Instanzenzug: S 11 P 13/10
Gründe:
I
1Im Streit steht, ob der verstorbenen Versicherten Leistungen der Pflegestufe III für die Zeit vom bis zustanden.
2Die Kläger sind die Erben der 1921 geborenen, am verstorbenen und bei der Beklagten Versicherten. Sie bezog seit April 1995 Leistungen der Pflegstufe II. Als Hauptleiden bestand ein Zustand nach Poliomyelitis in der Kindheit und nach Entfernung der linken Brust. Im Januar 2010 beantragte die Versicherte die Höherstufung in die Pflegestufe III wegen einer stationär behandelten Herzerkrankung. Der Antrag blieb unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) erfolglos (Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ). Demnach betrug der tägliche Grundpflegebedarf der Versicherten insgesamt 163 Minuten. Im Klageverfahren hat die Pflegesachverständige R. - nach ambulanter Untersuchung der Versicherten ein Gutachten vom erstellt, ergänzt um die Stellungnahmen vom 27.5. und sowie vom . Die Sachverständige hat den täglichen Grundpflegebedarf schließlich mit 215 Minuten bewertet. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Fulda am hat die Vorsitzende Richterin den anwesenden Beteiligten eine von ihr erstellte Übersicht überreicht, die die Gegenüberstellung der Zeiten des Grundpflegebedarfs aus dem Pflegetagebuch, dem Gutachten des MDK und dem Gutachten der Sachverständigen enthielt. Das SG hat die Klage unter Zugrundelegung der Ergebnisse der Sachverständigen abgewiesen (SG Fulda Urteil vom ).
3Das Berufungsverfahren ist ebenfalls erfolglos geblieben (Beschluss vom ). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe zu Recht entschieden, dass der Versicherten bis zu ihrem Ableben keine Pflegeleistungen der Stufe III zugestanden hätten (§§ 14, 15 SGB XI). Für die Überzeugungsbildung, dass der Grundpflegebedarf täglich geringer als 240 Minuten sei, habe der Senat das Gutachten der Sachverständigen zugrunde gelegt, das ausführlich und sorgfältig erstellt worden sei. Die Ergebnisse der Gutachterin stimmten mit den in den Arztberichten attestierten Funktionseinschränkungen der Versicherten überein. Die Sachverständige habe zu allen Einwänden der Kläger Stellung genommen und den zunächst angesetzten täglichen Grundpflegebedarf um 9 Minuten auf insgesamt 215 Minuten erhöht. Weitere Einschränkungen des funktionellen Restleistungsvermögens ließen sich aus den vorliegenden Arztbriefen und Untersuchungsergebnissen nicht herleiten. Es sei auch nicht verfahrensfehlerhaft gewesen, dass die vorsitzende Richterin des SG die von ihr erstellte Synopse in der mündlichen Verhandlung ausgehändigt habe. In dieser Übersicht seien lediglich bereits bekannte Untersuchungs- bzw Gutachtenergebnisse zusammengefasst worden. Schließlich habe das LSG das rechtliche Gehör der Kläger nicht verletzt. Es liege kein Verfahrensmangel vor, wenn sich das Berufungsgericht nicht den Rechtsansichten und der Sachverhaltswürdigung aus den umfangreichen Schriftsätzen der Kläger anschließe.
4Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG haben die Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie berufen sich auf Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
II
5Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht formgerecht bezeichnet ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
6Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
71. Die Kläger haben eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) nicht hinreichend aufgezeigt.
8a) Die Entscheidung des LSG, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG zurückzuweisen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts und kann nur auf fehlerhaften Gebrauch, dh sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüft werden (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 27; SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38). Solche Gründe haben die Kläger im Beschwerdeverfahren aber nicht vorgetragen. Hierzu führen sie aus, dass sie im Schriftsatz vom eine mündliche Verhandlung beantragt hätten, dem das LSG nicht nachgekommen sei. Im Fall einer mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hätten die Kläger die Möglichkeit gehabt, "die nach Akteneinsicht nochmals substantiiert vorgetragenen Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts plausibel in der mündlichen Verhandlung zu erörtern" (S 3 der Beschwerdebegründung). Hieraus lässt sich aber weder eine grobe Fehleinschätzung noch lassen sich sachfremde Erwägungen des LSG herleiten, über die Berufung im Beschlusswege zu entscheiden. Denn es fehlt am Vorbringen neuer Gesichtspunkte oder rechtlicher Erwägungen und es ist nicht vorgetragen, dass die Kläger weitere Tatsachenaufklärung durch das LSG prozessordnungsgemäß beantragt haben (dazu unter 2.). Schließlich legen sie selbst dar, dass der Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts einen der Kläger persönlich zum Tagesablauf der Versicherten im Erörterungstermin angehört habe (S 2 der Beschwerdebegründung).
9Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist auch nicht deshalb aufgezeigt, weil sich das LSG mit dem umfangreichen Schriftsatz vom in dem angefochtenen Beschluss nicht auseinandergesetzt habe. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Hier sind keine besonderen Umstände dargelegt, aus denen deutlich wird, dass das Vorbringen insofern überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht erwogen worden ist (stRspr, vgl nur BVerfGE 47, 182). Soweit sich die Kläger pauschal auf das Fehlen einer Auseinandersetzung mit dem genannten Schriftsatz in der Entscheidung des LSG berufen, bleibt unklar zu welchen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung des nach § 128 Abs 1 Satz 2 iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG vorgeschriebenen Inhalts der Entscheidungsgründe das LSG hätte Ausführungen machen müssen. Allein der Umstand, dass das LSG den Ausführungen der Kläger im Berufungsverfahren nicht gefolgt ist, begründet indessen keinen Gehörsverstoß (stRspr, vgl - Juris RdNr 7; vom - B 13 R 305/11 B - Juris RdNr 7; vom - B 13 R 112/11 B - Juris RdNr 9).
