Entziehung eines Doktorgrades wegen Täuschung über strafrechtliche Unbescholtenheit
Leitsatz
Eine Universität darf für die Zulassung eines Promotionsbewerbers zur Promotion einem strafbaren Verhalten nur insoweit Relevanz beimessen, als wissenschaftsbezogene Straftaten in Rede stehen.
Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 3 S 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 39 Abs 4 S 1 Nr 1 HSchulG SN 2008
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 2 A 315/12 Urteilvorgehend VG Chemnitz Az: 2 K 422/09 Urteil
Tatbestand
1Der Kläger ist Diplom-Ingenieur für Energie- und Wärmetechnik. Er wendet sich dagegen, dass ihm die beklagte Technische Universität den von ihrer Fakultät für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie verliehenen akademischen Grad des Dr.-Ing. für das Fachgebiet Verbundwerkstoffe entzogen hat.
2Mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Würzburg vom wurde der Kläger wegen einer im Mai 2004 begangenen sexuellen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nachdem der Kläger in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch den Rechtsweg ausgeschöpft hatte, trat die uneingeschränkte Rechtskraft des Urteils am ein. Am teilte die Staatsanwaltschaft Würzburg die Verurteilung dem Bundesamt für Justiz zur Eintragung in das Bundeszentralregister mit.
3Am richtete der Kläger einen Promotionsantrag an den Dekan der Fakultät für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der Beklagten. Der Antrag nahm Bezug auf die Dissertation, die der Kläger mit einer im Januar 2007 durch einen Hochschullehrer der Beklagten erteilten Betreuerzusage zu einem werkstofftechnischen Thema angefertigt und bereits vorgelegt hatte. Der Kläger reichte zudem die nach der Promotionsordnung der Beklagten (PromO) erforderlichen Erklärungen und Urkunden ein, zu denen nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO ein höchstens drei Monate altes Führungszeugnis gehörte. Das von dem Kläger vorgelegte Führungszeugnis datierte vom und wies keine Eintragung auf. Die Fakultät eröffnete das Promotionsverfahren am .
4Mit Schreiben vom teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie sei wenige Tage zuvor von einer anonymen Anruferin davon in Kenntnis gesetzt worden, dass gegen den Kläger von den Behörden in Würzburg wegen sexueller Nötigung strafrechtlich ermittelt werde. Der Kläger möge umgehend zu dem Vorwurf Stellung nehmen. Der Kläger erklärte daraufhin telefonisch und schriftlich, gegen ihn liefen keine strafrechtlichen Ermittlungen bzw. es seien ihm solche Ermittlungen aktuell nicht bekannt.
5Auf der Grundlage einer positiven Bewertung der vorgelegten Dissertation und nach der von dem Kläger erfolgreich absolvierten öffentlichen Verteidigung des Werks stellte die Beklagte am die Promotionsurkunde aus und übersandte diese an den Kläger.
6Im September 2008 wurde der Beklagten von der Staatsanwaltschaft Würzburg Einsicht in die den Kläger betreffenden Strafakten gewährt. Daraufhin fasste der Fakultätsrat der Fakultät für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der Beklagten, nachdem er dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, am den Beschluss, den dem Kläger verliehenen Doktorgrad mit Wirkung vom zu entziehen. Diesen Beschluss setzte der Dekan der Fakultät mit Bescheid vom um und führte zur Begründung entsprechend den durch den Fakultätsrat angestellten Erwägungen aus: Der Doktorgrad werde auf der Grundlage des § 20 Abs. 1 PromO entzogen. Der Kläger habe im Sinne dieser Vorschrift den Fakultätsrat über eine wesentliche, im Promotionsantrag dokumentierte Zulassungsvoraussetzung getäuscht. Das in § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO geregelte Erfordernis, dem Promotionsantrag ein höchstens drei Monate altes polizeiliches Führungszeugnis beizufügen, habe nicht lediglich einen formalen Charakter, sondern enthalte die Verpflichtung, eintragungsfähige Vorstrafen zu offenbaren. Der geforderten Auskunft über den Leumund komme eine wesentliche Bedeutung zu. Die Verleihung des Doktorgrades stelle eine Würdigung seitens der Fakultät dar. Eine Verleihung an Personen mit schlechtem Leumund werde deshalb jedenfalls hinterfragt. Die von dem Kläger begangene Täuschung liege darin, dass er das Führungszeugnis in Kenntnis der dort nicht eingetragenen Vorstrafe vorgelegt habe. Der Fakultätsrat hätte bei wahrheitsgemäßer Auskunft das Promotionsverfahren jedenfalls anders gestaltet. Im Rahmen seines durch § 20 Abs. 1 PromO eingeräumten Ermessens sei der Fakultätsrat zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger die sozialen und beruflichen Folgen des Entzugs seines Doktorgrades hinzunehmen habe, weil vorrangig das Ansehen und der gute Ruf der Fakultät zu wahren seien.
