Örtliche Zuständigkeit bei gesonderter Feststellung; gesonderte Feststellung von Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit bei Büros in mehreren Städten; Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren
Leitsatz
1. Sind die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit eines selbständigen Steuerberaters mit Büros in drei Städten nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO gesondert festzustellen, ist für die Feststellung das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk das Büro mit den höchsten Umsätzen liegt.
2. Die Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler.
3. Die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen gehört zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu wahrenden Grundordnung des Verfahrens.
Gesetze: AO § 179 Abs. 1AO § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe bAO § 18 Abs. 1 Nr. 3AO § 127AO § 19FGO § 74FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
Instanzenzug: ,
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten um die Inanspruchnahme des zulässigen Höchstbetrags nach § 7g Abs. 3 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2003 geltenden Fassung (EStG).
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr unter anderem als selbständiger Steuerberater mit Büros in drei Städten in jeweils unterschiedlichen Bundesländern tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit nach der Einkommensteuererklärung Einkünfte von insgesamt 102.636 € (Praxis 1 ./. 250.496 €, Praxis 2 127.140 €, Praxis 3 225.992 €). Zwei der Büros lagen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs seines Wohnsitzfinanzamtes, insbesondere das Büro 3 mit den höchsten Umsätzen aus der selbständig ausgeübten Steuerberatertätigkeit lag im Bundesland X.
3 Nach den für die drei Einzelpraxen jeweils getrennt erstellten und vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) in den drei für 2001 bis 2003 angelegten Bilanzbänden abgelegten Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG sowie nach dem in den Bilanzheften abgelegten „Bericht“ (für die Praxis 3) und den beiden „Gutachten“ (für die Praxen 1 und 2) über die Inanspruchnahme der Ansparabschreibung nach § 7g EStG zum ergaben sich darüber hinaus folgende Gesamtbeträge der zum jeweiligen Jahresende in Anspruch genommenen Rücklagen nach § 7g Abs. 3 EStG:
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Stand | Praxis 1 | Praxis 2 | Praxis 3 | Summe |
131.000,00 DM | 143.651,27 DM | 0,00 DM | 274.651,27 DM | |
19.358,29 € | 115.046,12 € | 0,00 € | 134.404,41 € | |
150.558,29 € | 154.000,00 € | 154.000,00 € | 458.558,29 € |
5 Das FA veranlagte den Kläger und dessen mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung erklärungsgemäß. Jedoch erhöhte das FA mit Einkommensteueränderungsbescheid vom die Einkommensteuer unter Ansatz von Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit in Höhe von nunmehr 407.194 € auf 38.681 €.
6 Zur Begründung führte es aus, der Ansatz des Klägers für die Ansparabschreibung nach § 7g EStG habe den Höchstbetrag von 154.000 € überschritten. Zu Unrecht habe der Kläger den Höchstbetrag für jede einzelne seiner Praxen in Anspruch genommen. Denn er habe nicht nachgewiesen, dass die drei Praxen jeweils eigenständige Betriebe i.S. des § 7g Abs. 3 EStG seien. Den dagegen erhobenen Einspruch wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.
7 Die daraufhin erhobene Klage (gegen den angefochtenen Bescheid in Gestalt des zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheids vom ) wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 672 veröffentlichten Urteil vom 4 K 985/11 als unbegründet ab.
8 Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
9 Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil des FG sowie den Einkommensteueränderungsbescheid für 2003 vom in Gestalt des Änderungsbescheids vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
10 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
11 Alle drei Praxen des Klägers bildeten einen einheitlichen Betrieb. Damit könne die Ansparrücklage insgesamt nur bis zu der Höchstbetragsregelung in § 7g Abs. 3 Satz 5 EStG beansprucht werden.
Gründe
12 II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
13 Zu Unrecht hat das FG über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheids für das Streitjahr 2003 entschieden, ohne zuvor das Verfahren nach § 74 FGO bis zu einer gesonderten Feststellung der freiberuflichen Einkünfte des Klägers durch das dafür nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) zuständige Finanzamt auszusetzen.
14 Dies hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
15 1. Nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO sind die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit im Wege gesonderter Feststellung von Besteuerungsgrundlagen festzustellen, wenn das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist.
16 Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Denn das im Streitfall beklagte und für die Einkommensbesteuerung des Klägers als Wohnsitzfinanzamt zuständige FA (A-Stadt) ist nicht für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der freiberuflichen Tätigkeit des Klägers zuständig.
17 Vielmehr ist dies das für die Praxis in B-Stadt zuständige Finanzamt, weil der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit dort —wegen der dort erzielten höchsten Umsätze aus seiner steuerberatenden Tätigkeit— i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO „vorwiegend“ ausübt (zur Maßgeblichkeit der Umsätze , BFHE 189, 8, BStBl II 1999, 691).
18 2. Eine Heilung des Mangels nach § 127 AO kommt nicht in Betracht; denn die Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler (vgl. , BFHE 152, 27, BStBl II 1988, 230).
19 3. Wegen der danach nachzuholenden gesonderten Feststellung, für die die Feststellungsverjährung nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO wegen Rechtshängigkeit des nicht festsetzungsverjährten angefochtenen Bescheids noch nicht eingetreten ist, wird die Sache an das FG zurückverwiesen.
20 Dieses muss das Verfahren mit Blick auf die nachzuholende Feststellung nach § 74 FGO aussetzen (vgl. , BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; BFH-Beschlüsse vom III B 179/96, BFHE 192, 255, BStBl II 2001, 33; vom X B 127/11, BFH/NV 2012, 601).
21 Die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen gehört zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu wahrenden Grundordnung des Verfahrens (vgl. BFH-Urteile in BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580, und vom IV R 11/89, BFH/NV 1991, 649, sowie —zur gesonderten und einheitlichen Feststellung— , BFH/NV 2008, 1156; vom IV R 18/07, BFH/NV 2010, 1419).
22 4. Die nach Erlass des gesonderten Feststellungsbescheids vorzunehmende Änderung der angefochtenen Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr nach Maßgabe des § 175 AO wird sodann Gegenstand der Entscheidung des FG im zweiten Rechtsgang sein.
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5. Bei dieser Sach– und Rechtslage ist es dem Senat verwehrt, zu der Streitfrage Stellung zu nehmen, ob | |
- | der Kläger die Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG für jede seiner drei Praxen im Umfang des Höchstbetrages nach § 7g Abs. 3 Satz 5 EStG mit Blick darauf geltend machen kann, dass die Fördermaßnahme des § 7g EStG nach der ausdrücklichen Auffassung sowohl des Gesetzgebers (BTDrucks 12/4487, 33) als auch der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. , BFHE 245, 36; , BFHE 238, 153, BStBl II 2014, 447, m.w.N.) nicht personen-, sondern betriebsbezogen ausgestaltet ist, und |
- | im Streitfall die dafür erforderliche Selbständigkeit der drei Praxen gegeben ist. |
24 Denn zum einen hat über diese Frage das im Streitverfahren nicht beteiligte Finanzamt C im Rahmen seiner Feststellung der gesonderten Besteuerungsgrundlagen zu den freiberuflichen Einkünften des Klägers zu entscheiden. Zum anderen ist diese zu treffende Entscheidung vom Kläger ggf. als Grundlagenbescheid in einem gesonderten Verfahren und damit nicht im Rahmen des anhängigen Rechtsschutzverfahrens gegen den Einkommensteueränderungsbescheid anzufechten.
25 6. Die Kostenentscheidung ist dem FG vorbehalten (§ 143 Abs. 2 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
MAAAE-96110