BSG Beschluss v. - B 1 KR 57/15 B

Instanzenzug: S 18 KR 226/09

Gründe:

I

1Die klagende Rentenversicherungsträgerin machte als zweitangegangener Rehabilitationsträger (Reha-Träger) gegen die beklagte Krankenkasse (KK) die Erstattung von Kosten einer Anschlussheilbehandlung vom 20.2. - der familienversicherten Alg-II-Bezieherin R. (Versicherte) sowie von 402,61 Euro geltend, die sie an den Vogelsbergkreis erstattet hatte, weil die Versicherte nach dem SGB VI Anspruch auf Übergangsgeld gehabt und der Vogelsbergkreis die bisherigen Leistungen als Vorschuss auf die Leistungen der Rentenversicherung weiter erbracht habe. Die Beklagte erstattete die Kosten der Anschlussheilbehandlung, nicht aber die geltend gemachten 402,61 Euro. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei als eigentlich zuständige Rehabilitationsträgerin zur Erstattung der Aufwendungen der Klägerin nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX verpflichtet. Der Erstattungsanspruch setzte voraus, dass ein Versicherter die Reha-Maßnahme ihrer Art nach von dem auf Erstattung in Anspruch genommenen Versicherungsträger nach dessen materiellem Recht hätte beanspruchen können. Dies sei hier der Fall, weil die Beklagte die beantragte Anschlussheilbehandlung hätte gewähren müssen (§ 40 SGB V). Zu erstatten seien nicht nur die Kosten der Anschlussheilbehandlung, sondern auch der an den Vogelsbergkreis erstattete Betrag iHv 402,61 Euro. Unerheblich sei es, dass die Versicherte für die Dauer der Anschlussheilbehandlung keinen Anspruch auf Krankengeld (Krg) gehabt habe (Urteil vom ).

2Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

3Die Beschwerde der Beklagten ist unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung behauptete Divergenz (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) liegt nicht vor (dazu 1.). Die außerdem als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde entsprechenden Weise dargelegt (dazu 2.).

41. Die von der Beklagten behauptete Divergenz liegt nicht vor. Nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Dies setzt nach der Rspr des Senats voraus, dass das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz gebildet und eine Rechtsfrage in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte entschieden hat. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat (vgl zum Ganzen BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67; - Juris RdNr 4; - Juris RdNr 6; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN; - Juris RdNr 8; - Juris RdNr 4; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; - NZS 2014, 479 RdNr 10; - Juris RdNr 6; - Juris RdNr 4, für SozR vorgesehen).

5Die Beklagte behauptet mit der Divergenzrüge zu Unrecht, das LSG habe - im Widerspruch zur Rspr des BSG - den Rechtssatz aufgestellt, ein zweitangegangener Leistungsträger iSv § 14 SGB IX habe in seiner "aufgedrängten Zuständigkeit" gegenüber dem eigentlich zuständigen Leistungsträger einen Erstattungsanspruch unabhängig davon, inwieweit der Versicherte selbst einen materiellen Anspruch diesem (eigentlich zuständigen) Leistungsträger gegenüber habe. Einen solchen Rechtssatz hat das LSG nicht aufgestellt.

6Nach der Rspr des BSG räumt § 14 SGB IX dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vor. Er ist begründet, soweit der Versicherte vom Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (vgl zum Ganzen BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 9 ff; BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 18 ff, ebenso: BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 2 RdNr 15 f; BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7, RdNr 28 ff; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 21 RdNr 24; - Juris RdNr 10). Die Regelung begründet einen Ausgleich dafür, dass der zweitangegangene Reha-Träger - bei Vorliegen eines entsprechenden RehaBedarfs - die erforderlichen Reha-Leistungen selbst dann erbringen muss, wenn er - wie hier - an sich unzuständig ist. Dabei handelt es sich um eine gleichsam "aufgedrängte Zuständigkeit" (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 21). Diese in § 14 Abs 2 S 1 und 3 SGB IX geregelte Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind.

7Im Verhältnis der Reha-Träger untereinander ist eine Lastenverschiebung ohne Ausgleich aber nicht bezweckt. Den Ausgleich bewirkt der Anspruch nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX. Danach erstattet der "eigentlich zuständige" Rehabilitationsträger dem im Außenverhältnis zuständig gewordenen Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Die für die Klägerin geltenden Rechtsvorschriften sind vorliegend die des SGB V, weil sie in Anwendung des § 14 SGB IX umfassend nach allen Leistungsvorschriften überhaupt zuständiger Reha-Träger - also auch nach dem SGB V - leisten muss. Hat der zweitangegangene Rehabilitationsträger dem Antragsteller Rehabilitationsleistungen bewilligt, ohne zuständig zu sein, ist im Erstattungsverfahren gegen den erstangegangenen Träger deshalb zu prüfen, ob der Antragsteller die Leistungen ihrer Art nach von diesem Träger nach dessen materiellen Rechtsvorschriften hätte beanspruchen können (BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 18 RdNr 17; BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 10 RdNr 13; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 36 RdNr 12).

