Verbotswidrige Arbeitsvergütung - Privatschule in Sachsen
Leitsatz
Die Vergütungsvereinbarung einer Lehrkraft an einer staatlich anerkannten Privatschule im Freistaat Sachsen ist nach § 134 BGB nichtig, wenn die Vergütung 80 % der Vergütung einer vergleichbaren Lehrkraft an einer öffentlichen Schule unterschreitet.
Gesetze: § 134 BGB, § 612 Abs 2 BGB, § 611 Abs 1 BGB
Instanzenzug: ArbG Zwickau Az: 4 Ca 429/12 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 5 Sa 218/13 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin begehrt eine höhere Vergütung, und zwar in der Revisionsinstanz (nur) noch für den Zeitraum vom bis zum .
2Der Beklagte betreibt im Freistaat Sachsen das als Ersatzschule anerkannte Europäische Gymnasium W. Die 1953 geborene Klägerin war beim Beklagten vom bis zum als Lehrkraft für die Fächer Deutsch und Englisch beschäftigt, im September 1995 wurde sie zudem zur „Fachgruppenleiterin Fremdsprachunterricht“ berufen.
3Grundlage des Arbeitsverhältnisses war ein undatierter Arbeitsvertrag, der auszugsweise lautet:
4In der Berufung zur „Fachgruppenleiterin Fremdsprachunterricht“ heißt es:
5Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete - nach durchgehender Arbeitsunfähigkeit der Klägerin seit dem - durch Aufhebungsvertrag der Parteien.
6Die Klägerin erhielt im Zeitraum Januar 2009 bis Januar 2011 ein Bruttomonatsgehalt von 2.917,81 Euro zuzüglich eines „Gehaltszuschlags“ von 30,00 Euro brutto und einer „Zulage Fachleiter“ von 200,00 Euro brutto. Außerdem zahlte der Beklagte monatlich 9,00 Euro brutto als „VWL AG-Anteil“ und 102,26 Euro brutto „Betr. AV. AG lfd. ST-frei“, und gewährte der Klägerin im Streitzeitraum Prämien iHv. 700,00 Euro brutto (Januar 2009), 208,03 Euro brutto (März 2010) und 500,00 Euro brutto (Januar 2011). Des Weiteren wurden der Klägerin in dieser Zeit auf einem Arbeitszeitkonto angesammelte Überstunden (sog. „Poolstunden“) in einer Gesamthöhe von 4.689,00 Euro brutto (2009) und 1.875,60 Euro brutto (2010) ausgezahlt. Ab Februar 2011 stieg das Bruttomonatsgehalt der Klägerin (einschließlich der „Zulage Fachleiter“) auf 3.616,10 Euro.
7Im Freistaat Sachsen dürfen nach dem Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (SächsFrTrSchulG) vom Ersatzschulen nur genehmigt werden, wenn - neben anderen Voraussetzungen - eine Schule „die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrer genügend sichert“ (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 SächsFrTrSchulG). Das ist - neben anderen Anforderungen - der Fall, wenn „die Gehälter und Vergütung bei entsprechenden Anforderungen hinter den Gehältern der Lehrer an vergleichbaren öffentlichen Schulen nicht wesentlich zurückbleiben und in regelmäßigen Zeitabschnitten gezahlt werden“ (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 SächsFrTrSchulG). Nach den Bestimmungen über die Finanzhilfe für allgemeinbildende Ersatzschulen in der bis zum geltenden Fassung erhielten als Ersatzschulen genehmigte Schulen in freier Trägerschaft auf Antrag Zuschüsse des Landes. Diese wurden für jeden Schüler eines Bildungsgangs als jährlicher Pauschalbetrag (Schülerausgabenersatz) gewährt. In diesen flossen ua. die Personalausgaben für Lehrer ein, die mit dem Faktor 0,9 des Jahresentgelts des im jeweils vorangegangenen Schuljahr für Lehrer an öffentlichen Schulen im Freistaat Sachsen - nach den dort für die entsprechende Schulart geltenden Entgeltgruppen - gezahlten durchschnittlichen Bruttoentgelts eines Lehrers zuzüglich der pauschalierten Arbeitgeberanteile zu den Zweigen der Sozialversicherungen sowie zur Zusatzversorgung an die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder berücksichtigt wurden, § 15 Abs. 1 und Abs. 3 SächsFrTrSchulG (vgl. dazu und zur Unvereinbarkeit des § 15 SächsFrTrSchulG mit Art. 102 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 SächsVerf. Verfassungsgerichtshof des Freistaats Sachsen - Vf. 25-II-12 - die Norm darf bis zum Inkrafttreten einer verfassungskonformen Neuregelung, längstens bis zum , weiter angewendet werden). Dabei wurde dem Jahresentgelt iSv. § 15 Abs. 3 SächsFrTrSchulG bei Gymnasien die Entgeltgruppe 13 TV-L zugrunde gelegt, § 2 Nr. 5 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über die Gewährung von Zuschüssen für Schulen in freier Trägerschaft (ZuschussVO) vom .