7Die auf Aufhebung der Entziehungsentscheidung gerichtete Klage, die der Kläger nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhoben hat, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen: Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses geltende Vorschrift des § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SächsHSG i.V.m. § 20 Abs. 1 PromO. Bei dem Doktorgrad des Klägers handele es sich im Sinne des § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SächsHSG um einen auf Grund des Hochschulgesetzes verliehenen Grad, der entzogen werden könne, weil er durch Täuschung erworben worden sei. Der mögliche Gegenstand einer Täuschung werde durch das Sächsische Hochschulgesetz nicht näher bestimmt. Insoweit greife die Vorschrift des § 20 Abs. 1 PromO ein, die regele, dass der Doktorgrad entzogen werden könne, wenn sich nachträglich herausstelle, dass der Promovierte den zuständigen Fakultätsrat über wesentliche, in dem Promotionsantrag dokumentierte Zulassungsvoraussetzungen oder über seine Promotionsleistungen getäuscht habe. Als wesentliche Voraussetzung für die Zulassung zur Promotion statuiere § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO die Pflicht des Bewerbers, ein Führungszeugnis vorzulegen, und dadurch hinreichend deutlich zugleich die Verpflichtung zu einer inhaltlich richtigen Auskunft über vorhandene Vorstrafen. Die Vorschrift halte sich im Rahmen der landesgesetzlichen Ermächtigung der Universitäten, die Zulassung zur Promotion zu regeln. Vor dem Hintergrund des durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 21 SächsVerf gewährten Schutzes der Wissenschaftsfreiheit und der akademischen Selbstverwaltung seien die Hochschulen berechtigt, eigenständig und ohne staatliche Einwirkung die Promotionsvoraussetzungen festzulegen und die Inhalte der Promotionsordnungen zu gestalten. Diese Regelungsbefugnis werde nur durch die Grundrechte der Promotionsbewerber eingeschränkt. Im vorliegenden Fall ergäben sich jedoch weder aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 21 SächsVerf noch aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 SächsVerf Bedenken gegen die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO. Diese sei verhältnismäßig, weil der Beklagten sichere Kenntnis über mögliche Vorstrafen eines Promotionsbewerbers verschafft werden solle, die unter Umständen einer Zulassung zur Promotion entgegenstehen könnten. Aus der Art der jeweils begangenen Straftaten könne gegebenenfalls auf die wissenschaftliche Nichteignung der Promotionsbewerber geschlossen werden. Es entspreche vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls, Promotionsbewerber mit Vorstrafen nicht oder jedenfalls nicht ohne weitere Prüfung zur Promotion zuzulassen. Der Kläger habe den für die Promotionszulassung zuständigen Fakultätsrat durch Vorlage des formal richtigen, inhaltlich aber unzutreffenden polizeilichen Führungszeugnisses vom über seine seit dem rechtskräftige Verurteilung wegen sexueller Nötigung getäuscht. Er habe die aus § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO resultierende Offenbarungspflicht dadurch verletzt, dass er das Führungszeugnis unkommentiert vorgelegt, auf Nachfragen der Beklagten den wahren Sachverhalt verschleiert und auf diese Weise bei den Mitgliedern des Fakultätsrats vorsätzlich den Irrtum erweckt habe, nicht vorbestraft zu sein. Die von dem Kläger begangene Täuschung sei ursächlich für die Vergabe des Doktorgrades gewesen. Insoweit komme es nicht darauf an, ob die Fakultät die Promotionszulassung in Kenntnis des wahren Sachverhalts verweigert hätte. Es reiche aus, dass die Beklagte den Kläger ohne die Täuschung jedenfalls nicht alsbald zur Promotion zugelassen, sondern weitere Prüfungen und Erwägungen angestellt und erst auf dieser vollständigen Grundlage ihre Entscheidung getroffen hätte. Das durch § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SächsHSG und § 20 Abs. 1 PromO eingeräumte Ermessen habe die Beklagte rechtsfehlerfrei ausgeübt.
