BSG Beschluss v. - B 1 KR 18/14 BH

Instanzenzug: S 7 KR 3047/13

Gründe:

I

1Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung von Praxisgebühren iHv 60 Euro nebst Zinsen für die Jahre 2006 bis 2008 bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, Zuzahlungen seien nach § 28 Abs 4 S 1 SGB V (idF durch Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom , BGBl I 2190) mit Rechtsgrund geleistet worden. Die Norm sei verfassungsgemäß. Der Kläger habe auch nicht an einer integrierten Versorgung (§ 140a SGB V - Hausarztmodell) teilgenommen. Auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergebe sich kein Anspruch (Urteil vom ).

2Der Kläger begehrt, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen.

II

3Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.

4Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

5Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Insbesondere ist höchstrichterlich geklärt, dass die Pflicht zur Zuzahlung von 10 Euro je Kalendervierteljahr für den Arztbesuch ("Praxisgebühr") nicht gegen verfassungsrechtlich geschützte Rechte der Versicherten verstößt (BSGE 103, 275 = SozR 4-2500 § 28 Nr 3).

6Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder dass der Kläger einen Verfahrensfehler des LSG dartun könnte, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

7Soweit der Kläger geltend macht, seine Teilnahme am Verhandlungstermin sei verhindert worden, weil der Vorsitzende seinem Gesuch, den Termin zu verlegen (auf eine spätere Uhrzeit oder einen anderen Wochentag), nicht entsprochen habe, vermag sein Vortrag eine Verletzung seines Rechts auf mündliche Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens und damit des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 EMRK) nicht zu begründen. Einem Verfahrensbeteiligten wird das Recht auf mündliche Verhandlung versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache abschließend entscheidet, obwohl der Beteiligte zuvor gemäß § 227 Abs 1 ZPO iVm § 202 SGG einen Terminverlegungsantrag gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat. Das Gericht ist in einem derartigen Fall bei ordnungsgemäßem Vorgehen verpflichtet, den anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen oder zu vertagen (BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; - Juris RdNr 5; - Juris RdNr 5; - Juris RdNr 5). Der Kläger hat zwar beantragt, den Termin am Freitag, den um 12.50 Uhr zu verlegen, hierfür jedoch keinen erheblichen Grund geltend gemacht. Er hat lediglich behauptet, dass er schon um 9.30 Uhr aufstehen müsse, wenn er den Termin wahrnehmen wolle, dann aber wegen seines Schlafrhythmus (5 1/2 Stunden Schlaf) nicht ausreichend konzentriert verhandeln könne. Hierdurch war er aber nicht gehindert, den Termin wahrzunehmen. Seinem Vortrag ist auch nicht zu entnehmen, dass er etwa wegen Schlafmangels verhandlungsunfähig gewesen wäre. Das vorgelegte Attest belegt seine Verhandlungsunfähigkeit ebenfalls nicht. Es führt nur aus, dass der Kläger "der festen Überzeugung" sei, "mündlichen Verhandlungen bei Gericht nachmittags besser folgen zu können als vormittags". Etwaigen Konzentrationsschwächen hätte das LSG im Übrigen durch Unterbrechung der Sitzung Rechnung tragen können.

8Das LSG hat das rechtliche Gehör auch nicht dadurch verletzt, dass es - wie der Kläger meint - seinen Vortrag übergangen hat. Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (BVerfGK 13, 303, 304 f mwN). Dies hat das LSG erkennbar getan. Soweit der Vortrag des Klägers zum Barmer-Heft 1/2005 unberücksichtigt blieb, war dies - ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG - folgerichtig, weil es einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch schon aus rechtlichen Gründen verneint hat. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit dem rechtlichen Gehör auch den fehlerhaften Umgang mit der Gehörsrüge gegen die Ablehnung von PKH geltend macht, ist nicht erkennbar, dass das Berufungsurteil auf dem behaupteten Verfahrensfehler beruht.

9Auch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung getroffene Entscheidung über den Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter am LSG Neumann vermag einen Verfahrensfehler (fehlerhafte Besetzung des Berufungsgerichts) nicht zu begründen. Die Rüge fehlerhafter Besetzung des Berufungsgerichts bei Erlass des angefochtenen Urteils, weil ein Ablehnungsgesuch gegen mitwirkende Richter wegen Besorgnis der Befangenheit zuvor zu Unrecht abgewiesen worden sei, kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nur darauf gestützt werden, die Zurückweisung des Ablehnungsantrags beruhe auf willkürlichen Erwägungen oder habe Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG grundlegend verkannt (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 8; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 LS 1). Denn das Revisionsgericht ist im Hinblick auf § 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO grundsätzlich an Entscheidungen gebunden, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, sofern sie unanfechtbar sind. Dies gilt auch für Entscheidungen der Vorinstanz, die ein Ablehnungsgesuch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen haben (§§ 60, 177 SGG; vgl hierzu entsprechend BVerfGE 31, 145, 164; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5 mwN). Nur in den aufgezeigten engen Ausnahmen ist das Revisionsgericht wegen eines fortwirkenden Verstoßes gegen das Gebot des gesetzlichen Richters iS des Art 101 Abs 1 S 2 GG an die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, nicht gebunden.

10Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen, manipulativen Erwägungen beruht oder das LSG Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG grundlegend verkannt hat. Das LSG hat in Einklang mit obergerichtlicher Rechtsprechung aus den Umständen und der Begründung des Ablehnungsgesuchs geschlossen, dass dieses ausschließlich eine zuvor abgelehnte Terminverlegung bezweckte, und deshalb das Ablehnungsgesuch als "unzulässig verworfen". Auch den Ausführungen des Klägers sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die auf Willkür schließen lassen. Sie erschöpfen sich darin, dass der Auffassung des LSG widersprochen und eine eigene rechtliche Bewertung des zugrunde liegenden Sachverhalts vorgenommen wird. Vorsitzender Richter am LSG Neumann musste auch nicht - wie der Kläger meint - an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirken. Art 101 Abs 1 S 2 GG lässt bei einem gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch eine Selbstentscheidung der abgelehnten Richter zu, wenn sich hierbei jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens erübrigt (BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 6 RdNr 6). Dies bedeutet aber nicht, dass eine Selbstentscheidung zwingend erforderlich wäre. Ob das Ablehnungsgesuch aus Sicht des LSG rechtsmissbräuchlich ist, ist ohnehin erst das Ergebnis der Einschätzung der Umstände und der rechtlichen Würdigung durch das LSG.

Fundstelle(n):
GAAAE-93264