BFH Urteil v. - XI R 14/13

Anspruch auf Kindergeld für ein mit dem anderen Elternteil seines nichtehelichen Kindes in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Kindes

Leitsatz

1. Zu den in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Bezügen gehören Geldzuflüsse und Naturalleistungen, die bei der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung nicht erfasst werden, somit auch die Unterhaltsleistungen des Kindsvaters an die Kindsmutter, für die Kindergeld beansprucht wird. Wegen des auch für Bezüge geltenden Zuflussprinzips führt ein Unterhaltsanspruch - auf den der Unterhaltsberechtigte nicht i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG ganz oder teilweise verzichtet hat - nur dann zu Bezügen, wenn er tatsächlich erfüllt wird.
2. Leben unverheiratete Eltern mit ihrem Kind in einem gemeinsamen Haushalt, ist im Einzelnen zu ermitteln, ob und ggf. in welchem Umfang gegenüber dem betreuenden Elternteil oder durch einen Dritten Naturalleistungen erbracht wurden. Diese Leistungen können auch in Anlehnung an die Sozialversicherungsentgeltsverordnung geschätzt werden.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, EStG § 32 Abs. 4 Satz 2

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für die Tochter der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) für das Jahr 2006 (Streitzeitraum) zu Recht aufgehoben hat.

2 Die Klägerin ist die Mutter des Kindes A, geboren am . A ist die Mutter der am geborenen B und lebt mit dem Vater ihres Kindes in einem gemeinsamen Haushalt.

3 Mit Bescheid vom setzte die Familienkasse gegenüber der Klägerin für A für den Zeitraum April 2005 bis März 2007 Kindergeld fest.

4 Ausweislich vorgelegter Studienbescheinigungen war A vom Wintersemester 2005/2006 bis Wintersemester 2006/2007 an der Universität X immatrikuliert und nicht beurlaubt. Laut einer entsprechenden Lohnsteuerbescheinigung für 2006 bezog A in diesem Jahr einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 2.939,50 €. Ein Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom weist für April 2006 bis einschließlich September 2006 eine monatliche Rente in Höhe von 150,07 € aus.

5 Mit Bescheid vom hob die Familienkasse gegenüber der Klägerin die Kindergeldfestsetzung für A für die Monate Januar bis Dezember 2006 auf und verlangte die Rückzahlung des für diesen Zeitraum gezahlten Kindergeldes in Höhe von 1.848 €. A lebe mit dem Vater ihres Kindes B in einem gemeinsamen Haushalt. Da dieser im Streitzeitraum ein hohes Einkommen gehabt habe, sei zu unterstellen, dass er und A das zur Verfügung stehende Einkommen geteilt hätten. Deshalb seien A als Unterhaltsleistungen des Vaters von B 17.757,39 € zuzurechnen. Zudem habe A im Jahr 2006 über (eigene) Einkünfte und Bezüge verfügt, die den für die Zahlung von Kindergeld maßgeblichen Grenzbetrag bei weitem überschritten hätten. Daher entfalle die Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber A und damit auch deren Kindergeldanspruch. Die Familienkasse wies den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

6 Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage statt. Der Klägerin habe für den streitbefangenen Zeitraum Kindergeld zugestanden, so dass die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des Kindergeldes rechtswidrig gewesen seien. Entgegen der Auffassung der Familienkasse hätten die Einkünfte und Bezüge von A nicht den nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 € überschritten. Denn der von der Familienkasse insoweit als Bezug angesetzte Unterhaltsanspruch von A gegenüber dem Kindsvater von B nach § 1615l des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der bis zum geltenden Fassung habe nicht bestanden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 947 veröffentlicht.

7 Zur Begründung ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Sie führt aus, das FG habe zu Unrecht im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge von A nicht deren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater des gemeinsamen Kindes in Höhe von 14.133,14 € als Bezug berücksichtigt. Entgegen der Auffassung des FG hätten die entsprechenden Voraussetzungen nach § 1615l Abs. 2 Sätze 2 und 3 BGB vorgelegen. Die hilfsweise vom FG vorgenommene Grenzbetragsberechnung sei ebenfalls rechtswidrig.

8 Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10 Sie hält die Entscheidung der Vorinstanz für zutreffend.