8Mit seiner von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Aufhebung der Entziehung seines Doktorgrades weiter: Das Berufungsgericht habe bei der Auslegung des von ihm herangezogenen Landesrechts die Reichweite des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG sowie des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verkannt. Diese verfassungsrechtlichen Garantien stünden der Entziehungsentscheidung entgegen.
9Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und begehrt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
10Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
11Als Rechtsgrundlage für die Entziehung des Doktorgrades des Klägers, die die beklagte Universität durch den streitbefangenen Bescheid vom verfügt hat, ist nach der den Senat bindenden Auslegung des irrevisiblen Rechts durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) auf § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulgesetz - SächsHSG) vom (SächsGVBl. S. 900) abzustellen. Nach dieser Vorschrift kann ein auf Grund des Sächsischen Hochschulgesetzes verliehener Grad - und damit nach Feststellung des Oberverwaltungsgerichts auch der dem Kläger von der beklagten Universität verliehene Doktorgrad - entzogen werden, wenn er durch Täuschung erworben wurde. Was die Bestimmung des Gegenstands der Täuschung anbelangt, lässt die landesgesetzliche Entziehungsvorschrift nach dem Verständnis des Oberverwaltungsgerichts Raum für eine Regelung durch universitäres Satzungsrecht. Dies begegnet revisionsgerichtlich ebenso wenig Bedenken wie der von dem Oberverwaltungsgericht weiter festgestellte Umstand, dass der von § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SächsHSG zur untergesetzlichen Regelung belassene Raum im vorliegenden Fall durch die Vorschrift des § 20 Abs. 1 der Promotionsordnung der Beklagten vom (PromO) ausgefüllt wird, derzufolge der Doktorgrad unter anderem dann entzogen werden kann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Promovierte den zuständigen Fakultätsrat über wesentliche, im Promotionsantrag dokumentierte Zulassungsvoraussetzungen getäuscht hat. Nicht im Einklang mit Bundesrecht steht demgegenüber die Bestimmung des § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO, die in ihrer bindenden Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht die Unbelastetheit eines Promotionsbewerbers von in ein Führungszeugnis aufzunehmenden Verurteilungen sowie die Pflicht zur Offenbarung entsprechender Vorstrafen und die Vorlage eines Führungszeugnisses als wesentliche, im Promotionsantrag dokumentierte Zulassungsvoraussetzungen umschreibt (1.). Mit diesem Inhalt stellt die landesrechtliche Satzungsnorm eine unverhältnismäßige Einschränkung der den Promotionsbewerbern zustehenden Grundrechte der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (2.), der Wissenschaftsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (3.) sowie der informationellen Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (4.) dar und kann deshalb keine Anwendung finden. Die Vorschrift konnte nicht dazu herangezogen werden, dem Kläger die Zulassung zur Promotion zu versagen. Die von dem Oberverwaltungsgericht festgestellte Täuschung der Mitglieder des zuständigen Fakultätsrats durch den Kläger über seine Verurteilung war für die Verleihung des Doktorgrades nicht kausal. Deshalb konnte dem Kläger der Doktorgrad nicht nach § 39 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SächsHSG wegen dieser Täuschung entzogen werden. Für diese Beurteilung sind weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
