BAG Urteil v. - 2 AZR 128/02

Instanzenzug:

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der am geborene, geschiedene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten seit 1984 im Rahmen eines Genossenschaftsverhältnisses und seit dem in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt. Neben handwerklichen Tätigkeiten führte er Fütterungs- und Stallarbeiten aus.

Am entwendete er einen 25 kg Sack Milchpulver. In einem Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten am Morgen des räumte er seine Tat ein. Am Mittag desselben Tages erhielt er ein Schreiben mit folgendem Inhalt:

"Abmahnung

1. Sachverhalt

Sie haben am unerlaubt 1 Sack Milchpulver entwendet.

Am haben Sie diesen Tatbestand des Diebstahls bei der Gegenüberstellung im Beisein von Herrn E. zugegeben.

2. Rechtliche Wertung

Sie haben mit Ihrem Verhalten in erheblichem Maße gegen betriebliche Verhaltensweisen verstoßen und sich unberechtigt an betrieblichem Eigentum vergangen.

3. Rechtliche Konsequenzen

Sie wurden über Ihr Fehlverhalten entsprechend informiert. Der Betrieb behält sich weitere rechtliche Schritte aus Ihrer Pflichtverletzung vor."

Der Kläger arbeitete bis zum 27. November zunächst weiter. Mit Schreiben vom , dem Kläger zugegangen am Abend des selben Tages, kündigte die Beklagte sein Arbeitsverhältnis fristlos zum wegen Diebstahls genossenschaftlichen Eigentums; sie führte weiter aus, die fristlose Kündigung werde im Falle ihrer erfolgreichen Anfechtung sofort in eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin umgewandelt.

Der Kläger hat sich gegen diese Kündigung gewandt und die Auffassung vertreten, die Beklagte habe durch die ihm erteilte Abmahnung vom und den Abzug eines Urlaubstages auf ihr Kündigungsrecht konkludent verzichtet.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, der Diebstahl des Sacks Milchpulver im Wert von ca. 100,00 DM rechtfertige die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund. Sie habe weder durch ihr Schreiben vom noch durch die Weiterbeschäftigung des Klägers an den nachfolgenden Tagen auf ihr Kündigungsrecht verzichtet. In dem genannten Schreiben habe sie sich gerade weitere rechtliche Schritte vorbehalten. Das Schreiben enthalte lediglich eine Sachverhaltsdarstellung. In dem vorangegangenen Gespräch vom habe sie dem Kläger ausdrücklich erklärt, eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses stehe bevor. Sie habe die Kündigung nicht früher erklären können, da die nach ihrer Satzung erforderliche zweite Unterschrift eines Kündigungsberechtigten nicht sofort habe beigebracht werden können. Schließlich sei auch der Abzug des Urlaubstages nicht als eine abschließende Reaktion auf das Fehlverhalten des Klägers zu verstehen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die fristlose noch die vorsorglich ordentliche Kündigung vom aufgelöst worden ist. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Voraussetzungen für eine wirksame fristlose Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB seien nicht gegeben. Zwar liege auf Grund des Diebstahls des Sacks Milchpulver ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich vor. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände - das Fehlverhalten des Klägers und die Störung des Vertrauensverhältnisses einerseits und der Wert des gestohlenen Gutes, das sofortige Einräumen der Tat, die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum , seine lange Beschäftigungszeit und seine Mitgliedschaft bei der Beklagten sowie seine Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt einen neuen Arbeitsplatz zu finden andererseits - sei es der Beklagten zumutbar, den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

Eine - umgedeutete - ordentliche Kündigung wäre zwar durch einen im Verhalten des Klägers liegenden Grund an sich sozial gerechtfertigt. Sie verstoße aber gegen Treu und Glauben iSv. § 242 BGB. Sie stelle sich als eine unzulässige Rechtsausübung dar; die Beklagte habe nämlich auf ihr Recht zur Kündigung mit Schreiben vom verzichtet. Der dem Kläger mit diesem Schreiben gemachte Vorhalt der Pflichtverletzung stelle eine abschließende arbeitsvertragliche Sanktion seines Fehlverhaltens dar. Die Beklagte könne nach dieser "Abmahnung" nicht nochmals eine Kündigung auf den selben Sachverhalt stützen. Dem widerspreche nicht, daß dem Schreiben vom die für eine Abmahnung typische Warnfunktion fehle.

