Instanzenzug:
Gründe
I.
1Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund angeblicher Falschberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wertpapieren.
2Die Beklagten waren alleinige Vorstände einer inzwischen insolventen Aktiengesellschaft, die zuletzt unter dem Namen A. AG firmierte. Zu den Geschäftsfeldern der A. AG gehörte die Anlageberatung. Ihre Beratungsleistungen erbrachte die A. AG gegenüber den Kunden honorarfrei. Erträge erwirtschaftete sie unter anderem durch Provisionen der Emittenten der von ihr vermittelten Papiere. Kunden warb die A. AG über ein sogenanntes ZinsPlusKonto, ein Tagesgeldkonto, das für eine beschränkte Zeit einen über dem Marktzins liegenden, von der A. AG subventionierten Zins bot. Nachdem die Kurse vieler von der A. AG vermittelter Wertpapiere, vornehmlich Anleihen und Genussscheine kleinerer Unternehmen, eingebrochen und einige Emittenten insolvent waren, wurde die A. AG beginnend ab etwa Mitte 2009 von einer Vielzahl von Anlegern gerichtlich wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch genommen.
3Der Kläger, der seit Ende 2006 über ein Tagesgeldkonto bei der A. AG verfügte, wurde Anfang November 2007 unaufgefordert von einem Berater der A. AG angerufen, der sich über die Anlageziele des Klägers informierte und ihm entsprechende Anlageprodukte empfahl. Einige Tage später meldete sich der Berater erneut beim Kläger und schlug ihm als Alternative zum Tagesgeldkonto andere Geldanlagen vor. Schließlich zeichnete der Kläger im Zeitraum von Februar bis Dezember 2008 über die A. AG Kapitalanlagen für mehr als 100.000 €.
4Mit der Behauptung, in den Telefonaten von Seiten der A. AG falsch beraten worden zu sein, was die Beklagten als Vorstände der A. AG vorsätzlich veranlasst oder zumindest durch vorsätzliche Verletzung ihrer Organisationspflichten geduldet hätten, verlangt der Kläger von den Beklagten Schadensersatz. Er ist der Auffassung, ein entsprechender Anspruch stehe ihm aus § 826 BGB zu.
5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
6Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Der Kläger rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
71. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers verneint. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
8Es könne dahingestellt bleiben, ob im Falle des Klägers zum Schadensersatz verpflichtende Beratungspflichtverletzungen vorlägen und dem Kläger ein Schaden in der behaupteten Höhe erwachsen sei. Denn jedenfalls hafteten die Beklagten nicht nach § 826 BGB für unterstellte Beratungsfehler. Der Kläger habe nämlich nicht den Nachweis zu führen vermocht, dass die Beklagten bewusst ein System etabliert hätten, das darauf gerichtet gewesen sei, über Festgeldanlagen gewonnenen Kunden unter planmäßiger Falschberatung gezielt ihren Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete Anlagen zu vermitteln, bzw. dass die Beklagten Fehlberatungen großen Ausmaßes erkannt und geduldet hätten.
9Nach § 531 ZPO nicht zu berücksichtigen sei dabei der vom Kläger in zweiter Instanz gehaltene Vortrag, bei einer von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft durchgeführten Stichprobe von 1.111 Kunden mit Genussscheinen im Depot, die zu den Risikoklassen 3 und 4 gehörten, sei festgestellt worden, dass die Kunden nur den Risikoklassen 1 und 2 zugeordnet gewesen seien. Zwar liege, wenn es tatsächlich zu falschen Risikoeinstufungen dieses Ausmaßes habe kommen können, darin ein Indiz dafür, dass die von den Beklagten behaupteten und vom Landgericht festgestellten Sicherungsmaßnahmen nicht bestanden oder nicht eingegriffen hätten, weshalb grundsätzlich aufzuklären wäre, ob die Feststellungen im Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: K.-Bericht), was die Beklagten substantiiert in Abrede stellten, zuträfen. Einer Berücksichtigung dieses Vortrags stehe aber entgegen, dass der Kläger ihn nicht schon in erster Instanz gehalten habe. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die entsprechenden Informationen bereits aus dem Urteil des XI. Zivilsenats des ), das am 27. April 2013 in der WM und am 3. Mai 2013 in der ZIP veröffentlicht worden sei, entnehmen können und auch entnommen. Der Kläger habe mithin nicht dargelegt, dass die unterbliebene Geltendmachung dieses Angriffsmittels in erster Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruhe.