121. Die beklagte Universität hat in § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO bestimmt, dass einem Promotionsantrag ein höchstens drei Monate altes Führungszeugnis oder die Erklärung, dass gemäß § 30 Abs. 5 BZRG ein Führungszeugnis zur Vorlage bei der Beklagten beantragt worden sei, beizufügen ist. Die Vorschrift hat nach ihrer für den Senat verbindlichen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht eine Doppelnatur und stellt dementsprechend in zweifacher Beziehung eine Voraussetzung für die Zulassung eines Bewerbers zur Promotion auf. Sie misst zum einen in materieller Hinsicht der Belastung eines Promotionsbewerbers mit Vorstrafen, die nach Maßgabe des § 32 BZRG in dem durch §§ 33 f. BZRG gezogenen zeitlichen Rahmen in ein Führungszeugnis aufzunehmen sind, Relevanz für die Zulassung zur Promotion bei. Sie erlegt dem Bewerber zum anderen in formeller Hinsicht die Pflicht auf, entsprechende Verurteilungen der für ihn zuständigen Fakultät der Beklagten zu offenbaren und im Zusammenhang hiermit ein hinreichend aktuelles Führungszeugnis beizubringen. Wie das Oberverwaltungsgericht zu dem materiellen Gehalt der Norm weiter festgestellt hat, fordert die Beklagte die weitgehende strafrechtliche Unbescholtenheit eines Promotionsbewerbers, ohne vorab festgelegt zu haben, dass im Fall einer in ein Führungszeugnis aufzunehmenden Verurteilung die Zulassung zur Promotion zwingend zu versagen ist. Die Beklagte hat andererseits nicht geregelt, unter welchen Voraussetzungen trotz Vorliegens einer solchen Verurteilung eine Zulassung zur Promotion möglich ist. Die Beklagte behält sich damit eine Versagung der Zulassung in jedem einschlägigen Fall vor. Eine in ein Führungszeugnis aufzunehmende Verurteilung ist damit stets von potentieller Relevanz für die Promotionszulassung.
132. Indem sie die strafrechtliche Unbescholtenheit eines Promotionsbewerbers in dem beschriebenen weiten Sinn zu einer materiellen Voraussetzung für die Zulassung zur Promotion erhebt, verletzt die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsfreiheit. Die Norm betrifft für eine große Zahl von Promotionsbewerbern den Schutzbereich des Grundrechts (a)) und schränkt dieses in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise ein (b)).
14a) Das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ermöglicht als für das Arbeits- und Wirtschaftsleben zentrales Freiheitsrecht dem Einzelnen die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zur materiellen Sicherung seiner individuellen Lebensgestaltung, schützt die selbstbestimmte berufliche Entwicklung und dient der Abwehr von in diesem weiten Sinne berufsbezogenen Belastungen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 1078/80 - BVerfGE 63, 266 <286 f.> und vom - 1 BvR 26/84 - BVerfGE 81, 242 <254>; Mann, in: Sachs <Hrsg.>, Grundgesetz, 7. Aufl. 2014, Art. 12 Rn. 16; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck <Hrsg.>, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 12 Abs. 1 Rn. 5, 45). In den Schutzbereich dieses Freiheits- und Abwehrrechts greift die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO mit der Bestimmung, dass die Zulassung zur Promotion wegen jeder in ein Führungszeugnis aufzunehmenden Verurteilung versagt werden kann, ein.
