BGH Urteil v. - 2 StR 45/14

Revisionsgründe in Strafsachen: Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses und der Besetzungsentscheidung der Großen Strafkammer im Falle der Hinzuverbindung einer Parallelsache

Leitsatz

Beschließt die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen, dass das Hauptverfahren hinsichtlich einer weiteren Anklage eröffnet wird, die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist und das Verfahren hinzuverbunden wird, sind der Eröffnungsbeschluss und die Besetzungsentscheidung unwirksam. Ersteres führt zu einem Verfahrenshindernis für den neuen Verfahrensgegenstand. Im Übrigen kann die Besetzung der Strafkammer mit einer Verfahrensrüge beanstandet werden (Fortführung von BGH, , 4 StR 418/05, BGHSt 50, 267).

Gesetze: Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 76 Abs 1 GVG, § 76 Abs 2 GVG, § 76 Abs 4 GVG, § 222a StPO, § 222b Abs 1 S 1 StPO, § 338 Nr 1 StPO

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/27 KLs 6350 Js 220 - 239/13 - 28/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Betäubungsmittel, Streckmittel und Verpackungsmaterial sowie die Schusswaffe mit Munition hat es eingezogen. Außerdem hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 65.000 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit den Verfahrensbeanstandungen Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts besaß der Angeklagte bis zum eine halbautomatische Selbstladepistole mit zwei Patronen, die er auf dem Rahmen einer Aufzugtür versteckte (Fall II.1. der Urteilsgründe). Am verkaufte er in seiner Gaststätte für etwa 38.000 Euro rund 700 Gramm Kokaingemisch an die gesondert verfolgten Zeugen      A.    und D´A.    (Fall II.2.). Weitere 494,5 Gramm Kokaingemisch verkaufte er am für rund 27.000 Euro an dieselben Abnehmer (Fall II.3.).

II.

3Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil macht zu Recht im Fall II.2. der Urteilsgründe ein Verfahrenshindernis geltend. Im Übrigen greift die Verfahrensrüge durch, die Strafkammer sei falsch besetzt gewesen.

41. Der Eröffnungsbeschluss vom zu Fall II.2. ist unwirksam. Insoweit besteht ein Verfahrenshindernis, das zur Einstellung zwingt.

5a) Rechtshängig war bei der 27. Großen Strafkammer aufgrund einer Anklage der Staatsanwaltschaft vom zunächst nur das Verfahren hinsichtlich der Fälle II.1. und II.3. der Urteilsgründe. Dazu hatte die Strafkammer am mit drei Berufsrichtern einen Eröffnungsbeschluss gefasst und zugleich beschlossen, dass sie in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sei. Der Vorwurf zu Fall II.2. der Urteilsgründe aufgrund einer weiteren Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom wurde bei der 2. Großen Strafkammer anhängig, welche die Sache an die 27. Große Strafkammer abgab. Diese erklärte am die Übernahme des Verfahrens.

6Nach Beginn der Hauptverhandlung am teilte der Vorsitzende mit, dass beabsichtigt sei, die Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs beschloss die Strafkammer in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen, dass die Anklageschrift vom zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet werde, weiter, dass die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sei, und schließlich, dass die Verfahren verbunden werden.

7b) Der neue Eröffnungsbeschluss ist unwirksam.

8Für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist die Strafkammer in der Besetzung zuständig, die außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden hat, also mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 1 GVG). Schöffen können am Eröffnungsbeschluss nicht mitwirken, da sie mangels Aktenkenntnis nicht das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts im Sinne von § 203 StPO beurteilen können (vgl. , BGHSt 50, 267, 271). Auch dann, wenn eine zunächst unterbliebene Eröffnungsentscheidung erst in der Hauptverhandlung nachgeholt werden soll, muss die Strafkammer in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung entscheiden (, NStZ 2012, 50 f.; Beschluss vom - 1 StR 50/14, NStZ 2014, 664 mit Anm. Hoffmann). Entscheidet sie in einer Besetzung, die für die Beurteilung der Voraussetzungen generell ungeeignet ist, liegt ein schwerer Verfahrensfehler vor. Der Eröffnungsbeschluss einer Strafkammer, der nur von zwei statt von drei Berufsrichtern gefasst wurde, ist daher unwirksam (vgl. RG, Urteil vom 29. April 1880 - Rep. 1030/80, RGSt 1, 402; Urteil vom - III 1038/09, RGSt 43, 217, 218; Urteil vom - II 944/20, RGSt 55, 113; BGHSt 10, 278, 279; Beschluss vom - 3 StR 236/82, StV 1983, 2, 3; Beschluss vom - 4 StR 418/05, BGHSt 50, 267, 269; Beschluss vom - 2 StR 142/08; Beschluss vom - 4 StR 216/10, StraFo 2010, 424). Weil das Vorliegen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses, der den Prozessgegenstand bestimmt und die Zuständigkeit des Gerichts festlegt, eine Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren darstellt (vgl. , BGHSt 29, 351, 354), ist das Verfahren einzustellen (§ 260 Abs. 3 StPO), soweit es von diesem Mangel betroffen ist.

92. Das Prozesshindernis berührt nicht das Verfahren hinsichtlich der Fälle II.1. und II.3. der Urteilsgründe. Insoweit ist das Urteil aber aufgrund der Besetzungsrüge des Angeklagten aufzuheben.

