Übereinstimmung zwischen Fristenkalender und Postausgangsbuch als zuverlässiges Kontrollsystem; Prüfungs- und Überwachungspflichten des Prozessbevollmächtigten
Gesetze: FGO § 54, FGO § 56, FGO § 116 Abs. 3, ZPO § 85 Abs. 2, ZPO § 222
Instanzenzug:
Tatbestand
1 I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) durch Urteil vom 3 K 562/15 zum größten Teil abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Der Kläger hat am fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
2 Nachdem die Geschäftsstelle des Senates den Kläger mit Schreiben vom (zugestellt am ) auf den Ablauf der Begründungsfrist am und § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen hatte, beantragte dieser mit Fax vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist.
3 Zur Begründung des Antrags trägt der Kläger unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der beim Prozessbevollmächtigten mit der Führung des Fristenkalenders, des Postein- und -ausgangs beauftragten Auszubildenden im zweiten Lehrjahr (Frau F) vor: Diese habe die Begründungsfrist sowohl im Fristenkalender als auch in der Akte vermerkt. Da in dieser Angelegenheit aber drei verschiedene Akten (Klage gegen Arrest, Lohnsteuerverfahren, Umsatzsteuerverfahren) bestünden und sie das gerichtliche Aktenzeichen nicht mit dem in der Akte vorhandenen gerichtlichen Aktenzeichen verglichen habe, sei die Frist zunächst in der falschen Akte eingetragen worden.
4 Der Prozessbevollmächtigte habe sie darauf hingewiesen, dass das Urteil nicht zur Akte passe. Daraufhin habe sie das Urteil in eine andere —wiederum falsche— Akte mit dem gleichen Aktenzeichen gelegt, die Fristen in der ersten Akte gestrichen und in der zweiten Akte eingetragen.
5 Nach dem Ausgang der Beschwerdeeinlegung am sei ihr die falsche Zugehörigkeit des Urteils zur Akte aufgefallen. Sie habe daraufhin das Urteil in die —nunmehr richtige— Akte eingeordnet, ohne jedoch die Frist zur Begründung der Beschwerde in diese richtige Akte einzutragen. Die noch eingetragene Frist zur Beschwerdebegründung in der „falschen“ Akte sei von ihr nach einem Posteingang gestrichen worden, da für sie kein Zusammenhang mehr zwischen den Schriftsätzen in dieser Akte und der Frist erkennbar gewesen sei. Daraufhin sei von ihr auch die Frist im Fristenkalender entgegen der Arbeitsanweisung gestrichen worden. Zum Streichen von Fristen sei sie nur bei versehentlichen Eintragungen befugt.
Gründe
6 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen. Der Kläger hat die Beschwerde zwar fristgerecht erhoben, aber nicht innerhalb der Frist des § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.
7 1. Nach § 116 Abs. 3 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils des FG zu begründen. Diese Voraussetzung hat der Kläger nicht erfüllt:
8 Das Urteil des FG wurde dem Kläger am mittels Zustellungsurkunde zugestellt. Die zweimonatige Frist zur Begründung der Beschwerde lief mit Ablauf des ab (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung —ZPO— i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Der Kläger hat erst mit Schriftsatz vom und damit einen Monat nach Ablauf der Frist die Begründung der Beschwerde nachgereicht.
9 2. Die mit Schriftsatz vom beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.
10 a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 46/14, BFH/NV 2015, 49, sowie vom X R 14/13, BFH/NV 2014, 567). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs so gestalten, dass Fristversäumnisse vermieden werden (, BFH/NV 2011, 1909). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist von einem Monat vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2015, 49, sowie vom IX B 115/13, BFH/NV 2014, 896). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
11 b) Wird —wie im Streitfall— Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt, so muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt. Der Prozessbevollmächtigte muss alle Vorkehrungen getroffen haben, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und muss durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen haben (BFH-Beschlüsse vom VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795; vom IX R 38/01, BFH/NV 2002, 1467, und vom X B 50/11, BFH/NV 2012, 440). Bei Bevollmächtigten, die die Rechts- und Steuerberatung berufsmäßig ausüben, ist die Schilderung der Fristenkontrolle sowie der Postausgangskontrolle nach Art und Umfang erforderlich und diese durch Vorlage des Fristenkontrollbuchs und des Postausgangsbuchs glaubhaft zu machen. Denn zu den in Betracht kommenden objektiven präsenten Beweismitteln gehört bei Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe insbesondere die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung fristwahrender Schriftstücke in einem Postausgangsbuch und das Löschen einer Frist auf der Grundlage der Ausgangseintragung im Postausgangsbuch (vgl. , BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, sowie BFH-Beschlüsse vom I R 90/97, BFH/NV 1999, 512, vom X R 31/97, BFH/NV 1999, 941, sowie vom XI R 21/01, BFH/NV 2002, 657).
