BFH Urteil v. - VIII R 53/13

Örtliche Zuständigkeit für die gesonderte Feststellung von Einkünften eines Steuerberaters in auswärtiger Steuerberaterpraxis

Leitsatz

1. Bei einem Steuerberater, der aus seiner Tätigkeit als freier Mitarbeiter einer nicht im Zuständigkeitsbereich seines Wohnsitz-Finanzamts ansässigen Steuerberaterpraxis mehr als 60 % seiner Nettoeinnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt und der diese Tätigkeit am Sitz dieser Steuerberaterpraxis ausübt, sind seine freiberuflichen Einkünfte gemäß §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO von dem Finanzamt gesondert festzustellen, in dessen Bezirk die Steuerberaterpraxis ansässig ist.
2. Die Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler, weil die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu wahrenden Grundordnung des Verfahrens gehört.

Gesetze: AO § 179 Abs. 1, AO § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b, AO § 18 Abs. 1 Nr. 3, AO § 127, AO § 19, FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, FGO § 74,

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für Fahrten mit seinem überwiegend betrieblich genutzten Fahrzeug zu seinem Hauptauftraggeber in vollem Umfang oder nur mit der Entfernungspauschale von 0,30 € für jeden vollen Kilometer als Betriebsausgaben abziehbar sind.

2 Der im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—) wohnhafte Kläger ist seit 1998 Steuerberater und hat sich mit dem Schwerpunkt internationale Rechnungslegung spezialisiert. Er war bis Oktober 2006 bei einem Steuerberater angestellt und ist seitdem selbständig tätig, ohne mit einem eigenen Telefoneintrag oder auf andere Weise an die Öffentlichkeit zu treten.

3 Im Streitjahr 2009 war sein Hauptauftraggeber, von dem er als freier Mitarbeiter rund 61 % seiner Nettoeinnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit erzielte, die im Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts ansässige Steuerberaterpraxis T & Partner (im Folgenden: Steuerberaterpraxis), für die der Kläger aufgrund einer mündlichen Vereinbarung tätig ist. Seine Leistungen für diese Steuerberaterpraxis hatte der Kläger an deren Sitz in S zu erbringen, den er im Streitjahr an insgesamt 181 Tagen aufsuchte.

4 In seiner Gewinnermittlung für 2009 berücksichtigte der Kläger als Betriebsausgaben Kosten in Höhe von netto 10.801,11 € für einen geleasten betrieblichen PKW, mit dem er im Jahre 2009 insgesamt 35.604 km zurückgelegt hatte. Als Entnahme für die private Nutzung des PKW setzte er einen anhand seiner Aufzeichnungen im Fahrtenbuch ermittelten Betrag in Höhe von insgesamt netto 1.672,01 € (15,48 % der Gesamtkosten für 5 513 privat gefahrene Kilometer) an.

5 Nach Überprüfung des vom Kläger geführten Fahrtenbuchs ging das FA davon aus, dass die Steuerberaterpraxis in S die regelmäßige Betriebsstätte des Klägers sei und deshalb dessen Aufwendungen für die Fahrten von seiner Wohnung nach S gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe des positiven Unterschiedsbetrags zwischen den auf diese Fahrten entfallenden tatsächlichen Aufwendungen und dem sich nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ergebenen Betrag den Gewinn nicht mindern dürften. Dementsprechend setzte es die Einkommensteuer für das Streitjahr unter Ansatz eines um 3.595,35 € erhöhten Gewinns fest (Festsetzung auf 6.235 €).

6 Auf die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Änderungsbescheid mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1739 veröffentlichten Urteil vom 10 K 1769/11 E aufgehoben.

7 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

8 Das FA beantragt, das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

10 II. Die Revision ist begründet; auf die Revision des FA ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

11 Zu Unrecht hat das FG über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheids für das Streitjahr 2009 entschieden, ohne zuvor das Verfahren nach § 74 FGO bis zu einer gesonderten Feststellung der freiberuflichen Einkünfte des Klägers durch das dafür nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) zuständige Finanzamt auszusetzen. Dies hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

12 1. Nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO sind die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit im Wege gesonderter Feststellung von Besteuerungsgrundlagen festzustellen, wenn das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist.

13 a) Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Denn das im Streitfall beklagte und für die Einkommensbesteuerung des Klägers als Wohnsitz-FA zuständige FA ist nicht für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers in S zuständig.

14 aa) Nach Maßgabe der tatsächlichen Feststellungen des FG ist dessen Würdigung, der Kläger habe seine steuerberatende Tätigkeit in der Steuerberaterpraxis als selbständiger Steuerberater i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, weil diese Würdigung denkgesetzlich möglich ist und nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt und die Beteiligten dagegen keine Einwendungen erhoben haben.

15 bb) Auf dieser Grundlage ist nicht das beklagte FA, sondern das für die Steuerberaterpraxis in S zuständige Finanzamt für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der dort vom Kläger ausgeübten Tätigkeit zuständig, weil der Kläger diese Tätigkeit —wegen der dort erzielten höchsten Umsätze aus seiner steuerberatenden Tätigkeit (nach den Feststellungen des FG 61 % seiner Umsätze)— i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO „vorwiegend“ ausgeübt hat (zur Maßgeblichkeit der Umsätze , BFHE 189, 8, BStBl II 1999, 691; vom VIII R 16/13, juris).

16 b) Das Fehlen einer entsprechenden gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen durch das zuständige Finanzamt als Grundlage der Einkommensteuerfestsetzung durch das beklagte Wohnsitz-FA kann nicht nach § 127 AO geheilt werden.

17 Denn die Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler (vgl. , BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230), weil die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu wahrenden Grundordnung des Verfahrens gehört (vgl. , BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580, und vom IV R 11/89, BFH/NV 1991, 649, sowie —zur gesonderten und einheitlichen Feststellung— , BFH/NV 2008, 1156; vom IV R 18/07, BFH/NV 2010, 1419).

18 2. Wegen der danach nachzuholenden gesonderten Feststellung, für die die Feststellungsverjährung nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO wegen Rechtshängigkeit des nicht festsetzungsverjährten angefochtenen Bescheids noch nicht eingetreten ist, wird die Sache an das FG zurückverwiesen. Dieses muss das Verfahren mit Blick auf die nachzuholende Feststellung durch das für die Tätigkeit in S zuständige Finanzamt nach § 74 FGO aussetzen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; BFH-Beschlüsse vom III B 179/96, BFHE 192, 255, BStBl II 2001, 33; vom X B 127/11, BFH/NV 2012, 601).

19 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/PR 2013 S. 6 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 14/2016 S. 563
QAAAF-17867