BSG Beschluss v. - B 5 R 406/14 B

Instanzenzug: S 12 R 1338/11

Gründe:

1Mit Urteil vom 8.10.2014 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Altersrente ohne Kürzung durch Verrechnung wegen einer gegen ihn gerichteten Forderung der Beigeladenen abgelehnt.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er beruft sich auf Rechtsprechungsabweichung (Divergenz), grundsätzliche Bedeutung und einen Verfahrensfehler.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

4Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

6Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

7Der Kläger hat schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG widersprochen habe. Er macht vielmehr geltend, das Berufungsgericht gehe davon aus, es könne offenbleiben, "ob die Verrechnung als sogenannte öffentlich rechtliche Willenserklärung vorgenommen werden" dürfe. Das ) lege "eindeutig fest, dass eine Verrechnung nur einseitig durch Verwaltungsakt erfolgen" dürfe, "was hier nicht geschehen" sei.

8Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).

9Darüber hinaus zeigt die Beschwerdebegründung auch nicht auf, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Divergenz beruht. Denn sie legt nicht dar, dass das BSG in dem herangezogenen Urteil auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation, die mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist, tragend anders entschieden hat als das LSG im angefochtenen Urteil. Dafür genügt es keinesfalls, der bundesgerichtlichen Entscheidung isoliert einzelne Sätze zu entnehmen und - völlig losgelöst von ihrem Bezugsrahmen - zu behaupten, es handele sich dabei um tragende höchstrichterliche Rechtssätze (Senatsbeschluss vom 13.2.2013 - B 5 R 398/12 B - BeckRS 2013, 66978 RdNr 8). Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem die herangezogenen bundesgerichtlichen Rechtssätze stehen (vgl hierzu zB - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der BSG-Entscheidung ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie verschweigt, welchen Sachverhalt das BSG zu beurteilen hatte, sodass auch nicht deutlich wird, welche rechtlichen Aussagen es wirklich getroffen hat und welche Aussagen ggf auf einer Interpretation des Klägers beruhen. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung auch der BSG-Entscheidung gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind.

10Auch die Grundsatzrüge hat keinen Erfolg. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

11Der Kläger hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

(1) Unterliegen alle bestandskräftigen Beitragsansprüche der 30-jährigen Verjährung oder nur Verwaltungsakte?

(2) Genügt eine einfache Verrechnungserklärung der Voraussetzung des § 52 Abs 1 SGB X als Verwaltungsakt in diesem Sinne?

(3) Ob zum Nachweis der Bedürftigkeit zwingend, wovon das Landessozialgericht rechtsfehlerhaft ausgeht, die Vorlage einer Bedürftigkeitsbescheinigung des Grundsicherungsträgers erfolgen muss, wofür eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich ist, oder ob die Bedürftigkeit auch durch die vom Kläger erbrachten Beweismittel erbracht werden kann?

12Mit diesen Fragen ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Bei Frage 1 hat der Kläger keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm gestellt. Denn sie lässt schon völlig offen, welches gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher materiell-rechtlichen Bundesnorm (§ 162 SGG) mit Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden. Die Frage 3 ist ebenfalls nicht abstrakt-generell formuliert, sondern bezieht sich ausdrücklich auf "die vom Kläger erbrachten Beweismittel" und hat damit Einzelfallcharakter. Eine derart auf die Gestaltung des Einzelfalls zugeschnittene Frage kann aber von vornherein keine Breitenwirkung entfalten. Stattdessen hätte der Kläger das Rechtsproblem vom Einzelfall lösen und abstrahieren sowie darlegen müssen, dass sich die Rechtsfrage nicht nur im anhängigen Rechtsstreit und wenigen Parallelfällen stellt, sondern für eine Mehrzahl ähnlich gelagerter Sachverhalte und eine Vielzahl von Personen relevant ist (vgl BSGE 2, 129, 132; 15, 17, 19 = SozR Nr 2 zu § 40 VerwVG). Auch hieran fehlt es. Soweit die Frage 2 als Rechtsfrage angesehen wird, fehlt es an ausreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Insofern hätte der Kläger aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochenen Problematik entschieden werden muss.

13Zusätzlich fehlt es an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu diesem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 183 mwN).

14Hieran fehlt es. Der Kläger benennt keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der aufgeworfenen Problematik. Er versäumt es insbesondere aufzuzeigen, ob und inwieweit die höchstrichterliche Rechtsprechung zur angesprochenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet hat, dass sich die aufgeworfene Frage damit nicht beantworten lässt und inwiefern die bereits bestehenden Rechtsgrundsätze für die Entscheidung des Rechtsstreits erweitert, geändert oder ausgestaltet werden müssen.

15Ebenso wenig ist mit dem Hinweis des Klägers auf fehlende Sachaufklärung eine Verletzung der dem Tatsachengericht obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) schlüssig dargetan, die der Kläger möglicherweise ebenfalls rügen möchte. Ausweislich § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Kläger zeigt aber nicht auf, vor dem Berufungsgericht einen Beweisantrag gestellt zu haben.

16Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

17Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Fundstelle(n):
JAAAE-94141