Instanzenzug: S 3 SO 898/10
Gründe:
I
1Im Streit ist die Erstattung von Kosten einer Schulwegbegleitung für den Kläger im Schuljahr 2009/2010; daneben begehrt er die Feststellung, dass die Versagung einer Übernahme der Kosten für einen Schulbegleiter rechtswidrig war.
2Den Antrag des geistig behinderten Klägers, ihm für den Besuch der Berufsfachschule "Gesundheit und Pflege" am Berufsschulzentrum R. im Schuljahr 2009/2010 eine Schulbegleitung im Umfang von 32 Stunden pro Woche zuzüglich einer Schulwegbegleitung von 2 Stunden pro Schultag zu bewilligen, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom ; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ua ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf Eingliederungshilfe gemäß § 53 Abs 1 Satz 1, § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) bestehe nicht. Es fehle schon an einer Zuweisung durch die Schulbehörde; der Kläger sei lediglich Gastschüler gewesen. Dessen ungeachtet sei auch die Prognoseentscheidung des Beklagten, wonach nach den Fähigkeiten und Leistungen des Klägers nicht zu erwarten gewesen sei, dass er die Ziele des in Aussicht genommenen Bildungsgangs erreichen werde, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Einen Antrag des Klägers auf Berichtigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung hat es abgelehnt, weil der Vortrag durch den Prozessbevollmächtigten, er - der Kläger - sei Gastschüler gewesen, in der mündlichen Verhandlung tatsächlich so erfolgt sei (Beschluss vom ).
3Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich der Kläger. Er macht einen Verfahrensmangel geltend. Das LSG habe ihn von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der mündlichen Verhandlung entbunden. Es seien in der mündlichen Verhandlung aber nicht lediglich Rechtsfragen erörtert worden, sondern das LSG habe auch Fragen zu seinen schulischen Leistungen, seinem Leistungsvermögen und dazu gestellt, ob er Schüler im Rahmen einer Einzelintegration oder Gastschüler gewesen sei. Diese Fragen habe der Prozessbevollmächtigte nicht beantworten können. Das LSG sei in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass er Gastschüler gewesen sei; es werde ausdrücklich bestritten, dass der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung diese Angabe gemacht habe. Gerügt werde insoweit die Verletzung des rechtlichen Gehörs; denn das LSG hätte ihn persönlich anhören müssen und wäre auf Grundlage seiner persönlichen Angaben zu einem anderen Ergebnis gekommen.
4Daneben macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Es stelle sich die folgende Rechtsfrage:
"Hat eine durch den Schulleiter eines Berufsschulzentrums schriftlich erteilte verbindliche Aufnahmebestätigung für die zweijährige Berufsfachschule 'Profil Gesundheit und Pflege' auf Briefpapier mit dem Zusatz 'Landkreis Konstanz - Schulträger' die Rechtsqualität einer Zuweisung durch die Schulverwaltung über die Erfüllung der Schulpflicht in einer bestimmten Schule, wodurch sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl statt vieler ) eine Bindungswirkung gegenüber dem Sozialhilfeträger in Bezug auf die Angemessenheit der Schulbildung im Sinne des § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII entfaltet?"
5Die aufgeworfene Rechtsfrage sei klärungsbedürftig, weil sie für eine Vielzahl von behinderten jungen Menschen von entscheidender Bedeutung sei; mit der Beantwortung der Frage werde eine Konkretisierung der formellen und materiellen Anforderungen an eine Zuweisung seitens der Schulverwaltung herbeigeführt. Die Rechtsfrage sei auch klärungsfähig, weil das LSG die Abweisung der Berufung auf die fehlerhafte Auffassung stütze, es habe keine förmliche Zuweisung der Schulverwaltung gegeben. Die Erforderlichkeit der Schulwegbegleitung im Übrigen werde von dem Beklagten nicht bestritten.
II
6Die Beschwerde ist unzulässig, weil die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet bzw dargelegt sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
7Mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz) müssen zunächst die genauen Umstände des geltend gemachten Verstoßes bezeichnet werden. Insoweit müssen die Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich ergibt, dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Weil die Verletzung des rechtlichen Gehörs im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund geregelt ist (vgl § 202 SGG iVm § 547 Zivilprozessordnung [ZPO]), ist zudem der Vortrag erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Gehörsverstoß beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36).
8Der Kläger hat ausgeführt, er habe sich nicht hinreichend zu dem relevanten Prozessstoff äußern können, weil das LSG, ohne zuvor sein persönliches Erscheinen anzuordnen, für ihn unvorhersehbar in der mündlichen Verhandlung Fragen zum Sachverhalt gestellt habe, zu denen er sich nicht persönlich habe äußern und die sein Prozessbevollmächtigter nicht habe beantworten können. Seine persönliche Anhörung hätte den Prozessausgang für ihn positiv beeinflusst, weil auf der Grundlage einer Angabe, er sei kein Gastschüler gewesen, das LSG zu einem für ihn günstigen Ergebnis gekommen wäre. Mit diesen Darlegungen ist jedoch den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt. Der Kläger trägt nämlich nicht vor, dass es in der mündlichen Verhandlung nicht möglich gewesen sei, ihm ausreichend rechtliches Gehör zu verschaffen. Gerade vor dem Hintergrund seines weiter gehenden Vortrags, sein Prozessbevollmächtigter habe in der mündlichen Verhandlung die vom LSG zugrunde gelegte Angabe, er - der Kläger - sei nur Gastschüler gewesen, nicht gemacht, hätte es - unabhängig von der Beweiskraft des Protokolls in diesem Punkt - weiteren Vortrags dazu bedurft, weshalb der Prozessbevollmächtigte zu diesem Zeitpunkt keinen Antrag auf Vertagung der Verhandlung gestellt hat. Denn gerade die Behauptung des Klägers als wahr unterstellt, hätte aus Sicht eines rechtlich vertretenen Beteiligten, der sich auf Fragen des Gerichts zu tatsächlichen Gesichtspunkten unverschuldet nicht ausreichend vorbereitet sieht, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs vom Prozessbevollmächtigten ein Antrag auf Vertagung (vgl § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO), verbunden mit einem Antrag auf persönliche Anhörung in einem nächsten Termin gestellt werden müssen.
9Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.
10Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht; es fehlt jedenfalls an schlüssigen Darlegungen zur Klärungsfähigkeit der formulierten Rechtsfrage. Ausgehend von den vom Kläger selbst wiedergegebenen tatsächlichen Feststellungen des LSG, die mangels erfolgreicher Geltendmachung eines Verfahrensfehlers als Zulassungsgrund den Senat binden (vgl § 163 SGG), kommt es auf die formulierte Frage nicht an. Denn der Kläger trägt selbst vor, dass sich ein Anspruch allenfalls dann ergeben könnte, wenn er nicht nur Gastschüler der Berufsschule gewesen wäre; dass er nur Gastschüler gewesen sei, hat aber das LSG gerade festgestellt.
11Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstelle(n):
UAAAF-17763