BGH Beschluss v. - 5 StR 467/15

Strafverfahren: Ausschluss der Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung des Angeklagten im inneren Zusammenhang mit verständigungsbezogenen Gesprächen

Gesetze: § 257b StPO, § 257c StPO, § 171b Abs 1 GVG

Instanzenzug: LG Dresden Az: 3 KLs 321 Js 48536/14nachgehend Az: 5 StR 467/15 Beschlussnachgehend Az: 2 BvR 107/16 Nichtannahmebeschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung von Verfahrensrecht geltend macht und die Sachrüge erhebt. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

2Der Erörterung bedürfen ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts lediglich die beiden Verfahrensrügen:

31. Mit ihrer Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit (§ 338 Nr. 6 StPO, §§ 169 ff. GVG) beanstandet die Revision, dass die Erörterung der Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO in einem nichtöffentlichen Teil der Hauptverhandlung erfolgt und deren Verlauf auch nicht nachträglich bekannt gegeben worden ist.

4a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5Am ersten Hauptverhandlungstag vom kündigte die Verteidigerin des Angeklagten an, dass dieser sich umfassend zur Sache einlassen werde. Anschließend wurde auf Antrag des Angeklagten durch Gerichtsbeschluss die Öffentlichkeit für die Dauer seiner Vernehmung gemäß § 171b Abs. 1 GVG wegen der aus seinem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommenden Umstände ausgeschlossen. Der Angeklagte begann nunmehr in nichtöffentlicher Sitzung, sich zur Sache einzulassen. Er bestritt den Tatvorwurf, wobei er im Verlauf seiner Einlassung die von ihm eingeräumten sexuellen Handlungen als einvernehmlich darstellte. Vor einer Unterbrechung der Hauptverhandlung fragte der Vorsitzende zur Vermeidung einer Zeugenvernehmung der Nebenklägerin an, ob der Angeklagte und seine Verteidigung daran interessiert seien zu erfahren, welches Strafmaß im Falle einer geständigen Einlassung zu erwarten sei. Die Verteidigerin erklärte ihr Interesse und kündigte an, mit dem Angeklagten die Frage einer möglichen Verständigung zu erörtern. Nach einer ca. 20-minütigen Unterbrechung wurde die Hauptverhandlung weiterhin in nichtöffentlicher Sitzung fortgesetzt und der Vorsitzende gab bekannt, dass die Strafkammer dem Angeklagten bei geständiger Einlassung eine Strafe zwischen drei Jahren drei Monaten und drei Jahren neun Monaten zusagen würde. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte, dass sie sich damit einverstanden erklären könne und für den Fall, dass die Beweisaufnahme vollumfänglich durchgeführt werden müsse, eine Freiheitsstrafe nicht unter vier Jahren beantragen würde. Nachdem die Verteidigerin für den Angeklagten erklärt hatte, dass dieser kein falsches Geständnis ablegen wolle, stellte der Vorsitzende fest, dass eine Verständigung nicht zustande komme. Anschließend äußerte sich der Angeklagte weiter zu Sache. Nach Abschluss seiner Einlassung wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt. Eine Mitteilung über die vorher- gehende Erörterung einer Verständigungsmöglichkeit und über die hierzu abgegebenen und protokollierten Erklärungen erfolgte - auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung - nicht mehr.

6b) Die Rüge ist unbegründet. Beschränkt sich der Ausschluss der Öffentlichkeit auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson, so umfasst er nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (vgl. , NStZ 1985, 206 bei Pfeiffer/Miebach, und vom - 5 StR 508/93, NStZ 1994, 354, zur Entfernung des Angeklagten nach § 247 StPO; vom - 4 StR 614/87, NStZ 1988, 190, zur Augenscheinseinnahme; vom - 3 StR 420/94, BGHR GVG § 171b Abs. 1 Dauer 8, zur Anordnung weiterer Zeugenvernehmungen; vom - 1 StR 51/96, NJW 1996, 2663, zur Entscheidung über die Vereidigung; Beschlüsse vom - 1 StR 636/98, NStZ 1999, 371, zum Hinweis auf eine veränderte Sachlage und zur Stellung eines Beweisantrages; vom - 1 StR 64/03, NJW 2003, 2761, zur Entlassung eines Zeugen; vom - 3 StR 214/05, NStZ 2006, 117, zu Erklärungen des Angeklagten nach § 257 StPO; siehe auch KK-Diemer, StPO, 7. Aufl., § 172 GVG Rn. 3; Meyer-Goßner StPO, 58. Aufl., § 172 GVG Rn. 17).

7Auch hier lag ein unmittelbarer innerer Zusammenhang zwischen der Einlassung, die Umstände des intimen persönlichen Lebensbereichs des Angeklagten zur Sprache brachte, und der Erörterung gemäß § 257b StPO vor, mit der Strafmaßerwartungen thematisiert und Fragen einer Verständigungsmöglichkeit geklärt werden sollten. Denn zum Verfahren einer Verständigung nach § 257c StPO hätte auch die Klarstellung gehört, von welchem Sachverhalt, auf den sich ein Geständnis beziehen könnte, das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten ausgehen (vgl. zur dahingehenden Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO auch BVerfGE 133, 168, 217 Rn. 86). Die Einlassung des Angeklagten, für deren Dauer die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, war mithin zwangsläufig Gegenstand einer verständigungsvorbereitenden Erörterung gemäß § 257b StPO. Zudem ergab sich hier erst im Laufe der Äußerung des Angeklagten zur Sache die Anregung des Vorsitzenden zu einem Gespräch über Straferwartungen.

82. Auch die Rüge eines Verstoßes gegen das Recht des Angeklagten auf das letzte Wort (§ 258 Abs. 2 StPO) greift nicht durch.

9Zwar teilte der Vorsitzende nach dem letzten Wort des Angeklagten noch mit, dass eine Verständigung gemäß § 257c StPO in der Hauptverhandlung nicht stattgefunden hat, ohne dem Angeklagten hiernach erneut das letzte Wort zu gewähren. Eine nochmalige Gewährung des letzten Wortes hat nach § 258 Abs. 2 2. Halbsatz StPO jedoch nur dann zu erfolgen, wenn nach der Schließung der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist. Werden nach dem letzten Wort ausschließlich Vorgänge erörtert, die auf die gerichtliche Entscheidung keinen Einfluss haben können, besteht keine Verpflichtung nach § 258 Abs. 2 StPO (vgl. , StraFo 2015, 325 mwN). Auch die von der Revision vorgetragene abschließende Äußerung des Vorsitzenden zum Ablauf der Hauptverhandlung stellt deshalb keinen Wiedereintritt in die Verhandlung dar. Sie war nicht einmal geboten; das Negativattest gemäß § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO ist lediglich im Protokoll zu vermerken.

10Der Schriftsatz der Verteidigerin Rechtsanwältin K. vom hat dem Senat bei seiner Beratung vorgelegen.

Sander                        Dölp                      König

                 Berger                     Bellay

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Fundstelle(n):
QAAAF-17708