BSG Beschluss v. - B 14 AS 170/15 B

Instanzenzug: S 7 AS 395/13

Gründe:

1Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

2Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder das Urteil des LSG von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig. Weder den Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung noch einer Abweichung (Divergenz) hat der Kläger in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

3Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16).

4Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie die Fragen:

"1. Kann trotz ausdrücklich erklärtem Willen, dass kein wechselseitiger Einstandswille besteht, ein solcher nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II angenommen werden, auch wenn die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nachgewiesen ist, insbesondere weil der andere trotz Kenntnis rückständige Krankenversicherungsbeiträge nicht übernimmt und der Antragsteller hierdurch nicht mehr krankenversichert ist?

2. Welche weiteren Anforderungen sind - neben dem ausdrücklich erklärten Willen, füreinander keine Verantwortung zu tragen und füreinander nicht einzustehen sowie dem Nachweis der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Fehlen eines Krankenversicherungsschutzes mangels Übernahme rückständiger Krankenversicherungsbeiträge - an das Widerlegen der Vermutensregel des § 7 Abs. 3a SGB II im Konkreten zu stellen?

3. Wie lange hat man als Antragsteller für Leistungen nach dem SGB II Zeit, sich nach einer Trennung von dem ehemaligen Partner eine Wohnung zu suchen, ohne dass der Leistungsanspruch nach dem SGB II verloren geht?

4. Ist im Falle einer Trennung nicht ehelicher Partner der Umzug in eine eigene Wohnung erforderlich, um die Vermutensregel des § 7 Abs. 3a SGB II zu widerlegen?"

Des Weiteren erachtet die Beschwerdebegründung die Rechtssache für grundsätzlich, weil

"5. die §§ 7 Abs. 3 und 3a SGB II, soweit sie gegenüber einer Person Einstandspflichten begründen, die tatsächlich nicht erfüllt werden, durch die Anrechnung fiktiven Einkommens durch Familienunterhalt ohne durchsetzbaren familienrechtlichen Unterhaltsanspruch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG verletzen,

6. die §§ 7 Abs. 3 und 3a SGB II eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von ehemaligen Partnern einer nichtehelichen Gemeinschaft gegenüber den ehemaligen Partnern einer Ehe begründen und zu klären ist,

7. ob das Existenzminimum durch Sachleistungen gedeckt und

8. ein Hilfebedürftiger Anspruch auf ein 'Taschengeld' zu seiner freien Verfügung hat,

9. und ob ein menschenwürdiges Existenzminimum ohne Krankenversicherungsschutz gesichert ist".

5Mit den Aussagen zu 5. bis 9. werden bereits keine abstrakt-generellen Rechtsfragen - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert (vgl - juris RdNr 15 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage mit erkennbarem Bezug zu einer solchen Norm ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann.

6Hinsichtlich der Fragen zu 1. bis 4. erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die Anforderungen an die Formulierung klärungsbedürftiger und klärungsfähiger abstrakt-genereller Rechtsfragen. Denn diese Fragen bleiben ganz dem vorliegenden Einzelfall verhaftet und greifen zum einen die vom LSG seiner Einzelfallentscheidung zugrunde gelegten Rechtsmaßstäbe sowie zum anderen im Gewande der Grundsatzrüge die Tatsachenwürdigung des LSG an. Ersteres läuft auf eine unzulässige Überprüfung der angegriffenen Entscheidung auf ihre Richtigkeit in der Sache hinaus, letzteres ist als Umgehung von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG unzulässig, wonach ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) gestützt werden kann. Jeweils setzt letztlich die Beschwerdebegründung ihre abweichende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Einzelfalles gegen die des LSG in der angegriffenen Entscheidung, woraus eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache indes noch nicht folgt. Hinzu kommt, dass die Beschwerdebegründung insoweit jede Auseinandersetzung mit einschlägiger Rechtsprechung des BSG zu den Anforderungen an die Annahme eines wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermissen lässt (vgl insbesondere - BSGE 111, 250 = SozR 4-4200 § 7 Nr 32).

7Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 196 mwN).

8Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht, weil sich ihr nicht entnehmen lässt, dass das LSG im Widerspruch zu Rechtssätzen des BSG abweichende eigene Rechtssätze aufgestellt hat. Vielmehr ergibt sich aus der Beschwerdebegründung, dass das LSG für die Prüfung des Verantwortungs- und Einstandswillens auf Hinweistatsachen abgestellt, auf dieser Grundlage eine fortbestehende Bedarfsgemeinschaft angenommen und Einkommen innerhalb dieser Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt hat. Dies lässt schon im Ansatz eine Divergenz zu Rechtssätzen des BSG nicht erkennen.

9Prozesskostenhilfe (PKH) ist dem Kläger nicht zu bewilligen, da seine Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung [ZPO]). Da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH hat, ist auch sein Antrag auf Beiordnung seiner Rechtsanwältin abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).

10Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

11Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Fundstelle(n):
OAAAF-05861