BSG Beschluss v. - B 13 R 51/15 B

Instanzenzug: S 1 R 4/14

Gründe:

I

1Die im September 1948 geborene Klägerin erhält vom beklagten Rentenversicherungsträger seit Dezember 2013 Regelaltersrente, zunächst iHv monatlich 813,14 Euro (Rentenbescheid vom ). Mit ihrem Widerspruch gegen diesen Bescheid verlangte die Klägerin höhere Rente und begründete dies ua damit, dass eine Renteninformation der Beklagten aus dem Jahr 2006 eine Altersrente von etwa 1220 Euro (bei weiterer Beitragszahlung in Höhe des Durchschnitts der letzten fünf Kalenderjahre sowie bei Unterstellung eines jährlichen Anpassungssatzes von 2,5 %) angekündigt habe. Zudem forderte sie für ihre Beschäftigungen als Lehrerin in B. auch für den Zeitraum vom bis die Bewertung mit Entgeltpunkten statt Entgeltpunkten (Ost), eine Bewertung von Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II im Zeitraum November 2011 bis November 2013, die Ankerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung auch für Zeiten der Erziehung ihres Sohnes in der ehemaligen Sowjetunion sowie eine Änderung des Buchstabens in ihrer Versicherungsnummer. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom ).

2Die Klägerin hat diese Begehren vor dem SG Berlin weiterverfolgt, ist damit aber ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid vom ). Im Berufungsverfahren hat die Klägerin zunächst die Abänderung des Gerichtsbescheids entsprechend der tatsächlichen Rechtslage gefordert, in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG jedoch beantragt, "ein neues Kontenklärungsverfahren durchzuführen". Dies hat das LSG so gedeutet, dass sie ihre Berufung nicht mehr aufrechterhalte und stattdessen eine neue Klage eingereicht habe. Das LSG hat deshalb nur diese Klage abgewiesen und über die Berufung nicht mehr befunden, wobei es zum Ausdruck gebracht hat, dass es dieses Rechtsmittel als unbegründet angesehen hätte; die Revision gegen diese Entscheidung hat es nicht zugelassen (Urteil vom ).

3Die Klägerin hat mit einem von ihr persönlich unterzeichneten Schreiben vom beim BSG Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihre bereits im Widerspruchsverfahren und vor dem SG erhobenen Forderungen und macht als grundsätzlich bedeutsam geltend, dass der Anwaltszwang vor dem BSG als grober Verstoß gegen die Selbstbestimmung im Alter und als Verletzung der Gleichstellung Bemittelter und Unbemittelter verfassungswidrig sei. Zudem beantragt sie Prozesskostenhilfe (PKH).

II

41. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.

5Gemäß § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für ein Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vollständig vor.

6Dabei kann offenbleiben, ob im Fall der Klägerin die strengen Voraussetzungen für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG (§§ 160, 160a SGG) zB im Hinblick auf mögliche Verfahrensmängel des Berufungsgerichts (etwa hinsichtlich der Auslegung des Klagebegehrens, vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 490) erfüllbar sind. Jedenfalls fehlt es an den wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung von PKH. Gemäß § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 115 Abs 4 ZPO darf PKH nicht bewilligt werden, wenn die Kosten der Prozessführung vier Monatsraten (nach Maßgabe der Berechnungsvorschriften in § 115 Abs 1 und 2 ZPO) und die aus dem Vermögen aufzubringenden Teilbeträge voraussichtlich nicht übersteigen. So verhält es sich hier.

7a) Für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren fallen voraussichtlich Kosten für einen Rechtsanwalt iHv 595 Euro an. Nach Nr 3512 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) erhält ein Rechtsanwalt im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem BSG eine Gebühr, die zwischen 80 und 880 Euro liegt. Innerhalb dieser Rahmengebühr bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, seine Gebühr nach billigem Ermessen (§ 14 Abs 1 RVG). Bei einem Verfahren durchschnittlichen Umfangs und Schwierigkeitsgrades wird im Allgemeinen von der "Mittelgebühr" ausgegangen, die im Beschwerdeverfahren - einschließlich Auslagen und Umsatzsteuer - 595 Euro beträgt.

