Instanzenzug: S 158 AS 15911/11
Gründe:
I
1Im Streit steht die Höhe der dem Kläger im Zeitraum vom 1.1. bis zum zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Einkommensteuererstattungen als Einkommen und hierauf gegründeten Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen des Beklagten.
2Dem Alg II beziehenden Kläger wurden durch das Finanzamt L. im Dezember 2010 zu viel entrichtete Steuern in Höhe von 1814,88 Euro erstattet, die der Beklagte für die folgenden sechs Kalendermonate als Einkommen - nach gesetzlich vorgesehenen Absetzungen - bei der Bemessung der Leistungen an den Kläger berücksichtigte. Ebenso verfuhr er mit der im Januar 2011 erfolgten weiteren Steuererstattung in Höhe von 976,23 Euro. Für die Vergangenheit hob er die Bewilligungsbescheide insoweit auf und begehrte die Erstattung der überzahlten Beträge. Die hiergegen erhobenen Widersprüche des Klägers, mit denen er sich ausdrücklich gegen die Berücksichtigung der Einkommensteuererstattungen als Einkommen wandte, blieben ebenso erfolglos wie seine miteinander verbundenen Klagen vor dem SG Berlin. Dieses hat zur Begründung insbesondere auf die Entscheidungen des BSG zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen durch die modifizierte Zuflusstheorie und zur Berücksichtigung einer Einkommensteuererstattung als Einkommen verwiesen (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung des Klägers hiergegen unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen. Ergänzend hat es ausgeführt, dass es nicht darauf ankomme, ob die erstatteten Steuern in dem Zeitraum, für den die Erstattung erfolgt sei, als bereite Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Einwände gegen die Verteilung innerhalb des Verteilzeitraums durch den Beklagten habe der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht und seien auch nicht zu erkennen. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide seien vor diesem Hintergrund ebenfalls rechtmäßig.
3Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das BSG. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und rügt eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch das LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
II
4Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
5Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 12, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
6Der Kläger formuliert zwar zum einen sinngemäß die Rechtsfragen, ob,
1. der Zufluss in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich interpretiert werden könne oder der tatsächliche Zufluss in allen Rechtsgebieten gleich sei,
2. sofern der tatsächliche Zufluss im Sozial- und Steuerrecht immer gleich sei, die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass bestimmte Entgeltpositionen bei Auszahlung durch den Arbeitgeber nicht erfasst würden, weil sie erst später zuflössen, mit der bisherigen Staatsfinanzierung, im Besonderen der Lohnsteuererhebung vereinbar seien, und
3. unter derselben Kautele, die Ungleichbehandlung des Merkmals des tatsächlichen Zuflusses mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung vereinbar sei?
7Alsdann legt er dar, wie diese Fragen nach seiner Rechtsauffassung zu beantworten sind. Er macht jedoch keine Ausführungen dazu, warum sie vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BSG klärungsbedürftig sein sollen oder erneut einer höchstrichterlichen Entscheidung bedürften. Mit der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG setzt er sich insoweit nicht auseinander. Insbesondere befasst er sich nicht mit der Entscheidung des erkennenden Senats zum Charakter der Einkommensteuererstattung in der Entscheidung vom (B 4 AS 29/07 R - BSGE 101, 291-301 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, RdNr 17 f), in der dieser ausgeführt hat, bei der nach Antragstellung im Bedarfszeitraum zugeflossenen Einkommensteuererstattung handele es sich um berücksichtigungsfähiges Einkommen iS des § 11 SGB II und nicht Vermögen iS des § 12 SGB II. Von der Regelung des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen sei im Falle der