BAG Urteil v. - 9 AZR 125/14

Tarifauslegung - Anspruch auf Altersteilzeit

Gesetze: § 315 Abs 1 BGB, § 3 Abs 1 Nr 3 AltTZG 1996, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Siegen Az: 1 Ca 1326/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 9 Sa 973/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags.

2Der am geborene Kläger ist seit dem bei der Beklagten tätig, zuletzt als amtlich anerkannter Sachverständiger in einer 38,5-Stunden-Woche. Die Parteien wenden auf ihr Arbeitsverhältnis den „Tarifvertrag Altersteilzeit“ zwischen der Tarifgemeinschaft Technischer Überwachungs-Vereine und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vom (TV ATZ) an, mit dem der „Tarifvertrag Altersteilzeit“ vom fortgeführt wird. Mit Schreiben vom stellte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Antrag auf Altersteilzeit im Blockmodell für die Zeit vom bis zum . Die Arbeitsphase sollte am beginnen und am enden. Daran sollte sich die Freistellungsphase anschließen. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom den Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags mit dem Kläger ab. Sie berief sich darauf, für eine erfolgreiche Marktbearbeitung benötige sie gute Mitarbeiter in ausreichender Zahl. Zudem sei es schwieriger geworden, neue Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation zu gewinnen. Diese Situation werde sich in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen.

3Im TV ATZ heißt es, soweit maßgeblich, wie folgt:

4Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe einen tariflichen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags.

5Er hat zuletzt beantragt,

6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen sei für den Arbeitgeber freiwillig. Zudem stünden dem Begehren des Klägers betriebliche Belange entgegen. Es sei schwieriger geworden, neue Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation zu gewinnen und die Stelle des Klägers nachzubesetzen. Auch werde der Kläger als guter Mitarbeiter weiter benötigt.

7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Mit der vom - 9 AZN 1350/13 -) zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

8Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der Begründung, der Arbeitgeber sei nach dem TV ATZ grundsätzlich nicht verpflichtet, Altersteilzeitarbeitsverträge auf Verlangen der Arbeitnehmer abzuschließen, durfte das Landesarbeitsgericht die Klage nicht abweisen. Aufgrund der festgestellten Tatsachen kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, ob dem Altersteilzeitverlangen des Klägers betriebliche Belange entgegenstanden und ob die Beklagte sein Angebot auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags ermessensfehlerfrei ablehnte. Die Beklagte könnte entgegen der Auffassungen der Vorinstanzen nach § 2 Abs. 1 TV ATZ verpflichtet sein, das Angebot des Klägers vom anzunehmen, mit ihm einen Altersteilzeitarbeitsvertrag im Blockmodell für die Zeit vom bis zum abzuschließen.

9I. Die Parteien wenden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den TV ATZ auf ihr Arbeitsverhältnis an.

10II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts begründet der TV ATZ grundsätzlich einen Anspruch der Arbeitnehmer auf Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen.

111. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, aus der Präambel und aus § 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ folge, dass der Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen für den Arbeitgeber freiwillig sei und er frei entscheiden dürfe, ob er mit einem Arbeitnehmer die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis vereinbaren wolle. Die Freiwilligkeit werde durch § 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ klargestellt. Danach gelte der TV ATZ nur für die Arbeitnehmer, mit denen nach Inkrafttreten dieses Tarifvertrags ein Altersteilzeitarbeitsvertrag abgeschlossen werde. Damit sei § 2 TV ATZ, der nach seinem Wortlaut einen Anspruch begründe, schon nicht anwendbar.

122. Diese Auslegung hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

13a) Zunächst hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, dem Hinweis auf die Freiwilligkeit des Abschlusses von Altersteilzeitarbeitsverträgen in Abs. 4 der Präambel des TV ATZ könnten mehrere Bedeutungen beigemessen werden. Denn es heißt dort nicht, der Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen sei für den Arbeitgeber freiwillig. Deshalb sind mehrere Auslegungen möglich. So könnte auch gemeint sein, der Abschluss sei für den Arbeitnehmer freiwillig. Ebenso ist es möglich, dass die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck bringen wollten, es bestehe kein gesetzlicher Anspruch auf den Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen.

14b) § 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ lässt ebenso wenig die Auslegung zu, es gebe grundsätzlich keinen Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Angebot auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags. Diese Tarifvorschrift schränkt den Anwendungsbereich des TV ATZ und damit seines § 2 nicht auf die Arbeitnehmer ein, die bereits einen Altersteilzeitarbeitsvertrag abgeschlossen haben. § 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ bestimmt lediglich den zeitlichen Geltungsbereich des TV ATZ und korrespondiert insoweit mit Abs. 2 seiner Präambel. Danach soll der TV ATZ in der Fassung vom nur für die Arbeitnehmer Anwendung finden, deren Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach seinem Inkrafttreten begründet wird. Für bereits abgeschlossene Altersteilzeitarbeitsverträge soll gemäß Abs. 3 der Präambel des TV ATZ der bis zum geltende TV ATZ vom Anwendung finden. Diese Regelung zum zeitlichen Geltungsbereich in Abs. 2 der Präambel des TV ATZ wiederholt § 1 Nr. 3 Satz 1 TV ATZ lediglich.

