BFH Urteil v. - III R 26/12

Zeitpunkt der Lieferung und nicht der Betriebsbereitschaft im Zulagenrecht maßgebend; Insolvenzeröffnung während eines Revisionsverfahrens; Änderung des Anfechtungsverfahrens in ein Insolvenzfeststellungsverfahren

Leitsatz

Die Lieferung eines Wirtschaftsguts i.S. von § 9a EStDV ist trotz fehlender Betriebsbereitschaft jedenfalls dann als Zeitpunkt der Anschaffung i.S. des Investitionszulagenrechts anzusehen, wenn von dem Wirtschaftsgut bereits die Impulse ausgehen, die durch die Förderung mit Investitionszulage ausgelöst werden sollen. Ein Grund, in solchen Fällen die Investitionszulage zu versagen, besteht nicht, weil der mit der Gewährung von Investitionszulage verfolgte Förderzweck trotz der noch fehlenden Betriebsbereitschaft zum Zeitpunkt der Lieferung bereits erreicht ist.

Gesetze: EStDV § 9a, InvZulG § 2 Abs. 1 Satz 1, InvZulG § 2 Abs. 4 Satz 5, InvZulG § 2 Abs. 7, InsO § 85 Abs. 2, InsO § 179 Abs. 1, InsO § 180 Abs. 2, ZPO § 240

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die sich in Insolvenz befindet und die zuvor im Fördergebiet eine Druckerei betrieben hatte. Sie erwarb im Jahr 2005 aufgrund eines Kaufvertrags vom eine Offset-Druckmaschine zum Preis von 2.850.000 € (netto). Die Maschine wurde am geliefert und bis zum Jahresende aufgebaut. In der Zeit vom 2. bis zum wurde sie von drei Monteuren endgültig installiert und danach in Betrieb genommen.

2 Die Klägerin beantragte unter dem für die Anschaffung der Druckmaschine und weiterer Wirtschaftsgüter die Gewährung einer Investitionszulage nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Investitionszulagengesetzes 2005 (InvZulG 2005) mit einem Zulagensatz von 27,5 % nach § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 2005. Der Beklagte zu 1, Revisionskläger und Kläger (das Finanzamt —FA—) gewährte die Zulage durch Bescheid vom zunächst antragsgemäß in Höhe von 995.964 €. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der AbgabenordnungAO—).

3 Später war das FA der Auffassung, die Druckmaschine sei im Jahr 2005 noch nicht betriebsbereit und damit nicht zulagenbegünstigt gewesen. Es änderte deshalb durch Bescheid vom den vorhergehenden Festsetzungsbescheid. Es minderte die Zulage um 783.750 €, den Betrag, der auf die Maschine entfiel und setzte die Zulage nunmehr auf 212.214 € herab. Außerdem setzte es nach § 6 InvZulG 2005 Zinsen von 188.100 € für den Rückforderungsbetrag fest. Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch, der ohne Erfolg blieb (Einspruchsentscheidung vom ). Allerdings minderte das FA durch Bescheid vom selben Tage die Zinsen aus Billigkeitsgründen auf 58.781 €.

4 Das FA gewährte die Zulage für die Druckmaschine für das Folgejahr 2006. Den Rückforderungsanspruch, der sich aus der Änderung des Zulagenbescheids für das Jahr 2005 ergab, verrechnete es mit dem Anspruch auf Investitionszulage für das Jahr 2006.