8Mit der am eingereichten Klage hat die Klägerin zunächst die Abgeltung von zehn Tagen Urlaub begehrt; insoweit haben die Parteien nach Anerkenntnis der Beklagten den Rechtsstreit im Termin zur Verhandlung vor der Kammer am übereinstimmend für erledigt erklärt.
9Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin - nach erfolglosem außergerichtlichen Verlangen - die Klage um Differenzvergütung für die Jahre 2009 bis 2011 erweitert und geltend gemacht, angesichts der landesrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen für eine Ersatzschule und der hohen Finanzhilfe des Freistaats Sachsen gerade hinsichtlich der Personalkosten dürfe ihre Vergütung nicht wesentlich hinter der einer Lehrkraft an einem staatlichen Gymnasium zurückbleiben. Dort würde sie aufgrund ihrer Qualifikation (Hochschulabschluss), ihrer Tätigkeit und ihres Lebensalters Vergütung nach Entgeltgruppe 13 Stufe 5 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) erhalten. Ihre Grundvergütung beim Beklagten (ohne Berücksichtigung der Zulage für die Fachleitertätigkeit, der betrieblichen Altersversorgung und der vermögenswirksamen Leistungen sowie unter Abzug von Überstundenvergütung) habe aber im Jahr 2009 nur 66,80 %, im Jahr 2010 66,02 % und im Jahr 2011 74,72 % einer Lehrkraft an einer vergleichbaren öffentlichen Schule betragen und sei damit sittenwidrig niedrig. Der Beklagte schulde ihr deshalb die übliche Vergütung einer Lehrkraft an einem Gymnasium in freier Trägerschaft im Freistaat Sachen, die mindestens 80 % der Vergütung einer Lehrkraft an einer öffentlichen allgemeinbildenden Schule betrage.
10Die Klägerin hat in den Vorinstanzen zuletzt beantragt,
11Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, weder aus Art. 7 Abs. 4 Satz 4 GG noch den landesrechtlichen Bestimmungen zur Genehmigung und Förderung privater Ersatzschulen lasse sich etwas für die Grenze herleiten, ab derer die Vergütung einer Lehrkraft an einer privaten Ersatzschule sittenwidrig niedrig sei. Die Voraussetzungen für eine Sittenwidrigkeit der Vergütungsabrede lägen nicht vor. Bilde man aus dem, was der Klägerin jeweils in den Jahren 2009 bis 2011 insgesamt zugeflossen sei, ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt, so habe dieses 2009 93 %, 2010 79 % und 2011 82 % des jeweiligen Tabellenentgelts der Entgeltgruppe 13 Stufe 5 TV-L betragen. Zu den subjektiven Voraussetzungen des Lohnwuchers habe die Klägerin nichts vorgebracht. Jedenfalls sei ein möglicher Anspruch verfallen, weil er weder innerhalb der Ausschlussfrist des § 15 Arbeitsvertrag noch der des § 70 BAT-O geltend gemacht wurde.
12Das Arbeitsgericht hat die - bei ihm noch mit einem höheren Betrag anhängige - Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - der Klägerin weitere Vergütung für die Zeit vom bis zum in einer Gesamthöhe von 15.462,12 Euro nebst Zinsen zugesprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Klägerin, die die Klageabweisung im Übrigen hat rechtskräftig werden lassen, beantragt die Zurückweisung der Revision des Beklagten.