B. Dem folgt der Senat nicht.

I. Entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils hat die Beklagte auf ihr Recht, dem Kläger wegen des Vorfalles vom - außerordentlich oder ordentlich - zu kündigen, nicht wirksam verzichtet. Die Kündigung stellt sich daher nicht als eine unzulässige Rechtsausübung dar. Damit kann die Entscheidung über die ordentliche Kündigung keinen Bestand haben. Gleiches gilt im Ergebnis für die Entscheidung über die außerordentliche Kündigung. Auch wenn das Landesarbeitsgericht hier nicht auf den Gesichtspunkt des Verzichts abgestellt hat, ist nicht auszuschließen, daß dieser in die Interessenabwägung eingeflossen ist.

1. Der Kündigungsberechtigte kann allerdings sowohl bei einer außerordentlichen als auch bei einer ordentlichen Kündigung auf ein auf bestimmte Gründe gestütztes und konkret bestehendes Kündigungsrecht verzichten (Senat - 2 AZR 215/88 - AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 18; - 2 AZR 644/94 - NZA 1996, 875, 878). Der Verzicht kann ausdrücklich oder konkludent durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kündigungsberechtigten erfolgen. Vor Ablauf der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist ein Verzicht nur anzunehmen, wenn der Kündigungsberechtigte eindeutig seine Bereitschaft zu erkennen gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Nach der Rechtsprechung des Senats erlischt das Kündigungsrecht durch Verzicht insgesamt, wenn der Kündigungsberechtigte wegen des ihm bekannten Kündigungssachverhalts eine Abmahnung ausspricht und sich die für die Kündigung maßgebenden Umstände nicht später geändert haben ( - 2 AZR 215/88 - aaO.; - 2 ABR 32/92 - AP ArbGG 1979 § 87 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 33). Ob dies mangels entsprechender "Warnfunktion" auch für eine nicht mit einem ausdrücklichen Hinweis auf die Gefährdung des künftigen Bestandes des Arbeitsverhältnisses versehene bloße "Ermahnung" bzw. eine bloße Vertragsrüge anzunehmen ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung (siehe dazu etwa Senat - 2 AZR 644/94 - aaO.; siehe aber auch Senat - 2 AZR 251/88 - aaO.; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 8; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 294). Auch wenn man dies bejaht, kann ein Verzicht jedenfalls nur angenommen werden, wenn die Vertragsrüge deutlich und unzweifelhaft zu erkennen gibt, daß der Arbeitgeber den vertraglichen Pflichtverstoß hiermit als ausreichend sanktioniert und die Sache als "erledigt" ansieht.

2. Daran fehlt es hier. Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom dahin ausgelegt, daß es nicht nur eine Zusammenfassung des Kündigungssachverhalts enthält und sich die Beklagte lediglich "weitere rechtliche Schritte" vorbehalten wollte, sondern bereits die "angekündigten" arbeitsrechtlichen Konsequenzen in die Tat umgesetzt und das Fehlverhalten des Klägers im vorstehenden Sinne abschließend arbeitsvertraglich sanktioniert hat. Dem folgt der Senat nicht.

a) Bei dem Schreiben vom handelt es sich um eine nichttypische Willenserklärung, deren Auslegung vorrangig den Tatsacheninstanzen obliegt. Das Revisionsgericht kann die Auslegung nur daraufhin überprüfen, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt sind, ob dabei nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und ob das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet oder ob eine gebotene Auslegung völlig unterlassen worden ist ( - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 36 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 36).

b) Auch diesem eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle auslegungsrelevanten Gesichtspunkte berücksichtigt. Es hat zu einseitig auf die Überschrift des Schreibens vom abgestellt und nicht hinreichend dessen Inhalt gewürdigt.

Das Schreiben vom ist zwar mit "Abmahnung" überschrieben. Was die Beklagte hierunter verstand und was sie mit dem Schreiben bewirken wollte, ergibt sich aber erst aus dem eigentlichen Inhalt des Schreibens. Unter "1. Sachverhalt" wird lediglich der Tatbestand als solcher wiedergegeben. Ziffer "2. Rechtliche Wertung" stellt lediglich fest, daß der Kläger sich damit eines Pflichtverstoßes schuldig gemacht hat. Unter Ziffer "3. Rechtliche Konsequenzen" wird festgehalten, daß der Kläger über sein Fehlverhalten informiert worden sei; der Betrieb halte sich weitere rechtliche Konsequenzen aus der Pflichtverletzung des Klägers vor.