5 Die Klage gegen den geänderten Zulagenbescheid für das Jahr 2005 und gegen die Festsetzung der Zinsen hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den Änderungsbescheid sowie den geänderten Zinsbescheid auf. Es war der Ansicht, ertragsteuerlich liege ein Anschaffungsvorgang vor. Maßgebend sei der Zeitpunkt der Lieferung. Nach den vertraglichen Bedingungen zwischen der Klägerin und der Lieferfirma habe die Klägerin am die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Druckmaschine erlangt. Zusätzlich zur Verfügungsmacht komme es nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch auf die Betriebsbereitschaft des angeschafften Wirtschaftsguts an. Im Streitfall sei die Montage der Maschine Ende 2005 abgeschlossen gewesen, auch wenn weitere sechs Arbeitstage notwendig gewesen seien, bis die Maschine ordnungsgemäß in Gebrauch habe genommen werden können. Es sei unschädlich, wenn nur noch unwesentliche Maßnahmen zur Herstellung der Betriebsbereitschaft eines Wirtschaftsguts ausstünden. Angesichts der Größe und Komplexität der Druckmaschine erscheine ein Aufwand von sechs Arbeitstagen als unwesentlich. Auch seien von der Maschine noch im Jahr 2005 Umsatz- und Beschäftigungsimpulse ausgegangen, wie die bereits in den Monaten November und Dezember 2005 erteilten Druckaufträge zeigten.

6 Gegen das Urteil wendet sich das FA mit der Revision. Während des Revisionsverfahrens ist im Februar 2013 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet worden. Der Beklagte zu 2 wurde zunächst als Sachwalter und durch Beschluss des Amtsgerichts vom . Dezember 2013 als Insolvenzverwalter eingesetzt. Das FA meldete den Zinsanspruch von 58.781 € zur Insolvenztabelle an. Der Beklagte zu 2 bestritt die Forderung.

7 Auf Anfrage des Gerichts teilte der Beklagte zu 2 mit, dass er das Verfahren nicht aufnehme. Die Klägerin äußerte sich auf eine entsprechende Anfrage nicht. Das FA hat den Rechtsstreit aufgenommen.

8 Unter dem erließ das FA einen geänderten Bescheid für das Jahr 2005, durch welchen die Investitionszulage herab- und die Zinsen heraufgesetzt werden sollten. Die Änderung betraf nicht die Druckmaschine, sondern andere Wirtschaftsgüter, für welche das FA Investitionszulage gewährt hatte. Nachdem das FA die Unwirksamkeit des Bescheids erkannt hatte, meldete es die Differenzbeträge, die sich im Vergleich zur vorherigen Festsetzung der Zulage und der Zinsen ergaben, zur Insolvenztabelle an. Nach einem Widerspruch des Beklagten zu 2 erließ das FA einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO, gegen den sich der Beklagte zu 2 zunächst mit Einspruch wandte, den er jedoch später hinsichtlich der beiden Positionen wieder zurücknahm.

9 Zur Begründung der Revision trägt das FA vor, durch die Rechtsprechung des BFH sei geklärt, dass ein Wirtschaftsgut im Sinne des Investitionszulagenrechts dann angeschafft sei, wenn der Erwerber darüber wirtschaftlich verfügen könne und es betriebsbereit sei. Im Jahr 2005 sei die Druckmaschine noch nicht betriebsbereit gewesen.

10 Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und darüber hinaus festzustellen, dass der Widerspruch des Beklagten zu 2 gegen die angemeldete Zinsforderung von 58.781 € unbegründet ist.

11 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

12 Der Beklagte zu 2 hat keinen Antrag gestellt.

Gründe

13 II. Das durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin zunächst gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 240 der Zivilprozessordnung unterbrochene Revisionsverfahren wurde durch die Erklärung des FA aufgenommen.

14 1. Der Anspruch des FA auf Rückzahlung der für das Jahr 2005 gewährten Investitionszulage, der sich aufgrund des Änderungsbescheids vom ergab, wurde durch die Verrechnung mit der für das Jahr 2006 festgesetzten Investitionszulage erfüllt. Der Klageantrag der Klägerin, mit dem der Änderungsbescheid beseitigt werden soll, ist somit auf eine Vermehrung der zur Verteilung zur Verfügung stehenden Masse gerichtet, so dass es sich insoweit um einen Aktivprozess handelt (vgl. z.B. , BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573, und vom III R 60/09, BFH/NV 2012, 576). Das FA war deshalb nach § 85 Abs. 2 der Insolvenzordnung befugt, den Rechtstreit aufzunehmen (vgl. z.B. Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 74 FGO Rz 36; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 FGO Rz 52).