Gründe
13Die Revision des Beklagten ist begründet. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen die zugesprochene Forderung nicht. Das führt - soweit der Klage stattgegeben wurde - zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
14I. Im Ergebnis zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass ein möglicher Anspruch der Klägerin auf weitere Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB nicht nach § 15 Arbeitsvertrag oder § 70 BAT-O verfallen wäre.
151. Die Klägerin musste die zweimonatige Ausschlussfrist des § 15 Arbeitsvertrag nicht einhalten.
16a) Diese Klausel ist wie eine Allgemeine Geschäftsbedingung anhand von § 305c Abs. 2, §§ 306, 307 bis 309 BGB zu beurteilen. Der Beklagte hat schon nach dem äußeren Erscheinungsbild den undatierten Arbeitsvertrag vorformuliert, der Klägerin unstreitig in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt. Ob es sich dabei um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelte (§ 305 Abs. 1 BGB) bedarf keiner weiteren Aufklärung, denn der Arbeitsvertrag ist ein Verbrauchervertrag iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB ( - Rn. 11 mwN). Der Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass die Klägerin die Ausschlussfristenregelung in den Arbeitsvertrag eingeführt hat (§ 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB) oder auf den Inhalt der Klausel Einfluss nehmen konnte (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB).
17aa) Die Möglichkeit der Einflussnahme, die sich auf die konkrete Klausel beziehen muss, ist nur gegeben, wenn der Verwender einer Allgemeinen Geschäftsbedingung deren Kerngehalt ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verwendungsgegner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner Interessen einräumt. Dies setzt zumindest voraus, dass sich der Verwender deutlich und ernsthaft zu gewünschten Änderungen der zu treffenden Vereinbarung bereit erklärt und dies dem Verwendungsgegner bei Abschluss des Vertrags bewusst war. Ist die Möglichkeit der Einflussnahme streitig, muss der Verwender nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast den Vortrag des Verwendungsgegners, er habe keine Einflussmöglichkeit gehabt, qualifiziert bestreiten, indem er konkret darlegt, wie er Klauseln zur Disposition gestellt hat und aus welchen Umständen darauf geschlossen werden kann, der Verwendungsgegner habe die im Streit stehende Klausel freiwillig akzeptiert ( - Rn. 25 ff. mwN).
18bb) Gemessen daran hat der Beklagte unzureichend vorgetragen. Auf das Vorbringen der Klägerin, der Arbeitsvertrag sei mit ihr weder ver- noch ausgehandelt worden, hat der Beklagte das Gegenteil nicht einmal ansatzweise dargelegt. Dass die Klägerin an der Ausarbeitung von Arbeitsverträgen für andere Beschäftigte des Beklagten mitgewirkt haben soll, lässt nicht erkennen, dass sie die streitige Ausschlussfristenregelung selbst in ihren Arbeitsvertrag eingeführt oder in welcher Weise der Beklagte die Klausel zur Disposition gestellt hätte. Ebenso wenig erschließt sich der vom Beklagten hergestellte Kausalzusammenhang zwischen einer Mitwirkung an der Formulierung von Arbeitsverträgen für andere Beschäftigte und einer Kenntnis der Klägerin davon, dass „diese Arbeitsverträge mit jedem einzelnen Angestellten persönlich ausgehandelt“ worden seien. Erst recht lässt dieser Sachvortrag keinen Schluss darauf zu, in welcher Weise der Beklagte wann die Ausschlussfristenregelung des § 15 Arbeitsvertrag mit der Klägerin ausgehandelt bzw. die Klausel zur Disposition gestellt haben will. Zu Recht hat deshalb das Landesarbeitsgericht den von der Revision als übergangen gerügten Beweis nicht erhoben. Denn zum einen ist das Beweisangebot nicht erheblich. Zum anderen hätte sich die Vernehmung des Zeugen im Hinblick auf eine Möglichkeit der Klägerin zur Einflussnahme auf den mit ihr geschlossenen Arbeitsvertrag und insbesondere dessen § 15 als Ausforschungsbeweis dargestellt (vgl. - Rn. 23).
19b) § 15 Arbeitsvertrag hält der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht stand. Die Kürze der Frist benachteiligte die Klägerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (vgl. - BAGE 116, 66, seither st. Rspr.).