15c) Schließlich steht § 2 Abs. 2 TV ATZ der Auslegung entgegen, der Arbeitgeber dürfe freiwillig und damit nach Belieben entscheiden, ob er mit einem Arbeitnehmer einen Altersteilzeitarbeitsvertrag abschließt. Danach können Altersteilzeitarbeitsverträge abgeschlossen werden, soweit betriebliche Belange nicht entgegenstehen und die Überlastquote des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG nicht überschritten ist (negative Anspruchsvoraussetzungen). Diese Anspruchsbeschränkungen wären sinnlos, wenn der Arbeitgeber ohnehin frei über den Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen entscheiden dürfte. Im Übrigen wäre es widersprüchlich, wenn die Tarifvertragsparteien einerseits, wie hier in den §§ 4 bis 13 TV ATZ, detailliert regelten, welchen Inhalt Altersteilzeitarbeitsverhältnisse haben sollen, andererseits aber deren Umsetzung in das Belieben des jeweiligen Arbeitgebers gestellt hätten (zu diesem Argument vgl.  - Rn. 48, BAGE 129, 131).

16III. Die weiteren tariflichen Anspruchsvoraussetzungen könnten erfüllt sein.

171. Der Kläger stellte einen schriftlichen „Antrag“ (§ 3 Abs. 1 TV ATZ).

182. Die Dauer des begehrten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses überschreitet nicht die Höchstfrist von zehn Jahren (§ 4 Abs. 1 TV ATZ). Der Kläger war bei der Beklagten in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Altersteilzeit mindestens 1.080 Kalendertage in Vollzeit beschäftigt (§ 2 Abs. 1 TV ATZ).

193. Die Beklagte macht keine drohende Überschreitung der Überlastquote nach § 2 Abs. 2 Satz 1 TV ATZ iVm. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG geltend.

204. Betriebliche Gründe, die der Altersteilzeit des Klägers entgegenstehen könnten (§ 2 Abs. 2 TV ATZ), hat die Beklagte bisher nicht ausreichend vorgetragen.

21a) Die Beklagte beruft sich darauf, es sei schwieriger geworden, neue Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation zu gewinnen und die Stelle des Klägers nachzubesetzen. Auch werde der Kläger als guter Mitarbeiter weiter benötigt.

22b) Das Argument, der Kläger werde als guter Mitarbeiter weiter benötigt, trägt nicht. Das allgemeine Interesse des Arbeitgebers an Vertragskontinuität begründet keinen Ablehnungsgrund (vgl.  - Rn. 58). Der pauschale Vortrag, die Nachbesetzung sei schwierig, ist nicht ausreichend substanziiert. Allerdings ist der Beklagten nicht durch einen richterlichen Hinweis Gelegenheit gegeben worden, diesen Vortrag zu substanziieren und die der Altersteilzeit gegebenenfalls entgegenstehenden betrieblichen Belange zu konkretisieren. Nach Auffassung beider Vorinstanzen kam es hierauf nicht an, da sie schon einen tariflichen Anspruch verneint haben. Das Arbeitsgericht hat die Parteien bereits in der mündlichen Verhandlung vom darauf hingewiesen, dass der Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen freiwillig sei. Der Beklagten ist daher Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag zu den entgegenstehenden betrieblichen Belangen zu konkretisieren.

235. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Ablehnung der Beklagten billigem Ermessen gemäß § 315 BGB widerspricht.

24a) Nach § 2 Abs. 1 TV ATZ können Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und die zusätzlichen dort genannten Voraussetzungen erfüllen, die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber vereinbaren. Mit dem Begriff „können“ bringen die Tarifvertragsparteien regelmäßig zum Ausdruck, dass dem Arbeitnehmer kein uneingeschränkter Anspruch eingeräumt werden soll. Er hat lediglich Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber seinen Antrag auf Wechsel in die Altersteilzeit nach den Grundsätzen billigen Ermessens iSv. § 315 Abs. 1 BGB überprüft ( - zu B II 2 b der Gründe; - 9 AZR 457/01 - zu A II 2 a cc (2) und A II 2 a dd (1) der Gründe, BAGE 104, 55; - 9 AZR 244/00 - zu II 2 der Gründe, BAGE 98, 114; - 9 AZR 706/99 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 96, 363).

25b) Die Prüfung der angemessenen Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist in erster Linie Aufgabe der Tatsachengerichte, die dazu die Umstände des Einzelfalls abzuwägen und die hierfür erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Es spricht deshalb viel dafür, dass die Überprüfung der Ermessensentscheidung des Arbeitgebers durch das Tatsachengericht nur einer eingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt, nämlich dahin, ob der Rechtsbegriff „billiges Ermessen“ verkannt, der äußere Ermessensrahmen überschritten, innere Ermessensfehler begangen, unsachliche Erwägungen zugrunde gelegt oder wesentlicher Tatsachenstoff außer Acht gelassen worden ist ( - zu II 4 b aa der Gründe, BAGE 99, 274; für uneingeschränkte Überprüfung:  - zu IV 2 a der Gründe, BAGE 112, 80; - 9 AZR 457/01 - zu A II 2 a cc (2) und A II 2 a dd (1) der Gründe, BAGE 104, 55).

26c) Das Landesarbeitsgericht hat aus seiner Sicht konsequent nicht geprüft, ob die Ablehnungsentscheidung der Beklagten billigem Ermessen entsprach. Zwar kann das Revisionsgericht dennoch eine eigenständige Ermessensüberprüfung vornehmen, wenn der Tatsachenstoff vom Landesarbeitsgericht abschließend festgestellt worden ist. Hieran fehlt es vorliegend, da es aus Sicht des Landesarbeitsgerichts hierauf nicht ankam und es deshalb auch keine abschließenden Feststellungen getroffen hat. Dies wird es nach Erteilung einer entsprechenden Auflage gegenüber den Parteien nachzuholen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:230615.U.9AZR125.14.0

Fundstelle(n):
QAAAF-07009