BSG Beschluss v. - B 12 KR 122/14 B

Instanzenzug: S 8 KR 249/12

Gründe:

I

1In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten insbesondere über die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs. Der Kläger war und ist freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach einem Wechsel der Krankenkasse führte die neue Krankenkasse - die Rechtsvorgängerin der Beklagten - den Kläger irrtümlich als pflichtversicherten Rentner. Im Rahmen einer Klage gegen Bescheide, wodurch die Beklagte vom Kläger (weitere) Beiträge in Höhe von ca 16 000 Euro forderte, schlossen die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG einen Vergleich. Diesen setzten sie zunächst für die Dauer von etwa elf Monaten um.

2Danach hat der Kläger erneut Klage erhoben, mit der er ua die Unwirksamkeit des Vergleichs geltend gemacht hat. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat die Beteiligten im Berufungsverfahren mit Verfügung vom auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bis gegeben. Mit Schriftsatz vom , beim LSG am eingegangen, haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass eine Rücknahme der Berufung ausscheide und man den Hinweis des LSG zur möglichen Entscheidung durch Beschluss zur Kenntnis genommen habe. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom ). Mit selbst verfasstem Schreiben vom , beim LSG am eingegangen, und mit einem weiteren selbst verfasstem Schreiben vom , beim LSG am eingegangen, hat der Kläger (persönlich) weitere umfangreiche Ausführungen gemacht und seinem Schreiben vom diverse Anlagen beigefügt.

3Gegen die Nichtzulassung der Revision im hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

II

4Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

5Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil bzw der angefochtene Beschluss von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil bzw der Beschluss des LSG sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

61. Der Kläger macht in der Beschwerdebegründung vom das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

7Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSGE 2, 81, 82; 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

8Der Kläger macht geltend, das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es vor Ablauf der von jenem selbst gesetzten Äußerungsfrist durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG entschieden habe. Die vom Kläger selbst verfassten Schreiben vom 13. und seien noch innerhalb der Frist eingegangen, aber nicht berücksichtigt worden. In seinen Schreiben habe er "jeweils sein Vorbringen vertieft." Das LSG habe auch gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. Mit einem derart ungewöhnlichen Verfahrensablauf müsse ein Beteiligter nicht rechnen. Es lasse sich nicht ausschließen, dass das LSG anders entschieden hätte, wenn es sein umfangreiches Vorbringen in beiden Schreiben zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte, auch wäre uU eine mündliche Verhandlung nötig gewesen.

9Hierdurch zeigt der Kläger einen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel nicht hinreichend auf. Zwar legt er einen Verstoß des LSG gegen § 153 Abs 4 S 2 SGG dar (dazu a). Offen bleiben kann, ob der Kläger darüber hinaus einen Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens entsprechend den Zulässigkeitsvoraussetzungen aufzeigt (dazu b). Jedenfalls legt er insgesamt nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen genügenden Weise dar, dass die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf den geltend gemachten Verfahrensmängeln beruht (dazu c).

10a) Der Kläger zeigt einen Verstoß des LSG gegen § 153 Abs 4 S 2 SGG auf. Nach dieser Vorschrift sind die Beteiligten vor Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zu hören. Das BSG hat in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass gegen diese Verfahrensvorschrift verstoßen wird, wenn einem Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt wird, das Gericht dann aber diese selbst gesetzte Frist nicht beachtet (vgl hierzu - Juris; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 12 mwN).

11b) Es kann offenbleiben, ob der Kläger auch einen Verstoß gegen den Grundsatz fairen Verfahrens hinreichend darlegt. Der aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip bzw Art 6 EMRK abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren soll sicherstellen, dass Streitigkeiten von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt werden (vgl B 10 ÜG 1/14 B - Juris RdNr 22). Er ist verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten (vgl EGMR, NJW 1995, 1413 - Dombo Beheer), das Verbot widersprüchlichen Verhaltens oder der Schutz vor Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl BSG SozR 4-1500 § 118 Nr 3 RdNr 16 mwN).