202. Die Klägerin war nicht gehalten, § 70 BAT-O zu beachten. Dieser findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung.
21a) Unabhängig davon, dass der BAT-O schon mit Wirkung vom durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom ersetzt wurde (§ 2 Abs. 1 iVm. Anlage 1 Teil A. Nr. 2 Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) vom ), war der BAT-O weder für allgemeinverbindlich erklärt noch hat der Beklagte eine beiderseitige Tarifgebundenheit (§ 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG) behauptet. Auch eine Bezugnahme auf den BAT-O haben die Parteien unstreitig nicht vereinbart. Das Arbeitsverhältnis sollte, was schon die Überschrift des Arbeitsvertrags verdeutlicht, ein solches „ohne Tarifbindung“ sein.
22b) Die Anwendbarkeit des § 70 BAT-O lässt sich - wie der Beklagte im Anschluss an eine Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom (- 2 Sa 695/05 -) meint - nicht damit begründen, die Arbeitsverträge von Lehrkräften des Freistaats Sachsen enthielten durchgängig eine Bezugnahmeklausel auf den BAT-O. Die Klägerin begehrt nicht eine Vergütung nach dem BAT-O bzw. den diesen ersetzenden TV-L, sondern nimmt im Rahmen ihres Vorwurfs, die Vergütungsabrede der Parteien sei sittenwidrig, die Vergütung von Gymnasiallehrern an öffentlichen Schulen des Freistaats Sachsen lediglich als Maßstab für den objektiven Wert ihrer Arbeitsleistung.
23c) Bei Unwirksamkeit einer Vergütungsvereinbarung ist die Höhe der für die versprochenen Dienste vom Arbeitgeber zu leistenden Vergütung (§ 611 Abs. 1 BGB) nicht (mehr) bestimmt, so dass der Arbeitnehmer Anspruch auf die übliche Vergütung hat, § 612 Abs. 2 BGB. Allein die Heranziehung tariflicher Regelungen zur Bestimmung der üblichen Vergütung führt aber nicht zur Anwendung einer ansonsten nicht für das Arbeitsverhältnis geltenden tariflichen Ausschlussfristenregelung ( - Rn. 30, BAGE 130, 338). Lediglich wenn das übliche Entgelt iSv. § 612 Abs. 2 BGB durch einen Mindestentgelttarifvertrag bestimmt wird, ist eine in demselben Tarifvertrag geregelte Ausschlussfrist als Teil des üblichen Entgelts anzusehen ( - Rn. 33, BAGE 135, 187; - 5 AZR 171/10 - Rn. 22 ff., BAGE 137, 375). Daran mangelt es im Streitfall. Die Klägerin begehrt als übliche Vergütung nicht eine tarifliche, schon gar nicht eine durch einen Mindestentgelttarifvertrag bestimmte, sondern diejenige, die vergleichbare Lehrkräfte an privaten Ersatzschulen im Freistaat Sachsen üblicherweise erhalten sollen. Diese orientiert sich nach dem Vorbringen der Klägerin zwar an der Vergütung von Lehrkräften an staatlichen Gymnasien, wird dadurch aber nicht zu einer tariflichen.
24II. Die Klägerin kann nach § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung verlangen, wenn die arbeitsvertragliche Entgeltabrede im Streitzeitraum unwirksam war oder unwirksam geworden ist.
251. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht dessen Annahme, die Vergütung der Klägerin sei im gesamten in die Revisionsinstanz gelangten Streitzeitraum sittenwidrig niedrig gewesen.
26a) Der objektive Tatbestand sowohl des Lohnwuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) als auch des wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) setzen ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Dies bestimmt sich nach dem objektiven Wert der Leistung des Arbeitnehmers (zu dessen Ermittlung, vgl. - Rn. 11 f., BAGE 141, 137; - 5 AZR 663/13 - Rn. 21, jeweils mwN).
