BGH Beschluss v. - 4 StR 470/14

Strafverfahren: Dokumentationspflicht zur Mitteilung und Protokollierung von Verständigungsgesprächen außerhalb der Hauptverhandlung

Gesetze: § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 273 Abs 1a StPO, § 337 StPO

Instanzenzug: LG Detmold Az: 4 KLs 29/14

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in fünf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und wegen erlittener Auslieferungshaft eine Anrechnungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

21. Der Rüge liegt Folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3Nach Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse und Verlesung der Anklageschrift wurde die Hauptverhandlung vom um 11.28 Uhr unterbrochen und um 12.10 Uhr fortgesetzt. Weiter heißt es im Hauptverhandlungsprotokoll:

"Der Vorsitzende wies darauf hin, dass eine Verständigung den Inhalt haben könnte, dass, wenn der Angeklagte eine geständige Einlassung zu den Anklagepunkten 2, 3, 4, 6 und 7 abgeben würde, eine Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich von zwei Jahren sechs Monaten bis zu drei Jahren im Raum steht.

Der Vorsitzende erteilt den rechtlichen Hinweis, dass statt des schweren Bandendiebstahls auch eine Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in Betracht kommt."

4Nach Belehrung des Angeklagten gemäß § 257c StPO stimmten dieser, sein Verteidiger und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft dem Vorschlag der Strafkammer zu. Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält insoweit den Vermerk: "Die Verständigung ist somit zustande gekommen."

5Der Beschwerdeführer rügt einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO und macht hierzu unter anderem geltend, im Rahmen der öffentlichen Hauptverhandlung hätte im Einzelnen dargelegt und protokolliert werden müssen, dass während der knapp vierzigminütigen Unterbrechung der Hauptverhandlung ein Rechtsgespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten stattgefunden und welchen wesentlichen Inhalt dieses Rechtsgespräch gehabt habe.

62. Die Verfahrensrüge ist zulässig (vgl. , NJW 2013, 3046). Sie ist auch begründet.

7Der vom Beschwerdeführer gerügte Verfahrensverstoß liegt vor.

8a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung im Sinne von § 257c StPO gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. dazu , NStZ 2013, 610). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben. Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. Senatsbeschluss vom - 4 StR 272/13, StV 2014, 67; , StV 2011, 72 f.). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit (vgl. dazu jüngst BVerfG, NStZ 2015, 170, 171; NStZ 2015, 172, 173) sollen nicht nur darüber informiert werden, ob solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. aaO). Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen.

9b) Im vorliegenden Fall weist das Protokoll über die Hauptverhandlung vom , was die Revision zu Recht beanstandet, weder aus, dass, was nach dem von der Revision mitgeteilten Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls nahe liegt, in der vierzigminütigen Unterbrechung der Hauptverhandlung ein Verständigungsgespräch stattgefunden noch, welchen wesentlichen Inhalt dieses Rechtsgespräch in dem vorstehend dargestellten Sinne gehabt hat.

10c) Ein Mangel an Transparenz und Dokumentation der Gespräche, die mit dem Ziel der Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung durchgeführt wurden, führt - ebenso wie die mangelhafte Dokumentation einer Verständigung - regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann (Senatsbeschluss vom aaO; vgl. auch aaO). Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Sost-Scheible                         Roggenbuck                            Cierniak

                          Franke                               Mutzbauer

Fundstelle(n):
AO-StB 2016 S. 135 Nr. 5
FAAAE-88209