Gründe

11 II. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

12 Ausgehend von dem bisher festgestellten Sachverhalt hat das FG zu Unrecht entschieden, dass der Klägerin der begehrte Kindergeldanspruch zusteht. Die Feststellungen des FG lassen keine Entscheidung darüber zu, ob zu berücksichtigende Bezüge ihres Kindes A vorlagen, die zu einer Überschreitung des im Jahr 2006 nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgebenden Grenzbetrages von 7.680 € führten, und deshalb ein Kindergeldanspruch der Klägerin ausgeschlossen ist.

13 1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass A im Streitzeitraum Januar bis Dezember 2006 grundsätzlich nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG kindergeldrechtlich zu berücksichtigen ist, da sie in dieser Zeit nach den Feststellungen des FG für einen Beruf ausgebildet wurde.

14 2. Das FG hat auf der Grundlage seiner bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen unzutreffend angenommen, dass die Einkünfte und Bezüge von A den im Streitjahr 2006 nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgebenden Grenzbetrag von 7.680 € unterschritten haben.

15 a) Zu den in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Bezügen gehören Geldzuflüsse und Naturalleistungen, die bei der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung nicht erfasst werden, somit auch die Unterhaltsleistungen des Kindsvaters an die Kindsmutter, für die Kindergeld beansprucht wird. Wegen des auch für Bezüge geltenden Zuflussprinzips führt ein Unterhaltsanspruch —auf den der Unterhaltsberechtigte nicht i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG ganz oder teilweise verzichtet hat— nur dann zu Bezügen, wenn er tatsächlich erfüllt wird (, BFHE 236, 155, BStBl II 2012, 340; , BFH/NV 2014, 36, Rz 12; vom III R 50/13, BFH/NV 2014, 1536, Rz 15).

16 Bezogen auf den Streitfall bedeutet dies, dass die (abstrakte) Frage eines Unterhaltsanspruchs der A gegenüber dem Kindsvater nach § 1615l BGB nicht entscheidungserheblich ist.

17 b) Wird Kindergeld für ein verheiratetes Kind begehrt, das mit seinem Ehegatten in einem gemeinsamen Haushalt lebt, kann bei der Schätzung der als Bezüge anzusetzenden Unterhaltsleistungen zwar davon ausgegangen werden, dass sich die —kinderlosen— Ehegatten das gemeinsame verfügbare Einkommen hälftig teilen, sofern dem unterhaltsverpflichteten Ehegatten ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerrechtlichen Existenzminimums verbleibt (, BFHE 236, 79, BStBl II 2012, 413, und in BFH/NV 2014, 36, Rz 13). Dieser Grundsatz lässt sich aber auf nicht verheiratete, zusammen lebende Eltern mit Kind schon deshalb nicht übertragen, weil beim Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB, anders als beim Unterhalt zwischen zusammen lebenden, getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten, die wirtschaftlichen Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Kindsvaters nicht maßgebend sind (, BGHZ 177, 272; BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 36, Rz 13). Wegen der Geltung des Zuflussprinzips ist daher in den Fällen, in denen —wie hier— unverheiratete Eltern mit ihrem Kind in einem gemeinsamen Haushalt leben, im Einzelnen zu ermitteln, ob und ggf. in welchem Umfang gegenüber dem betreuenden Elternteil oder durch einen Dritten Naturalleistungen erbracht wurden (, BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866; in BFH/NV 2014, 36, Rz 13, und in BFH/NV 2014, 1536, Rz 15).

18 c) Das angefochtene Urteil beruht auf anderen Rechtsgrundsätzen. Die Entscheidung ist daher aufzuheben. Aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen des FG kann der Senat nicht beurteilen, in welcher Höhe A im Jahr 2006 Einkünfte und Bezüge zugeflossen sind. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die Höhe der Unterhaltsleistungen, die A vom Kindsvater im Jahr 2006 (tatsächlich) erhalten hat, zu ermitteln haben. Dabei bestehen keine Bedenken, Naturalleistungen in Anlehnung an die Sozialversicherungsentgeltverordnung zu schätzen (BFH-Urteile in BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866; in BFH/NV 2014, 36, Rz 14, und in BFH/NV 2014, 1536, Rz 18).

19 3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

20 4. Der Senat erkennt mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 836 Nr. 6
BFH/PR 2013 S. 7 Nr. 12
JAAAE-89035