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LSG Bayern Urteil v. - L 12 KA 15/13

Streitgegenständlich sind Heilmittelregresse betreffend die Quartale 1 und 2/06. Das Quartal 3/06 ist Gegenstand des Verfahrens L 12 KA 16/13. Der Kläger ist als Praktischer Arzt in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Krankenkassen und KVB beantragten gemeinsam nach § 5 in Verbindung mit § 15 der Prüfvereinbarung eine Prüfung bezogen auf die Verordnung von physikalisch-medizinischen Leistungen wegen Überschreitung der Fachgruppe um 865,33 % im Quartal 1/06 und 1349 % im Quartal 2/06. Der Prüfungsausschuss sprach nach einer Prüfung nach Durchschnittswerten für die Quartale 1/06 und 2/06 jeweils eine Beratung aus, wogegen die Krankenkassen Widerspruch einlegten. Mit Bescheiden vom 28.11.2011 aus der Sitzung vom 6.7.2011 gab der Beklagte den Widersprüchen der Krankenkassen statt und setzte für das Quartal 1/06 einen Regress in Höhe von 11,2 % (9.383,22 EUR) sowie für das Quartal 2/06 einen Regress in Höhe von 5,5 % (9.925,64 EUR) fest. Der Beklagte stellte zunächst eine hohe Überschreitung der Verordnungsweise bei physikalisch-medizinischen Leistungen gegenüber der Vergleichsgruppe der bayerischen Allgemeinärzte fest (Quartal 1/06: 865,3 %; Quartal 2/06: 1349,3 %). Anerkannt wurden als Praxisbesonderheiten Badekurscheine (Quartal 1/06: 9,63 EUR; Quartal 2/06: 25,76 EUR) und ein "Mehr" an Fremdpatienten (Quartal 1/06: 4,39 EUR; Quartal 2/06: 16,98 EUR). Der Beklagte führte einen Spezialvergleich mit den Balneologen in den drei Orten des Bäderdreiecks durch, der auf einem "stillschweigenden Abkommen" aus dem Jahr 1999 basierte. Darin war die Sonderstellung der Kurorte in dem Sinne anerkannt worden, dass den dort tätigen Balneologen eine Verordnungssumme von 100 DM pro Fall zugestanden wurde, während die Kosten der bayerischen Balneologen insgesamt im Durchschnitt bei 50 DM pro Fall lagen. Der Beklagte errechnete nach dem Spezialvergleich im Quartal 01/06 eine bereinigte Überschreitung von 49 %, im Quartal 2/06 von 42,5 %. Nach den Kürzungen iHv 11,2 % in 1/06 und 5,5 % in 2/06 wurde dem Kläger in den beiden Quartalen eine Restüberschreitung von jeweils 30 % belassen. Der Beschwerdeausschuss vertrat die Auffassung, dass es in der Praxis keine extrem teuren Fälle über 700 EUR gebe. Viele Patienten würden an Wirbelsäulenerkrankungen leiden. Des Weiteren wurde festgestellt, dass 3/4 aller Patienten Massagen und Fango in Kombination erhielten. Festzustellen sei ferner eine gleichzeitige Verordnung bei Ehepaaren, sowie mehrere Verordnungen an einem Tag. Aus der Therapiefrequenz (meistens fünfmal pro Woche) sei auch auf einen Wellness-Charakter der Verordnungen zu schließen. Des Weiteren seien mitunter Verordnungen getätigt worden, ohne dass ein Arzt-Patientenkontakt überhaupt stattgefunden habe. Dagegen ließ der Kläger am 19.12.20011 durch seinen Prozessbevollmächtigten jeweils Klage zum Sozialgericht München einlegen. Die Bescheide seien bereits formell rechtswidrig. Es sei schon nicht die richtige Vergleichsgruppe gewählt worden. Auch hätte eine repräsentative Einzelfallprüfung durchgeführt werden müssen. Ebenfalls sei nicht nachzuvollziehen, dass in der vorgenommenen beispielhaften Einzelfallprüfung nur Rezepte der AOK Bayern geprüft wurden, obwohl der Anteil von Patienten des vdek weit höher gewesen sei. Dies stehe mit der Vorschrift des § 15 Abs. 7 der Prüfvereinbarung nicht in Einklang. Auch seien die vom Beklagten zitierten Heilmittelrichtlinien (Ziff. 13, 16, 23) nicht geeignet, die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise