Rechtsstaatswidrige Verzögerung eines Strafverfahrens: Bemessung der Kompensation
Gesetze: Art 6 Abs 1 S 1 MRK
Instanzenzug: LG Bochum Az: 8 KLs 16/12
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom wegen Beihilfe zum Raub zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
2Die Revision, mit der der Angeklagte allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, erzielt lediglich wegen einer nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen Verfahrensverzögerung einen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
31. Das Verfahren ist nach Erlass des angefochtenen Urteils unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zunächst dadurch in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden, dass die Originalakten seit dem in Verlust geraten sind und erst im Juni/Juli 2014 teilweise rekonstruiert werden konnten, nachdem der Verteidiger sich nach dem Stand des Revisionsverfahrens erkundigt hatte. Nach Begründung der Revision durch den Verteidiger mit Schriftsatz vom hätten die Akten dem Generalbundesanwalt bei ordnungsgemäßem Verfahrensgang alsbald danach vorgelegt werden müssen. Tatsächlich sind die Akten dort erst am eingegangen. Nachdem auf Veranlassung des Generalbundesanwalts weitere, für die Durchführung des Revisionsverfahrens notwendige Unterlagen beim Landgericht und bei der Staatsanwaltschaft beschafft worden waren, konnten die Akten dem Bundesgerichtshof schließlich am vorgelegt werden. Dadurch hat sich nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist insgesamt eine Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren ergeben, die auf die Sachrüge hin von Amts wegen zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20 mwN).
42. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kompensation nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (vgl. nur Senatsbeschluss vom - 4 StR 643/10, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 41 mwN). In Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift vom erscheint dem Senat im vorliegenden Fall eine Kompensation von drei Monaten angesichts der insgesamt eingetretenen Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren als angemessen. Diese Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO selbst aussprechen (, NStZ-RR 2008, 208, 209; Beschluss vom - 2 StR 302/11, NStZ 2012, 320, 321).
5b) Eine neben die Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung tretende Berücksichtigung der seit Tatbegehung vergangenen Zeit bei der Strafzumessung und infolgedessen die Aufhebung des Strafausspruchs ist mit Blick auf die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und die getroffene Bewährungsentscheidung nicht geboten, zumal sich der Angeklagte, soweit aus den teilrekonstruierten Sachakten ersichtlich, nicht in Untersuchungshaft befand.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
wistra 2015 S. 241 Nr. 6
JAAAE-87493