15 Da der als Insolvenzverwalter eingesetzte Beklagte zu 2 das Verfahren nicht aufgenommen hat, ist er an ihm nicht beteiligt, soweit es um den Anspruch auf Gewährung von Investitionszulage für das Jahr 2005 geht (Aktivprozess). Insoweit ist die Klägerin neben dem FA verfahrensbeteiligt.

16 2. Insoweit, als sich das FA gegen die Entscheidung des FG über die Festsetzung der Zinsen richtet, handelt es sich um einen Passivprozess, da bei einer Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung der Zinsen die Insolvenzmasse geschmälert würde. Auch insoweit konnte das FA den Rechtsstreit aufnehmen (§ 179 Abs. 1, § 180 Abs. 2 InsO). Nach der Aufnahme wandelte sich das Anfechtungsverfahren kraft Gesetzes in ein Insolvenzfeststellungsverfahren um, mit dem das FA gegenüber dem Insolvenzverwalter die Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle betreibt (, BFHE 220, 289, BStBl II 2008, 790). Dies gilt auch dann, wenn die Insolvenz —wie hier— im Verlauf eines Revisionsverfahrens eingetreten ist (, BFH/NV 2014, 379). Das FA hat der veränderten Prozesssituation durch Umstellung seines Antrags Rechnung getragen. Die Klägerin, die als Insolvenzschuldnerin keine Befugnis zur Aufnahme dieses Passivprozesses hat, ist insoweit nicht am Verfahren beteiligt; verfahrensbeteiligt neben dem FA ist vielmehr der Beklagte zu 2.

III.

17 Die Revision einschließlich des Feststellungsantrags ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Im Ergebnis zutreffend hat das FG entschieden, dass der Klägerin bereits für das Streitjahr 2005 die Investitionszulage für die Druckmaschine zusteht.

18 1. Die Klägerin hat die Druckmaschine, für welche sie die Investitionszulage beantragt hat, noch im Jahr 2005 angeschafft.

19 a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 2005 sind die Anschaffung und die Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens durch Investitionszulage begünstigt, sofern weitere —hier nicht streitige— gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind. Bemessungsgrundlage für die Investitionszulage ist die Summe der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im Wirtschaftsjahr oder Kalenderjahr abgeschlossenen begünstigten Investitionen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 InvZulG 2005). Investitionen sind nach § 2 Abs. 4 Satz 5 InvZulG 2005 in dem Zeitpunkt abgeschlossen, in dem die Wirtschaftsgüter angeschafft oder hergestellt worden sind.

20 b) Jahr der Anschaffung ist im Ertragsteuerrecht das Jahr der Lieferung (§ 9a der Einkommensteuer-DurchführungsverordnungEStDV—). Ein Wirtschaftsgut ist in dem Zeitpunkt angeschafft, in dem der Erwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber wirtschaftlich verfügen kann (Senatsurteil vom III R 92/08, BFHE 228, 559, BStBl II 2014, 190 Rz 12, m.w.N.; Blümich/Ehmcke, § 6 EStG Rz 100).

21 c) Die Auslegung der im Investitionszulagenrecht verwendeten Begriffe richtet sich grundsätzlich nach dem Ertragsteuerrecht (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom III R 130/80, BFHE 143, 192, BStBl II 1985, 309). Der Zweck des InvZulG kann jedoch ausnahmsweise eine abweichende Auslegung rechtfertigen (, BFHE 160, 352, BStBl II 1993, 136, und vom III R 5/04, BFHE 212, 381, BStBl II 2006, 771, m.w.N.). Eine solche Abweichung ist nach bisheriger Senatsrechtsprechung dann angezeigt, wenn ein Wirtschaftsgut, über das der Erwerber bereits wirtschaftlich verfügen kann, noch nicht betriebsbereit ist. In einem solchen Fall wird der Zeitpunkt der Anschaffung bis zum Zeitpunkt der Betriebsbereitschaft hinausgeschoben. Unwesentliche Montagen (Bagatellmontagen) führen allerdings nicht zu einem Hinausschieben des Anschaffungszeitpunkts (Senatsurteil vom III R 112/95, BFHE 182, 226, BStBl II 1998, 70).