27Das Missverhältnis ist auffällig, wenn es einem Kundigen, gegebenenfalls nach Aufklärung des Sachverhalts, ohne Weiteres ins Auge springt. Dafür hat der Senat - in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs ( - BGHSt 43, 53) - im Jahr 2009 einen Richtwert entwickelt. Erreicht die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts, liegt eine ganz erhebliche, ohne Weiteres ins Auge fallende und regelmäßig nicht mehr hinnehmbare Abweichung vor, für die es einer spezifischen Rechtfertigung bedarf ( - Rn. 14 ff., BAGE 130, 338; seither st. Rspr., vgl. zuletzt - 5 AZR 663/13 - Rn. 18). Dasselbe gilt, wenn bei fehlender Maßgeblichkeit der Tarifentgelte die vereinbarte Vergütung mehr als ein Drittel unter dem Lohnniveau, das sich für die auszuübende Tätigkeit in der Wirtschaftsregion gebildet hat, bleibt.
28b) In subjektiver Hinsicht verlangt der Tatbestand des Lohnwuchers eine Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen. Der subjektive Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts erfordert in der Regel eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers ( - Rn. 30 mwN, BAGE 141, 324). Dazu hat der Senat eine Vermutungsregel entwickelt: Ist der objektive Wert einer Arbeitsleistung mindestens doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung, gestattet dieses besonders grobe Missverhältnis den tatsächlichen Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers iSv. § 138 Abs. 1 BGB. Andernfalls muss der Arbeitnehmer zusätzliche Umstände, aus denen geschlossen werden kann, der Arbeitgeber habe die Not oder einen anderen den Arbeitnehmer hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt, darlegen und im Streitfall beweisen ( - Rn. 36 ff., BAGE 141, 348).
29c) Bei Anwendung der Zwei-Drittel-Grenze wäre die Klage schon in den - identischen - objektiven Tatbeständen des Lohnwuchers und des wucherähnlichen Geschäfts unschlüssig und damit unbegründet, selbst wenn man davon ausginge, der objektive Wert der Arbeitsleistung der Klägerin bestimme sich - obwohl private Ersatzschulen und öffentliche Schulen unterschiedlichen Wirtschaftskreisen angehören ( - Rn. 26, BAGE 118, 66) - nicht nach dem Lohnniveau an privaten Ersatzschulen im Freistaat Sachsen, sondern der Vergütung von entsprechenden Lehrkräften an den dortigen staatlichen Gymnasien. Denn nach dem Vorbringen der Klägerin betrug ihre Vergütung im Jahr 2009 66,80 %, im Jahre 2010 66,02 % und im Jahre 2011 74,42 % der Vergütung einer entsprechenden Lehrkraft an einer vergleichbaren öffentlichen Schule und lag damit allenfalls kurzfristig unter der Zwei-Drittel-Grenze.
30d) Ob bei einer Lehrkraft an einer staatlich anerkannten Privatschule im Freistaat Sachsen besondere Umstände vorliegen, die die Beurteilung der sittenwidrigen Ausbeutung und die Bestimmung des objektiven Werts der Arbeitsleistung beeinflussen können (vgl. - Rn. 19, BAGE 130, 338), und ein Eingreifen in das gestörte arbeitsvertragliche Preis-/Leistungsverhältnis oberhalb der Zwei-Drittel-Grenze erforderlich machen oder einen Sittenverstoß nach § 138 Abs. 1 BGB außerhalb der Fallgruppe des wucherähnlichen Geschäfts begründen (vgl. - BAGE 118, 66; ErfK/Preis 15. Aufl. § 612 BGB Rn. 3; Schaub/Linck Arbeitsrechts-Handbuch 16. Aufl. § 34 Rn. 10; Zachert Anm. AP BGB § 138 Nr. 63; Henssler/Sittard RdA 2007, 159), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls ist die Vergütungsvereinbarung einer Lehrkraft an einer staatlich anerkannten Privatschule im Freistaat Sachsen nach § 134 BGB nichtig, wenn die Vergütung 80 % der Vergütung einer vergleichbaren Lehrkraft an einer öffentlichen Schule unterschreitet.
312. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. Dabei muss das Rechtsgeschäft selbst verbotswidrig sein. Das ist der Fall, wenn sein Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, insbesondere der mit dem Rechtsgeschäft bezweckte Erfolg verbotswidrig ist ( - Rn. 15, BAGE 130, 34).