8Diesen Prüfungsmaßstab hat auch das LSG angelegt. Es hat der Rspr des BSG folgend ausgeführt, ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX setze voraus, dass der Versicherte die Reha-Maßnahme ihrer Art nach von dem auf Erstattung in Anspruch genommenen Versicherungsträger (hier der Beklagten) "nach dessen materiellem Recht" (also nach dem SGB V) hätte beanspruchen können. Obwohl das LSG damit zu Recht einen Erstattungsanspruch davon abhängig macht, dass der Versicherten - ohne die aufgedrängte Zuständigkeit - ein Anspruch gegen die Beklagte nach dem SGB V zugestanden hätte, führt es bei der folgenden Subsumtion aus, es sei nicht darauf abzustellen, ob der Versicherten Krg zu zahlen gewesen wäre und wendet statt dessen § 20 Nr 3b und § 21 Abs 4 S 1 Halbs 2 SGB VI an, wonach eine Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Übergangsgeld bestanden habe. Dies widerspricht zwar dem für die Beklagte geltenden materiellen Recht, weil die Versicherte gegen diese gerade keinen Anspruch auf Übergangsgeld oder dem Übergangsgeld kongruente Leistungen gehabt hätte. Hierin liegt aber nach oben Gesagtem keine Divergenz. Vielmehr hat das LSG die vom BSG und von ihm selbst aufgestellten Maßstäbe (Rechtssätze) nicht beachtet bzw unrichtig angewandt und ist nur deshalb zu dem fehlerhaften Ergebnis gelangt, dass ein Erstattungsanspruch bestehe. Dies rechtfertigt nicht die Zulassung wegen Divergenz.

92. Die Beklagte legt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon nicht ausreichend dar. Wer sich - wie hier die Beklagte - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

10Die Beklagte formuliert als Rechtsfragen:

"Ist die Regelung des § 14 SGB IX dahingehend auszulegen, dass einem zweitangegangenen Rehabilitationsträger von dem nach materiellem Recht zuständigen Rehabilitationsträger im Sinne eines 'weiten Umfanges des Erstattungsanspruchs' sämtliche seinerseits erbrachten Aufwendungen zu erstatten sind, und ist das vereinbar mit der Rechtsprechung des KR 6/09 R)?

Ist der Erstattungsanspruch nach § 14 SGB IX ausschließlich auf die Leistungen beschränkt, auf die der Versicherte selbst einen Anspruch hat, nicht jedoch auf Erstattungsansprüche, die vom zweitangegangenen Leistungsträger einem Dritten Leistungsträger gegenüber (berechtigt oder unberechtigt) erbracht werden?

Ist - und falls ja, unter welchen Voraussetzungen - ein zweitangegangener Leistungsträger im Sinne [von] § 14 SGB IX auf Grundlage dieser Vorschrift berechtigt, einen etwaigen Erstattungsanspruch eines Sozialhilfeträgers auf Kosten des materiell rechtlich zuständigen Trägers zu befriedigen?

Hat der gemäß § 14 SGB IX als zweitangegangener Reha-Träger bei der Leistungsentscheidung alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation auch für andere Reha-Träger vorgesehen sind, zu prüfen, insbesondere die des materiell-rechtlich zuständigen Trägers? Oder hat der zweitangegangene Reha-Träger ausschließlich nach dem für ihn geltenden Recht den Leistungsanspruch zu prüfen?"

11Die Beklagte legt aber die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend dar. Sie selbst verweist zum Umfang des Erstattungsanspruchs (Frage 1) und zum anzuwendenden Recht (Frage 4) auf die Rspr des erkennenden Senats ( - BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4; Urteil vom - B 1/3 KR 6/09 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 12; Urteil vom - B 1 KR 32/09 - Juris; s auch oben zu 1.). Sie trägt hierzu zutreffend vor, dass unter Anwendung dieser Rspr kein (über die Erstattung der Kosten der Anschlussheilbehandlung hinausgehender) Erstattungsanspruch bestehe.

12Die Beklagte legt nicht ausreichend dar, wieso mit Blick auf die von ihr - auch zur Begründung der Divergenz (dazu 1.) - selbst herangezogene Rspr des erkennenden Senats zum Umfang des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs 4 S 1 SGB IX und zum anzuwendenden Recht noch Klärungsbedarf bestehen soll. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rspr entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch - Juris RdNr 7). Daran fehlt es.

13Es kann offenbleiben, ob die Beklagte mit der zweiten Frage eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Bezüglich der Fragen 2 und 3 fehlt es jedenfalls an der Darlegung der Klärungsfähigkeit. Sind nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die Fragen 1 und 4 durch die Rspr des Senats bereits geklärt und in ihrem Sinne zu beantworten, besteht - hiervon geht auch die Beklagte aus - schon kein Erstattungsanspruch bezüglich der an den SGB-II-Leistungsträger erstatteten Kosten. Dann ist es aber auch nicht nachvollziehbar und wird auch nicht dargelegt, weshalb die Fragen 2 und 3 dennoch entscheidungserheblich sein könnten.

143. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

Fundstelle(n):
XAAAF-32588