Einkommensteuererstattung nicht deswegen abzuweichen, weil es sich um Einkommen handele, das zu einem früheren Zeitpunkt fällig gewesen wäre, wenn der Erstattungsberechtigte eine andere steuerrechtliche Disposition getroffen hätte. Die Steuererstattung gehöre nicht zu den bereits erlangten Einkünften, mit denen Vermögen angespart worden sei (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom - B 4 AS 57/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 zu Zinseinkünften aus einem Sparguthaben). Mit dem BVerwG sei vielmehr davon auszugehen, dass der Erstattungsgläubiger die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig (und zinslos) "angespart", sondern die Steuererstattung nicht früher erhalten habe ( - BVerwGE 108, 296 ff). Gerade die fehlende Verzinsung des nicht ausgezahlten Einkommens zeige, dass es sich bei der Steuererstattung nicht um "Vermögensaufbau" handele. Zudem zeigten die steuerrechtlichen Dispositionsmöglichkeiten, sei es durch Eintragung eines Freibetrags oder durch die Wahl einer anderen Steuerklasse, dass die Steuererstattung auch kein Rückfluss von Vermögen sei. Der Erstattungsbetrag bleibe, was er bei einer anderen Wahl der Steuerklasse gewesen wäre, Einkommen. Auch welche weitere Bedeutung dem Gleichklang von Steuer- und Sozialrecht und dem "physikalischen" Zufluss im Verhältnis zum steuerrechtlichen zukommen soll, legt der Kläger auf dem Hintergrund der benannten Entscheidungen nicht dar.
8Die vorherstehenden Ausführungen gelten auch für die weitere vom Kläger für grundsätzlich befundene Frage, ob Einkommen iS des § 11 SGB II und Vermögen iS des § 12 SGB II mit dem Kriterium der "bereiten" Mittel voneinander abgegrenzt und unterschieden werden könnten. Der Kläger setzt sich zur Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit der Frage weder mit der zuvor dargelegten Rechtsprechung zur modifizierten Zuflusstheorie auseinander noch mit der des 14. Senats des BSG, der das Verhältnis zwischen der Berücksichtigung der Einkommensteuererstattung für die Vergangenheit und damit als Grund für die Aufhebung und eine Erstattungsforderung des Grundsicherungsträgers sowie ihrer Funktion als bereites Mittel zur Lebensunterhaltssicherung klärt ( - BSGE 112, 229-235 = SozR 4-4200 § 11 Nr 57, RdNr 15). Unter Aufrechterhaltung der modifizierten Zuflusstheorie verdeutlicht er, dass bei Anwendung des § 48 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit nicht eine aktuelle Bedarfslage ungedeckt bleibe, sondern nach Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung (nur) künftig eine Verbindlichkeit gegenüber dem Träger der Grundsicherung entstehe. Dies widerspreche nicht dem Prinzip der Berücksichtigung von Einkommen als "bereiten Mitteln". Nur insoweit hat der Grundsatz der bereiten Mittel nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Bedeutung bei der Einkommensberücksichtigung. Inwieweit er gleichwohl zur Differenzierung zwischen Einkommen und Vermögen heranzuziehen sein müsste, legt der Kläger auf dieser Grundlage nicht dar.
9Auch für die Divergenzrüge fehlt es an hinreichenden Darlegungen in der Beschwerdebegründung. Zur formgerechten Rüge des Zulassungsgrundes einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54, 67). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
10Der Kläger arbeitet zwar zwei Rechtssätze heraus. So entnimmt er der Rechtsprechung des BSG ua in der Entscheidung vom - B 4 AS 49/08 R - den Rechtssatz, dass die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem Kriterium des tatsächlichen Leistungsbezugs erfolge. Dem stellt er die nachfolgenden Ausführungen aus der Entscheidung des LSG gegenüber: "... Der Kläger ... verkennt insbesondere, dass es bei der Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen im Grundsicherungsrecht in einem abschließenden Prüfungsschritt darauf ankommt, ob zugeflossenes Einkommen als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken. Nur so kann der Zweck des SGB II, die Existenzsicherung zu gewährleisten erfüllt werden." Die Abweichung dieser beiden Aussagen voneinander legt er jedoch nicht hinreichend dar.