10Schließlich sei der Umstand, dass in 1.111 Depots von Kunden der Risikostufen 1 oder 2 im Rahmen der Überprüfung Genussscheine der Risikostufen 3 oder 4 gefunden worden seien, für die Anlageentscheidungen des Klägers für sich genommen nicht kausal geworden. Denn die Überprüfung habe vor August 2007 stattgefunden, der Kläger die Anlagen aber erst ab November 2007, also nach dem stichprobenartig überprüften Zeitraum, erworben. Zu der Reaktion der Beklagten auf den K.-Bericht und die in ihm enthaltenen Vorwürfe fehle wiederum jeder Vortrag.
112. Diese Ausführungen verletzen den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
12a) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Art. 103 Abs. 1 GG dann verletzt ist, wenn der Tatrichter Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat (Senatsbeschluss vom 3. März 2015 - VI ZR 490/13, [...] Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 28/13, NJW-RR 2014, 1431 Rn. 10; vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 10; vom 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 9; jeweils mwN). Dies ist vorliegend der Fall. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht im Streitfall bereits am 28. Februar 2013 und damit - anders als in vielen Parallelfällen - bereits vor Erlass des genannten Urteils des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, aus dem der Kläger nach Auffassung des Berufungsgerichts seine Informationen beziehen musste und auch bezogen hat, geschlossen worden war. Werden Angriffsmittel der Partei aber erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz bekannt und mussten sie ihr vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auch nicht bekannt sein, sind sie in der Berufungsinstanz gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen (vgl. Hk-ZPO/ Wöstmann, 6. Aufl., § 531 Rn. 9).
13b) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Auf der Grundlage der Ausführungen im Berufungsurteil kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des dargestellten Klägervortrags zum Ergebnis gelangt wäre, dass die Beklagten den Kläger dadurch vorsätzlich geschädigt haben, dass sie als Vorstände der A. AG entweder bewusst ein System etablierten, das darauf gerichtet war, den Kunden unter planmäßiger Falschberatung ihren Interessen und ihrer Risikobereitschaft nicht entsprechende risikobehaftete Anlagen zu vermitteln, oder Fehlberatungen großen Ausmaßes erkannten und duldeten. In beiden Fällen käme ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagten aus § 826 BGB in Betracht.
14Dass das Berufungsgericht die vom Kläger behaupteten falschen Risikoeinstufungen im Hinblick darauf, dass der Kläger seine Anlagen erst nach dem von der Stichprobe erfassten Zeitraum gezeichnet hat, als für dessen Anlageentscheidungen nicht kausal angesehen hat, steht dem nicht entgegen. Denn diese Annahme beruht auf einer weiteren Gehörsverletzung. Die Nichtzulassungsbeschwerde weist insoweit zutreffend darauf hin, dass es - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - nicht an "jedem Vortrag [des Klägers] zu der Reaktion der Beklagten auf den K[...]-Bericht und die in ihm enthaltenen Vorwürfe" fehlt. Im Gegenteil hat der Kläger im Schriftsatz vom 29. Januar 2014 ausdrücklich vorgetragen, die Beklagten hätten auch nach Vorlage des K.Berichts jegliche Korrekturmaßnahmen unterlassen, insbesondere auch für die Zukunft nicht sichergestellt, dass Anlegern nur Papiere vermittelt wurden, die mit ihren Risikoklassen übereinstimmten.
153. Eine nur teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils kommt nicht in Betracht. Zwar geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine unterstellte strukturelle Fehlberatung nur für den Schaden kausal geworden wäre, der auf die Empfehlung von Genussscheinen zurückgehe. Es lässt sich dem angefochtenen Urteil aber schon nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, welcher Teil des vom Kläger mit der Klage insgesamt geltend gemachten Schadensersatzes auf den Erwerb von Genussscheinen entfällt.
Fundstelle(n):
SAAAF-04999