10b) Soweit sich die Kläger darüber hinaus auf die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs berufen, scheitert die Beschwerde daran, dass sie Verfahrensmängel geltend machen, die nicht unmittelbar den vorangehenden Rechtszug - das Berufungsgericht - betreffen. Nur ausnahmsweise kann auch ein Verfahrensmangel die Zulassung rechtfertigen, der dem SG unterlaufen ist, wenn dieser fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen ist (stRspr, vgl BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 10; SozR 4-1500 § 62 Nr 4; - Juris RdNr 15).
11Auch dies ist vorliegend nicht hinreichend dargelegt, wenn die Kläger ausführen, dass das erstinstanzliche Urteil und das Protokoll der mündlichen Verhandlung über die Sitzung des unvollständig gewesen seien, weil sich hieraus nicht die Einführung der von der vorsitzenden Richterin zusammengestellte Synopse der Zeitwerte für den Grundpflegebedarf in Höhe von 245 Minuten ergeben hätte.
12Dies aber stellt keine hinreichende Bezeichnung von Verfahrensfehlern des LSG dar. Unrichtige Darstellungen im Urteil wären ggf über das Verfahren der Tatbestandsberichtigung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nach Zustellung des angefochtenen Urteils beim SG geltend zu machen gewesen (vgl § 139 Abs 1 SGG; vgl - Juris RdNr 7 mwN). Hinsichtlich des von den Klägern als unzureichend erachteten Inhalts des Protokolls wäre die Berichtigung der Sitzungsniederschrift beim SG zu beantragen gewesen (§ 122 SGG iVm § 164 ZPO; vgl UB - Juris RdNr 4).
13Ebenso wenig stellt die gerügte persönliche Anhörung der Sachverständigen R. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG einen Verfahrensfehler des LSG dar (vgl auch unter 2.).
142. Soweit die Kläger die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) rügen, ist auch dieser Zulassungsgrund nicht formgerecht bezeichnet.
15Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr, vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).
16Wenn die Kläger der Ansicht sind, dass das LSG die Sachverständige R. hätte laden müssen und insofern die Ergebnisse der Beweisaufnahme vor dem SG hätte hinterfragen müssen bzw sich unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse hätte gedrängt fühlen müssen, einen weiteren Sachverständigen zur Ermittlung des Grundpflegebedarfs der Versicherten zu beauftragen (S 5 der Beschwerdebegründung), fehlt es schon an der Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG, den die Kläger gestellt und bis zuletzt vor dem Berufungsgericht aufrechterhalten haben. Nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; Nr 31, S 52). Wird - wie hier - im Beschlussverfahren (§ 153 Abs 4 Satz 1 SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden, ist der Beweisantrag, der nach Erhalt einer Anhörungsmitteilung (§ 153 Abs 4 Satz 2 SGG) nicht wiederholt wird, grundsätzlich so zu behandeln, als habe er sich erledigt (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 11 RdNr 7, stRspr). Für die Darlegung der Aufrechterhaltung eines solchen Beweisantrags reicht es nach diesen Maßstäben nicht aus, in der Beschwerdebegründung lediglich vorzutragen, dass der Schriftsatz vom vom Berufungsgericht nicht hinreichend zur Kenntnis genommen sei; sich andernfalls das Berufungsgericht hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen (S 5 der Beschwerdebegründung). Im Übrigen ist für den Senat auch nicht nachvollziehbar, welche Tatsachen erneut unter Beweis hätten gestellt werden sollen. Hierzu tragen die Kläger nur pauschal vor, dass das Gutachten der Sachverständigen widersprüchlich und nicht schlüssig gewesen sei, ohne konkrete beweisbedürftige Punkte zu benennen (vgl §§ 402, 403 ZPO iVm § 202 Satz 1 SGG). Daher bleibt auch offen, aus welchem Grund sich das LSG hätte gedrängt sehen müssen, einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen.
17Wenn die Kläger in diesem Zusammenhang der Ansicht sind, dass das LSG "fälschlicherweise" davon ausgegangen sei, dass der Grundpflegebedarf der Versicherten nicht mindestens 240 Minuten täglich erreicht habe, so zielt dieser Vortrag auf die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ab. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann aber die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es im Übrigen nicht darum, ob das LSG den Rechtsstreit - vermeintlich - falsch entschieden hat.
18Von einer weiteren Begründung sieht der Senat (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
19Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 2, § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Ein zur Kostenfreiheit des Verfahrens führender Fall der Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I liegt nicht vor. Für die Erben ist die Instanz kostenfrei, in der das Verfahren zum Zeitpunkt des Todes des Berechtigten (hier: Berufungsverfahren) bereits anhängig war, für weitere Rechtszüge - wie das Beschwerdeverfahren vor dem BSG - gilt die Gerichtskostenpflicht nach § 183 Satz 2 SGG iVm § 197a SGG (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ders, 11. Aufl 2014, SGG, § 183 RdNr 8; § 197a RdNr 3 mwN zur Rspr des BSG).
21Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren auf 11 580 Euro beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 3 GKG. Im Berufungsverfahren ging es um einen Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 Abs 1 SGB XI der Pflegestufe III statt der zuerkannten Pflegestufe II für die Zeit von Januar 2010 bis September 2013, dh für 45 Monate. Der monatliche Differenzbetrag beläuft sich auf 255 Euro für 24 Monate und auf 260 Euro für 21 Monate (vgl § 37 Abs 1 Satz 3 Nr 2 und 3 SGB XI).
Fundstelle(n):
DAAAF-05052