15Zwar werden sowohl die Promotion als Prüfung als auch der Doktorgrad als Leistungsnachweis durch ihren akademischen und wissenschaftsbezogenen Charakter geprägt ( - BVerfGE 88, 129 <140>, Kammerbeschluss vom - 1 BvR 3353/13 - NVwZ 2014, 1571; 6 C 9.12 - BVerwGE 147, 292 Rn. 21 ff.; Maurer, Promotion, in: Flämig/Kimminich/Krüger/Meusel/Rupp/Scheven/Schuster/Graf Stenbock-Fermor <Hrsg.>, Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1996, S. 756). Trotz dieser Wissenschaftsbezogenheit sind Beschränkungen, die den Erwerb des Doktorgrades betreffen, von erheblicher Bedeutung auch für die Verwirklichung der Berufsfreiheit der Promotionsbewerber. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die beruflichen Positionen eines Professors oder Juniorprofessors, für die die Promotion, wie sich aus § 44 Nr. 3 HRG und § 47 Satz 1 Nr. 3 HRG sowie entsprechenden Bestimmungen des Landesrechts ergibt, eine die Berufswahl betreffende subjektive Zulassungsvoraussetzung darstellt. Vielmehr erweist es sich auch für eine Vielzahl von beruflichen Tätigkeiten außerhalb des universitären Bereichs jedenfalls für die Berufsausübung als förderlich, wenn die Berufstätigen auf einen Doktorgrad als Nachweis einer von ihnen erbrachten wissenschaftlichen Leistung verweisen können (vgl. Kluth, in: FS Schiedermair, 2001, S. 583 f.; Maurer, Promotion, in: Flämig/Kimminich/Krüger/Meusel/Rupp/Scheven/Schuster/Graf Stenbock-Fermor <Hrsg.>, Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1996, S. 758; Epping, in: Leuze/Epping <Hrsg.>, Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen, Stand: September 2013, § 67 Rn. 6 und der Sache nach auch bereits: 6 C 9.12 - BVerwGE 147, 292 Rn. 31).
16b) Der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Gestalt der durch § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO aufgestellten Promotionszulassungsvoraussetzung einer weitgehenden strafrechtlichen Unbescholtenheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Eingriffe in die Berufsfreiheit sind nur auf Grund eines Gesetzes erlaubt, das in materieller Hinsicht durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und auch im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. - BVerfGE 102, 197 <212 f.>, - BVerfGE 115, 276 <304>).
17Die eingreifende Norm des § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO erweist sich bereits deshalb als unverhältnismäßig, weil sie mit dem besagten Regelungsgehalt kein legitimes Gemeinwohlziel verfolgt. Es gibt kein schützenswertes Interesse der beklagten Universität, das sie berechtigen könnte, als Voraussetzung für die Zulassung eines Bewerbers zur Promotion dessen strafrechtliche Unbescholtenheit in dem durch § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO umschriebenen Ausmaß zu fordern.
18Die Universitäten sind ungeachtet ihrer Organisationsform als juristische Personen des öffentlichen Rechts Träger des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ( - BVerfGE 15, 256 <262>), das sie auch in ihrem Recht auf akademische Selbstverwaltung schützt ( - juris Rn. 16 ff.; 6 C 2.91 - BVerwGE 91, 24 <36>). Ein besonders herausgehobener Bestandteil der akademischen Selbstverwaltung und der darin enthaltenen universitären Satzungsautonomie ist die Befugnis der Universitäten bzw. ihrer Fakultäten, auf Grund gesetzlicher Ermächtigung das Promotionswesen zu regeln (Scholz, in: Maunz/Dürig <Hrsg.>, Grundgesetz, Art. 5 Abs. 3 Rn. 162, Stand Mai 1977; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck <Hrsg.>, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 5 Abs. 3 Rn. 365, 400; v. Coelln, in: Friauf/Höfling <Hrsg.>, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Juni 2015, Art. 5 <3. Teil> Rn. 88). Der Umstand, der es erfordert und rechtfertigt, die Ausgestaltung der Promotion und ihrer Voraussetzungen in einem weiten gesetzlichen Rahmen der grundgesetzlich garantierten akademischen Selbstverwaltung zu überantworten, ist die Wissenschaftsbezogenheit des Regelungsgegenstands. Der Bezug zur Wissenschaft begrenzt andererseits das legitime universitäre Regelungsinteresse.