8b) Ausgehend von ihren Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die sie allerdings auf einem nicht mehr gültigen Formular abgegeben hat (vgl § 117 Abs 4 ZPO iVm § 1 Abs 1 Prozesskostenhilfeformularverordnung vom , BGBl I 34, gültig ab ), verfügt die Klägerin zurzeit über ein monatliches Nettoeinkommen (Altersrente und VBL-Rente) iHv 942,75 Euro. Davon ist ein persönlicher Freibetrag von 462 Euro (Nr 2 Prozesskostenhilfebekanntmachung 2015 vom , BGBl I 2007) in Abzug zu bringen. Weitere Abzüge - etwa für Kosten der Unterkunft und Heizung - können nicht berücksichtigt werden, da die Klägerin nach eigenen Angaben (Telefax vom ) derzeit keine Kosten für eine Wohnung aufzubringen hat. Dass sie "für Schlafgelegenheiten meine ganze Rente aufbringen muss" (Telefax vom ), hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, obwohl sie mit Schreiben des Berichterstatters vom zur Vorlage von Belegen für geltend gemachte Wohnkosten aufgefordert worden war. Mithin errechnet sich ein einzusetzendes Einkommen von 480,75 Euro sowie eine Monatsrate von 240 Euro (§ 115 Abs 2 S 1 ZPO). Das Vierfache dieser Monatsrate ergibt 980 Euro; die voraussichtlichen Kosten der Prozessführung (595 Euro - s oben unter a) übersteigen diesen Betrag nicht. Mithin kommt die Bewilligung von PKH und die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH nicht in Frage (§ 115 Abs 4 iVm § 121 Abs 1 ZPO).

92. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann auch nicht auf der Grundlage von § 202 S 1 SGG iVm § 78b ZPO (sog "Notanwalt") erfolgen. Nach diesen Bestimmungen hat das Prozessgericht in Verfahren mit Anwaltszwang einem Beteiligten auf seinen Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig erscheint. Voraussetzung für die Beiordnung eines Notanwalts ist jedoch, dass der Beteiligte vor Ablauf der Beschwerdefrist nachweist, trotz zumutbarer Anstrengungen einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht gefunden zu haben (BSG Beschlüsse vom - B 6 KA 3/07 S - Juris RdNr 2 mwN sowie vom - B 8 SO 45/07 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 7 RdNr 5; BGH Beschlüsse vom - IX ZA 2/11 - Juris RdNr 2 sowie vom - VI ZR 226/13 - Juris RdNr 2 mwN; - Juris RdNr 4). Dabei ist für ein beabsichtigtes Rechtsmittelverfahren vor einem obersten Bundesgericht erforderlich, dass erfolglose Bemühungen um eine Prozessvertretung bei zumindest fünf zugelassenen Prozessbevollmächtigten substantiiert aufgezeigt werden (Senatsbeschluss vom - B 13 R 210/14 B - JurionRS 2015, 11116 RdNr 13 mwN). Trotz zweier Hinweise des Berichterstatters (Schreiben vom und vom ) hat die Klägerin entsprechende Bemühungen nicht dargelegt.

103. Die von der Klägerin selbst erhobene Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Formvorschriften, weil sie nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) eingelegt worden ist. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Dieser vor allen obersten Gerichtshöfen des Bundes bestehende Vertretungszwang dient sowohl den Interessen des betroffenen Bürgers, der ohne qualifizierte juristische Sachkunde weder die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels in dritter Instanz noch dessen Zulassungsvoraussetzungen abschätzen kann, als auch der Funktionsfähigkeit des Revisionsgerichts, das von unsinnigen und ggf wenig sachgerecht vorbereiteten Verfahren entlastet werden soll (vgl BSG SozR 4-1500 § 73 Nr 5 RdNr 3 mwN; B 10 ÜG 2/14 KL - Juris RdNr 11). Der Vertretungszwang ist mit den Bestimmungen des Grundgesetzes ebenso vereinbar wie mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl BVerfGE 9, 194, 199 f; 10, 264, 267 f; BVerfG [Kammer] SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 13; s auch EGMR Urteil vom , Az 76680/01, Juris RdNr 106 ff, zur Qualifizierung einer Rüge, der Anwaltszwang verletze Art 6 EMRK, als "offensichtlich unbegründet").

11Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG).

12Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Fundstelle(n):
MAAAE-91843