Zusammengefaßt ist dem nur die feststellende Umschreibung eines tatsächlichen und rechtlichen Tatbestandes zu entnehmen, nicht aber schon eine als abschließend erkennbare Rüge oder gar eine zukunftsbezogene Warnung, das Arbeitsverhältnis sei gefährdet. Hingegen enthält das Schreiben selbst keinerlei Sanktionen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Gliederungspunktes "Rechtliche Konsequenzen": Die Information über ein Fehlverhalten ist keine Konsequenz im Sinne einer Reaktion auf ein Fehlverhalten. Die Beklagte behält sich gerade weitere Schritte - neben der Information - aus der Pflichtverletzung vor.

Läßt also der Inhalt des Schreibens selbst an keiner Stelle erkennen, daß die Beklagte darin bereits eine in irgendeiner Weise abschließende Sanktion auf den Diebstahl sah, kann dies nicht allein wegen der Überschrift "Abmahnung" anders gewertet werden. Was die Beklagte unter dieser "Abmahnung" verstand, ergibt sich nicht aus einer abstrakten Begriffsbestimmung, sondern eben aus dem Inhalt des Schreibens selbst. Auch wenn man zwischen Überschrift und nachfolgendem Text einen Widerspruch sehen wollte, ist jedoch zu berücksichtigen, daß ein Verzicht auf ein Kündigungsrecht eindeutig sein muß. Nur wenn der Arbeitgeber eindeutig zu erkennen gibt, daß er aus einer Pflichtverletzung keine (weiteren) Konsequenzen ziehen will, ist auch ein entsprechendes Vertrauen des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Das gilt umso mehr, wenn es sich um einen Vorwurf wie Diebstahl handelt, mit dessen Hinnahme der Arbeitnehmer in der Regel nicht rechnen kann.

3. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung des Schreibens als abschließende Rüge ist danach nicht haltbar. Die Beklagte hat durch das Schreiben nicht auf ein Kündigungsrecht verzichtet. Das Landesarbeitsgericht hat danach zu Unrecht angenommen, die ordentliche Kündigung sei unwirksam. Die Entscheidung kann daher keinen Bestand haben.

III. Dies gilt im Ergebnis auch für die außerordentliche Kündigung.

1. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht auf einen Verzicht auf das Kündigungsrecht gestützt, obwohl dieser Verzicht aus seiner Sicht jegliche Kündigung umfaßte. Das Landesarbeitsgericht hat im Verhalten des Klägers - zu Recht - auch einen Kündigungsgrund an sich gesehen. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergebe aber, daß der Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar gewesen sei.

2. Dem kann der Senat trotz des dem Landesarbeitsgericht insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums gleichfalls nicht folgen. Es ist schon nicht auszuschließen, daß sich das Landesarbeitsgericht bei dieser Interessenabwägung von seiner - wie unter II. dargelegt - nicht zutreffenden Wertung des Schreibens vom als Verzicht auf den Ausspruch einer Kündigung überhaupt hat leiten lassen. Bereits deshalb ist eine Neuvornahme der Interessenabwägung geboten. Das Urteil kann daher auch insoweit keinen Bestand haben.

IV. Die Sache ist an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich. Die hier zunächst zur außerordentlichen Kündigung erneut vorzunehmende Interessenabwägung obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Dabei wird das Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen haben, daß ein Verzicht der Beklagten auf den Ausspruch - auch einer außerordentlichen - Kündigung nicht vorliegt. Soweit das Landesarbeitsgericht auf den Wert des Milchpulvers abgestellt hat, bleibt darauf zu verweisen, daß ein vom Landesarbeitsgericht unterstellter Betrag von 100,00 DM nicht mehr ohne weiteres als gering erscheint. Wenn das Landesarbeitsgericht weiter zu Lasten der Beklagten darauf abgestellt hat, diese habe den Kläger noch bis zum 27. November beschäftigt, ist demgegenüber anzumerken, daß dem Arbeitgeber auch bei einer Kündigung aus wichtigem Grund eine Überlegungsfrist bleibt, wie sich schon aus § 626 Abs. 2 BGB ergibt. Von weiteren Hinweisen sieht der Senat ab.

Fundstelle(n):
DB 2003 S. 2445 Nr. 45
QAAAF-32398