Zulässigkeit des Rechtswegs - angestellter Verbandsgeschäftsführer - Abberufung
Gesetze: § 5 Abs 1 S 3 ArbGG, § 17a Abs 4 GVG, § 48 Abs 1 Nr 2 ArbGG, § 576 Abs 3 ZPO, § 577 Abs 2 S 3 ZPO, § 2 Abs 1 Nr 3 Buchst a ArbGG, § 5 Abs 1 S 1 ArbGG
Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 4 Ca 4195/13 Beschlussvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 4 Ta 300/14 (6) Beschluss
Gründe
1I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen. In der Hauptsache streiten sie über Zahlungsansprüche des Klägers.
2Der Kläger war vom bis zum sowohl als Geschäftsführer des Beklagten zu 1. wie auch des Beklagten zu 2. zu einem Jahresgehalt iHv. 15.750,00 Euro bei dem Beklagten zu 1. und iHv. 26.250,00 Euro bei dem Beklagten zu 2. beschäftigt. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 des Anstellungsvertrags zwischen dem Beklagten zu 1. und dem Kläger vom vertritt der Kläger den Beklagten zu 1. gerichtlich und außergerichtlich entsprechend den Bestimmungen der Satzung. Gemäß § 24 Abs. 1 der Satzung des Beklagten zu 1. wird dieser ua. durch den Geschäftsführer und ein weiteres Vorstandsmitglied in allen Angelegenheiten gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Im zweiten Absatz der Präambel des Anstellungsvertrags zwischen dem Beklagten zu 1. und dem Kläger heißt es:
3Der Beklagte zu 2. ist als Verein in das Vereinsregister eingetragen. In der Satzung des Beklagten zu 2. vom heißt es in § 12 Abs. 2 wie folgt:
4Nach dem zweiten Absatz der Präambel des Anstellungsvertrags zwischen dem Beklagten zu 2. und dem Kläger soll dieser als Geschäftsführer die laufenden Geschäfte des Beklagten zu 2. führen.
5Sowohl in § 1 Abs. 2 Satz 2 des Anstellungsvertrags zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 1. als auch mit dem Beklagten zu 2. heißt es:
6Ferner findet sich in beiden Verträgen die Regelung:
7Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 des Anstellungsvertrags zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2. bestand zwischen den Parteien Einigkeit, dass der Kläger leitender Angestellter im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG sei.
8Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen und den Beklagten am zugestellten Klage verlangt der Kläger von den Beklagten gesamtschuldnerisch die Zahlung von 124.872,00 Euro brutto nebst Zinsen, weil die vereinbarte Vergütung sittenwidrig gewesen sei. Ferner verlangt er die Zahlung von weiteren 72.455,87 Euro brutto nebst Zinsen als Vergütung für Überstunden und die Zahlung eines Weihnachtsgeldes iHv. 6.851,50 Euro brutto nebst Zinsen.
9Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Dresden verwiesen. Der sofortigen Beschwerde des Klägers hat es durch Beschluss des Vorsitzenden vom nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
10II. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Klägers ist begründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
111. Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts unterliegt nicht bereits nach § 577 Abs. 2 ZPO der Aufhebung von Amts wegen, weil es nicht erkannt hat, dass der Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts verfahrensfehlerhaft nicht durch die Kammer, sondern im Wege einer Alleinentscheidung des Vorsitzenden ergangen ist. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat. Da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, ist sie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ebenfalls durch die Kammer unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen ( - Rn. 12 f. mwN). Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist schon deshalb nicht wegen dieses Verfahrensfehlers des Arbeitsgerichts aufzuheben, weil die Rechtsbeschwerde die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Arbeitsgerichts bei der Entscheidung über die Nichtabhilfe nicht gerügt hat. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO) ist ein grundsätzlich nicht von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel, der gemäß § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rüge hin beachtet werden darf ( - Rn. 14). Ein objektiv willkürlicher Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters ist nicht erkennbar.
122. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.
13a) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. § 5 Abs. 1 ArbGG liegt der allgemeine nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde (ErfK/Koch 15. Aufl. § 5 ArbGG Rn. 1, 2; Lunk NJW 2015, 528; vgl. auch GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 5 Rn. 45a). Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist ( - Rn. 13 mwN). Dementsprechend ist ein Arbeitsverhältnis anzunehmen, wenn die Leistung von Diensten nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen Zahlung von Entgelt Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen ( - Rn. 19, BAGE 123, 255). Ob ein Arbeitsverhältnis oder ein anderes Rechtsverhältnis vorliegt, ist grundsätzlich anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln, wobei der objektive Geschäftsinhalt den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen ist. Durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzes nicht eingeschränkt werden ( - Rn. 17; - 5 AZR 1066/94 - zu II 2 der Gründe, BAGE 84, 108). Allerdings gelten die dargestellten Grundsätze zur Ermittlung des Rechtsverhältnisses grundsätzlich nur für solche Fälle, in denen die Parteien ihr Rechtsverhältnis gerade nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet haben, sondern etwa als freies Mitarbeiter- oder Dienstverhältnis. Haben die Parteien dagegen ein Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist es auch regelmäßig als solches einzuordnen ( - Rn. 19; - 5 AZR 1066/94 - aaO).