32Das Verbot braucht nicht unmittelbar im Gesetzeswortlaut Ausdruck gefunden haben. Es kann sich auch aus Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift ergeben. Maßgebend ist insoweit die Reichweite ihres Schutzzwecks ( - Rn. 25, BAGE 130, 90; - 2 AZR 371/11 - Rn. 38, BAGE 144, 47).
33a) Mit der Vorgabe, die Genehmigung zur Errichtung einer privaten Schule zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist, dient Art. 7 Abs. 4 Satz 4 GG nicht nur dem öffentlichen Interesse an einem ordnungsgemäßen Schulbetrieb, sondern bezweckt auch den Schutz der Lehrkräfte ( - Rn. 19, BAGE 118, 66; Robbers in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 6. Aufl. Art. 7 Rn. 200; Uhle in Epping/Hillgruber GG 2. Aufl. Art. 7 Rn. 86). Die Konkretisierung der Anforderungen obliegt den Landesgesetzen, denen die Privatschulen gemäß Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG unterstehen.
34Im Freistaat Sachsen bestimmt § 5 Abs. 3 Nr. 2 SächsFrTrSchulG, dass die Genehmigungsvoraussetzung der genügenden Sicherung der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung der Lehrer - neben anderen Anforderungen - dann erfüllt ist, wenn die Gehälter und Vergütung bei entsprechenden Anforderungen hinter den Gehältern an vergleichbaren öffentlichen Schulen nicht wesentlich zurückbleiben und in regelmäßigen Zeitabschnitten gezahlt werden. Wann dies der Fall ist, definieren - anders als etwa im Land Brandenburg (§ 5 Abs. 5 Verordnung über die Genehmigung und Anerkennung von Ersatzschulen [ESGAV] vom ) im Freistaat Sachsen weder das SächsFrTrSchulG noch die SächsFrTrSchulVO durch eine feste Bezugsgröße. Doch ändert dies an der „drittschützenden“ Wirkung von Art. 7 Abs. 4 Satz 4 GG iVm. § 5 Abs. 3 Nr. 2 SächsFrTrSchulG nichts. Mit den dort normierten Voraussetzungen, die nicht nur im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung, sondern auch während des Betriebs der Privatschule vorliegen müssen (vgl. -), soll ua. verhindert werden, dass die Vergütung einer Lehrkraft an einer staatlich anerkannten Privatschule hinter derjenigen einer Lehrkraft an einer vergleichbaren öffentlichen Schule wesentlich zurückbleibt. Der Schutzzweck dieser Vorschriften verbietet damit eine diesen Anforderungen nicht genügende Vergütung.
35b) Verboten ist damit eine Vergütung, die weniger als 80 % der Vergütung einer Lehrkraft an einer vergleichbaren öffentlichen Schule beträgt.
36Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch steht die Formulierung „nicht wesentlich zurückbleiben“ in § 5 Abs. 3 Nr. 2 SächsFrTrSchulG einer erheblichen, ins Gewicht fallenden Abweichung von der Richtgröße nach unten entgegen. Die von Art. 7 Abs. 4 Satz 4 GG, § 5 Abs. 1 Nr. 4 SächsFrTrSchulG verlangte genügende Sicherung der wirtschaftlichen Stellung der Lehrkraft an einer Privatschule erfordert, dass die Tätigkeit der Lehrkraft an einer Privatschule - orientiert an der Honorierung der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen - angemessen entgolten wird. Das kann - in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur angemessenen Ausbildungsvergütung (vgl. - Rn. 14, BAGE 145, 371; - 9 AZR 78/14 - Rn. 30, jeweils mwN) - nicht mehr angenommen werden, wenn die Vergütung einer Lehrkraft an einer staatlich anerkannten Privatschule weniger als 80 % der Vergütung von Lehrkräften an vergleichbaren öffentlichen Schulen beträgt.