19Die Universitäten sind generell nicht zur Abgabe und Durchsetzung von Werturteilen berufen, die außerhalb der Wissenschaft angesiedelt sind. Sie dürfen deshalb von einer gesetzlichen Ermächtigung zur Entziehung eines Doktorgrades wegen nachträglicher Unwürdigkeit nur bei wissenschaftsbezogenen Verfehlungen eines Promovierten Gebrauch machen ( - NVwZ 2014, 1571 Rn. 17; 6 C 9.12 - BVerwGE 147, 292 Rn. 21 ff.). Ebenso ist es ihnen verwehrt, die Zulassung zur Promotion durch autonome Rechtsetzung in persönlicher Hinsicht von einer durch wissenschaftliche Erfordernisse nicht gerechtfertigten Unbescholtenheit der Promotionsbewerber abhängig zu machen. Was ein strafbares Verhalten anbelangt, dürfen die Universitäten hier wie dort nur solchen Taten Relevanz beimessen, die die Funktionsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit des Wissenschaftsprozesses in Frage stellen und deshalb einen unmittelbaren Bezug zu der mit dem Doktorgrad verbundenen fachlich-wissenschaftlichen Qualifikation aufweisen. Dies ist etwa bei einem Betrug beim Einwerben von Drittmitteln (v. Bargen, JZ 2015, 819 <822>) oder einer Volksverhetzung in Form einer pseudowissenschaftlichen Publikation (vgl. - juris Rn. 9 f.; 7 B 8.88 - Buchholz 421.11 § 4 GFaG Nr. 1 S. 3) der Fall. Hingegen sind die Universitäten nicht legitimiert, auf Straftaten ohne einen derartigen Wissenschaftsbezug mit einem Entzug des Doktorgrades oder der Versagung der Zulassung zur Promotion zu reagieren.
203. Die Regelung des § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO steht mit ihrem durch das Oberverwaltungsgericht festgestellten materiellen Inhalt ferner nicht im Einklang mit der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit. Auf dieses Grundrecht können sich die Promotionsbewerber im Hinblick auf ihre Zulassung zur Promotion berufen, wenn sie die in rechtmäßiger Weise, insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgestellten Voraussetzungen für die Zulassung zur Promotion erfüllen (a)). Eine solcherart gerechtfertigte Zulassungsvoraussetzung enthält § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO mit der geforderten weitgehenden strafrechtlichen Unbescholtenheit der Promotionsbewerber nicht (b)).
21a) Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zunächst ein Abwehrrecht des einzelnen Wissenschaftlers und gewährt diesem einen von staatlicher Fremdbestimmung freien Bereich persönlicher und autonomer Verantwortung. Die grundrechtliche Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit enthält darüber hinaus eine objektive, das Verhältnis der Wissenschaft zum Staat regelnde, wertentscheidende Grundsatznorm, derzufolge der Staat funktionsfähige Institutionen eines freien universitären Wissenschaftsbetriebs zur Verfügung stellen und innerhalb dieses Betriebs die freie Wissenschaft durch eine geeignete Organisation schützen muss. Schließlich gewährt das Grundrecht den in der Wissenschaft Tätigen ein Recht auf Teilhabe an öffentlichen Ressourcen und an der Organisation des Wissenschaftsbetriebs (vgl. zu allen drei Ausprägungen etwa: - BVerfGE 35, 79 <112 ff.>; Beschlüsse vom - 1 BvR 911/00 u.a. - BVerfGE 111, 333 <353 ff.> und vom - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87 <114 f.>; zusammenfassend: v. Coelln, in: Friauf/Höfling <Hrsg.>, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Juni 2015, Art. 5 <3. Teil> Rn. 49 ff.). Für Promotionsbewerber kommt im Hinblick auf ihre Zulassung zur Promotion der teilhaberechtliche Aspekt des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit zum Tragen.