11Er gelangt nur zu der Divergenz, indem er den aus dem Urteil des LSG herausgearbeiteten Rechtssatz weiter reduziert. Er will ihm entnehmen, dass nach der Rechtsauffassung des LSG nicht der tatsächliche Zufluss Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen sei, sondern vielmehr die Frage, ob es sich bei dem Zufluss um bereite Mittel handele. Selbst wenn dies als hinreichende (wenn auch unzutreffende) Darlegung betrachtet werden sollte, so ist es ihm nicht gelungen, herauszuarbeiten, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auch auf dieser Divergenz beruht.
12Insoweit ist es nicht ausreichend zu behaupten, dass dann, wenn der Gesichtspunkt der bereiten Mittel hinweggedacht werde, das LSG wegen des tatsächlichen Zuflusses bei Auszahlung des Bruttolohnes durch den Arbeitgeber zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Hier hätte es vielmehr einer Auseinandersetzung damit bedurft, dass das LSG den Steuererstattungsanspruch mit dem Zufluss des Bruttolohnes gerade nicht als Einkommen wertet, sondern erst bereite Mittel im tatsächlichen Zuflusszeitpunkt der Steuererstattung annimmt.
13Der Kläger bezeichnet auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht ausreichend. Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) rügt, muss hierzu ausführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl , RdNr 8). Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund im Unterlassen der Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Es verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl BVerfG [Kammer], Beschlüsse vom - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28; vom - 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 - BVerfGK 14, 238 = WM 2008, 2084 f, unter Hinweis auf BVerfGE 64, 1, 12 und BVerfGE 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4). Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (stRspr BVerfG, siehe zB BVerfG [Kammer], Beschlüsse vom - 1 BvR 2722/06 - BVerfGK 13, 303, Juris RdNr 9 ff mwN; vom - 1 BvR 2444/04 - BVerfGK 7, 485, 488). Es bedarf daher einer schlüssigen Darlegung, dass - trotz der genannten Grenzen des Prozessgrundrechts - eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliegt. Dies ist dem Kläger nicht gelungen. Er rügt, das LSG habe sich mit seinen rechtlichen Argumenten nicht hinreichend auseinandergesetzt. Abgesehen davon, dass mit der Beschwerdebegründung jedoch gerade belegt wird, dass die von dem Kläger beanstandeten Punkte Gegenstand der Entscheidung gewesen sind - wenngleich auch nicht in seinem Sinne -, so musste das Gericht nicht den Verästelungen des klägerischen Vortrags im Einzelnen nachgehen, wenn es seine Ansicht bereits dem Grunde nach nicht teilt. Dass dies der Fall ist, bringt der Kläger in der Beschwerdebegründung selbst vor.
14Auch wenn mit dem Vorbringen der Verletzung des rechtlichen Gehörs eine unzulässige Überraschungsentscheidung gerügt werden sollte, genügt die Beschwerdebegründung den soeben dargelegten Anforderungen ebenfalls nicht. Zwar darf ein Urteil nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (BVerfG [Kammer] NJW 2003, 2524; - mwN). Damit soll jedoch lediglich verhindert werden, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Auffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. In diesem Rahmen besteht jedoch kein allgemeiner Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einem Urteil auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; ). Ebenso wenig muss das Gericht vorab seine Rechtsauffassung zur Rechtssache bzw zu den Erfolgsaussichten zu erkennen geben (vgl zB - Juris RdNr 7 mwN). Der Kläger legt nicht dar, dass er sich nicht zu den Entscheidungsgrundlagen des Berufungsgerichts äußern konnte, sondern wiederholt in der Beschwerdebegründung lediglich seine Rechtsauffassung, stellt diese der des LSG gegenüber und zieht die Schlussfolgerung, dass die Entscheidung des LSG fehlerhaft sei.
15Die Verwerfung des Rechtsmittels des Klägers erfolgt ohne die Beteiligung der ehrenamtlichen Richter in entsprechender Anwendung des § 169 SGG.
16Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Fundstelle(n):
ZAAAE-91856