festzustellen. Hinzuweisen gelte es auch auf § 106 Abs. 5 S. 2 SGB V. Danach solle eine Beratung dem Regress vorausgehen. Die Beratungsmaßnahmen in den Quartalen 2/2005 - 4/2005 hätten jedoch nicht berücksichtigt werden können, da die Prüfverfahren vom 2.8.2006 und 18.10.2006 datieren würden. Der Beklagte äußerte sich zur Berechnungsweise der Fremdpatienten. Man habe auf die Ersatzkassenpatienten abgestellt, da es sich hierbei um "Bundesgesamtvertragskassen" handle. Der Analyse der AOK-Rezepte lägen praktische Überlegungen zugrunde. Denn die AOK Bayern hinterlege ein in der Statistik geschlossenes Datensystem. Im Gegensatz dazu seien beispielsweise von der DAK keine solchen Daten bekannt. Die mit der Ziffer 8xxxx versehenen Badekurrezepte, die sich zwischen den Verordnungen befunden hätten, seien von der Statistik der physikalisch-medizinischen Leistungen nicht erfasst. Das SG hat mit Urteilen vom 20.11.2012 die angefochtenen Bescheide des Beklagten aufgehoben und den Beklagten zur Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet. Einer vorhergehenden Beratung habe es nicht bedurft, denn bei § 106 Abs. 5 Satz 2 SGB V handle es sich um eine Sollvorschrift. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine repräsentative Einzelfallprüfung. Die Regelungen der §§ 15 Abs. 1, 2 Prüfvereinbarung behandelten die Durchschnittsprüfung allgemein, die sich somit auch auf die Prüfung von Heilmittelverordnungen beziehe. Damit stünden Durchschnittsprüfung und repräsentative Einzelfallprüfung nebeneinander. Die Bildung der Vergleichsgruppe (53 balneologische Praxen im Bäderdreieck) sei nicht zu beanstanden. Grundsätzlich sei auch die Berücksichtigung von Fremdpatienten nicht zu beanstanden. Es sei zu vermuten dass sich diese am Kurort aufhielten, um Heilmittel in Anspruch zu nehmen. Auch soweit sich diese Patienten im Rahmen ihres mehrwöchigen Aufenthalts ohne Kurarztscheine in der klägerischen Praxis einfänden, sei der Kläger selbstverständlich gehalten, seine Verordnungsweise auf das wirtschaftlich notwendige Maß zu begrenzen und keine Wunschverordnungen vorzunehmen. Vom Grundsatz her rechtlich auch nicht zu beanstanden sei, dass Kurzrezepte herausgerechnet würden. Eine solche Herausrechnung fände ab dem Quartal 1/2007 automatisch statt. Rechtlich zu beanstanden sei aber, wie die Herausrechnung in den Quartalen 1 und 2/06 erfolgt sei. Denn der Beklagte räume selber ein, dass die Aussage in den Bescheiden hinsichtlich der vorgelegten Rezepte insofern nicht zutreffe, als es sich nicht um AOK-Verordnungen, sondern um DAK-Verordnungen handle, und sich darunter zahlreiche befunden hätten, die mit der Ziffer 8XXX versehen gewesen seien, was bedeute, dass diese von der Statistik nicht erfasst würden. Allein diese äußerst fragile Datenbasis lasse eine solide Herausrechnung der Kurarztrezepte nicht zu. In dem Zusammenhang sei auch hervorzuheben, dass nicht nur Kurarztscheine einzelner Kassen (BKK und offensichtlich DAK), sondern von sämtlichen Kassen zu berücksichtigen seien. Denn nur dann könne den Besonderheiten Rechnung getragen werden. Unklar sei auch, ob der Beklagte bei der Vergleichsgruppe ebenfalls versucht habe, Kurarztscheine und wenn ja in welchem Umfang herauszurechnen, da dies zur Erzielung einer Vergleichbarkeit notwendig wäre. Der Umstand, dass bis zu 80 % aller Rezepte mit dem Indikationsschlüssel "BS" ausgestellt worden seien und Heilmittel bei Ehepaaren gleichzeitig verordnet wurden, bedeute nicht automatisch, dass eine unwirtschaftliche Verordnungsweise vorliege. Andererseits deute der Umstand, dass mehrere Heilmittelverordnungen an einem Tag stattfänden, ohne dass zwei führende Schädigungen/Funktionsstörungen nach dem Heilmittelkatalog vorlägen oder eine hohe Therapiefrequenz, obwohl vom Heilmittelkatalog nicht vorgesehen, auf eine zu großzügige Verordnungsweise hin. Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, da die Herausrechnung der Kurarztscheine durch den Beklagten fehlerhaft gewesen sei. Hiergegen wandte sich die Beigeladene zu 1) am 6.2.2013 mit ihren Berufungen zum Bayerischen Landessozialgericht, denen sich der Kläger am 18.4.2013 durch die Einlegung seiner Anschlussberufungen anschloss. Die Beigeladene zu 1) führt aus, ungeachtet der Verpflichtung zur Neuverbescheidung seien die Urteile des Sozialgerichts München in einigen Punkten unzutreffend. Um zu verhindern, dass die getroffenen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen, sei die Einlegung der Berufungen notwendig gewesen. Denn im Gegensatz zur Rechtsauffassung des SG München bestünde kein Wahlrecht der Prüfungseinrichtungen, entweder eine Durchschnitts- oder eine Einzelfallprüfung durchzuführen. Die Elemente der Durchschnittsprüfung auf einer ersten Stufe der Prüfung sollten nach dem Willen der Vertragspartner lediglich als Einstieg in die beispielhafte Einzelfallprüfung dienen. Die Feststellung, dass die Überschreitung auch nach Abzug von Praxisbesonderheiten und kausalen Einsparungen statistisch im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses läge, sei notwendig, da andernfalls der sich anschließenden Einzelfallprüfung bereits die Grundlage entzogen wäre. Für die Festsetzung des Regresses solle nach dem Willen der Vertragspartner jedoch allein die Einzelfallprüfung als zweite Stufe der Prüfung maßgeblich sein. In § 15 Abs. 4 Satz 1 PV sei geregelt, dass die Prüfung der Verordnungsweise bei Heilmitteln in Form einer repräsentativen Einzelfallprüfung durchzuführen sei. Die Vertragspartner hätten für die Heilmittelprüfung zwingend die beispielhafte Einzelfallprüfung als Unterfall der Durchschnittsprüfung im obigen Sinne geregelt. Jedoch hätte vorliegend nach den Bestimmungen des § 15 Abs. 4 PV und der Rechtsprechung des BSG zur Einzelfallprüfung der konkrete Regressbetrag auf der zweiten Stufe durch eine konkret durchgeführte beispielhafte Einzelfallprüfung ermittelt werden müssen. Dies sei nicht geschehen. Zwar habe der Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden ausgeführt, dass der statistische Fallkostenvergleich durch die Prüfstelle durch eine beispielhafte Einzelfallprüfung ergänzt werde, er habe dann jedoch lediglich pauschale Überlegungen zu den Verordnungen des Klägers angestellt und den Regressbetrag durch Vergleich des bereinigten Fallwertes der Praxis mit der durch den Beklagten festgesetzten Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis festgesetzt. Dies sei mit den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben nicht vereinbar. Zudem sei schon zu bezweifeln, dass die in § 15 Abs. 4 PV vorgesehene Anzahl an Verordnungen und Datensätzen vorgelegen habe. Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, welche Rezepte vorgelegt und nach welchen Kriterien diese Rezepte ausgewählt worden seien. Zum anderen sei beim Kläger überhaupt keine beispielhafte Einzelfallprüfung durchgeführt worden. Ein konkreter Nachweis von unwirtschaftlichen Verordnungen an beispielhaften Einzelfällen habe nicht stattgefunden. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber erforderlich. Darüber hinaus basiere die Festlegung der Regelung, ein extrem schwerer Fall sei bei Verordnungskosten über 700 EUR anzunehmen, auf Willkür. Zudem lasse der Bescheid Ermessensüberlegungen bezüglich einer Beratung nach § 106 Abs. 5 Satz 2 SGB V vermissen. Auch treffe die Auffassung des SG München, ab dem Quartal 1/07 seien die Kurarztscheine automatisch herausgerechnet worden, nicht zu. Zudem habe der Beklagte selbst ausgeführt, dass die Verordnungen meist kompatibel mit dem Heilmittelkatalog seien. Insbesondere aber gebe es weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Grundlage für die Prüfung nach Durchschnittswerten im Bereich der Heilmittel, vielmehr sei der Wortlaut des § 15 Abs. 4 PV eindeutig. § 15 Abs. 4 PV sei im Verhältnis zu § 15 Abs. 1 PV lex specialis und verdränge somit die allgemeinen Regelungen nach § 15 Abs. 1. Die Spezialität ergebe sich insbesondere daraus, dass § 15 Abs. 4 PV nur die Prüfmethode im Bereich Heilmittel regle, während § 15 Abs. 1 PV für mehrere Prüfbereiche gelte. Grund für die systematische Stellung des § 15 Abs. 4 PV unter der Überschrift der Durchschnittsprüfung sei ausschließlich, dass es notwendig für die Durchführung der Prüfung sei, dass die statistische Überschreitung auch nach Abzug von Praxisbesonderheiten und kausalen Einsparungen im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses liege, da andernfalls der sich anschließenden repräsentativen Einzelfallprüfung mit Hochrechnung bereits die Grundlage entzogen wäre. Die Elemente der Durchschnittsprüfung seien somit lediglich als Einstieg für die repräsentative Einzelfallprüfung mit Hochrechnung heranzuziehen. Für die Festsetzung von Regressen solle nach dem Willen der Vertragspartner jedoch allein die repräsentative Einzelfallprüfung mit Hochrechnung als zweite Stufe der Prüfung maßgeblich sein. Es mangele daher an einer Rechtsgrundlage für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsprüfung im Bereich Heilmittel. Auch aus Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und des Rechtsstaatsprinzips dürften die Prüfungsgremien nicht willkürlich andere als die gesetzlich und vertraglich verankerten Prüfmethoden anwenden. Im vorliegenden Fall hätten die Ärzte laut Prüfungsvereinbarung davon ausgehen dürfen, dass Verordnungen innerhalb der Grenzen des Heilmittelkataloges im Regelfall als wirtschaftlich gelten würden. Etwaige Unwirtschaftlichkeiten bei Verordnung innerhalb der Grenze des Heilmittelkataloges erforderten nach Sinn und Zweck der Norm einen erhöhten Begründungsaufwand der Prüfungseinrichtungen. Die Durchführung der Prüfung nach § 15 Abs. 4 der PV verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Nach der Entscheidung des BSG (B 6 KA 72/03 R) dürfe schon nicht von der allgemeineren Prüfung nach Durchschnittswerten auf die speziellere repräsentative Einzelfallprüfung mit Hochrechnung umgestellt werden. Im Umkehrschluss dürfe dann erst recht nicht von der genauen Einzelfallprüfung auf die pauschale Durchschnittsprüfung umgestellt werden. Die Effektivität einer Prüfungsmethode dürfe zudem nicht ausschließlich unter dem Blickwinkel der Regressmaximierung betrachtet werden. Eine solche Prüfung habe die Aufgabe, unter objektiven Gesichtspunkten das Verordnungsverhalten des Arztes zu beurteilen. Insbesondere sei auch zu berücksichtigen, dass Ärzte nicht aufgrund pauschaler, rein statistischer Auffälligkeiten mit Rückforderungen belastet würden. Die Prüfung nach Durchschnittswerten unterliege selbst immensen rechtlichen Bedenken und führe nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Die Vertragspartner hätten die Effektivität der Prüfung nach Durchschnittswerten verneint. Dies gelte auch für Balneologen.

Fundstelle(n):
NAAAE-93655

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