12Zweifel an der Darlegung eines entsprechenden Verfahrensverstoßes bestehen jedenfalls deshalb, weil sich der Kläger nicht damit auseinandersetzt, dass seine Prozessbevollmächtigten vor Erlass des angefochtenen Beschlusses mit Schriftsatz vom die eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme wahrgenommen haben, ohne in diesem Schriftsatz deutlich zu machen, dass innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist noch weitere Stellungnahmen folgen werden. Es ist jedenfalls nicht fernliegend, dass in einer solchen Situation ein Gericht davon ausgehen darf, es folgten keine weiteren Schriftsätze mehr (vgl Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 65 RdNr 3). Die sich vor diesem Hintergrund stellende Frage, ob in der Beschwerdebegründung - über den Verstoß gegen § 153 Abs 4 S 2 SGG hinaus - ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens ausreichend dargelegt wird, bedarf jedoch keiner Entscheidung.

13c) Der Kläger zeigt in der Beschwerdebegründung jedenfalls nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise auf, dass die Entscheidung des LSG auch auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern - Verletzung von § 153 Abs 4 S 2 SGG bzw (mögliche) Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens - beruhen kann. Eine nach § 153 Abs 4 S 2 SGG nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung stellt in erster Linie eine Gehörsverletzung dar, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung - wie auch in anderen Fällen - nicht ohne Weiteres zu unterstellen ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19). Ebenso bedarf die Rüge eines Verstoßes gegen das Gebot des fairen Verfahrens der Darlegung, inwieweit die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl - Juris RdNr 17).

14Zur Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten Verfahrensverstöße hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nur vorgetragen, er habe in seinen beiden Schreiben "jeweils sein Vorbringen vertieft". Der Beschwerdebegründung kann nicht entnommen werden, was der Kläger in seinen beiden persönlich verfassten Schreiben konkret an ggf neuem Sachvortrag vorgebracht bzw ob er ggf neue Beweisangebote unterbreitet bzw formelle Beweisanträge gestellt hat. Es ist angesichts § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus einem Gemenge das herauszusuchen, was möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 mwN). Der in den Verfahren vor dem BSG nach § 73 Abs 4 SGG bestehende Vertretungszwang soll vielmehr sicherstellen, dass der Inhalt der Beschwerdebegründung und das Begehren des Beschwerdeführers vom Beschwerdegericht ohne großen Aufwand zu ermitteln ist. Hinzu kommt, dass die nach der Beschlussfassung durch das LSG eingegangenen Schreiben vom 13. und vom Kläger persönlich, nicht aber von seinen Prozessbevollmächtigten stammten. Schließlich ist der Umfang der beiden Schreiben des Klägers zu berücksichtigen: Das Schreiben des Klägers vom umfasst sieben engzeilig beschriebene Seiten nebst sieben Anlagen und sein weiteres Schreiben vom umfasst eben solche fünf Seiten. Die Beschwerdebegründung hätte insoweit zumindest darlegen müssen, welcher - im Vergleich zu den früheren Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten des Klägers, insbesondere im Vergleich zur Berufungsbegründung vom , der ein selbst verfasstes Schreiben des Klägers vom beigefügt war - neue Sachvortrag bzw welches Beweisangebot konkret in beiden Schreiben des Klägers enthalten war, der bzw das das LSG möglicherweise zu einer anderen Verfahrensweise bzw Entscheidung gedrängt hätte. Soweit der Kläger hierzu lediglich ausführt, es lasse sich jedenfalls "nicht ausschließen", dass das LSG in Kenntnis der beiden Schreiben des Klägers eine andere Entscheidung getroffen bzw eine mündliche Verhandlung durchgeführt hätte, reicht dies für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit eines Verfahrensmangels nicht aus.

152. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG.

163. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Fundstelle(n):
CAAAE-90510