12 Bei einer Versendung durch die Post gehört zu einem zuverlässigen Kontrollsystem, dass zwischen dem Fristenkalender und dem Postausgangsbuch eine Übereinstimmung in der Weise sichergestellt wird, dass die Fristen im Kalender erst auf der Grundlage der Eintragungen im Postausgangsbuch gelöscht werden (BFH-Beschlüsse vom VIII R 56/03, juris; vom I B 166/02, BFH/NV 2003, 1193, sowie in BFH/NV 1999, 512; BFH-Urteil in BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, unter 2.a und b der Gründe, m.w.N.).
13 c) Diesen Maßstäben genügt der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht.
14 aa) Er erläutert —unter Beifügung von Kopien aus den Handakten und Fristenkalender— zwar, dass die jeweilige Frist nach Bearbeitung von ihm in der Akte gestrichen wurde und von Frau F sodann im Fristenkalender zu streichen war, nachdem der Schriftsatz in die Postausgangsmappe gegeben und von Frau F gefaxt oder zum Postversand fertig kuvertiert wurde. Er hat aber weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ein Postausgangsbuch geführt wurde oder eine dem vergleichbare Dokumentation des Postausgangs stattgefunden hat. Damit war nicht ausgeschlossen, dass Fristen im Fristenkalender nur auf der Grundlage von Eintragungen im Postausgangsbuch, sondern versehentlich gelöscht werden. Dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten ist auch nicht zu entnehmen, welche anderen Vorkehrungen er gegen versehentliche Löschungen von Fristen getroffen hat. Dieser Organisationsmangel ist kausal für die Fristversäumnis. Denn bei Führung eines Postausgangsbuchs und der Anweisung, Fristen nur auf der Grundlage einer Eintragung im Postausgangsbuch zu löschen, wäre es —mangels Eintragung im Postausgangsbuch— nicht zu einer Löschung der Begründungsfrist gekommen.
15 bb) Hinzu kommt, dass die Begründungsfrist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört (BFH-Beschlüsse vom V R 24/12, BFH/NV 2013, 970, und vom X B 95/07, BFH/NV 2008, 969 zur Revisionsbegründungsfrist). Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2013, 970, und in BFH/NV 2008, 969).
16 Der Prozessbevollmächtigte hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass er dieser besonderen Prüfungs- und Überwachungspflicht nachgekommen ist. Dafür bestand vorliegend gesteigerter Anlass, weil der Bevollmächtigte mit der Fristüberwachung keine ausgebildete und bewährte Fachkraft betraut hat, sondern eine Auszubildende, die erst „seit über einem Jahr“ bei ihm beschäftigt war. Selbst wenn sie sorgfältig ausgebildet wurde, gehörte sie nicht zu dem Kreis des Büropersonals, das aufgrund seiner Ausbildung und längerfristigen Erprobung die Überwachung von Beschwerdefristen eigenverantwortlich ausführen darf (vgl. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 151). Der Prozessbevollmächtigte hätte sich daher nicht auf regelmäßige Kontrollen beschränken dürfen, sondern durch kurzfristige und situative Kontrollen des Fristenkalenders dafür sorgen müssen, dass etwaige Fehler oder Versehen der Auszubildenden rechtzeitig erkannt worden wären. Dies war schließlich auch deshalb geboten, weil für den Mandanten unter einem Kanzleiaktenzeichen drei Akten und damit drei Verfahren geführt wurden, sodass Verwechselungen nicht nur abstrakt möglich, sondern dem Prozessbevollmächtigten bereits aufgefallen waren, als die Auszubildende das Urteil des FG der falschen Akte zugeordnet und die Frist dort eingetragen hatte.
17 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 222 Nr. 2
JAAAF-18889