X), in der Regel nichtig, wenn es an dem Antrag fehlt?"

"Ist ein Verwaltungsakt, der nur auf konstitutiven Antrag hin ergehen darf (§ 118 Satz 2 Ziff. 2 SGB X), nichtig, wenn es an dem Antrag fehlt und zugleich der Betroffene durch den ohne Antrag erlassenen Verwaltungsakt nur oder überwiegend belastet wird?"

7Der Kläger führt ergänzend ua aus, die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen ein fehlender Antrag unter Berücksichtigung der §§ 40, 41 SGB X zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes führe, sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die Einzelheiten seien höchstrichterlich nicht geklärt. Das BSG sei im Jahr 1995 von seiner früheren Rechtsprechung abgewichen. Dazu zitiert der Kläger wörtlich aus drei Entscheidungen des BSG (SozR 2200 § 1303 Nr 12, BSGE 52, 245 = SozR 2200 § 1303 Nr 22 und BSGE 76, 149 = SozR 3-2500 § 106 Nr 28). Auch die Literatur beantworte die Frage der Nichtigkeit von Verwaltungsakten nach fehlendem Antrag uneinheitlich.

8Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm formulierten Fragen - ihre Qualität als auf die Auslegung von § 40 Abs 1 SGB X bezogene Rechtsfragen unterstellt - im zu entscheidenden Fall nicht in der gebotenen Weise dar. Die Beschwerdebegründung genügt jedenfalls deshalb nicht den dargestellten Darlegungsanforderungen, weil sie bei der Untersuchung der Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend bereits ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung in den Blick nimmt. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit genügt es nämlich nicht schon vorzutragen, das BSG habe die formulierten Fragen aktuell noch nicht beantwortet. Fehlender revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf kann sich vielmehr auch daraus ergeben, dass eine Rechtsfrage deshalb als geklärt angesehen werden muss (und das Klagebegehren deshalb im Ergebnis keinen Erfolg haben kann), weil sich die Beantwortung der Frage zumindest aus sonstigen höchstrichterlichen Entscheidungen erschließen lässt, die ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfragen bieten (vgl zB Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 8 mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen). Ergeben sich hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit einer als grundsätzlich bedeutsam hervorgehobenen Rechtsfrage insoweit Zweifel, muss die Beschwerde diese Zweifel ausräumen. Hierzu gehört es zum einen insbesondere, höchstrichterliche Rechtsprechung auf gemeinsame Beurteilungsgesichtspunkte hin zu untersuchen, und zum anderen - falls nach der Formulierung der aufgeworfenen Fragen geboten - substanziell die Ausgestaltung und den Bedeutungsgehalt der im Ausgangspunkt der Fragestellung einschlägigen einfachgesetzlichen Normen darzustellen (vgl zB Leitherer, aaO, § 160a RdNr 14e mwN, speziell zur Unwirksamkeit einer Norm wegen Verstoßes gegen Verfassung- bzw Gemeinschaftsrecht). Daran mangelt es.

9Unter diesem Blickwinkel ist zunächst von Bedeutung, dass auch die vom Kläger auf Seite 6 ff der Beschwerdebegründung selbst in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG davon ausgeht, dass das Fehlen eines erforderlichen Antrags nicht (bzw nicht mehr) generell zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führt, sondern nur "in der Regel" ( - SozR 2200 § 1303 Nr 12; 5b/5 RJ 90/80 - BSGE 52, 245 = SozR 2200 § 1303 Nr 22 [jeweils betreffend Beitragserstattung in der gesetzlichen Rentenversicherung]) bzw nur beim Vorliegen bestimmter Umstände ( - BSGE 76, 149 = SozR 3-2500 § 106 Nr 28 [betreffend eine antragsabhängige Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassen-/Vertragsarztrecht]). Der Kläger zitiert auch in den auf Seite 9 f der Beschwerdebegründung wiedergegebenen aktuellen Literaturstellen keinen Autor, der einen fehlenden Antrag uneingeschränkt als Nichtigkeitsgrund ansieht. Vor diesem Hintergrund wäre es dann aber geboten gewesen, zum einen Fallkonstellationen aufzuzeigen, die entweder in § 40 Abs 2 SGB X selbst geregelt sind, oder in denen die vom Kläger auch im vorliegenden Fall ja gerade - entgegen der Ansicht des LSG - als Rechtsfolge angestrebte Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ("soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist", § 40 Abs 1 SGB X) in der Rechtsprechung des BSG oder anderer Bundesgerichte bejaht wurde; erforderlich wären dazu ferner Ausführungen zu den Gründen für die Vergleichbarkeit der vorliegend streitigen Konstellation mit Fällen, in denen eine Nichtigkeit anzunehmen ist bzw angenommen wurde. All dieses lässt sich indessen nicht darlegen, ohne dass dazu näher auf den rechtlichen Hintergrund des Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV und auf die dazu ergangene umfangreiche Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl dazu zB die umfangreichen Nachweise bei Pietrek in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 7a RdNr 26 ff, Kommentierungsstand sowie zuletzt BSGE 115, 171 = SozR 4-1300 § 13 Nr 2, RdNr 16 ff) eingegangen wird: Für die Frage, ob die hier streitigen Verwaltungsakte ggf (nur) rechtswidrig oder sogar nichtig sind, hätte sich der Kläger damit befassen müssen, dass § 7a Abs 1 S 2 SGB IV in bestimmten Fällen Statusfeststellungsverfahren auch ohne Antragstellung der betroffenen Erwerbstätigen (Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Auftraggeber-Auftragnehmer) vorsieht und dass selbst eine Statusfeststellung bei der Antragstellung durch nur eine Vertragspartei auch ohne Antrag der anderen Partei zugleich zu deren Lasten wirkt (vgl § 12 Abs 2 S 2 SGB X, § 75 Abs 2, § 141 Abs 1 SGG). Darüber hinaus hat schon das LSG darauf hingewiesen, dass ein Rentenversicherungsträger - hier die Beklagte - ohnehin auch ohne Antragstellung von Amts wegen durch Bescheid im Rahmen einer Betriebsprüfung über den sozialversicherungsrechtlichen Status zu entscheiden hätte; Gleiches gilt für Entscheidungen, die die Einzugsstelle im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung von Amts wegen nach § 28h Abs 2 SGB IV zu treffen hat. Ein näheres Eingehen auf eben diese Gesetzeslage musste sich insbesondere deshalb aufdrängen, weil nach der Rechtsprechung des Senats alle drei genannten Verfahren - also solche, die mit oder ohne Antragstellung in Gang gesetzt werden - rechtlich gleichwertig sind (BSGE 103, 17 = SozR 4-2400 § 7a Nr 2, RdNr 17 und - Juris RdNr 17).

10All das beachtet der Kläger bei seinen Darlegungen nicht hinreichend. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht dazu vorgesehen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren abstrakte Rechtsausführungen macht, die sich auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens nicht erkennbar zu Gunsten des Beschwerdeführers auf den Ausgang des Rechtsstreits auswirken können. Dass Letzteres nicht anzunehmen ist, hat ein Beschwerdeführer darzulegen.

112. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

123. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

134. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
GAAAF-32598