22 d) Die Betriebsbereitschaft hat der Senat erstmals im Urteil vom III R 53/84 (BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009) in einem Fall gefordert, der —wie der Streitfall— die Lieferung und anschließende Montage einer Maschine betraf. Der Senat war der Ansicht, die Verwendung des Begriffs „geliefert“ in § 4b Abs. 2 Satz 2 InvZulG 1975 zwinge nicht dazu, seine Bedeutung in jeder Beziehung aus dem ertragsteuerlichen Begriff der „Lieferung“ i.S. von § 9a EStDV abzuleiten. Der mit der Einführung des § 4b InvZulG 1975 verfolgte gesetzespolitische Zweck lege vielmehr die Auslegung nahe, auf das Ende der Lieferung (des Anschaffungsvorganges) abzustellen und dieses erst mit der Betriebsbereitschaft des angeschafften Wirtschaftsguts anzunehmen. Nach Ansicht des Senats war ausschlaggebend, dass Impulse für eine vermehrte wirtschaftliche Tätigkeit im Betrieb des Investors nicht von solchen Wirtschaftsgütern ausgehen könnten, die (noch) nicht in einem betriebsbereiten Zustand sind. In der Folgezeit hat der Senat diese Rechtsprechung fortentwickelt (BFH-Urteile in BFHE 182, 226, BStBl II 1998, 70; vom III R 111/95, BFHE 183, 317, BStBl II 1998, 72; vom III R 85/97, BFHE 188, 471, BStBl II 1999, 613; vom III R 19/98, BFHE 193, 229, BStBl II 2001, 256). Zuletzt hat er es im Urteil vom III R 17/05 (BFH/NV 2007, 975) offen gelassen, ob an der Rechtsprechung zur Betriebsbereitschaft in Anschaffungsfällen festzuhalten sei.

23 e) Im Streitfall wurde die Druckmaschine noch vor Ablauf des Jahres 2005 geliefert; allerdings war sie noch nicht betriebsbereit. Angesichts des Umstands, dass drei Personen an sechs Tagen damit beschäftigt waren, die mit dem Stromanschluss und der Inbetriebnahme der Maschine zusammenhängenden Arbeiten durchzuführen, kann nicht davon gesprochen werden, dass zum Jahresende 2005 nur noch Bagatellmontagen erforderlich gewesen seien.

24 f) Der Senat hält es für gerechtfertigt, in teilweiser Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung die Lieferung eines Wirtschaftsguts i.S. von § 9a EStDV trotz fehlender Betriebsbereitschaft jedenfalls dann als Zeitpunkt der Anschaffung i.S. des Investitionszulagenrechts anzusehen, wenn von dem Wirtschaftsgut bereits die Impulse ausgehen, die durch die Förderung mit Investitionszulage ausgelöst werden sollen. Ein Grund, in solchen Fällen die Investitionszulage zu versagen, besteht nicht, weil der mit der Gewährung von Investitionszulage verfolgte Förderzweck trotz der noch fehlenden Betriebsbereitschaft zum Zeitpunkt der Lieferung bereits erreicht ist.

25 g) Im Streitfall waren nach den Feststellungen des FG, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, schon in den Monaten November und Dezember 2005 Druckaufträge im Hinblick auf die neu anzuschaffende Druckmaschine erteilt worden. Dies rechtfertigt es, die Anschaffung der Druckmaschine auch zulagenrechtlich noch dem Jahr 2005 zuzuordnen.

26 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2016 S. 44 Nr. 1
BFH/NV 2016 S. 65 Nr. 1
DStRE 2015 S. 1455 Nr. 23
StuB-Bilanzreport Nr. 6/2016 S. 243
Ubg 2015 S. 729 Nr. 12
GAAAF-07180