22Zwar beziehen sich die von dem Bundesverfassungsgericht bisher ausdrücklich anerkannten Ausprägungen des wissenschaftsfreiheitlichen Teilhaberechts allein auf die Rechtsstellung der im Universitätsbetrieb tätigen Hochschullehrer (vgl. neben dem Recht auf Teilhabe an der Organisation des Wissenschaftsbetriebs etwa: u.a. - BVerfGE 43, 242 <285>; Beschluss vom - 1 BvR 911/00 u.a. - BVerfGE 111, 333 <362> - Mindestausstattung mit Personal- und Sachmitteln; - BVerfGE 122, 89 <117> - Beteiligung an der Ausbildung und der Nachwuchsförderung). Dieser Befund schließt jedoch die Annahme eines Teilhaberechts in der hier in Rede stehenden Konstellation nicht aus. Denn zum festen Bestand der bundesverfassungsgerichtlichen Grundrechtsjudikatur zählt auch das - vornehmlich aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete - Recht auf Teilhabe an staatlich monopolisierten Ausbildungsressourcen (grundlegend: u.a. - BVerfGE 33, 303 <331 ff.>). In strukturell vergleichbarer Weise steht die Vergabe des Doktorgrades als Nachweis einer erbrachten wissenschaftlichen Leistung faktisch im Monopol der Universitäten. Mit dem Ziel, einen solchen Grad zu erlangen, bemühen sich die Promotionsbewerber bei der Anfertigung ihrer Dissertation um neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Unterfällt indes, was unbestritten ist, dieses Bemühen als solches dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, ist es konsequent, auch die Zulassung zur Promotion als dem mit diesem Bemühen erstrebten Abschluss bei einer Erfüllung der hierfür rechtmäßig aufgestellten Voraussetzungen dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit zuzuordnen (Kluth, in: FS Schiedermair, 2001, S. 582; Epping, in: Leuze/Epping <Hrsg.>, Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen, Stand: September 2013, § 67 Rn. 4; im Ergebnis auch Maurer, Promotion, in: Flämig/Kimminich/Krüger/Meusel/Rupp/Scheven/Schuster/Graf Stenbock-Fermor <Hrsg.>, Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1996, S. 757 f.).
23b) Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO hat mit ihrem materiellen Inhalt als Schranke des auf eine Zulassung zur Promotion gerichteten Teilhaberechts der Promotionsbewerber aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ebenso wenig Bestand, wie sie als Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden kann. Die beklagte Universität hat die Zulassungsvoraussetzung der weitgehenden strafrechtlichen Unbescholtenheit eines Promotionsbewerbers nicht in rechtmäßiger Weise aufgestellt. Wie bereits dargelegt, sind zwar die Universitäten im Rahmen ihrer gleichfalls durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten akademischen Selbstverwaltung und der darin enthaltenen Satzungsautonomie grundsätzlich berufen, die Voraussetzungen für eine Zulassung zur Promotion festzulegen und damit auch das besagte Teilhaberecht zu begrenzen (vgl. zu den aus kollidierendem Verfassungsrecht abzuleitenden Schranken der Wissenschaftsfreiheit nur: - BVerfGE 126, 1 <24>; 6 CN 1.11 - BVerwGE 144, 195 Rn. 25; v. Coelln, in: Friauf/Höfling <Hrsg.>, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Juni 2015, Art. 5 <3. Teil> Rn. 126 ff.). Sie haben dabei jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die beklagte Universität hat diesen Grundsatz durch die Aufstellung der in Rede stehenden Zulassungsvoraussetzung verletzt, weil sie mit dieser auch Straftaten ohne Wissenschaftsbezug erfasst und damit einen von ihr nicht wahrzunehmenden Regelungszweck verfolgt.
244. Durfte die beklagte Universität vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht, wie in § 5 Abs. 3 Nr. 8 PromO in materieller Hinsicht geschehen, die Unbelastetheit eines Promotionsbewerbers von in ein Führungszeugnis aufzunehmenden Verurteilungen zu einer materiellen Voraussetzung für die Zulassung zur Promotion erheben, fehlt es an einer Grundlage für die Pflicht zur Offenbarung derartiger Verurteilungen und zur Vorlage eines Führungszeugnisses, die sich aus der Vorschrift in formeller Hinsicht ergibt. Mit diesem formellen Regelungsgehalt verletzt die Vorschrift das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht der Promotionsbewerber auf informationelle Selbstbestimmung (grundlegend: u.a. - BVerfGE 65, 1 <41 ff.>).
255. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2015:300915U6C45.14.0
Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 10 Nr. 49
NJW 2016 S. 1113 Nr. 15
HAAAF-08801