37III. Ob die Vergütung der Klägerin in dem in die Revisionsinstanz gelangten Zeitraum dieser Anforderung genügt hat, wird das Landesarbeitsgericht im erneuten Berufungsverfahren - ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - festzustellen haben. Dabei ist von Folgendem auszugehen:
381. Die Beurteilung, ob die Vergütungsabrede der Parteien den Anforderungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 4 GG iVm. § 5 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 2 SächsFrTrSchulG genügt, ist - wie bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit (vgl. - Rn. 10, BAGE 130, 338) - insofern „fließend“, als eine bei Vertragsabschluss den normativen Vorgaben genügende Vergütungsabrede im Laufe der Zeit verbotswidrig werden kann, während umgekehrt eine ursprünglich den Anforderungen nicht entsprechende sich (etwa durch überproportionale Entgelterhöhungen) zur gesetzeskonformen entwickeln kann. Dabei verbietet sich, um Verzerrungen zu vermeiden, eine „Durchschnittsbetrachtung“, wie sie das Landesarbeitsgericht im Rahmen der Prüfung der Sittenwidrigkeit angestellt hat. Abzustellen ist vielmehr auf die jeweiligen Zeitabschnitte, in denen sich arbeitsvertragliche und Vergleichsvergütung unverändert gegenüberstehen. Tritt hingegen in einer von ihnen eine Veränderung (etwa durch Tariferhöhung) ein, muss ab diesem Zeitpunkt eine neue Beurteilung erfolgen.
392. Ob die Vergütung der Klägerin im Streitzeitraum (durchgängig) 80 % der Vergütung von Lehrkräften an öffentlichen Schulen erreicht hat, bemisst sich - ausgehend von gleichen Funktionen - nach einem Gesamtvergleich, in den nicht nur das Grundgehalt, sondern alle Vergütungsbestandteile einzubeziehen sind, die im jeweiligen Vergleichszeitraum aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wurden. Unberücksichtigt bleiben (echter) Aufwendungsersatz, der kein Arbeitsentgelt ist ( - Rn. 35), und vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers iSd. Fünften VermBG, weil diese wesentlich anderen Zwecken dienen als der unmittelbaren Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeit ( - Rn. 61, BAGE 148, 68).
40Bei dem Vergleich der Entgelte ist außerdem zu beachten, dass § 5 Abs. 3 Nr. 2 SächsFrTrSchulG ein nicht wesentliches Zurückbleiben der Vergütung „bei entsprechenden Anforderungen“ verlangt. Deshalb sind die Unterrichtsdeputate, die zwar nur einen Teil der Arbeitszeit einer Lehrkraft - nämlich den genau messbaren - betreffen ( - Rn. 15 mwN), gleichwohl aber Inhalt und Umfang der Tätigkeit einer Lehrkraft wesentlich prägen, miteinzubeziehen. Unterscheiden sie sich, sind die zu vergleichenden Vergütungen entsprechend zu gewichten.
413. Rechtsfolge eines Verstoßes der arbeitsvertraglichen Vergütungsabrede gegen § 134 BGB ist ein Anspruch der Klägerin auf die übliche Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB. Das ist diejenige einer entsprechenden Lehrkraft an einem als Ersatzschule genehmigten privaten Gymnasium im Freistaat Sachsen.
42Zu deren Höhe hat die Klägerin - bislang vom Beklagten unbestritten - vorgebracht, sie betrage mindestens 80 % der Vergütung einer vergleichbaren Lehrkraft an einem staatlichen Gymnasium. Ob das Lohnniveau der drei von der Klägerin hierzu benannten, in christlicher Trägerschaft stehenden Schulen repräsentativ für alle privaten Gymnasien im Freistaat Sachsen ist, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Jedenfalls kann eine verbotswidrig niedrige Vergütung nur faktisch „üblich“ sein, vermag aber nicht die übliche Vergütung iSv. § 612 Abs. 2 BGB zu bestimmen.
434. Bei der erneuten Entscheidung wird zu beachten sein, dass die Klägerin - entsprechend der arbeitsvertraglichen Vereinbarung - eine Bruttoforderung geltend macht. Gibt das Landesarbeitsgericht der Klage statt, ist nicht nur in den Gründen, sondern auch im Tenor ein Bruttobetrag zuzusprechen. Bei der Kostenentscheidung ist hinsichtlich der erstinstanzlich übereinstimmend für erledigt erklärten Klage auf Urlaubsabgeltung § 91a ZPO zu beachten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:190815.U.5AZR500.14.0
Fundstelle(n):
BB 2015 S. 3059 Nr. 50
DB 2015 S. 7 Nr. 49
GAAAF-09043