Nichtzulassungsbeschwerde - Schwerbehindertenrecht - GdB-Festsetzung - Begrenzung der Feststellungswirkung des Bescheids auf den Gesamt-GdB - Divergenz - bewusst entgegengesetzter Rechtssatz des LSG - Darlegungsanforderungen
Gesetze: § 69 Abs 1 S 1 SGB 9, § 69 Abs 1 S 4 SGB 9, § 69 Abs 3 SGB 9, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG
Instanzenzug: Az: S 1 SB 300/12 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 6 SB 3618/13 Urteil
Gründe
1I. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt (Bescheid vom ).
2Ihren Antrag auf Höherbewertung des GdB lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Mit Urteil vom hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines höheren GdB von mindestens 50 verneint. Die Höhe des Gesamt-GdB habe sich seit der letzten maßgeblichen Feststellung durch den Bescheid vom nicht wesentlich geändert. Die Bewertungen der Teil-GdB für einzelne Funktionssysteme durch das SG und die Beklagte seien eher zu hoch ausgefallen.
3Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, weil das LSG von der Rechtsprechung des BSG zur Abschmelzung überhöhter GdB abgewichen sei.
4II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den allein behaupteten Zulassungsgrund der Divergenz nicht ordnungsgemäß dargelegt hat (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
5Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN).
6Die Klägerin hat bereits keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG widersprochen habe. Sie macht geltend, das Berufungsgericht habe das - SozR 4-1300 § 48 Nr 26) verkannt. Danach habe dem bei einem durch die Verwaltungsbehörde überhöht festgestellten GdB diese selbst per Verwaltungsakt über die Abschmelzung zu entscheiden. Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargetan. Wer eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend macht, muss darlegen, dass das LSG im angefochtenen Urteil nicht lediglich die Tragweite der höchstrichterlichen Rechtsprechung verkennt, sondern dieser Rechtsprechung bewusst einen eigenen Rechtssatz entgegensetzt (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). An dieser Darlegung fehlt es hier. Den von der Beschwerde behaupteten Rechtssatz des LSG konnte sie nicht aus den Urteilsgründen zitieren, weil er dort nicht steht. Eine bewusste Abweichung des LSG von einem Rechtssatz des BSG hat sie damit nicht dargelegt.
7Ohnehin verkennt die Beschwerde den Inhalt des angegriffenen Urteils. Das LSG ist nicht von einer überhöhten, sondern von einer im Ergebnis nach wie vor zutreffenden Festsetzung des Gesamt-GdB der Klägerin von 30 durch die Beklagte ausgegangen. Das LSG hat lediglich wie der Beklagte eine Höherbewertung abgelehnt, weil sich der Gesamt-GdB durch neu hinzugetretene Funktionsbeeinträchtigungen nicht geändert habe. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form ein überhöhter GdB nach § 48 Abs 3 SGB X abgeschmolzen werden kann (vgl BSG SozR 4-1300 § 48 Nr 26) stellte sich für das LSG von seinem rechtlichen Ausgangspunkt her nicht.
8Soweit die Beschwerde auf eine teilweise abweichende Einschätzung einzelner Funktionsbeeinträchtigungen hinweist, die der Beklagte und das LSG zugrunde gelegt haben, so übersieht sie Folgendes: Maßgeblicher Regelungsinhalt eines Feststellungsbescheids über das Vorliegen und den Grad einer Behinderung bildet nicht die Frage, wie einzelne Funktionsbeeinträchtigungen für sich genommen zu bewerten sind, sondern welche Folgen sich aus ihrem Zusammenwirken für die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben der Gesellschaft insgesamt ergeben, § 69 Abs 1 S 1 und S 4 und Abs 3 SGB IX. Das Schwerbehindertenrecht kennt nur einen Gesamtzustand der Behinderung, den gegebenenfalls mehrere Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit bestimmen (vgl BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24). So genannte Einzel-GdB, die den Grad der Behinderung separat für eine einzelne Erkrankung bzw Funktionseinschränkung im Bescheid ausweisen, sind nur Begründungselemente (§ 35 SGB X) des Gesamt-GdB; nur letzterer steht im Verfügungssatz des Bescheids und hat Feststellungswirkung (Oppermann in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 69 SGB IX RdNr 10). Nach alldem hat das LSG daher die bisherige Feststellung eines (Gesamt-)GdB von 30 durch den Beklagten gerade nicht als rechtswidrig überhöht angesehen und abgeschmolzen, sondern im Ergebnis, wenn auch nicht in jedem Begründungselement, bestätigt.
9Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
10Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
11Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:010615BB9SB1015B0
Fundstelle(n):
CAAAE-94515