10a) Die vom Angeklagten erhobene Rüge, die Strafkammer sei in der Hauptverhandlung falsch besetzt gewesen, ist zulässig. Eine Präklusion entsprechend § 222b StPO (vgl. , BGHSt 44, 328, 333) kommt nicht in Betracht, weil der Verfahrensfehler erst in der Hauptverhandlung eingetreten ist. Er war nicht aus der Besetzungsankündigung gemäß § 222a StPO zu entnehmen, weshalb die an die Besetzungsmitteilung anknüpfende Begrenzung der Möglichkeiten zur Geltendmachung eines Besetzungsfehlers gemäß § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO nicht anzuwenden ist.

11b) Die Rüge ist begründet, denn die Strafkammer hätte in der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen verhandeln müssen. Es lag keine wirksame Reduzierung der Besetzung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 4 GVG vor. Die Verhandlung mit zwei Berufsrichtern nebst Schöffen verstieß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

12aa) Das Gesetz sieht Beschlüsse über die Reduzierung der Besetzung der Strafkammer im Allgemeinen nur außerhalb der Hauptverhandlung vor. Die Entscheidung über die Besetzung ist grundsätzlich bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG) und in derselben Besetzung. Eine bereits beschlossene Besetzungsreduzierung kann nachträglich abgeändert werden, wenn sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände ergeben, die nach Maßgabe von § 76 Abs. 2 und 3 GVG die Mitwirkung eines weiteren Berufsrichters erforderlich machen (§ 76 Abs. 4 GVG). Auch dann erfolgt die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung. Selbst wenn aufgrund eines Besetzungseinwands in der Hauptverhandlung zu entscheiden ist, bleibt die Besetzung der Strafkammer für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung zuständig (§ 222b Abs. 2 Satz 1 StPO). Es gibt demnach keine Entscheidung über die Besetzung der Strafkammer im Sinne von § 76 Abs. 2 GVG, die in der für die Hauptverhandlung selbst maßgeblichen Besetzung getroffen werden könnte. Schließlich sind die Beurteilungsfaktoren mangels Aktenkenntnis nicht durch die Schöffen zu bewerten, die bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung aus dem Quorum ausscheiden (§ 76 Abs. 1 Satz 2 GVG).

13Die Besetzungsentscheidung durch zwei Berufsrichter und zwei Schöffen ist daher fehlerhaft getroffen worden. Sie ist unwirksam. Dies führt dazu, dass die Besetzung gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG maßgeblich war.

14bb) Der Beschluss vom über die Reduzierung der Besetzung wirkte, anders als in dem vom 3. Strafsenat durch Urteil vom - 3 StR 567/08 (BGHSt 53, 169, 171 ff.) entschiedenen Fall, in dem das Hauptverfahren über eine hinzuverbundene Sache bereits eröffnet und eine Besetzungsreduzierung dazu ordnungsgemäß beschlossen worden war, nicht ohne Weiteres fort.

15Dieser Beschluss war durch die Übernahme des Verfahrens zu Fall II.2., die Absicht der Verbindung mit dem bisherigen Verfahren und die tatsächlich getroffene neue Besetzungsentscheidung überholt. Die Übernahme des Verfahrens zu Fall II.2. und die Absicht der Strafkammer, eine Verfahrensverbindung herbeizuführen, hatten den Umfang und die Schwierigkeit der Sache im Sinne von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GVG verändert. Bei der Auslegung dieser Merkmale stand der Strafkammer ein weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. , BVerfGE 131, 268, 313; , BGHSt 44, 328, 330; Beschluss vom - 5 StR 555/09, NJW 2010, 3045, 3046). Diesen konnte sie in der fehlerhaften Besetzung nicht wirksam ausfüllen.

16Da die Strafkammer in anderer Besetzung entschieden hat als bei dem ersten Beschluss über die Reduzierung der Besetzung, kam ihrem neuen Beschluss keine deklaratorische Bedeutung zu. Selbst für die Beibehaltung der bisherigen Besetzungsreduktion und deren Bestätigung wäre die Strafkammer nur in der Besetzung mit drei Berufsrichtern zuständig gewesen. Das inkompetente Quorum konnte die Fortgeltung der bisherigen Besetzungsentscheidung ungeachtet der neuen Umstände nicht wirksam beschließen. Vielmehr hat die Strafkammer die Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für die Besetzungsentscheidung und für die Verhandlung in reduzierter Besetzung verkannt. Gesetzlicher Richter ist nicht nur das sachlich zuständige Gericht und der geschäftsplanmäßig zuständige Spruchkörper, sondern jeder zur Mitwirkung berufene Richter (vgl. , BVerfGE 95, 322, 329).

17Weil es um den gesetzlichen Richter für die Hauptverhandlung über die verbundenen Verfahren ging, in der das angefochtene Urteil erlassen wurde, kann dem Verfahrensfehler nicht mit Überlegungen zur angemessenen Besetzung der Strafkammer nach der erst durch den Senat ausgesprochenen Teileinstellung des Verfahrens eine Bedeutung abgesprochen werden.

18c) Der Besetzungsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils hinsichtlich der Fälle II.1. und II.3., das darauf beruht (§ 338 Nr. 1 Halbsatz 1 StPO). Für die Hauptverhandlung vor dem neuen Tatrichter gilt § 76 Abs. 5 GVG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 2515 Nr. 34
wistra 2015 S. 397 Nr. 10
WAAAE-96954