14b) In Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit gelten jedoch nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG Personen nicht als Arbeitnehmer, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Für einen Rechtsstreit zwischen dem Vertretungsorgan und der juristischen Person sind nach dieser gesetzlichen Fiktion die Gerichte für Arbeitssachen nicht zuständig. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Sie soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen (vgl. - zu B I 3 der Gründe, BAGE 107, 165). Auch wenn ein Anstellungsverhältnis zwischen der juristischen Person und dem Mitglied des Vertretungsorgans wegen dessen starker interner Weisungsabhängigkeit als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und deshalb materielles Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, sind zur Entscheidung eines Rechtsstreits aus dieser Rechtsbeziehung die ordentlichen Gerichte berufen, solange die Fiktion Wirkung entfaltet ( - Rn. 12 mwN, BAGE 139, 63).
153. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für alle drei Klageanträge und im Verhältnis des Klägers zu beiden Beklagten eröffnet.
16a) Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ausgeschlossen.
17aa) Es kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts dahinstehen, ob die Tatbestandsmerkmale der Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG erfüllt waren. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger nur bis zum als Geschäftsführer der beiden Beklagten vertretungsberechtigt. Nach der Abberufung als Geschäftsführer greift die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr. Das gilt auch dann, wenn die Abberufung erst nach Eingang der Klage erfolgt (ausführlich - Rn. 28 ff.).
18bb) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts betrifft diese Rechtsprechung nicht nur die sog. Sic-non-Fälle. Für eine solche Beschränkung fehlt jeder Anhaltspunkt. Die drei Fallgruppen der Sic-non-Fälle, der Aut-aut-Fälle und der Et-et-Fälle hat die Rechtsprechung im Hinblick auf die Frage entwickelt, welche Anforderungen an das klägerische Vorbringen zur Begründung der Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte in Abgrenzung zu den ordentlichen Gerichten zu stellen sind (GMP/Schlewing § 2 Rn. 158; GK-ArbGG/Schütz Stand Juni 2015 § 2 Rn. 278; Schwab/Weth/Walker 4. Aufl. ArbGG § 2 Rn. 234). Unabhängig davon, ob bei Anwendung dieser Fallgruppen der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet wäre, enthält § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG eine abdrängende Verweisung. So ist anerkannt, dass die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der Vorschrift auch dann nicht gegeben ist, wenn Klage mit einem Sic-non-Antrag erhoben wird (vgl. - Rn. 7, BAGE 120, 92; vgl. auch - zu B I 2 der Gründe, BAGE 107, 165; GMP/Müller-Glöge aaO). Liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr vor, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch für solche arbeitsrechtlichen Ansprüche eröffnet, die in einem Zeitraum begründet wurden, als die Voraussetzungen noch vorlagen.
19b) Der Kläger war Arbeitnehmer der Beklagten zu 1. und 2. Er war aufgrund privatrechtlicher Verträge sowohl dem Beklagten zu 1. als auch dem Beklagten zu 2. zur Leistung von Diensten nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen Zahlung von Entgelt verpflichtet. In beiden Anstellungsverträgen wurde vereinbart, dass der Kläger verpflichtet war, die Weisungen des Vorstands zu beachten und zu befolgen. Mangels entsprechender Beschränkung betraf das Weisungsrecht im Rahmen der vertraglich vereinbarten Grenzen Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit des Klägers. Dem entspricht es, dass zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2. nach § 1 Abs. 1 Satz 2 des Anstellungsvertrags vom Einigkeit bestand, dass der Kläger leitender Angestellter im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG sei. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG sind leitende Angestellte aufgrund eines Arbeitsvertrags für den Arbeitgeber tätig. Es kann offenbleiben, ob es für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten bei Zahlungsklagen, die entweder auf eine arbeitsrechtliche oder auf eine bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden können, genügt, dass der Arbeitnehmer die Voraussetzungen schlüssig darlegt (so ErfK/Koch § 2 ArbGG Rn. 41 mwN; zur Gegenansicht, die bei Bestreiten Beweisaufnahme für erforderlich hält, GK-ArbGG/Schütz § 2 Rn. 286 mwN). Die Beklagten haben das Bestehen des Weisungsrechts nicht infrage gestellt. Sie haben ihre Rüge des beschrittenen Rechtswegs mit Schriftsatz vom allein auf § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gestützt.
20III. Die Beklagten haben entsprechend § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO die Kosten der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde gesamtschuldnerisch zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
21IV. Dem Kläger war nach § 11a Abs. 1 ArbGG iVm. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt La zu bewilligen. Die Rechtsverfolgung hatte hinreichende Aussicht auf Erfolg und erschien nicht mutwillig.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:080915.B.9AZB21.15.0
Fundstelle(n):
BB 2015 S. 2611 Nr. 43
GmbH-StB 2015 S. 346 Nr. 12
GmbHR 2015 S. 1211 Nr. 22
NJW 2015 S. 3469 Nr. 47
NWB-Eilnachricht Nr. 48/2015 S. 3530
StBW 2015 S. 876 Nr. 22
HAAAF-05739